Kriegskinder haben, wie die Mitherausgeberin Lu Seegers in der Einführung herausstellt, in populären und wissenschaftlichen Diskursen Konjunktur. Im vorliegenden Sammelband, der aus einem Kolloquium des Gießener Sonderforschungsbereichs „Erinnerungskulturen“ hervorgegangen ist, befassen sich sieben Historikerinnen und Historiker mit dieser Thematik. In einem ersten Themenblock werden dabei Ego-Dokumente herangezogen, um das Sozialisationskonzept der „Lebensbemeisterung“ sowie die Effekte von durch Vaterlosigkeit gekennzeichneten Kindheits- und Jugendjahren herauszuarbeiten. Dabei werden auch sehr private Lebensumstände in den Blick genommen, wenn die in Deutschland 1961 erfolgte Einführung der „Pille“ als eine Besonderheit vorgestellt wird, die für den weiblichen Teil der Geburtsjahrgänge 1935 bis 1950 von ebenso großer Bedeutung gewesen sei wie die Erfahrung von Krieg und 1968er-Protesten für die gesamte Alterskohorte. Einen zweiten inhaltlichen Schwerpunkt des Bandes bildet die Beschäftigung mit den Phänomenen Generationalität, Generativität und Gedächtnis. Unter diesen Schlagworten werden die lebensgeschichtliche Bedeutung von in frühen Lebensjahren erlerntem Liedgut und die Fruchtbarkeit des auf Karl Mannheim zurückgehenden Generationenkonzepts reflektiert. Im Schlussteil folgen dann noch eine Analyse bezüglich der Entstehungsgeschichte und der Wortführerschaften im rund um die „Kriegskinder“ erfolgenden „generation making“ sowie ein Aufsatz über das Verhältnis von öffentlichen und privaten Narrationen über Luftkriegserfahrungen. Obwohl auf der formalen Ebene kleinere Mängel wie teilweise fehlende Literaturangaben zu verzeichnen sind, hinterlässt der Band einen insgesamt positiven Eindruck: Spannend macht ihn der Versuch, ausgehend von ZeitzeugInneninterviews und seltener analysierten Materialien wie Elterntagebüchern und Liedtexten die das Aufwachsen einer Generation beeinflussenden Faktoren sowie deren biographische Relevanzen facettenreich herauszuarbeiten und parallel Inszenierung und Funktionalität der mit dem Generationsbegriff reklamierten Gruppenidentität – beispielsweise durch die Berücksichtigung von genderspezifischen oder lokalen Besonderheiten – kritisch zu hinterfragen. Das Werk bietet damit Anregungen auch für andere bildungshistorische Projekte.
EWR 9 (2010), Nr. 2 (März/April)
Die „Generation der Kriegskinder“
Historische Hintergründe und Deutungen
(Psyche und Gesellschaft)
(Psyche und Gesellschaft)
Gießen: Psychosozial 2009
(184 S.; ISBN 978-3-89806-855-0; 22,90 EUR)
Jeanette Bair (Tübingen)
Zur Zitierweise der Annotation:
Jeanette Bair: Annotation zu: Seegers, Lu / Reulecke, Jürgen (Hg.): Die „Generation der Kriegskinder“, Historische Hintergründe und Deutungen (Psyche und Gesellschaft). Gießen: Psychosozial 2009. In: EWR 9 (2010), Nr. 2 (Veröffentlicht am 13.04.2010), URL: http://klinkhardt.de/ewr/annotation/978389806855.html
Jeanette Bair: Annotation zu: Seegers, Lu / Reulecke, Jürgen (Hg.): Die „Generation der Kriegskinder“, Historische Hintergründe und Deutungen (Psyche und Gesellschaft). Gießen: Psychosozial 2009. In: EWR 9 (2010), Nr. 2 (Veröffentlicht am 13.04.2010), URL: http://klinkhardt.de/ewr/annotation/978389806855.html