- Bd. 1: Hansmann, Otto: Jean-Jacques Rousseau (232 S.; ISBN 3-89676-535-3; EUR 16,00).
- Bd. 2: Kuhlemann, Gerhard/BrĂĽhlmeier, Arthur: Johann Heinrich Pestalozzi (303 S.; ISBN 3-89676-536-1; EUR 16,00).
- Bd. 3: Schmitt, Hanno: Johann Struve (263 S.; ISBN 3-89676-537-X; EUR 16,00).
- Bd. 4: MĂĽĂźener, Gerhard: Johann Friedrich Herbart (333 S.; ISBN 3-89676-538-8; EUR 16,00).
- Bd. 5: Heiland, Helmut: Friedrich Fröbel (268 S.; ISBN 3-89676-539-6; EUR 16,00).
- Bd. 6: GeiĂźler, Gert: Friedrich Adolph Diesterweg (293 S.; ISBN 3-89676-540-X; EUR 16,00).
- Ofenbach, Birgit: Peter Petersen (163 S.; ISBN 3-534-15193-3; EUR 11,50).
- Gonon, Philipp: Georg Kerschensteiner (159 S.; ISBN 3-534-15197-6; EUR 11,50).
- Wagner, Hans-Josef: Wilhelm von Humboldt (160 S.; ISBN 3-534-15197-6; EUR 11,50).
- Löwisch, Dieter-Jürgen: Johann Heinrich Pestalozzi (159 S.; ISBN 3-534-15196-8; EUR 11,50).
- Schäfer, Alfred: Jean-Jacques Rousseau (156 S.; ISBN 3-8252-2287-X; EUR 13,90).
- Brachmann, Jens: Friedrich Schleiermacher (144 S.; ISBN 3-8252-2285-3; EUR 13,90).
- Winkler, Michael: Klaus Mollenhauer (155 S.; ISBN 3-8252-2286-1; EUR 13,90).
Diese Frage ist nicht spezifisch für die Erziehungswissenschaft. So kommt beispielsweise der italienische Publizist Italo Calvino in einem jüngst in deutscher Übersetzung erschienen Band zur Frage "Warum Klassiker lesen? (ital. 1991/dt. 2003) zu dem Ergebnis, dass klassische Texte "Modelle, Bezugsrahmen, Vergleichsmaßstäbe, Klassifikationsschemata, Wertesysteme und Muster" (8) liefern, die eine orientierende Funktion haben – auch für die Hervorbringung und Einordnung wissenschaftlichen Wissens. Sie tun dies oft unbemerkt und maskiert – haben somit einen tief greifenden Einfluss auf unsere Kultur und die Grundprinzipien unseres Denkens.
Auch für den Erziehungswissenschaftler Alfred Treml (1997) sind Klassiker tradierte Vertrautheitsbestände. Sie kennzeichnen Kommunikationszentren, an denen man sich orientieren kann. Klassiker stellen Resonanz auf Dauer, denn sie stabilisieren Unruhe und reduzieren gleichzeitig Komplexität (37-45 passim). Klassische Texte sind daher in der Regel partiell unverständliche, vieldeutige Texte, die aufgrund ihrer Variationsmöglichkeiten anpassungs- und damit zukunftsfähig sind (vgl. 92 ff.). Klassische Texte stehen "genau zwischen Tradition und Innovation" (127).
Michael Winkler (1993) hat bereits einige Jahre zuvor der Sache nach ganz ähnlich argumentiert, allerdings mit dem wichtigen Zusatz einer disziplinbegründenden und gegenstandssichernden Wirkung der Klassiker bzw. klassischer Texte. Klassische Texte machen die Erziehungstatsache durch eine bestimmte Begrifflichkeit erst zugänglich und haben daher eine "wirklichkeitsverbürgende (wenn nicht sogar konstituierende) Funktion" (163) innerhalb der Erziehungswissenschaft.
