In einer sich selbst als Wissens- oder Informationsgesellschaft beschreibenden Sozialität gewinnen Probleme des Lehrens und Lernens eine größere Aufmerksamkeit, wie die öffentlichen Reaktionen auf die PISA-Studie zeigen. So hat die Debatte über die optimalen Lernformen zur Vermittlung kultureller Errungenschaften mittlerweile schon den Weg in die Feuilletons der großen Tages- und Wochenzeitungen gefunden. Die gesellschaftlichen Hoffnungen richten sich auf eine neue Lernkultur, um die Herausforderungen durch eine immer komplexer werdende Umwelt zu bewältigen und die eigene Gesellschaft im globalen Wettbewerb entsprechend zu positionieren. Vorschläge zur Optimierung von Lernformen, -wegen und -verfahren sind Legion und nicht von ungefähr boomt der didaktische Buchmarkt. Angesichts der damit einhergehenden Unübersichtlichkeit ist es zu begrüßen, wenn in diesem Handlungs- und Forschungsfeld seit Jahrzehnten ausgewiesene Autoren gut strukturierte Lehrmaterialen veröffentlichen, wie das Lehrbuch zur "Lern-lehr-theoretischen Didaktik" von Straka/Macke zeigt.
Sie knüpfen damit an ihrem bewährten Studienbuch zum "Lehren und Lernen in der Schule" aus den 70er Jahren an. Sie haben das dort bewährte didaktische Prinzip übernommen, unterschiedliche Ansätze zur Gestaltung von Lehr- und Lernsituationen, einschließlich ihrer eigenen Überlegungen so zu präsentieren, dass in der analysierenden Auseinandersetzung mit den Lehrtexten ein geistiger Ordnungszusammenhang aufgebaut werden kann. Für Straka/Macke liegt hier der Schlüssel zur Befähigung, Lehr- und Lernsituationen theoriegeleitet zu gestalten und zu beurteilen. Dabei verweist der neue Titel darauf, dass die früher vorgenommene Engführung auf schulische Lehr- und Lernsituationen aufgegeben wird. Sie tragen damit nicht nur der wachsenden Bedeutung außerschulischen Lehrens und Lernens Rechnung, sondern erheben auch einen weitergehenden Anspruch, nämlich die Wechselwirkung von Lernen und Lehren theoretisch zu fundieren.
Die Autoren leiten ihr Lehrbuch mit allgemeinen Überlegungen zum Gegenstandsfeld ein, präsentieren dann mittels 11 Lehrtexten einen Überblick über Ansätze zur Gestaltung und Reflexion von Lehr- und Lernsituationen, die einen Zeitraum von mehr als 50 Jahren in der didaktisch-methodischen Diskussion abdecken. Sie schließen mit ihren eigenen Überlegungen zur Grundlegung einer "Lern-lehr-theoretischen Didaktik".
Die Einführung in "Lern-lehr-theoretische Grundlagen" übernimmt mit der Vorstellung zentraler Schlüsselbegriffe (Verhalten, Lernen, Lehren, Interaktion, Kommunikation etc.) und Fragestellungen eine orientierende Funktion hinsichtlich des in den Lehrtexten behandelten Gegenstandsfeldes. Auch den einzelnen Lehrtexten ist so etwas wie ein Advanced Organizer vorangestellt. Der Darstellung und Erörterung des jeweiligen theoretischen Ansatzes sind allgemeine Anmerkungen zur Wissenschaftsbiographie des Autors bzw. der Autoren, zum Kontext der Entstehung, zur Genese und den mit dem Konzept verfolgten Intentionen knapp, aber anschaulich vorausgeschickt. Die in sich selbst klar gegliederten Lehrtexte behandeln die zentralen Begriffe, grundlegenden theoretischen Annahmen und daraus resultierende Erkenntnisse über den Lehr- und Lernzusammenhang sowie damit einhergehenden Schlussfolgerungen für die Gestaltung der Lehr- und Lernsituation. Die gedankliche Erschließung der theoretischen Positionen wird dadurch unterstützt, dass Schemata und graphische Darstellung konstitutiver Zusammenhänge einerseits aus der Primärliteratur übernommen und andererseits von den Verfassern selbst zur Veranschaulichung entwickelt wurden. Der einzelne Lehrtext schließt mit Literaturnachweisen zu den zugrunde gelegten Primärtexten sowie weiterführender Sekundärliteratur.
