Die Untersuchung ist ein Beispiel dafür, dass einzelne Schulen von sich aus eine Realitätskontrolle ihrer Arbeit suchen. Evaluation von Schulen hat in der Bundesrepublik begonnen als eine weitgehend den einzelnen Schulen oktroyierte. Sie waren einfach in der Stichprobe einer Untersuchung erfasst und haben sich der Untersuchung manchmal auch noch entzogen (Beispiele in der PISA-Untersuchung bieten Hamburger und Berliner Schulen). In der vorliegenden Veröffentlichung hat das Gegenteil stattgefunden. Fünf hessische Gesamtschulen, die an der TIMSS-Untersuchung nicht beteiligt waren, haben nachträglich darum gebeten, von der deutschen TIMSS-Forschungsgruppe noch evaluiert zu werden. Hier zeigt sich ein neues Bedürfnis von Schulen, die Frage zu klären: Wo stehen wir – was haben wir erreicht – was müssen wir verändern? Insofern manifestiert das Buch eine Durchsetzung des Prinzips: Wenn Schulen selbständiger werden und eigene Profile entwickeln, bedürfen sie der vergleichenden Qualitätskontrolle im Schulsystem.
Die fünf hessischen Gesamtschulen werden in den einzelnen Kapiteln des Buches zum einen jeweils in einer Selbstdarstellung und zum anderen in einer Interpretation der mit den TIMSS-Methoden gewonnenen Daten durch die Forschungsgruppe des MPI vorgestellt. Dabei wird die große Varianz deutlich, die sich im Vergleich der einzelnen Schulen unter dem gemeinsamen Rubrum "Gesamtschule" verbirgt. Die Schulen sind hessische Versuchsschulen und jede von ihnen hat besondere Versuchsschwerpunkte und besondere Profile entwickelt. Die Lektüre verdeutlicht einmal mehr, wie unterschiedlich Gesamtschulen gestaltet werden können und wie es Schulen weitgehend gelingt, Mindeststandards zu wahren.
Die Studie bemüht sich um eine faire Erfassung von Schuleffekten. Sie versucht Prädiktoren auf die gemessenen Schülerleistungen zu erfassen, die außerhalb der untersuchten Schulen liegen, nämlich im familiären Hintergrund und in den Grundschulleistungen der untersuchten Schüler. Dabei werden die Grenzen der querschnittlichen Untersuchung deutlich.
Als ein wichtiger Prädiktor der Schülerleistungen werden die – bekanntermaßen sehr problematischen – Grundschulempfehlungen erfasst. Das wird etwa bei der Untersuchung der Helene-Lange-Schule deutlich, wenn es im Text heißt: "Zweidrittel der Eltern aus der HLS geben an, ihr Kind habe am Ende der Grundschule eine Gymnasialempfehlung erhalten" (65). Die Autoren vermuten, dass dahinter Einschätzungsprobleme der Eltern stehen, und die angegebenen Gymnasialempfehlungen "eine Überschätzung darstellen. Zu betonen ist noch einmal, dass nach dem Erfahrungen der HLS solche gymnasialempfohlenen Kinder oftmals die HLS besuchen, die aufgrund ihrer emotionalen und motivationalen Ausgangslage an einem regulären Gymnasium vermutlich überlastet wären" (ebd.). Solche relativ vagen Einschätzungen ergeben sich bei einem so wichtigen Prädiktor auch bei anderen Schulen (besonders deutlich auf den Seiten 104 und 205). Den Autoren sind diese Grenzen einer Querschnittsuntersuchung mit zum Teil schwer kontrollierbaren Daten wie den Elternaussagen voll bewusst.
Über die konkrete Untersuchung der fünf hessischen Gesamtschulen hinaus bietet das vorliegende Buch eine hervorragend knappe und konzise Darstellung von Schulleistungsstudien und ihren Untersuchungsinstrumenten im Rahmen von TIMSS und BIJU.
Am Ende steht ein wegweisender Abschnitt zum Verhältnis von Schulentwicklung, Autonomie und Qualitätssicherung, der für die weitere Schulplanung in der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich sein sollte. Dabei wird allerdings auch deutlich, dass die Autoren, wie die gesamte Gruppe um Jürgen Baumert, eine Strukturdebatte zum Thema Gesamtschule und gegliedertes Schulsystem meidet wie der Teufel das Weihwasser.
EWR 2 (2003), Nr. 6 (November/Dezember 2003)
Schulqualität und Schülerleistung
Evaluationsstudie über innovative Schulentwicklung an fünf hessischen Gesamtschulen
Weinheim: Juventa 2003
(240 Seiten; ISBN 3-7799-1658-4; 19,50 EUR)
Jürgen Raschert (Berlin / Dresden)
Zur Zitierweise der Rezension:
Jürgen Raschert: Rezension von: Köller, Olaf / Trautwein, Ulrich (Hg.): Schulqualität und Schülerleistung, Evaluationsstudie über innovative Schulentwicklung an fünf hessischen Gesamtschulen, Weinheim: Juventa 2003. In: EWR 2 (2003), Nr. 6 (Veröffentlicht am 01.12.2003), URL: http://klinkhardt.de/ewr/77991658.html
Jürgen Raschert: Rezension von: Köller, Olaf / Trautwein, Ulrich (Hg.): Schulqualität und Schülerleistung, Evaluationsstudie über innovative Schulentwicklung an fünf hessischen Gesamtschulen, Weinheim: Juventa 2003. In: EWR 2 (2003), Nr. 6 (Veröffentlicht am 01.12.2003), URL: http://klinkhardt.de/ewr/77991658.html