In den Frühjahrsprogrammen dreier Verlage sind 2002 abgeschlossene bzw. im Aufbau befindliche Klassikerreihen angezeigt. Die von der Berliner Erziehungshistorikerin Christine Lost und dem Leiter der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung, Christian Ritzi, im Schneider-Verlag Hohengehren herausgegebene Reihe führt "Basiswissen Pädagogik: Historische Pädagogik" im Gesamttitel und ist konzipiert "für die erste oder auch intensive Beschäftigung mit dem jeweiligen Pädagogen", also für Studierende der Erziehungswissenschaft. Die beiden anderen Reihen, die von dem Hallenser Erziehungswissenschaftler Alfred Schäfer bei UTB herausgegebenen "pädagogischen Porträts" und die von dem Duisburger Emeritus Dieter-Jürgen Löwisch in der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft verantworteten "Werkinterpretationen pädagogischer Klassiker" richten sich ebenfalls an diese Zielgruppe. Die Studierenden haben also die Auswahl bzw. die Qual der Wahl, da jede Reihe ihren eigenen Stil pflegt, in Leben und Werk von Klassikern einzuführen.
In der von Dieter-Jürgen Löwisch herausgegebenen Reihe "Werkinterpretationen pädagogischer Klassiker" wird nur jeweils ein Quellentext abgedruckt. Diesem folgt jeweils eine Interpretation durch den Bearbeiter bzw. Bearbeiterin des jeweiligen Bandes.
Der Herausgeber der Reihe selbst hat die Interpretation von Johannes Heinrich Pestalozzis "Meine Nachforschungen über den Gang der Natur in der Entwicklung des Menschengeschlechts" übernommen. Editorisch korrekt wird auf die Quelle des Wiederabdrucks – die von Arthur Buchenau, Eduard Spranger und Hans Stettbacher initiierte Kritische Ausgabe – verwiesen. Begründet wird die Auswahl mit der Schlüsselstellung dieses Textes im Lebenswerk Pestalozzis. Diese anthropologische Aufklärungsschrift stelle "eine Umorientierung seines Denkens dar: nämlich weg von Rousseau hin zu Kant", es handele sich um "ein pragmatisches Philosophieren unter Lebensweltbezug für die Verbesserung der menschlichen Lebensverhältnisse" (120). Löwisch gelingt es in seiner konzentrierten Interpretation eine klare Struktur in die ausschweifende und unsystematische Pestalozzi-Argumentation zu bringen. Gerade hinsichtlich der Zielgruppe dieser Reihe ist an dieser Werkinterpretation hervorzuheben, dass der Bearbeiter abschließend versucht, auf die Aktualität dieses Quellentextes einzugehen. Er schafft Verbindungen zwischen der pestalozzischen "Drei-Zustände-Lehre" als Strukturtheorie menschlichen Handelns und den Überlegungen Lawrence Kohlbergs zur moralischen Urteilsbildung. Ob allerdings "die nicht wahrgenommene Aktualität der ‚Nachforschungen’" (154) seitens der Allgemeinen Pädagogik seine Richtigkeit hat, wagen wir zumindest mit einem Blick in die Publikationslisten der "jüngeren Klassiker" wie beispielsweise Eduard Spranger und Wilhelm Flitner zu bezweifeln.
Birgit Ofenbach behandelt Peter Petersens "Allgemeine Erziehungswissenschaft". Aus diesem 1924 erschienenen Buch wird ein Auszug wiedergegeben. Dass gerade dieser Text und nicht der schon in unzähligen Auflagen erschienene "Jena-Plan" zum Abdruck gekommen ist, liegt im Charakter dieses Quellentextes. Für die Bearbeiterin, die vermutlich auch für die Auswahl zuständig war, legte Petersen "mit seiner ‚Allgemeinen Erziehungswissenschaft’ eine erste gründliche und im strengen Sinne wissenschaftliche Analyse" der pädagogischen Reformbewegung vor. Ofenbach sieht diese Veröffentlichung als "das erste große theoretische Werk des deutschen Zweiges der reformpädagogischen Bewegung" (97). In ihrer quellennahen, die zeitgenössischen pädagogischen Strömungen sowie den wissenschaftlichen Werdegang Petersen verbindenden Interpretation gelingt es Ofenbach gut in das Werk einzuführen. An manchen Stellen ist die quellenerschließende Interpretation für Studierende im Grundstudium vielleicht etwas zu voraussetzungsreich.