Die Auswahl der Lehrtexte umfasst zum einen schon klassisch zu nennende Ansätze zur Analyse und Planung von Unterricht aus dem deutschsprachigen Raum. Die Auswahl fiel auf die "pädagogische Psychologie des Lernens" von Heinrich Roth, der aus seinen lerntheoretischen Befunden ein vielfach in der Unterrichtspraxis berücksichtigtes Artikulationsschema entwickelte, auf die "psychologischen Didaktik" von Hans Aebli, der die Piagetschen Erkenntnisse weiterentwickelnd den Aufbau von Operationen zur Strukturierung der Lehre einsetzte, auf das von Heimann/Otto/Schulz entwickelte "Berliner Modell zur lerntheoretischen Strukturierung des Unterrichts" und dessen durch Wolfgang Schulz vorgenommenen Weiterentwicklung zum so genannten "Hamburger Modell". Letztere erfreuten und erfreuen sich aufgrund ihrer Akzentuierung der didaktischen Planung einer besonderen Aufmerksamkeit durch angehende Lehrer und Seminarleiter in der zweiten Phase der Lehrerausbildung.
Den oben genannten Konzepten sind klassische amerikanische Beiträge zur Aufklärung des Zusammenhangs von Lehren und Lernen an die Seite gestellt. Sie verbindet, dass sie die empirische Unterrichtsforschung im Anschluss an die empirischen Wende in der Erziehungswissenschaft inspiriert haben. Hierzu gehört Skinners "Theorie des operanten Konditionierens", die im Zusammenhang mit dem programmierten Unterricht von sich reden gemacht hat und im Kontext des Computer Based Training eine Reaktualisierung in den 90er Jahren erfuhr, Ausubels "Theorie des bedeutungsvollen Lernens" mit ihren zentralen Überlegungen zu den Organisationshilfen für den Prozess des sinnvollen rezeptiven Lernens sowie Bruners "Theorie des Entdecklungslernens", die die Aufmerksamkeit auf heuristische Prozesse in Verfahren der Problemlösung lenkte. Die Kenntnis dieser klassischen Positionen ist eine große Hilfe bei der Beurteilung sich innovativ ausweisender didaktischer Ansätze, insbesondere derjenigen die sich mit dem Begriff Konstruktivismus verknüpfen.
Neben diesen klassischen Texten, die schon dem Studienbuch zugrunde lagen, präsentieren Straka und Macke drei jüngere, nämlich seit Ende der 80er Jahre entwickelte Ansätze zur Lehr- und Lerntheorie, die in der Tradition des amerikanischen Pragmatismus und dem neueren Konstruktivismus nahe stehen. Charakteristisch für sie ist, dass sie die Situiertheit von Wissen und Lernen akzentuieren und häufig im Zusammenhang mit den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien und deren Möglichkeiten zur Verbesserung der Lehre und des Lernen genannt werden. Hierzu zählen die in der amerikanischen Instruktionspsychologie entwickelten Konzepte des "Anchored Instruction-Ansatzes" der Cognition & Technology Group at Vanderbilt, des "Cognitive Apprenticeship" Ansatzes von Collins, Brown und Newman sowie der pragmatische Ansatz zur Gestaltung von Lernumgebungen der Münchener Arbeitsgruppe um Mandel.
Die genannten Forscher teilen die distanzierte Haltung gegenüber den kognitivistisch orientierten Instruktionsansätzen, die die gegenstandszentrierte Gestaltung der Lernumgebungen in den Vordergrund rücken. Mit dem Anchored Instruction-Ansatz erläutern die Verfasser ein Unterrichtskonzept, dass mittels narrativer Rahmung die Authentizität einer Problemlösungssituation erzeugen möchte, um auf diese Weise die Differenz von Lern- und Anwendungssituation zu minimieren und somit den Wissenstransfer zu optimieren. Mit der auf Bildplatte digitalisierten Abenteuergeschichte des Jasper Woodbary konnte die Vanderbilt Gruppe zuerst bei mathematischen Aufgabenstellungen positive Effekte bei der Bewältigung des schon 1929 von Norman Whitehead herausgestellten Problems des "trägen Wissens" erzielen. Präsentiert werden somit die Ergebnisse einer Arbeitsgruppe, der es um die Optimierung praxisbewährter Instruktionsmethoden und nicht um neue Erkenntnisse der Bedingungen der Möglichkeit erfolgreichen Lernen und Lehrens geht.
Dies gilt auch für den "Cognitive Apprenticeship" Ansatz, der das im Rahmen handwerklicher Ausbildung bewährte Konzept des imitativen Lernens bzw. das Lernen im Mitvollzug konkreter Problemlösungsprozesse auf wissensbezogene kognitive Lernprozesse überträgt. Eine zentrale Rolle kommt dabei der Modellierung kognitiver Prozesse durch die Experten bzw. Lehrenden zu, die ansonsten nicht sichtbar und damit auch nicht beobachtbar sind.
Mit der Gruppe um Mandel, die sich selbst explizit eine pragmatisch vermittelnde Position zwischen den methodisch durchorganisierten Formen des Lehrens im Sinne des Instructional Designs und den auf die selbstregulativen Aktivitäten des Lernenden setzenden konstruktivistischen Ansätze zuschreibt, beschließen Straka/Maka ihre Präsentation aktueller Lern- und Lehrkonzepte mit einem Ansatz, der einerseits eine Synthese hinsichtlich der präsentierten Lehrtexte darstellt und andererseits die zentralen Stichworte für die abschließenden theoretischen Reflexionen in nuce vorwegnimmt.
