„Die Einsicht in die Bedeutung von Schulpraktika im Rahmen des Lehramtsstudiums hat zu einer beträchtlichen Ausweitung schulpraktischer Studien geführt. Der Hauptgrund für diese Entwicklung ist die Erkenntnis, dass die Bereitschaft und Fähigkeit vieler Lehrerinnen und Lehrer, Theorie und Praxis aufeinander zu beziehen, nur unzureichend entwickelt ist. Durch die Ausweitung der Praxisphasen bereits während des Universitätsstudiums sowie deren zugleich theoriefundierte und praxisorientierte Vorbereitung und Auswertung an den Hochschulen soll dieses Defizit der deutschen Lehrerbildung beseitig werden.“ Mit diesen Sätzen beginnt das von Beyer, Wisbert, Plöger, Wasmuth und Anhalt verfasste Vorwort. Während sich noch Mitte der 90er Jahre Rabe u.a. gegen Schulpraktika aussprachen, hat sich inzwischen die Position von Terhart (2000), der Praktika für einen „wesentlichen Bestandteil der ersten Ausbildungsphase“ hält, durchgesetzt.
Berthold Michael hat bereits 1967 die entscheidende Frage formuliert: „Wird im Praktikum studiert?“ Im Praktikum geht es nicht um ein Verschicken der Studierenden an Schulen, um Unterricht zu halten oder „unterrichtstechnische Handwerkelei“ vermittelt zu bekommen, sondern, wie es auch von der KMK 2004 gefordert wurde, um die Erschließung der pädagogischen Praxis auf der Grundlage von vorher erarbeiteten theoretischen Erkenntnissen.
Hier knüpfen die Autoren (Mitglieder des Pädagogischen Seminars der Philosophischen Fakultät der Universität Köln) mit ihrem Werk „Schulpraktikum. Einführung in die theoriegeleitete Planung, Durchführung und Reflexion“ an. In ihrer Analyse der vorliegenden Publikationen zu den universitären Praxisphasen kommen sie zu dem Fazit, dass die praxisorientierten Empfehlungen zu wenig theoretisch fundiert sind und die theoretischen Studien dem Bedürfnis der Studierenden nach praktischer Orientierungshilfe nicht gerecht werden (1). „Wir versuchen mit dem vorliegenden Band, sowohl Spezialisierungstendenzen zu entgehen als auch theoretischen und praktischen Ansprüchen gerecht zu werden. Denn wir sind der Auffassung, dass die Praktika ihrem Bildungsauftrag innerhalb des universitären Studiums nur gerecht werden können, wenn sie dazu beitragen, Theorie und Praxis enger aufeinander zu beziehen“ (1). Um diesem hohen Anspruch gerecht zu werden, soll durch die Erfahrung in authentischen Situationen ein erster Schritt zur Entwicklung der Urteilskraft der Studierenden geleistet werden. Dabei geht es auch um die Überprüfung der Vorstellungen, die die Studierenden von Schule und Unterricht ins Studium mitbringen (subjektive Theorie). Zahlreiche Anregungen und Fragen in den einzelnen Kapiteln sollen bei den Studierenden eine „konstruktive und selbstreflexive Auseinandersetzung mit Schule und Unterricht (2) bewirken.
Die Publikation ist in drei Abschnitte gegliedert. Der von Beyer und Wisbert überwiegend gemeinsam verfasste erste Teil enthält die Kapitel „Ziele und Funktionen des Schulpraktikums“ (5-11) und „Das Orientierungspraktikum (Allgemeines Schulpraktikum)“ (12-46). Im ersten Kapitel gelingt es den Autoren in verständlicher Sprache den Perspektivenwechsel und die Problematik der Beziehung von Theorie und Praxis den Studierenden (sie werden direkt angesprochen: „Liebe Studierende“) nahe zu bringen. Sie weisen auch auf die Gefahr hin, dass Studierende dazu neigen könnten, den Stellenwert des Praktikums zu überschätzen. Deshalb am Ende ihre Mahnung, „Urteile über Schule und Unterricht mit der gebotenen Vorsicht“ (10) zu fällen.
Im Kapitel über „Das Orientierungspraktikum“ ist zu spüren, dass die Verfasser über Erfahrung in der Betreuung von Studierenden in Schulpraktika verfügen. Ausführlich und sehr detailliert werden die Studierenden über die Organisation und Vorbereitung des Praktikums, die Schulerkundung, die Erkundung des Unterrichts und den Praktikumsbericht informiert. Zur selbständigen Reflexion dienen zahlreiche Fragen (29-35!) auf unterschiedlichen Niveaustufen, so dass Anfänger und Fortgeschrittene angesprochen werden.
