Ziel der Studie ist es, "die gegenwärtige und perspektivische Rolle der Sozialen Arbeit" zu bestimmen. Hierzu verknüpft Galuske "soziologische Gegenwartsdiagnosen" miteinander, die es ermöglichen sollen, die Entwicklungen und Perspektiven in Sozialstaat und Sozialer Arbeit im Zusammenhang zu betrachten. Der Blickwinkel Arbeitsgesellschaft ist in diesem Zusammenhang ertragreich, weil mit (Lohn-)Arbeit das Handeln, die Tätigkeit in den Mittelpunkt gerückt wird, um die sich in der industriekapitalistischen Moderne Normalitätsmodelle, Lebensläufe, Sozialisationsprozesse und die entsprechenden Institutionen und Professionen zentrieren. Beschrieben wird der Übergang von der fordistischen zur flexiblen Arbeitsgesellschaft. Als zentrales Merkmal der Ersten Moderne, der fordistischen Phase des Industriekapitalismus, wird die allgemeine Durchsetzung der Lohnarbeit und damit einhergehend die erhöhte Vergesellschaftung der Arbeitskräftereproduktion festgehalten. "Massenkonsum, Massenproduktion und familiale Reproduktion als Stützpfeiler der fordistischen Phase des Industriekapitalismus müssen, wollen sie nicht ob ihrer inneren Widersprüche die Dauerkrise zum Normalzustand erklären, in ein Netz sozialstaatlicher Sicherung eingebunden werden" (67). Die Zweite oder Reflexive Moderne als Gegenwartsdiagnose wird in der Folge an den Begriffen Globalisierung und Individualisierung erläutert ("nicht Post-Kapitalismus, sondern Turbo-Kapitalismus").
Nicht allein die technische Innovation oder ökonomische Entwicklung und die sie begleitenden Vergesellschaftungsprozesse können als Sinnstifter der Moderne betrachtet werden, es bedurfte der Menschen, die "gewillt waren" diesen Weg mitzugehen oder wie Galuske es ausdrückt, "die Maschinen produktiv zu nutzen". Um die Erzeugung und Bewahrung eines bestimmten Sozialtyps bzw. das Erziehungs- und Sozialisationsprojekt der Moderne analysieren zu können, wird Bourdieus Habitus-Begriff bearbeitet. Habitus beabsichtigt keine vollständige Bestimmung des Subjekts, sondern rekonstruiert vielmehr die im Individuum gewordene Gesellschaft (99). Mit Sennetts Darstellung des Wandels der Arbeitsgesellschaft, des damit geforderten flexiblen Menschen und der individuellen, sozialen und gesellschaftlichen Grenzen dieser Flexibilität als Folge des Wandels von erster zur zweiten Moderne wird die Gegenwartsbeschreibung von Galuske rund.
Die flexible Sozialpädagogik ist für Galuske eine Soziale Arbeit zwischen Lebensweltorientierung und Vermarktlichung, die in unserer Gegenwart von drei Merkmalen geprägt ist: der Flexibilisierung der Arbeitsgesellschaft, der Vermarktlichung des Sozialstaats und der Ökonomisierung der alltäglichen Lebensführung. Während sich die subjektorientierte Flexibilisierung "biographie- und lebensweltsensibel an den Besonderheiten des Einzelfalls oder Sozialraums ausrichtet und von diesen aus angepasste Hilfesetzungen entwirft und realisiert" (297) sieht er in der systemischen Flexibilisierung der Sozialen Arbeit lediglich ein neues Anforderungsprofil: wachsender Druck zu mehr Wettbewerb, Effektivität.
An diesem Punkt angekommen wird deutlich, dass Galuske ein sehr reduktionistisches Bild Sozialer Arbeit als Hintergrundfolie verwendet. Wenn Soziale Arbeit, Sozialpädagogik und sozialpädagogische Methoden weitgehend synonym verwendet werden, die Erfolgsgeschichte der Profession und der damit zusammenhängende wissenschaftliche Rationalitätsschub in soziologischer Gegenwartsdiagnose und "einer Hochkonjunktur lebensweltnaher Handlungskonzepte" (303) verortet wird, wird ein großer Teil von Theorie und Praxis Sozialer Arbeit ausgeblendet.