Georg Kerschensteiners "Begriff der Arbeitsschule" interpretiert der Trierer Berufspädagoge Philipp Gonon. Begründet wird die Auswahl gerade dieses 1911 erstmals erschienenen schultheoretischen Werks auf zweifache Weise: Mit dem Schlagwort "Arbeitsschule" gehe Kerschensteiners "internationale Wirksamkeit" einher und dieser Begriff habe den Münchner Schulrat "zu dem Repräsentanten des Anliegens" gemacht, "Arbeit für die Bildung nutzbar zu machen" (121). Die texterschließende Interpretation des Bearbeiters ist traditionell. Nach einer biographischen Skizze geht er auf die verschiedenen Auflagen ein und bettet den Quellentext in die bildungstheoretischen und reformpädagogischen Diskussionen der Zeit ein. Der "Begriff der Arbeitsschule" erschien zwischen 1911 und 1930 in acht Auflagen. Als Quellentext abgedruckt wird die von letzter Hand. Da die einzelnen Auflagen Überarbeitungen erfahren hatten, nutzt dies der Bearbeiter, um "die geistige und thematische Entwicklungsgeschichte des Autors deutlich zu machen." (121) Dabei wird aber lediglich angedeutet, welche Veränderungen in den jeweiligen Auflagen vorgenommen werden. Doch gerade diese Umschreibungen in den einzelnen Auflagen hätten unseres Erachtens stärker genutzt werden können, um Studierenden den "geistigen Produktionsprozess" Kerschensteiners in seiner Eingebundenheit in die schul-, reformpädagogische und zeitpolitischen Diskussionskontexte vor Augen zu führen.
Haben sich die bisherigen Bearbeiter der Werkinterpretationen immer auf einen Quellentext beschränkt, so weicht der Erziehungswissenschaftler Hans-Josef Wagner bei dem Klassiker Wilhelm von Humboldt davon ab: Er wählte sowohl den "Plan einer vergleichenden Anthropologie" als auch die "Theorie der Menschenkenntnis" aus, weil diese beiden Texte hinsichtlich Inhalt und Veröffentlichungszeitpunkt (1795 und 1797) eng zusammenliegen und als ein Begründungsversuch von Anthropologie als Wissenschaft anzusehen sind. Auch in der interpretatorischen Erschließung der Texte wählt Wagner einen anderen Zugriff. Er teilt die Texte in Sequenzen auf, die dann in der vorgegebenen Abfolge textimmanent bearbeitet werden. Auf Kontextualisierungen wird dabei verzichtet. In einem letzten Abschnitt unterzieht er beide Texte zusammen einer "struktural orientierten Rekonstruktion" (97), wobei Humboldts Versuch, Anthropologie als Wissenschaft zu konzeptualisieren, hinsichtlich des "konstitutionstheoretischen Bezugsrahmens, des Gegenstandsbereichs, der Methodologie und Methode, Universalität und Historizität" (148) analysiert werden. Gerade dieser letzte Teil, so anregend er auch in der Analyse ist, weicht unseres Erachtens von der Intention der Reihe "Einstiegs- und Verständnishilfen für eine eigene Erschließung" für Studierende der Pädagogik zu sein, erheblich ab und wendet sich auch im Sprachduktus eher an den soziologisch orientierten Kollegenkreis.
Die von Alfred Schäfer herausgegebene Reihe "Pädagogische Portraits" soll nach Aussage des Verlags "profilierte Autorinnen und Autoren der Pädagogik" "kurz, knapp und einführend" als prüfungsrelevantes Wissen darstellen. Auf Quellentexte wird in dieser Reihe verzichtet. Raum gegeben wird aber der Erläuterung spezifischer pädagogischer Problemstellungen und Konzeptionen der jeweils Portraitierten. Außerdem soll die aktuelle erziehungswissenschaftliche Diskussion der Vorgestellten und dies auch im Sinne von Antworten auf spezifische pädagogische Fragestellungen dargestellt werden.