Im zweiten Teil des Bandes schreiben Anhalt über „Formen der Erkundung und Beobachtung im Schulpraktikum“ (47-62), Beyer, Plöger und Wasmuth über, „Die Bausteine des Unterrichts“ (63-166) und Plöger und Wisbert. über „Die Beziehung von Theoriestudium und Schulpraxis“ (167-191).
Anhalt behandelt in seinem Kapitel methodologische Grundlagen für den wichtigen Bereich der Erkundung und Beobachtung von Schule und Unterricht. Auch er warnt die Studierenden vor „vorschnellen Generalisierungen“ (60) und fordert sie auf, in ihre Reflexionen immer „alternative Möglichkeiten der Ausgestaltung von Schule und Unterricht“ (61) einzubeziehen.
103 Seiten zählt das Kapitel über „Die Bausteine des Unterrichts“. Dazu gehören die Bedingungen, die Ziele und Inhalte des Unterrichts, didaktische Prinzipien, Unterrichtsmethodik, Medien, Hausaufgaben und Lernerfolgskontrolle sowie sozialpsychologische Faktoren. Die Studierenden erhalten in verständlicher Sprache einen Überblick über den systematischen Aufbau des Unterrichts. Auf die Bedeutung der Bedingungsanalyse als „ureigenste Aufgabe“ (67) des Lehrers wird explizit hingewiesen. Auch wird den Studierenden nahe gelegt, sich um „den Erwerb diagnostischer Kompetenz“ (65) zu bemühen. Bei der Begründung von Inhalten und Zielen beziehen sich die Autoren auf die in der Bildungstheoretischen Didaktik entwickelte Didaktische Analyse von Wolfgang Klafki und erläutern die drei Aspekte Gegenwartsbedeutung, Zukunftsbedeutung und Exemplarität. Bei der Vorstellung von acht wichtigen didaktischen Prinzipien (84-102) werden „Strukturiertheit“ und „Offenheit“ als konkurrierende Prinzipien (85) bezeichnet. Allerdings kommt „Offenheit“ in den Ausführungen doch sehr kurz. So erfahren die Studierenden nichts über Formen eines Offenen Unterrichts (z.B. Stationslernen, Projektunterricht, Freie Arbeit), die zukünftig im Gymnasium auch ihren Platz haben sollten. Über die Jigsaw-Methode wird lediglich in einer Anmerkung (137) informiert. Im Unterkapitel „Unterrichtsmethodik“ (103-138) wird zu Beginn darauf hingewiesen, „dass Lernen als eine konstruktive, eigenaktive Tätigkeit der Schülerinnen und Schüler verstanden wird“ (103). Der Lehrer muss sich darüber im Klaren sein, dass er durch seinen Unterricht beim Schüler keine unmittelbaren Lernprozesse und -ergebnisse bewirkt, sondern Anregungen und Hilfestellungen anbietet, die vom Schüler aufgegriffen oder ignoriert werden können. Vor diesem Hintergrund sollen sich Studierende mit den einzelnen Dimensionen der Unterrichtsmethodik (umfasst in Anlehnung an Peterßen die „gesamte Verlaufsgestaltung“) auseinander setzen.
Im Kapitel „Hausaufgaben und Lernerfolgskontrolle“ (147-158) wird durchaus kritisch die Selektionsfunktion in unserem Schulsystem angesprochen und auf eine mögliche Ergänzung der Note durch einen Kommentar, „in dem die wichtigsten Leistungen und Defizite sowie Möglichkeiten zu deren Behebung möglichst differenziert ausgewiesen werden“ (154) hingewiesen. Hier wäre für die zukünftigen Gymnasiallehrkräfte ein Hinweis auf die PISA-Siegerländer sinnvoll gewesen, die bekanntlich weitgehend auf Zensuren und Sitzenbleiben verzichten.
Ihrem Anspruch auf umfassende Darstellung der Unterrichtsmethodik werden die Autoren auch dadurch gerecht, dass sie im letzten Kapitel „Fünf sozialpsychologische Faktoren des Lehrerhandelns“ (159-166) ansprechen. Bei Hospitationen und eigenen Unterrichtsversuchen sollen die Studierenden auf die Persönlichkeit und Grundhaltung des Lehrers und sein Bemühen um ein lernförderliches Unterrichtsklima achten. Ferner sollen sie beobachten, wie es ihm gelingt, die Gesamtpersönlichkeit des Schülers zu respektieren und wie er sich um eine demokratische Gestaltung des Unterrichts bemüht. Im fünften Faktor wird das Bemühen des Lehrers um den einzelnen Schüler angesprochen. Dazu geziemt es sich, dem einzelnen Schüler im Unterricht gerecht zu werden, „seine Stärken und Schwächen zu identifizieren und sich Förderungsmöglichkeiten zu überlegen“ (163).
