
Der Band ist in vier Teile gegliedert: Teil 1 widmet sich den geschichtlichen Zusammenhängen von Rassismus und Kolonialismus und geht auf theoretische Grundlagen zur Analyse dieser Zusammenhänge ein. Teil 2 geht auf den rassistischen Gehalt von Begriffen ein, die im kolonialen Wissensarchiv verankert sind. Dies macht den größten Teil des Bandes aus und bietet reichhaltiges Material und vielfältige Analyseperspektiven auf Wörter, deren koloniale Durchdringungen in Wissenschaft und Alltag häufig unthematisiert bleiben und ausgeblendet werden. Teil 3 thematisiert widerständige Begrifflichkeiten und repräsentiert Einsprüche im hegemonialen rassistischen Diskurs. Teil 4 betrachtet exemplarisch die Macht rassistischer Wörter, die sowohl in der Alltagssprache wie auch in den Wissenschaften verwendet werden.
Die Frage, „wie eine Gesellschaft sich über das konstituiert, was sie als abweichend stigmatisiert und damit umgeht“ formuliert Iman Attia als einen der Ausgangspunkte für die Auseinandersetzung mit Rassismus (19) in einem Gespräch mit Esther Dischereit und Philippa Ebéné. Das Gespräch ist den Analysen zum Rassismusbegriff vorgelagert und repräsentiert unterschiedliche analytische Zugänge zu dem geteilten Anliegen, wegzukommen „von diesem nicht enden wollenden Andersmachen des Anderen“ (Esther Dischereit, 32).
Dem Rassismusbegriff, der Geschichte rassistischer Praktiken und den theoretischen Analysemöglichkeiten von Rassismus sind mehrere Texte gewidmet. Rassismus wird als „komplexes koloniales Begehren“ (Susan Arndt, 41) und „weiße Ideologie“ (42) betrachtet, wobei das aktive Verleugnen der realen Präsenz und Wirkung von Rassismus Teil seines Funktionierens ist. Auf diesem Verleugnen beruht auch die erinnerungskulturelle Leerstelle im Bezug auf koloniale Verbrechen, die hierzulande erst in den letzten Jahren überhaupt thematisiert wird. Birgit Rommelspacher weist auf eine „spezifisch deutsche Postkolonialität“ (49) hin, die zu einer Ausblendung kolonial-rassistischer Deutungsmuster führt, während sowohl Rassismus wie sekundärer Antisemitismus aktuell präsent sind. Beides voneinander zu unterscheiden und Parallelen herauszuarbeiten, ist ein Anliegen der Texte am Anfang des Bandes. Antisemitismus und jüdische othering-Erfahrungen werden im Folgenden thematisiert, wobei Zusammenhänge und Unterschiede zum Rassismus deutlich werden, ebenso beim Antiziganismus, dessen spezifische Ausprägung als „Antithese des/der (städtischen) Bürger_in“ (Jan Severin, 71) verdeutlicht wird, wie auch das darin verankerte „Konzept der ‚Asozialität‘“ (74). Die Beziehungen und die in den Ideologien von Unter- und Überlegenheit begründeten Unterschiede von Rassismus und modernem Antisemitismus werden in den folgenden Texten nicht weiter verfolgt. Inwiefern das Selbstbild einer erfolgreichen Aufarbeitung des NS-Antisemitismus im deutschen Kontext dazu beiträgt, eine selbstkritische Analyse von aktuellem Rassismus, Antiziganismus und gegenwärtigem Antisemitismus zu vermeiden, wäre eine eigene Auseinandersetzung wert. Sekundärer Antisemitismus bietet ein Reservoir von Selbstbildern moralischer Überlegenheit, die genutzt werden, um sich nicht mit der eigenen Verstrickung in diskriminierende Praktiken befassen zu müssen. Insofern liegt darin eine der gesellschaftlichen Ursachen für die in den Texten kritisierte Aussparung einer Aufarbeitung des kolonialen Rassismus. Nicht die Aufarbeitung der NS-Verbrechen bedingt eine weitgehende Nichtaufarbeitung der Kolonialverbrechen, sondern die aus der erfolgten Aufarbeitung des Nationalsozialismus abgeleiteten moralischen Selbstbilder begünstigen die Ausblendung kolonialer Gewaltgeschichte.
