Studien zur Geschichte der Bildungsverwaltung sind nach wie vor rar. Umso mehr Aufmerksamkeit kann das Erscheinen des Sammelbands „Verwaltete Schule“ beanspruchen, der Ergebnisse aus der aktuellen deutschsprachigen Forschung präsentiert. Fünf der Beiträge sind dabei, mit unterschiedlichen regionalen Bezügen (vom Kanton Zürich über Baden und Luxemburg bis zum Königreich Hannover und der Provinz Brandenburg), dem 19. Jahrhundert gewidmet, drei weitere, konzentriert auf die Schweiz, den 1960er und 70er Jahren, während sich die beiden abschließenden unter systematischer Fragestellung mit aktuellen Entwicklungen befassen.
Die Beiträge unterscheiden sich hinsichtlich der gewählten Schwerpunkte, des theoretischen Zugriffs und der genutzten Quellen. Gemeinsam ist ihnen aber das Interesse an Bildungsverwaltung als Praxis, am Funktionieren des behördlichen Apparats und an den Instrumenten, die er für die Steuerung des Bildungswesens entwickelt, ferner das Verständnis von Schulverwaltung als einem heterogenen Feld, auf dem verschiedene Akteure tätig sind und auf dem die staatlichen Schulbehörden erst in langen Auseinandersetzungen eine dominierende Stellung erlangen. Und gemeinsam ist den Beiträgen schließlich das Bemühen um eine theoretische Durchdringung ihrer Befunde, vorwiegend in Orientierung an Luhmann, ohne dass sie verständlicherweise hier über erste Ansätze schon hinaus gelangten. In einigen Beiträgen werden unter Bezugnahme auf die neuen Steuerungsmodelle und auf das Governance-Konzept auch explizit Verbindungen zu aktuellen Entwicklungen und Diskussionen hergestellt. So wird dem in der Einleitung von den Herausgebern formulierten Programm entsprochen, theoretische, empirische und historische Perspektiven zusammen zu führen.
Die Beiträge weisen somit ein für einen Sammelband eher ungewöhnliches Maß an Gemeinsamkeit auf. Dennoch wäre es nützlich gewesen, wenn die Herausgeber die diversen Befunde und Deutungsansätze abschließend aufeinander bezogen hätten. Dies hätte nicht nur den beiden systematisch orientierten Beiträgen die Anknüpfung erleichtert, sondern auch erste Antworten auf die dem Band im Klappentext unterlegte Frage ermöglicht, „inwiefern sich das Verhältnis von Politik, Verwaltung und Schule historisch verschoben hat“. Trotz dieses Mankos bleibt festzuhalten, dass sich die historische Bildungsverwaltungsforschung im vorliegenden Band in einer erfreulich vielfältigen, theoretisch anspruchsvollen und für aktuelle Fragestellungen anschlussfähigen Form präsentiert.
Der von Carla Aubry und Johannes Westberg herausgegebene Band zur „History of Schooling“ weist einige Berührungspunkte mit dem Band zur „Verwalteten Schule“ auf: Auch hier geht es um die Relativierung von Sichtweisen, welche die Entwicklung des Schulwesens maßgeblich auf das Handeln zentraler bildungspolitischer Kräfte zurückführen, die gesetzliche Vorgaben mit der Praxis vor Ort gleich setzen und davon ausgehen, dass das bildungspolitisch und pädagogisch Beabsichtigte mit der Wirkung übereinstimme. Entsprechend werden regionale Varianten aufgezeigt, wird nationale Bildungspolitik lokalen Praktiken gegenüber gestellt, werden Intentionen und Realisierungen miteinander konfrontiert. Auch die zeitliche Streuung der Beiträge ist ähnlich: Sie reicht vom 18. Jahrhundert bis in die 1970er Jahre. Anders allerdings sind, der Herkunft der VerfasserInnen entsprechend, die regionalen Bezüge: fünf der Studien beschäftigen sich mit Themen der schwedischen Schulgeschichte, drei mit der Schweiz, zwei mit Luxemburg und je eine mit Österreich und der Bundesrepublik.
Weiter als in dem Band von Geiss und De Vincenti ist auch der thematische Rahmen gesteckt. Die Herausgeber haben die Beiträge drei Oberthemen zugeordnet (Schulfinanzierung, Schulreform und Schulmedien), unter denen aber noch einmal sehr Unterschiedliches zu finden ist; unter „Schulreform“ etwa firmiert eine Studie zu Konzepten mathematischer Bildung und eine zu Vorstellungen vom idealen Neusprachenlehrer, unter der Überschrift „Schulmedien“ werden so unterschiedliche Themen wie die Versorgung mit Schulbüchern für den Rhetorikunterricht, zentrale Argumentationsfiguren im Beitrag einer Lehrerzeitschrift und Schülerzeitungen als Medien der Demokratisierung verhandelt.
Angesichts solcher thematischen Vielfalt stellt sich schärfer noch als im vorigen Fall die Frage nach dem gemeinsamen Bezugspunkt. Die Herausgeber suchen diese Frage in ihrer Einleitung abzuwehren, indem sie Vielfalt und Multiperspektivität zu Prinzipien erklären, dies mit der – mittlerweile notorischen – Ablehnung aller großen Theorien der Bildungsentwicklung verbinden und Fallstudien in den Rang eines Königswegs historischer Bildungsforschung erheben. Gerade Letztere aber kommen, wie sie selbst betonen, ohne die Bezugnahme aufeinander nicht aus, sie fordern den Vergleich, um Allgemeines und je Besonderes zu identifizieren. Aus dieser Erkenntnis wird in dem Band selbst jedoch leider keine Konsequenz gezogen, obwohl gerade die Beiträge, die sich mit den Brechungen bildungspolitischer Initiativen in lokalen Kontexten beschäftigen, Ansatzpunkte für eine vergleichende Betrachtung geboten hätten. So bleibt es, wie meist bei dieser Art von Publikationen, bei einer Ansammlung von teilweise sehr informativen, theoretisch reflektierten, in Themenstellung und Quellennutzung auch innovativen Einzelstudien.
EWR 13 (2014), Nr. 1 (Januar/Februar)
Doppelannotation zum Thema Geschichte der Schule
Verwaltete Schule
Geschichte und Gegenwart
(Educational Governance. Bd. 20)
(Educational Governance. Bd. 20)
Wiesbaden: Springer VS 2012
(208 S.; ISBN 978-3-531-19468-4; 29,95 EUR)
History of Schooling
Policy and Local Practice
Frankfurt am Main: Peter Lang 2012
(276 S.; ISBN 978-3-631-63367-0; 44,95 EUR)
Gerhard Kluchert (Berlin)
Zur Zitierweise der Annotation:
Gerhard Kluchert: Annotation zu: Geiss, Michael / (Hrsg.), Andrea De Vincenti (Hg.): Verwaltete Schule, Geschichte und Gegenwart (Educational Governance. Bd. 20). Wiesbaden: Springer VS 2012. In: EWR 13 (2014), Nr. 1 (Veröffentlicht am 05.02.2014), URL: http://klinkhardt.de/ewr/annotation/978353119468.html
Gerhard Kluchert: Annotation zu: Geiss, Michael / (Hrsg.), Andrea De Vincenti (Hg.): Verwaltete Schule, Geschichte und Gegenwart (Educational Governance. Bd. 20). Wiesbaden: Springer VS 2012. In: EWR 13 (2014), Nr. 1 (Veröffentlicht am 05.02.2014), URL: http://klinkhardt.de/ewr/annotation/978353119468.html