
In einer (noch) gemeinsam verantworteten Publikation von Lee und Mochmann wird genau auf diesen oben beschriebenen Prozess der Begriffsfindung verwiesen. Dort heißt es:
„Um eine klarere Abgrenzung zu anderen vom Krieg betroffenen Kindergruppen zu ermöglichen, wurde in Anlehnung an eine frühere Konzeptionalisierung 2006 der neutrale Begriff ‚Children Born of War‘, auf Deutsch ‚Kinder des Krieges‘, als Bezeichnung für Kinder eingeführt, die von ausländischen Soldaten gezeugt und von Einheimischen geboren werden. Die Bezeichnung umfasst alle Kinder des Krieges, unabhängig von Zeit und geografischem Kontext, Art des Konflikts und Umständen der Zeugung“ [1]. Die Aufzählung der vier Gruppen von CBOW folgt [2].
Dass viele CBOW durch sexuelle Gewalt entstanden und noch immer entstehen, habe ich ebenfalls nicht bestritten. Aber für die norwegischen, dänischen und niederländischen ‚Wehrmachtskinder‘ sowie die deutschen ‚Besatzungskinder‘, die während des und nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurden, ist mittlerweile hinreichend bekannt, dass sie nicht ausschließlich durch sexuelle Gewalt gezeugt wurden. Das gesamte Spektrum möglicher sexueller Begegnungen war vertreten: ‚Überlebensprostitution‘, d.h. Sex gegen Ware oder Geld, einvernehmliche Sexualkontakte, Liebesbeziehungen, Vergewaltigungen. Was Lee und Glaesmer zu dieser doch sehr einseitigen Darstellung der Genese des Forschungsfeldes veranlasst hat, sei dahingestellt, aber nicht einmal alle Autor_innen des von ihnen herausgegebenen Sammelbandes folgen ihrer Definition von ‚Kindern des Krieges‘, die ausschließlich aus Akten sexueller Gewalt hervorgegangen seien [3]. In einem Beitrag, den interessanterweise Heide Glaesmer als Mitautorin verfasst hat, wird sogar in Abgrenzung zu CBOW, die in „non-exploitative or non-violent relationships“ entstanden seien, eine eigene Kategorie „children born of war rape“ eingeführt [4].
Über die weiteren Kritikpunkte an meiner Rezension mögen sich geneigte Leser_innen gern ein eigenes Bild machen. Wissenschaft lebt von der Kommunikation, von Auseinandersetzungen um Theorien, Begrifflichkeiten, Methoden. Man kann vieles kritisieren, Begriffe und Kategorien weiterentwickeln, aber den langjährigen, signifikanten Beitrag einer Forscherin zur Entstehung und Entwicklung eines Forschungsfeldes zu unterschlagen, gehört definitiv nicht zur guten wissenschaftlichen Praxis.
[1] Lee, S. & Mochmann, I.C. (2015): Kindes des Krieges im 20. Jahrhundert, in: Stelzl-Marx, B. & Satjukow, Silke (Hrsg.): Besatzungskinder. Die Nachkommen alliierter Soldaten in Österreich und Deutschland. Wien/Köln/Weimar 2015, S. 15-38, hier: S. 18.
[2] Ebd., S. 18f.
[3] Vgl. Schretter, L., Kuramitsu, K. & Sersté, N. (2022): Ethical challenges in conducting interviews with children born of war: reflections on navigating participants’ expections. In: Lee, S., Glaesmer, H., Stelzl-Marx, B. (Hrsg.): Children Born of War. Past, Present and Future. London/New York: Routledge, S. 59-74, hier: S. 62.
[4] Roupetz, S., Delic, A. & Glaesmer, H. (2022): An intergenerational perspective on conflict-related sexual violence against women: female survivors and their children born of war rape. In: Lee, S., Glaesmer, H., Stelzl-Marx, B. (Hrsg.): Children Born of War. Past, Present and Future. London/New York: Routledge, S. 111-135, hier: S. 113.