Liv Mjelde resümiert in ihrer aus dem Norwegischen übersetzten Dissertation die Notwendigkeit des angewandten Lernens in der beruflichen Bildung und dessen Umsetzung in Norwegen. Zudem zieht sie Bilanz über eigene Erfahrungen als Ausbilderin von Berufsschullehrern. Neben dem alles umschließenden Thema des „Workshop Learnings“ widmet sie sich den Fragen zur Gleichstellung der Geschlechter in bestimmten beruflichen Domänen und legt im dritten Teil des Buches dar, wie die Kluft zwischen Theorie und Praxis überwunden werden kann.
Um den politischen und ökonomischen Veränderungsprozess zu verstehen, der zur Reform 94 führte, beschäftigt sich Mjelde im ersten Kapitel mit der Genese der beruflichen Bildung in Norwegen. Die Reform wurde vom norwegischen Parlament in den 50er Jahren erlassen und bezieht sich auf Veränderungen in der Berufsausbildung. Im zweiten Kapitel werden die Vor- und Nachteile der Reform 94 und die sich daraus ergebenden Veränderungen im Schulsystem beschrieben. Die neuesten Bestimmungen enthalten zwar die Forderung, dass die scharfe Trennung zwischen theoretischer und praktischer Ausbildung aufgehoben werden soll, bisher ist diese jedoch noch vorhanden. Die Autorin merkt an, dass theoretische Fächer heute besser verknüpft sind als in den vergangenen Jahrzehnten. Sie kritisiert allerdings, dass die theoretischen Fächer oft auch von vielen Lehrern unterrichtet werden, so dass sich die Schüler zusätzlich zum Kontext auf verschiedene Personen einstellen müssen. Diese Struktur wirkt der Integration von Fächern entgegen. Da allgemein bildende Fächer zusätzlich von Nicht-Berufspädagogen unterrichtet werden, hat die Reform 94 indirekt zu einer Vertiefung der Schere zwischen beruflicher und allgemeiner Bildung beigetragen. Im dritten Kapitel beschäftigt sich die Autorin mit der Frage: Wie können „Workshop Learning“, Berufstheorie und Allgemeinbildung integriert unterrichtet werden? Sie fragt außerdem: Wie sollten die Lehrer der verschiedenen Ausrichtungen miteinander kooperieren?
Liv Mjelde kontrastiert dazu zunächst die Intentionen und Dilemmas der Bildungsreformen der letzten 30 Jahre. Inhalt des vierten Kapitels ist die Frage nach der inhaltlichen Bedeutung des vermittelten Stoffes für die Auszubildenden. Verschiedene berufspädagogische Theorien von Autoren wie Lev Vygotsky und John Dewey werden erläutert. Die Autorin folgt der Auffassung Deweys, dieser unterstützte die Idee des „Workshop Learnings“, welche seiner Meinung nach der Ausgangspunkt holistischen Lehrens ist. In Kapitel fünf kontrastiert Mjelde die Entwicklung der Arbeit und arbeitsrelevanten Bildung verschiedener Länder und beschäftigt sich mit der Frage, was einen guten Berufspädagogen ausmacht. So schreibt sie, dass Lehrer Spezialisten in ihrem Fachgebiet sein, die Entwicklungen darin mit Interesse weiter verfolgen, und diese in positiver Art und Weise vermitteln sollten. Des Weiteren zeichnen sie sich dadurch aus, dass sie zu ihrem früheren Arbeitgeber Kontakt halten. In den Kapiteln 6 bis 8 werden Fragen der geschlechtstypischen Berufsausbildung bzw. der Geschlechtertrennung in verschiedenen Berufen behandelt. Dafür werden zwei Beispiele, „Home Economics“ (Kapitel 6) und Druckindustrie (Kapitel 8), erläutert. In Kapitel 7 erklärt die Autorin, dass im Rahmen der Reform 94 eine ausgewogene Verteilung der Geschlechter in verschiedenen Berufen gefördert wurde. Die letzten beiden Kapitel behandeln Möglichkeiten zur Beseitigung der Kluft zwischen theoretischer und praktischer Ausbildung und unterbreiten Vorschläge für Berufsbildungslehrer zur Umsetzung des vorab beschriebenen holistischen Lehransatzes in Werkstätten. Mjelde diskutiert dafür einige neuere Konzepte berufspädagogischer Didaktik, erfahrensorientiertes Lernen, Selbstverantwortung beim Lernen, und projektbasiertes Lernen. Auch das Einstellen der Lehr-Lern-Situation auf alltägliche Lebenserfahrungen könnte dazu beitragen den Lernprozess der Auszubildenden zu intensivieren. Dabei hilft wenn Auszubildende sich gegenseitig beobachten und anleiten und die Erfahrungen ihrer Arbeit in die Unterrichtsgespräche einbringen.