Alfred Schäfers Rousseau-Interpretation folgt der weit verbreiteten These, Rousseau markiere den Anfang der modernen, wissenschaftlichen Reflexion über Erziehung. Auch für Schäfer gilt Rousseau als derjenige, der den modernen Diskurs über Erziehung paradigmatisch eröffnet und dahingehend gewendet hat, dass Erziehung ihre Maßstäbe zuallererst im Edukanden suchen und sich dabei der Frage widmen soll, wie dieser zur Identität mit sich selbst geführt werden kann. Die Aktualität Rousseaus verdankt sich laut Schäfer einem Paradox bzw., mit Treml formuliert, einem im Originaltext langfristig nachwirkenden Variationsangebot, das der Frage gilt, wie von einem außerhalb der Gesellschaft liegenden Standpunkt aus begründbare Maßstäbe für die gesellschaftliche Realisierung pädagogischen Handelns gefunden werden können. Schäfer gliedert seine Rousseau-Interpretation entsprechend in folgende Hauptkapitel: (1) Entfremdungstheorie und Vernunftkritik, (2) Das theoretische Werkzeug Rousseaus und (3) Natürliche Erziehung. Leitend ist die Frage, wie und ob Identität mit sich selbst unter den Bedingungen von Erziehung überhaupt möglich sein kann. Dabei wird Identität als konstituierender Begriff pädagogischer Reflexion ansatzweise in Frage gestellt. Ein hohes Anregungspotential haben Schäfers Ausführungen zu Rousseaus Konzept der "negativen Erziehung". Es werden Argumentationslinien präsentiert, wie sie in ganz ähnlicher Form von Christine Garbe (1992) vorgelegt wurden, die Rousseaus Konzept der "negativen Erziehung" sowie dessen sprachliche Verfasstheit mit Foucaults Machttheorie analysiert hat. Bei den Hinweisen zur Sekundärliteratur und in Kapitel 5 "Wirkungsgeschichte und Diskussionsstränge" hätte eine stärkere Berücksichtigung der geschlechtergeschichtlichen Lesarten Rousseaus durchaus noch weiter zur Abrundung beitragen können, so etwa Hinweise auf die bereits erwähnte Monographie von Christine Garbe "Die ‚weibliche’ List im ‚männlichen’ Text" (1992) und auf Heide von Feldens (1997) empirisch fundierte Untersuchung der zeitgenössischen Rousseau-Rezeption von Frauen.
Ebenfalls in dieser Reihe erschien Michaels Winklers souverän verfasste Studie über Klaus Mollenhauer. Michael Winkler, der mitläufig seine fundierten Klassikerkenntnisse und deren Lesarten dem Text elegant unterlegt, präsentiert Mollenhauer als schillernden erziehungswissenschaftlichen Klassiker. Einerseits wird dieser hinsichtlich seiner Problemstellung (gemeint ist das Spannungsverhältnis zwischen Politik und Pädagogik) vorausgegangenen Klassikergenerationen (Rousseau, Kant, Hegel, Schleiermacher, Herbart) zugeordnet, anderseits aber gleichzeitig mit Personen in Verbindung gebracht, die gegenwärtig ebenso unter Klassikerverdacht stehen könnten: Herwig Blankertz, Wolfgang Klafki, Hans-Jochen Gamm und Heinz-Joachim Heydorn. Mollenhauer, so Winkler, knüpft als Vertreter der Kritischen Pädagogik an die geisteswissenschaftliche Tradition an und endet schließlich wieder bei ihr als Vertreter eines "schleiermacherischen Denkstils" (85): Erziehungswissenschaft ist Sozialwissenschaft, indem sie den gesellschaftlichen Kontext von Erziehung sowie Möglichkeiten der Emanzipation thematisiert, und sie ist Geisteswissenschaft, indem sie die Integration eines bildsamen Individuums in die Kultur reflektiert. Unterschätzt werden u.E. von Winkler Mollenhauers ikonologische Analysen von Erziehung. Denn indem sich Mollenhauer von "Bildmaterialien verführen" (124) lässt, und sich damit risikobereit protestantischer Bilderfeindlichkeit widersetzt, kann er methodologisch vorausschauend und innovativ werden. Vermutlich steckt gerade hier – im Sinne des "iconic turn" der Wissenschaften – sein kommunikativer Impuls für zukünftige Forschergenerationen.
