
Ludwig Liegle liefert den ersten Baustein ("Kind und Kindheit", 14-53). Er plädiert für eine "integrierte Pädagogische Anthropologie als Orientierungsrahmen für die Pädagogik der frühen Kindheit" und liegt damit auf Anschlusslinie zur interdisziplinären Kindheitsforschung. Auch der zweite Baustein von Michael-Sebastian Honig ("Institutionen und Institutionalisierung", 86-121; in der Reihenfolge der Beiträge als dritter Teil) lässt sich auf dieser Linie anordnen, auch wenn bei ihm der Durchbruch zur Sozial-Anthropologie noch außer Reichweite zu liegen scheint; oder lassen sich die interpunktiven Verdichtungszonen im Kindheitsverlauf unterschiedlicher Kulturen nicht als Institutionalisierung begreifen?
Die von Lilian Fried und Barbara Dippelhofer-Stiem beigesteuerten Bausteine bewegen sich auf bekannterem Terrain. Fried setzt sich kritisch mit pädagogischen Programmen auseinander ("Pädagogische Programme und subjektive Orientierungen", 54-85) und fragt sich, warum "internationale und nationale Untersuchungen zwar nachweisen können, dass Bildungsprogramme bei Kindern Wirkungen hervorrufen, aber gleichzeitig belegen, dass diese Wirkungen eher programmunspezifisch sind" (62). Eine Antwort sucht sie in der Differenz zwischen Programm auf der einen und situativer Eigenlogik sowie den subjektiven Orientierungen von Eltern und Erzieherinnen auf der anderen Seite. Der Beitrag von Dippelhofer-Stiem thematisiert "Beruf und Professionalität" (122-153) der Erzieherinnen und gibt einen Überblick "über empirisch gestützte Erkenntnisse aus dem deutschsprachigen Raum" (122).
Nicht so recht nachvollziehbar ist für den Rezensenten die Begründung, welche die Abwesenheit der familialen Früherziehung in einer Pädagogik der frühen Kindheit erklären soll: sie gehöre zu jenen Bereichen, die "nur punktuell reflektiert bzw. erforscht worden" seien (9).
Eine gewisse Ratlosigkeit, vielleicht auch Enttäuschung wird sich bei Jenen einstellen, die in einer Einführung in die Pädagogik der frühen Kindheit etwas über Konzeptionen zu finden hofften: Fröbels Kindergarten-Prinzip, Montessoris Kinderhaus, Volkskindergarten und Pestalozzi-Fröbel-Haus, Waldorf-Kindergarten, Situations-Ansatz und offener Kindergarten, Reggio-Pädagogik, Early Excellence Centre ... In der kritischen Betrachtung von Fried werden sie nicht eingeführt, sondern ihre Kenntnis wird voraus gesetzt. Gleichwohl ist die meta-konzeptionelle Perspektive anregend – für die Eingelesenen.
Andere, die eher an disziplinären Strukturen im Sinne dynamischer Forschungszusammenhänge interessiert sind, werden vielleicht angeregt, Möglichkeiten der Vertiefung und Synthese zu suchen, etwa die Vorüberlegungen Liegles aufzunehmen und die Anthropologie der Kindheit um internationale bio-soziale Perspektiven – jenseits von nature und nurture – zu erweitern, oder Honigs Bemühungen, die Pädagogik der Kindheit für die internationale Kindheitsforschung und cross-cultural-studies anschlussfähig zu halten, systematisch weiter zu treiben.