Der Begriff „Workshop Learning“ wird nicht nur auf das Feld der Berufsbildung, sondern auf die verschiedensten beruflichen Bildungsprogramme bezogen. Dies schließt universitäre Ausbildungen beispielsweise für die Mediziner mit ein. Das Lernen in der Praxis war früher elementarer Bestandteil der klassischen Meisterausbildung, bei welcher der Lehrling in der natürlichen Arbeitsumgebung am konkreten Beispiel lernt. Dies hat sich mit der Einführung der dualen Berufsausbildung, wie sie sich in Deutschland vorbildhaft etabliert und von Norwegen und Finnland übernommen wurde, geändert. Die Autorin fragt, welche Erfahrungen Auszubildende in diesem System über die letzten Jahrzehnte gesammelt haben?
Ihre Studien mit lernschwachen jungen Erwachsenen haben gezeigt, dass diese deutliche Lernerfolge bei der praktischen Arbeit erzielten, häufig Berufsausbildungen jedoch nicht beendeten, weil sie mit dem theoretischen Ausbildungsteil nicht zurecht kamen. Die Verfasserin zieht Ergebnisse einer eigenen von 1982 bis 1984 durchgeführten Studie in ihre Argumentation mit ein, in welcher 98 % der Auszubildenden angaben, dass sie bevorzugt im Betrieb lernen anstatt in der Schule. Daraus schlussfolgert Mjelde, dass sich die Lernsituation in der Schule ändern sollte, nämlich dahingehend, dass Schüler anhand eigener arbeitsbezogener Aktivitäten und durch die Interaktion mit den Mitschülern lernen. Die Autorin fordert Kooperation anstatt Wettbewerb, gegenseitige Hilfe statt Einzelkämpftertum, Kameradschaft und Sozialsinn für die Gemeinschaft statt Individualismus. Mjeldes Überzeugung, dass „Workshop Learning“ die effektivere Lehr-Lern-Methode ist, basiert auf kognitiven Studien von Vygotsky and Bruner. Die Dynamik des Lernens vollzieht sich als eine Bewegung zwischen Theorie und Praxis. Hand und Kopf befinden sich dabei in einer dialektischen Beziehung. Realistisches Lernen heißt, dass die Lernerfahrung in einer realen Situation erfolgen muss. In der Werkstatt wird der Lehrer zum Meister, der Arbeiten vorführt und erklärt sowie die Auszubildenden selbst arbeiten lässt. Der Vermittlungsprozess wird hier als der Beginn eines atomistischen Lehrens (89) bezeichnet und als ein holistischer Prozess verstanden. Diese personenzentrierte Pädagogik impliziert, dass Schüler sich durch die Interaktion mit anderen, die Internalisierung von Normen und den Erwerb des in der jeweiligen Situation notwendigen Wissens, weiter entwickeln. Mjelde favorisiert die deduktive Strukturierung des Unterrichts, bei der zuerst etwas praktisch durchgeführt und anschließend theoretisch erklärt wird. Sie setzt sich auch für das Lernen im Team ein.
Das Buch ist eine interessante „Policy“-Analyse, die vor allem Aufschluss über die Entwicklung in der norwegischen Berufsbildung in den letzten Dekaden gibt. Mjelde liefert wichtige Begründungen für die Realisation des „Workshop Learnings“ und Anregungen für dessen Umsetzung. Ihre Verfechtung des holistischen Lernansatzes, der von renommierten Pädagogen schon seit langem als nachhaltige Lehr-Lern-Methode proklamiert wird, liefert Anregung zur reflexiven Auseinandersetzung mit aktuellen Regelungen und Strukturen in der norwegischen Berufsausbildung. Ihr Buch dient zudem als Anregung für Berufspädagogen die eigene Lehrtätigkeit zu reflektieren und in Richtung auf mehr Problemorientierung sowie Individualisierung zu entwickeln. Obgleich das Buch nur begrenzt konkrete Anregungen zur Umsetzung des Werkstatt-Konzeptes in der Ausbildung in verschiedenen Berufsfeldern anbietet, liefert es doch zahlreiche Anregungen, die zu einer Umgestaltung des eigenen Unterrichts anregen können.
EWR 5 (2006), Nr. 6 (November/Dezember)
The magical properties of workshop learning
Bern: Lang 2006
(230 S.; ISBN 3-03910-348-2; 44,90 EUR)
Antje Barabasch (Bremen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Antje Barabasch: Rezension von: Mjelde, Liv: The magical properties of workshop learning. Bern: Lang 2006. In: EWR 5 (2006), Nr. 6 (Veröffentlicht am 28.11.2006), URL: http://klinkhardt.de/ewr/03910348.html
Antje Barabasch: Rezension von: Mjelde, Liv: The magical properties of workshop learning. Bern: Lang 2006. In: EWR 5 (2006), Nr. 6 (Veröffentlicht am 28.11.2006), URL: http://klinkhardt.de/ewr/03910348.html