Im Schlusskapitel des zweiten Teils wird „Die Beziehung von Theoriestudium und Schulpraxis“ (167-191) in zwei Unterkapiteln von Plöger und Wisbert ausführlich und kritisch erörtert. Praktika geben nach ihrer Auffassung Studierenden wichtige Impulse zum Reflektieren ihrer „Subjektiven Theorien“ und zur Überprüfung des eigenen Berufswunsches. Im Praktikum haben Studierende die Möglichkeit, „den Lehrerberuf von innen her zu erleben“ (189). Die Studierenden werden auch argumentativ auf einen möglichen Loyalitätskonflikt zwischen Schule und Hochschule vorbereitet. Für viele Lehrkräfte „ist die Praxis eine ganz eigene Welt“, sie halten große Teile der Theorie für überflüssig, „ja für untauglich für ihr Handeln“ (183). Für die Autoren steht fest: „Es kommt in der Lehrerbildung nicht nur darauf an, Theorie zu studieren und Praxis zu erkunden, sondern auch zu ’lernen’, Theorie und Praxis in Beziehung zu setzen“ (183). Die eingangs formulierte Frage von Michael kann damit beantwortet werden: im Praktikum wird studiert.
Im dritten Teil des Buches werden die Sonderformen „Fachpraktikum“ (192-216), „Auslandspraktikum“ (217-222) und „Außerschulisches Praktikum“ (223-230) behandelt.
Im Schlusskapitel „Anregungen zur Selbstreflexion während und nach Abschluss des Praktikums“ (231-233) werden die Studierenden von Beyer und Wisbert dazu angeregt, ihr „persönliches Verständnis von Schule und Unterricht einer kritischen Reflexion zu unterziehen“ (231). Dazu gehört auch das Nachdenken über die Berufswahlentscheidung und das Ziehen von Konsequenzen aus dem Praktikum für das weitere Studium.
Die Absicht der Autoren, mit ihrem Buch Studierenden aller Lehramtsstudiengänge Anregungen und Hilfen für die Praktika zu geben (5 und Klappentext), gelingt nur bedingt für Studierende mit dem Studienziel Grundschule. Dies ist auch nicht verwunderlich, da die Autoren Studierende für das Lehramt Gymnasium ausbilden. Jene werden mit diesem Werk ausgesprochen differenziert und detailliert auf die verschiedenen Praktika vorbereitet. Dazu dienen die zahlreichen Fragen, Aufträge, Literaturhinweise am Ende jedes Kapitels und Praxisbeispiele, durch die eine Verbindung von Theorie und Praxis hergestellt wird. Die Autoren bekennen sich ausdrücklich zu der bedeutsamen Rolle der Schulpraktika im Rahmen des Studiums – gerade für zukünftige Gymnasiallehrkräfte. Ihre Ausführungen sind authentisch und es ist zu spüren, dass sie über Erfahrung in der Betreuung ihrer Studierenden in der Schule verfügen. Schade nur, dass kein Register vorhanden ist und das Buch ganz auf Schaubilder und Diagramme verzichtet.
EWR 5 (2006), Nr. 5 (September/Oktober 2006)
Schulpraktikum
Einführung in die theoriegeleitete Planung, Durchführung und Reflexion
Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren 2006
(233 S; ISBN 3-8340-0023-X; 18,00 EUR)
Diethelm Krause-Hotopp (Braunschweig)
Zur Zitierweise der Rezension:
Diethelm Krause-Hotopp: Rezension von: Beyer, Klaus / Wisbert, Rainer / Plöger, Wilfried / Wasmuth, Klaus-Ulrich / Anhalt, Elmar: Schulpraktikum, Einführung in die theoriegeleitete Planung, Durchführung und Reflexion. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren 2006. In: EWR 5 (2006), Nr. 5 (Veröffentlicht am 29.09.2006), URL: http://klinkhardt.de/ewr/83400023.html
Diethelm Krause-Hotopp: Rezension von: Beyer, Klaus / Wisbert, Rainer / Plöger, Wilfried / Wasmuth, Klaus-Ulrich / Anhalt, Elmar: Schulpraktikum, Einführung in die theoriegeleitete Planung, Durchführung und Reflexion. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren 2006. In: EWR 5 (2006), Nr. 5 (Veröffentlicht am 29.09.2006), URL: http://klinkhardt.de/ewr/83400023.html