Friedrich Schleiermacher wird von Jens Brachmann mit großer Sachkenntnis portraitiert. Auch seine Argumentation misst die Bedeutung dieses pädagogischen Klassikers an seiner disziplinbildenden Wirkung sowie der Fähigkeit, zentrale pädagogische Probleme zwischen Tradition und Neuerung zu konturieren. Schleiermacher steht für Brachmann in der Tradition des seit Platon auf Dauer gestellten Problems, dass Erziehung begrifflich und sozial (re)konstruiert werden muss. Schleiermacher habe diese Problemstellung als Frage nach dem "Eingebundensein" des Einzelnen "in die sittlichen Formen unter den Bedingungen der Moderne" paradigmatisch reformuliert (11). Neben Herbart könne er zudem "als derjenige" gelten, mit dem das eigentlich wissenschaftliche Denken in der Pädagogik Einzug gehalten hat" (12). Besonders lesenswert wird dieser Band, da Brachmann es versteht, in seiner Darstellung die richtige Dosierung von engem Quellenkontakt und (kritischem) Kommentar zu finden. Schleiermachers Pädagogik wird von verschiedenen Enden her zu einem Gesamtbild geknüpft, was der eigenen Vorgehensweise dieses Klassikers auf besondere Art und Weise gerecht wird. Brachmanns Darstellung der Editions- und Wirkungsgeschichte Schleiermachers zeigt eindrucksvoll, wie Klassiker gemacht und zweckdienlich "entkernt" bzw. "thematisch verkürzt" werden. Ernstzunehmen ist Brachmanns Mahnung an die Erziehungswissenschaft, "die eigene Tradition in philologisch gesicherten, historisch-kritischen Editionen zu dokumentieren" (132).
Die Bände in der Reihe "Basiswissen Pädagogik: Historische Pädagogik" haben eine andere Intention und folgen einem anderen Aufbau. Die Reihe soll nämlich "Werk und Wirken" jener Pädagogen zur Darstellung bringen, die "einen bedeutenden Teil der Grundlagen, auf denen die nachfolgende Pädagogikentwicklung aufbaut" (Verlagsprospekt) entwickelt haben. Alle Bände der Reihe folgen dabei einer einheitlichen Gliederung: In Teil A erfolgt eine Einführung in Leben und, Werk des Klassikers, in Teil B werden ausgewählte Quellentexte abgedruckt.
Der von Otto Hansmann besorgte erste Band der Reihe ist ebenfalls Rousseau gewidmet. Rousseau wird als ein Autor eingeführt, der gerade im "Widerstreit der Auslegungen" (Cassirer 1932/1989) immer wieder Neues hervorbringt und als unerschöpfliche Quelle pädagogischer Reflexion gelten kann. Hansmann bezeichnet Rousseau als "Erfinder einer spezifischen pädagogischen Topik", die er in drei Hauptstränge gliedert und in fünf Kapiteln aus verschiedener Perspektive ausleuchtet: (1) Rousseaus Konstruktion von Kindheit verändert die pädagogische Reflexion über Kindheit, (2) Rousseaus Konzept der negativen Erziehung hat Rückwirkungen auf die pädagogische Reflexion von Erziehung und Unterricht und (3) mit Rousseau etabliert sich die Eigenständigkeit pädagogischen Denkens und Handelns. Die Quellen dieses Bandes sind mit einer eigenwilligen Kennzeichnung versehen, die vor allem Studierenden nicht unmittelbar einleuchten wird. Bezüglich der Quellenauswahl bleibt der Autor die Erklärung schuldig, warum er das fünfte Buch des Emile wissentlich ausklammert und dem lediglich einen Hinweis auf andere Rezeptionsmöglichkeiten hinzufügt. Wie auch schon bei dem von Alfred Schäfer verfassten Rousseau-Band angemerkt, gilt auch hier, dass es Klassikerausgaben des 21. Jahrhunderts gut anstehen würde, die Klassikerlesarten der Historischen Frauen- und Geschlechterforschung der Liste der Sekundärliteratur substantiell hinzuzufügen.