Das Gewicht des Kolonialismus wird insbesondere bei den Ausführungen zum europäischen Versklavungshandel deutlich, wobei hier wie auch an vielen anderen Stellen wiederum die Ausblendung aus dem Geschichtsbewusstsein und die fehlende Anerkennung der Folgen für die Betroffenen heraus gearbeitet werden. Dieses Fehlen, Verfehlen und Aussparen zieht sich wie ein roter Faden durch die Darstellungen, wobei die Texte immer wieder verdeutlichen, dass es dabei um die Missachtung konkreter Menschen und ihrer Geschichte geht. Die Rückseite dieser Ausblendungen besteht in einer homogenisierenden Repräsentation des Normalen, von dem vielfältige zu ‚Anderen‘ gemachte ‚Andere‘ abgegrenzt werden. Vereindeutigungen werden nach innen und nach außen vorgenommen, wenn zum Eigenen das Andere nicht gehören kann und zum Anderen nicht das Eigene. Dies wird bspw. am Umgang mit der Bezeichnung „Migrant_in“ deutlich, die „eine vermutete und zugeschriebene Abweichung von Normalitätsvorstellungen im Hinblick auf Biografie, Identität und Habitus“ artikuliert (Paul Mecheril und María do Mar Castro Varela, 168, Hervorh. von den Autor_innen). Ungebrochen bleiben diese Normalitätsvorstellungen im dominierenden Gebrauch des Integrationsbegriffs, der als „gewalttätiger Begriff“ gekennzeichnet wird (Anna Böcker, 347). Mehrere Texte machen deutlich, dass es sich bei dieser Normalität um eine weiße Normalität handelt, und diese Whiteness ist durch Nichtthematisierung gekennzeichnet.
Auf die spezifischen Bedingungen von Rassismusanalyse geht der Text zum „racial turn“ ein, der die dekonstruierende Aneignung des Begriffs ‚Rasse‘ skizziert und damit reflektiert, dass der Rassismusbegriff sich auf ein Konstrukt bezieht, das keine reale Entsprechung hat und zugleich eine starke Wirkung in Geschichte und Gegenwart aufweist. Die „Kritische Weißseinsforschung“ ist als eine Form dieser dekonstruierenden Aneignung zu betrachten. Wenn im Folgenden von Wörtern und Begriffen die Rede ist, die „Artikulationsräume weißen Wissens“ bilden, dann ist die Kategorie Weiß eingebunden in den kolonialen Mustern der Ungleichheitswertungen von Hautfarbe und einer Wissensbildung, die europäische Wissensformen privilegiert und verallgemeinert, während das Wissen aus kolonisierten Kontexten ethnisiert oder auch folklorisiert worden ist. ‚Afrika‘ und ‚Antike‘ bilden den Auftakt zum Teil 2 und verdeutlichen die epistemologische Dimension des Kolonialismus. Der Zusammenhang von Aufklärung und Sklaverei macht wiederum auf eine Leerstelle in der dominierenden Geschichtsschreibung aufmerksam. Denn auch wenn zumindest in der Kritischen Theorie auf die inneren Widersprüche der Aufklärung rekurriert worden ist, so ist doch kaum der Bezug zur Geschichte kolonialer Herrschaft und zum Sklavenhandel hergestellt worden. Die Begriffe „Entdecken“ und „Entwickeln“ stehen jeweils für einen Aufklärungsanspruch und sind zugleich verwoben mit kolonialen Sichtweisen. Die Entdeckten sind im kolonialen Kontext Objekte der Entdecker_innen und werden erst von ihnen in ihrer Existenz bestätigt, und „Entwicklung“ steht immer noch für einen einseitigen Prozess westlich-technologischer Fortschrittsvorstellungen. Solange „Objektivität“ ungebrochen verwendet wird, bestätigt sich Wissenschaft als unbedingte, subjektivitätsfreie Form der Repräsentation, weshalb Mariam Popal die Lust am „Kategorisieren alles Nichteuropäischen“ (469) als imperiale Struktur im Gebrauch von Objektivität hervorhebt.
Neben den Begriffen, die in direktem Zusammenhang mit der Kolonialgeschichte stehen, werden Begrifflichkeiten diskutiert, die erst in neuerer Zeit aufgetaucht sind und eine bestimmte soziale Fortschrittlichkeit für sich beanspruchen, wie bspw. „Diversity“. Das Konzept bleibt in einer Logik der Ungleichwertigkeit, wenn es zur Optimierung von Humankapital eingesetzt wird. Maureen Maisha Eggers plädiert deshalb für eine „herrschaftskritische Ausrichtung“ (259), die der hegemonialen Besetzung entgegenwirken kann. In ähnlicher Weise geht es bei der Kritik am Begriff Feminismus nicht darum, diesen zu verwerfen, sondern ihn rassismuskritisch zu reformulieren, die fehlende Standortbestimmung nachzuholen, sowie sich gegen einen „Elitefeminismus“ zu wenden (Franziska Reiniger und Rona Torenz, 305). Dies kann bedeuten, die „feministische Orientalisierung“ (Mariam Popal, 393) aufzuarbeiten, die im Umgang mit dem Kopftuch in der deutschen Migrationsgesellschaft erfolgt, wenn dieses in seiner Mehrdeutigkeit und Multifunktionalität als Schutz und Selbstbehauptung missachtet wird und dessen Trägerinnen eine defizitäre Zuschreibung erfahren.