Dieser enge, undifferenzierte Begriff Sozialer Arbeit schränkt den Nutzen der mit viel Mühe entwickelten und bearbeiteten Fragestellung ein. Während bereits bei der Auseinandersetzung mit der Arbeitsgesellschaft nur ein begrenzter Ausschnitt aus der entsprechenden Literatur zur Untermalung der Erläuterung des Übergangs von der ersten zur zweiten Moderne benutzt wurde, kommt es im Schlusskapitel, dann zu falschen Darstellungen durch eine oberflächliche Bearbeitung der zitierten Literatur. Wenn bspw. Finis Siegler (1997) [1] in einer Fußnote zur Ökonomisierung Sozialer Arbeit zitiert wird (321), sollte nicht unterschlagen werden, dass sie sich gegen eine Ökonomisierung Sozialer Arbeit durch fachfremde Disziplinen wendet und Grundbegriffe und Prinzipien der Ökonomik für Soziale Arbeit nutzbar macht, statt ihre Ökonomisierung voranzutreiben. Ähnliches widerfährt später Wendt (2000) [2], bei dem Galuske lediglich einen "normativen Entwurf einer ‚guten Ökonomie’" findet, während er für sich beansprucht die möglichen Folgen einer solchen Entwicklung zu identifizieren und zu reflektieren. Bei Elsen [3] und ihrer "Entwicklung einer Gemeinwesenökonomie als Ausweg aus dem Orientierungsdilemma Sozialer Arbeit in der flexiblen Arbeitsgesellschaft" findet Galuske wenigstens eine Utopie, die "allemal der Phantasie wert" ist (351). Offensichtlich hat er die von Elsen zitierten Publikationen nicht gelesen, wenn er sich in ihnen die konkrete Utopie wünscht, "die an die Möglichkeitsbedingungen der Gegenwart gebunden bleibt, auch im Interesse der Subjekte, die ihren Alltag heute glücklich und gelingend erleben wollen", und sie in den von Elsen dargestellten Praxisbeispielen in Vergangenheit und Gegenwart nicht findet.
Völlig unübersichtlich wird Galuskes Position einer flexiblen Sozialpädagogik, die sich aktuellen Umwälzungen beugen muss, ohne zu brechen, im letzten Absatz. In unkritischer Verwendung ökonomischer Termini konstatiert er einerseits ein Ansteigen der "Nachfrage nach sozialpädagogischen Dienstleistungen" und kritisiert andererseits pauschal eine an Zahlen weiter wachsende Soziale Arbeit mit höheren ordnungspolitischen Anteilen, deren Professionsverständnis "auf das rechenbare Beiwerk pädagogischer Interaktionsprozesse" (355) reduziert wird. Fazit: Weniger wäre mehr! Lieber andere Sichtweisen Sozialer Arbeit gar nicht zitieren, als ihren Anspruch verbiegen. Das klare Bekenntnis zur lebensweltorientierten Sozialpädagogik oder einer pädagogisch ausgerichteten Sozialen Arbeit könnte dann im Übergang von der fordistischen zur flexiblen Arbeitsgesellschaft reflektiert werden ohne zu beanspruchen, die gegenwärtige und zukünftige Rolle der Sozialen Arbeit zu bestimmen. Dies würde den Nutzen der kreativ entwickelten und mühevoll bearbeiteten Gegenwartsdiagnose steigern.
[1] Finis Siegler, B.: Ă–konomik Sozialer Arbeit. Freiburg i.B. 1997
[2] Wendt, W.R.: Bewirtschaftung des Sozialen in Humandiensten. In: Elsen, S. et al.: Soziale Arbeit und Ă–konomie. Neuwied 2000, S. 59-72
[3] Elsen, S.: Gemeinwesenökonomie. Neuwied 1998; Elsen, S. et al.: Soziale Arbeit und Ökonomie. Neuwied 2000; Elsen, S. et al.: Sozialen Wandel gestalten. Lernen für die Zivilgesellschaft. Neuwied 2000.
EWR 2 (2003), Nr. 3 (Mai/Juni 2003)
Flexible Sozialpädagogik
Elemente einer Theorie Sozialer Arbeit in der Arbeitsgesellschaft
Weinheim und MĂĽnchen: Juventa 2002
(384 Seiten; ISBN 3-7799-1701-7; 28,00 EUR)
Bernd Steinmetz (Trier)
Zur Zitierweise der Rezension:
Bernd Steinmetz: Rezension von: Galuske, Michael: Flexible Sozialpädagogik, Elemente einer Theorie Sozialer Arbeit in der Arbeitsgesellschaft, Weinheim und MĂĽnchen: Juventa 2002. In: EWR 2 (2003), Nr. 3 (Veröffentlicht am 01.06.2003), URL: http://klinkhardt.de/ewr/77991701.html
Bernd Steinmetz: Rezension von: Galuske, Michael: Flexible Sozialpädagogik, Elemente einer Theorie Sozialer Arbeit in der Arbeitsgesellschaft, Weinheim und MĂĽnchen: Juventa 2002. In: EWR 2 (2003), Nr. 3 (Veröffentlicht am 01.06.2003), URL: http://klinkhardt.de/ewr/77991701.html