Leben und Werk Pestalozzis wird auch in einem Band in der Reihe "Basiswissen Pädagogik: Historische Pädagogik" von dem Stuttgarter Erziehungswissenschaftler Gerhard Kuhlemann und dem Schweizer Lehrerbildner Arthur Brühlmeier vorgestellt. Angesichts der umfangreichen pädagogischen Hinterlassenschaft und der noch umfangreicheren Rezeptionsliteratur aus zwei Jahrhunderten ist es nicht einfach, "eine erste Orientierung zu geben und Ansatzpunkte zum weiteren Einarbeiten in die Thematik aufzuzeigen" (6). Die annotierte Bibliographie ist sicher eine Hilfestellung dazu. Die Aktualität Pestalozzis, und damit die Begründung für die Aufnahme in diese Reihe, sehen die beiden Autoren in den Fragen und Einsichten, weniger in den Antworten und Lösungen, da letztere zeitgebunden wären. Ausgewählt haben die beiden Bearbeiter acht Texte, die ihrer Meinung nach das Werk Pestalozzis kennzeichnen: Von der "Abendstunde eines Einsiedlers" über "Lienhard und Gertrud" bis zum "Schwanengesang" reicht das Spektrum. Diese ebenfalls auf der Kritischen Gesamtausgabe basierenden Quellentexte sind – mit Ausnahme der "Abendstunde" – nur auszugsweise und mit Eingriffen bei der Zeichensetzung und Rechtsschreibung zum Abdruck gebracht worden. Jedem Textauszug wird eine Einleitung vorangestellt, die sowohl Interpretationen wie auch Kommentierungen und Erläuterungen umfasst. Pestalozzi wird für Studienanfänger in verdaubaren Happen präsentiert.
Den Pädagogen Johann Stuve in dieser Reihe zu finden, irritiert zunächst. Trapp, Basedow, Salzmann bzw. Campe hätte man eigentlich schon eher als Vertreter des Philanthropismus erwartet. Der Potsdamer Erziehungshistoriker Hanno Schmitt durchbricht mit der Auswahl Stuves und seiner Begründung die Klassikerpflege in der Erziehungswissenschaft. Für ihn ist Stuve einer der erfahrensten Schulreformer und Schriftsteller der philanthropischen Erziehungsbewegung. Dies zeigt er an einer ausführlichen mit zahlreichen Abbildungen versehenen Darstellung von Leben und Werk dieses Philanthropen. Die ausgewählten Quellentexte thematisieren dann auch Programm und Praxis für das öffentliche Schulwesen im brandenburgischen Neuruppin und im Herzogtum Braunschweig. Editorische Hinweise sowie Erläuterungen einzelner Begriffe und Kommentierungen von Textstellen werden vermisst. Dies erklärt sich vermutlich dadurch, dass die Quellentexte aus einem 1982 vom Bearbeiter besorgten Reprint von Stuves Schriften entnommen wurden.
