EWR 23 (2024), Nr. 2 (April)

Erwiderung zu Sabine Lees und Heide Glaesmers Replik zur Rezension von Elke Kleinau zum Band

Sabine Lee / Heide Glaesmer / Barbara Stelzl-Marx (Hrsg.)
Children Born of War
Past, Present and Future
London, New York: Routledge 2022
(359 S.; ISBN 978-0-367-19013-2; 120,00 GBP)
Children Born of War In meiner von Sabine Lee und Heide Glaesmer kritisierten Rezension habe ich nicht bestritten, dass der Begriff Born of War bzw. Children Born of War (CBOW) von der Gruppe um R. Charli Carpenter verwendet wurde, um Kinder, die in und nach Kriegen oder kriegerischen Konflikten durch sexuelle Gewalt entstanden sind, zu beschreiben. Es war jedoch Ingvill C. Mochmann (jetzt Ødegaard), die beim Kölner Expert_innentreffen im Dezember 2006 vorschlug, CBOW als Oberbegriff fĂŒr alle CBOW zu verwenden, unabhĂ€ngig von der Art ihrer Entstehung. Bei diesem Treffen hat Mochmann ebenfalls die von ihr entwickelten vier Kategorien von CBOW vorgestellt (Kinder feindlicher Soldaten, Kinder von Besatzungssoldaten, Kinder von Kindersoldatinnen, Kinder von Angehörigen von Friedenstruppen).

In einer (noch) gemeinsam verantworteten Publikation von Lee und Mochmann wird genau auf diesen oben beschriebenen Prozess der Begriffsfindung verwiesen. Dort heißt es:

„Um eine klarere Abgrenzung zu anderen vom Krieg betroffenen Kindergruppen zu ermöglichen, wurde in Anlehnung an eine frĂŒhere Konzeptionalisierung 2006 der neutrale Begriff ‚Children Born of War‘, auf Deutsch ‚Kinder des Krieges‘, als Bezeichnung fĂŒr Kinder eingefĂŒhrt, die von auslĂ€ndischen Soldaten gezeugt und von Einheimischen geboren werden. Die Bezeichnung umfasst alle Kinder des Krieges, unabhĂ€ngig von Zeit und geografischem Kontext, Art des Konflikts und UmstĂ€nden der Zeugung“ [1]. Die AufzĂ€hlung der vier Gruppen von CBOW folgt [2].

Dass viele CBOW durch sexuelle Gewalt entstanden und noch immer entstehen, habe ich ebenfalls nicht bestritten. Aber fĂŒr die norwegischen, dĂ€nischen und niederlĂ€ndischen ‚Wehrmachtskinder‘ sowie die deutschen ‚Besatzungskinder‘, die wĂ€hrend des und nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurden, ist mittlerweile hinreichend bekannt, dass sie nicht ausschließlich durch sexuelle Gewalt gezeugt wurden. Das gesamte Spektrum möglicher sexueller Begegnungen war vertreten: ‚Überlebensprostitution‘, d.h. Sex gegen Ware oder Geld, einvernehmliche Sexualkontakte, Liebesbeziehungen, Vergewaltigungen. Was Lee und Glaesmer zu dieser doch sehr einseitigen Darstellung der Genese des Forschungsfeldes veranlasst hat, sei dahingestellt, aber nicht einmal alle Autor_innen des von ihnen herausgegebenen Sammelbandes folgen ihrer Definition von ‚Kindern des Krieges‘, die ausschließlich aus Akten sexueller Gewalt hervorgegangen seien [3]. In einem Beitrag, den interessanterweise Heide Glaesmer als Mitautorin verfasst hat, wird sogar in Abgrenzung zu CBOW, die in „non-exploitative or non-violent relationships“ entstanden seien, eine eigene Kategorie „children born of war rape“ eingefĂŒhrt [4].

Über die weiteren Kritikpunkte an meiner Rezension mögen sich geneigte Leser_innen gern ein eigenes Bild machen. Wissenschaft lebt von der Kommunikation, von Auseinandersetzungen um Theorien, Begrifflichkeiten, Methoden. Man kann vieles kritisieren, Begriffe und Kategorien weiterentwickeln, aber den langjĂ€hrigen, signifikanten Beitrag einer Forscherin zur Entstehung und Entwicklung eines Forschungsfeldes zu unterschlagen, gehört definitiv nicht zur guten wissenschaftlichen Praxis.

[1] Lee, S. & Mochmann, I.C. (2015): Kindes des Krieges im 20. Jahrhundert, in: Stelzl-Marx, B. & Satjukow, Silke (Hrsg.): Besatzungskinder. Die Nachkommen alliierter Soldaten in Österreich und Deutschland. Wien/Köln/Weimar 2015, S. 15-38, hier: S. 18.
[2] Ebd., S. 18f.
[3] Vgl. Schretter, L., Kuramitsu, K. & SerstĂ©, N. (2022): Ethical challenges in conducting interviews with children born of war: reflections on navigating participants’ expections. In: Lee, S., Glaesmer, H., Stelzl-Marx, B. (Hrsg.): Children Born of War. Past, Present and Future. London/New York: Routledge, S. 59-74, hier: S. 62.
[4] Roupetz, S., Delic, A. & Glaesmer, H. (2022): An intergenerational perspective on conflict-related sexual violence against women: female survivors and their children born of war rape. In: Lee, S., Glaesmer, H., Stelzl-Marx, B. (Hrsg.): Children Born of War. Past, Present and Future. London/New York: Routledge, S. 111-135, hier: S. 113.
Elke Kleinau (Köln)
Zur Zitierweise der Rezension:
Elke Kleinau: In: EWR 23 (2024), Nr. 2 (Veröffentlicht am 07.05.2024), URL: http://klinkhardt.de/ewr/RE_2_978036719013.html