Dass derartige Zuschreibungen nicht unwidersprochen bleiben, zeigen die Ausführungen zu Widerstand und Sprache im dritten Teil. Vorgestellt werden Selbstbezeichnungen, die eine Solidarisierung zum Ausdruck bringen, ohne deshalb eine in sich homogene Gruppe bilden zu müssen. So versteht Paul Mecheril die Bezeichnung „Andere Deutsche“ nicht als Gruppenbezeichnung, sondern als Kennzeichen von geteilten Rassismuserfahrungen, durch die eine „Kritik hegemonialer Verhältnisse“ artikuliert werden kann (582). Alle folgenden Begrifflichkeiten weisen diese doppelte Struktur auf, einerseits auf eine ausgrenzende othering-Erfahrung zu reagieren und andererseits einen selbstbewussten Gegendiskurs zu praktizieren. So steht „Diaspora“ einerseits für ein auferlegtes Exil, eröffnet aber andererseits auch einen transnationalen Raum. Eine einseitige Besetzung würde den Begriff verfehlen. Die Selbstbezeichnung „people of Color“ steht für eine identitätspolitische Praxis angesichts dominierender Fremddefinitionen bei gleichzeitigem Bewusstsein für die Gefahr, „neue Leerstellen und Ausschlüsse zu bilden“ (Jasmin Dean, 606). Neben diesen identitätspolitischen Konzepten wird der geschichtspolitische Begriff der Maafa vorgestellt, der die Gemengelage von Sklaverei, Kolonialismus, Ausbeutung, Besetzung zum Ausdruck bringt und an eine erinnerungspolitische Verantwortung gegenüber diesen weltgeschichtlichen Gewalt-Erfahrungen appelliert. Trauma, Verlust, Aufarbeitung und afrikanische Widerständigkeit sind in diesem Begriff reflektiert. Inwiefern sich diese Bezeichnung von dem Begriff „African/Black Holocaust“ unterscheidet, wäre eine eigene Debatte wert, um die jeweiligen Kontexte unterschiedlicher Verbrechenszusammenhänge und ihrer ideologischen Grundlagen zu betonen.
Der abschließende vierte Teil bietet exemplarische Analysen zu einzelnen, in Alltag und Wissenschaft immer noch üblichen Bezeichnungen mit entwürdigenden rassistischen Gehalten, die sich häufig immer noch in Lexika wiederfinden und einen rassistischen Sprachkodex repräsentieren. Aus ihnen geht hervor, wie reichhaltig und hartnäckig das Repertoire rassistischen Sprechens wirkt und wie durchsetzungsfähig es immer noch ist, während gleichzeitig in der Öffentlichkeit der Eindruck einer dominierenden Korrektheit vorgetragen wird. Die Stichproben machen ein gesellschaftlich bestehendes Nebeneinander von Einsichten in rassistische Gehalte einerseits und der gleichzeitigen Weiterverwendung rassistischer Bezeichnungen andererseits deutlich.
Die mit dem Kolonialismus einhergehende Wissensproduktion steht in direkter Verbindung mit der Geschichte der Bildung. Zum einen beinhaltete die koloniale Praxis eine „zivilisatorische“ Mission, durch die die Kolonisierten im Sinne europäischer Vorstellungen „gebildet“ werden sollten. Zum anderen wirkt koloniales Wissen bildend auf diejenigen, die die Kolonisierten als ‚Andere‘ betrachten, wobei es sich um ein hierarchisches Anderssein handelt. Die Brüche in diesen Welt-, Selbst- und Fremdbildern erfolgen erst durch Kritik, die in der Breite der derzeitigen Bildungsinstitutionen schwach ausgeprägt ist. So vermitteln bspw. Schulbücher als immer noch relativ einflussreiche Quellen bis heute wohlmeinend und mit freundlichen Formulierungen zu den Lebensverhältnissen der „Kinder der Welt“ ein Wissen, von dem Schüler_innen und Lehrer_innen ableiten können, „bei uns“ sei so weit alles in Ordnung, während im Süden der Welt einiges im Argen liege. Von populären Medien, insbesondere in TV-Formaten, werden diese Bilder weitgehend bestätigt. Anregungen, sich mit Herrschaftsverhältnissen, Ungleichheitsstrukturen und Stereotypisierungen auseinander zu setzen, fehlen weitgehend. Auch deshalb bildet Kolonialismus bis heute. Der vorliegende Band bietet reichhaltiges Material, um diese Bildungsgeschichte zu unterbrechen, indem die Begriffsanalysen dazu auffordern, sich zunächst einmal dieser Geschichte überhaupt bewusst zu werden. Die Texte dokumentieren die Breite und Tiefe von Rassismus in Geschichte und Gegenwart und bieten damit ein alternatives Wissen zum kolonialen Wissensarchiv an. Dass es gelingen konnte, ein derart umfangreiches Kompendium zum Rassismus in der deutschen Sprache vorzulegen, dokumentiert zugleich eine Widerständigkeit im wissenschaftlichen Raum, die von vielen getragen und praktiziert wird. Weil dies so ist, haben sich im Bildungsbereich auch längst rassismuskritische Ansätze verankern können, die sowohl Konzepte für die praktische Bildungsarbeit wie auch Analyseperspektiven für die wissenschaftliche Arbeit bieten. Diese in den etablierten Bildungsinstitutionen nicht länger zu ignorieren, dazu leistet der vorliegende Band einen gehaltvollen Beitrag.