Der Wuppertaler Erziehungswissenschaftler Gerhard Müßener ist Verfasser des Bandes über Johann Friedrich Herbart. Müßener versteht es, Herbarts Denken auf virtuose Art und Weise so zu präsentieren, dass dieser sich tatsächlich als einer der "reverenzwürdigen Disziplin-Repräsentanten" erweist, "die der Pädagogik ein innovatives Gepräge verliehen haben" (5). Eingenommen werden dabei drei Perspektiven der Darstellung: Herbarts Denk-Voraussetzungen, seine Denk-Weisen und Denk-Ergebnisse (7). Denk-Voraussetzungen und Denk-Weisen Herbarts werden insbesondere in Bezug auf "’Unterricht’ als dem ‚Hauptmittel der Erziehung’" knapp und dabei treffend dargestellt (26-39). In Kapitel 3 wird "Herbart im Spiegel ausgewählter Urteile" dargestellt (u.a. Willmann, Natorp, Petersen, Klafki). Die Quellenauswahl ist chronologisch geordnet. Müßener begründet seine sich auf frühe Herbart-Schriften stützende Auswahl mit der in der Reihe anvisierten Zielgruppe. Die Quellentexte ist jeweils eine anregende, kenntnisreiche Charakteristik vorangestellt.
Der Duisburger Fröbel-Forscher Helmut Heiland ist der Bearbeiter des Bandes über Friedrich Wilhelm August Fröbel. Er führt ausführlich in die Biographie ein und ergänzt diese um eine tabellarische Chronologie. Einen Abschnitt widmet der Bearbeiter den zeitgenössischen pädagogischen und philosophischen Einflüssen Fröbels, bevor er das pädagogische Werk, unterteilt in die Schwerpunkte Erziehungsphilosophie, Schulpädagogik und Spielpädagogik/Kindergarten, skizziert. Entsprechend dieser drei Punkte sind die neun Quellentexte ausgewählt. Es ist der Sachkenntnis des Bearbeiters zu verdanken, dass diese noch um einen Auszug aus den Erinnerungen einer Zeitgenossin an die pädagogische Arbeit Fröbels im Blankenburger Kindergarten ergänzt wurden. Ein Teil der Quellentexte sind Erstdrucke aus dem Nachlass, die anderen Texte sind (z.T. korrigierte) Nachdrucke. Erläuterungen und Kommentierungen in den Texten sowie editorische Hinweise fehlen. Die Rezeptionsgeschichte des pädagogischen Werkes Fröbels ist nur angedeutet. Hinweise auf die Bedeutung der Fröbelschen Pädagogik und ihrer Einrichtungen für die Frauenbildungsbewegung und im außereuropäischen Ausland (Ann Allen 1991) werden vermisst.
Eine "Schlüsselfigur der Pädagogik in Deutschland im 19. Jahrhundert", Friedrich Adolph Wilhelm Diesterweg, präsentiert der Berliner Erziehungshistoriker Gert Geißler. "Dem bildungsgeschichtlich interessierten Leser" will der Bearbeiter "eine Erstbegegnung" (70) mit dem liberalen Schulpädagogen und Lehrerbildner ermöglichen. Neben einem biographischen Abriss und einer Chronologie der Lebensdaten skizziert Geißler die "Pädagogik Diesterwegs", seine pädagogischen Grundsätze v.a. zur Lehrerbildung. Hierbei wird immer wieder auf die ausgewählten Quellentexte Bezug genommen und somit eine erste Interpretation angeboten. Ausgewählt wurden 15 Veröffentlichungen, die zwischen 1820 und 1866 erschienen sind. Angesichts der 17 Bände umfassenden Werkausgabe – aus der auch die Quellentexte entnommen sind – wäre auch für diese Studienausgabe eine Begründung der Textauswahl nahe liegend gewesen.
Zwei Stränge ziehen sich durch unsere Betrachtung der "Klassiker"-Ausgaben: Es geht um die Einschätzung ihres "Gebrauchswerts" für das erziehungswissenschaftliche Studium und um die "Klassikerpflege" in der Erziehungswissenschaft als Selbstvergewisserung über ihre Problemstellungen und Begriffe. Diese beiden Stränge hängen zusammen.