Die beschriebene pragmatische Vermittlung zwischen Lehren und Lernen versuchen die beiden Verfasser mittels der Entfaltung eines pädagogischen Verständnisses von Handlung und Information als konstitutive Bedingung für das Zusammenspiel von Lernen und Lehren theoretisch auf den Begriff zu bringen. Lehren und Lernen werden als situiertes Handeln aufgefasst und die damit verbundenen innerpsychischen Prozesse mittels des Informationsbegriffes beschrieben. Die Wechselwirkung zwischen Lernen und Lehren, die beide als Handlung begriffen werden, bzw. das "Zusammenspiel" zwischen ihnen wird mittels der Begriffe Kommunikation und Interaktion entfaltet. Damit knüpfen Straka/Macke in ihrem Versuch, Lernen und Lehren aus einem Grund zu begreifen, an die klassische pädagogische Form der Beschreibung der Selbstbestimmung des Menschen als Praxisvollzug an. Das Zusammenspiel von Lernen und Lehren zielt auf die ganze Person der Handelnden und damit auf die Persönlichkeitsentwicklung. Auf diesem Wege schlagen sie die Brücke zur geisteswissenschaftlichen Tradition didaktischer Theoriebildung, die dem Lernen einen richtungsweisenden Sinn zu geben vermag, indem sie die Frage nach dem wozu mit der Hervorbringung des autonomen Subjekts beantwortet. So sehen die Autoren im Handlungsbegriff eine "bildungstheoretisch und pädagogisch-anthropologisch fundierte Leitvorstellung für das, was aus Lernenden werden und im Zusammenspiel Handelnder Gestalt annehmen soll" (220).
Ob den Verfassern eine über den Verstehens- bzw. Praxisbegriff der geisteswissenschaftlichen Pädagogik hinausweisende allgemeine begriffliche Fundierung für die theoretische Durchdringung von Lehr- und Lernsituationen gelungen ist oder ob sie mit dem Handlungsbegriff ihre Theoriebildung in jene Tradition pragmatischer Didaktik stellen, die sich um eine erfolgreiche Weiterentwicklung bewährter Methoden und Verfahren bemüht hat, bleibt dem Urteil des geneigten Lesers überlassen. Provokativ und damit für wissenschaftliche Reflexion anregend sind die Überlegungen von Straka/Macke allemal. Sie ergänzen mit ihren originären Überlegungen die dargestellten lehr- und lerntheoretischen Positionen gut.
Abschließend seien mit Blick auf durchaus wünschenswerte weitere Auflagen dieses Lehrbuches einige Monita erlaubt. Neben dem hilfreichen Sachregister hätte man sich ein entsprechendes Personenregister gewünscht. Unbefriedigend ist auch, dass bei den Klassikern auf eine Aktualisierung der weiterführenden Literatur verzichtet wurde. Gerade für den Einsatz dieses Lehrbuchs in der universitären Lehre wäre dies wünschenswert. Angesichts der von den Verfassern selbst favorisierten handlungsorientierten Gestaltung von Lehr- und Lernsituationen hat sich der Rezensent gefragt, warum man von dem Konzept des Studienbuches abgekommen ist, in dem Übungsaufgaben die selbständige Erarbeitung der Lehrtexte unterstützten. Bezüglich der Textauswahl ist der Rezensent überrascht, dass Straka/Macke auf einen Lehrtext zu Gagnés Konzept des Instructional Design verzichten, das ja nicht nur für einen Teil der referierten Ansätze, sondern für die Verfasser selbst wegweisende Bedeutung hat. Hier hätte man eher auf den bisher nicht angesprochenen Lehrtext zur "Leittextmethode" verzichten können, die sich als Methode des selbstorganisierten Lernens hinsichtlich des Umfanges ihres Gegenstandsbereiches von den anderen Ansätzen maßgeblich unterscheidet.
EWR 2 (2003), Nr. 1 (Januar 2003)
Lern-Lehr-Theoretische Didaktik
Münster u.a.: Waxmann 2002
(232 Seiten; ISBN 3-8309-1165-3; 29,90 EUR)
Randolf Körzel (Trier)
Zur Zitierweise der Rezension:
Randolf Körzel: Rezension von: Straka, Gerald A. / Macke, Gerd: Lern-Lehr-Theoretische Didaktik, Münster u.a.: Waxmann 2002. In: EWR 2 (2003), Nr. 1 (Veröffentlicht am 01.01.2003), URL: http://klinkhardt.de/ewr/83091165.html
Randolf Körzel: Rezension von: Straka, Gerald A. / Macke, Gerd: Lern-Lehr-Theoretische Didaktik, Münster u.a.: Waxmann 2002. In: EWR 2 (2003), Nr. 1 (Veröffentlicht am 01.01.2003), URL: http://klinkhardt.de/ewr/83091165.html