Positives leisten diese Klassikerbände auf jeden Fall: Die Quellentexte sind gut aufbereitet und bieten somit eine Literaturbasis für die Seminararbeit. Die Studierenden müssen nicht mehr Fraktur lesen. In ihrer Anlage sind die drei Reihen sehr verschieden und bedienen auf diese Weise unterschiedliche Interesse von Studierenden: Wer sich vertiefend oder im Selbststudium mit der Auslegung eines pädagogischen Textes beschäftigen will, ist den von Löwisch herausgegebenen "Werkinterpretationen" sehr gut beraten. Das personen- und werkbezogene Kontextwissen ist aus der Reihe Basiswissen zu erschließen. Die von Schäfer herausgegebene Reihe setzt die intensive Lektüre von Quellentexte und ihrer Kontexte schon voraus. Hier werden die Studierenden vielmehr zu spezifischen pädagogischen Fragestellungen geführt und somit vom Historischen zum Systematischen geführt. Darüber hinaus bieten solche Studienausgaben für Studierende einen verbindlichen Kanon, haben damit Lehrbuchcharakter und helfen so nicht nur den Studierenden bei der Prüfungsvorbereitung, sondern sind zugleich, Thoma S. Kuhn zufolge, Ausdruck einer gereiften Disziplin.
Auffallend ist ein weiterer Punkt, der allerdings Zweifel am Reifegrad der Disziplin aufkommen lässt: Außer Maria Montessori - wenn man den Verlagsankündigungen folgt - scheint es keine weiteren pädagogischen Klassikerinnen zu geben. Sind die Klassikerausgaben also dazu da, geschlechterdifferenzierende Fragestellungen aus dem allgemeinverbindlichen disziplinären Kanon auszuklammern?
Und zusätzlicher Zweifel bleibt nach dem Durchgang durch diese neuen Reihen und einer Durchsicht der schon in den Bibliotheken befindlichen älteren Klassikerreihen der Pädagogik. Denn es fragen sich nicht nur Studierende der Erziehungswissenschaft: Wer ist nun eigentlich ein pädagogischer Klassiker? Um eine Bestimmung haben sich – wie eingangs gezeigt – schon einige bemüht. Eine weiterführende Antwort geben diese Einführungen nicht. Sie sind vielmehr zusammen mit älteren Einführungen empirische Basis für die schwierige Untersuchung der Klassiker- und Klassikerinnenkonstruktion in der Erziehungswissenschaft resp. Pädagogik.
Ein nicht unbedingt wissenschaftlich seriöser, aber aus Irritation über den inflationären Gebrauch des Klassischen entstandener Vorschlag wäre: die pädagogische Klassiker-Hitparade. Man nehme die Schnittmenge aus den drei Reihen, gebe noch Scheuerls "Klassiker der Pädagogik" hinzu. Das Ergebnis: Unangefochten gemeinsam an der Spitze stehen Rousseau und Pestalozzi. Damit bestätigt sich die auf einer breiten empirischen Basis zustande gekommene Klassiker-Hitparade wie sie von Michael Winkler 1993 vorgelegt wurde.
Literatur:
Calvino, Italo: Warum Klassiker lesen? In: Ders.: Warum Klassiker lesen. MĂĽnchen, Wien 2003, S. 7-14.
Cassirer, Ernst: Das Problem Jean-Jacques Rousseau. In: Drei Vorschläge Rousseau zu lesen. Frankfurt/M. 1989, S. 7-78.
Felden, Heide von: Die Frauen und Rousseau. Die Rousseau-Rezeption zeitgenössischer Schriftstellerinnen in Deutschland. Frankfurt/M., New York 1997.
Garbe, Christine: Die ‚weibliche’ List im ‚männlichen’ Text. Jean-Jacques Rousseau in der feministischen Kritik. Stuttgart, Weimar 1992.
Scheuerl, Hans (Hrsg.): Klassiker der Pädagogik. 2 Bände. München 1979.
Treml, Alfred K.: Klassiker. Die Evolution einfluĂźreicher Semantik. Bd. 1. Sankt Augustin 1997.
Winkler, Michael: Ein geradezu klassischer Fall. In: Horn, Klaus-Peter/Wigger, Lothar (Hrsg.): Klassifikationen und Systematiken der Erziehungswissenschaft. Weinheim 1993, S. 141-168.
[Anmerkung der Redaktion: Weitere Bände der besprochenen Reihen werden bzw. wurden in Einzelrezensionen vorgestellt und diskutiert.]