EWR 10 (2011), Nr. 4 (Juli/August)

Elke Reichmann
Übergänge vom Kindergarten in die Grundschule unter Berücksichtigung kooperativer Lernformen
Hohengehren: Schneider 2010
(241 S.; ISBN ISBN 978-3-8340-0797; 20,00 EUR)
Übergänge vom Kindergarten in die Grundschule unter Berücksichtigung kooperativer Lernformen Der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule stellt nach dem Eintritt in den Kindergarten den zweiten großen Übergang eines Kindes dar. Ob dieser bedeutende bildungsbiografische Übergang positiv oder negativ erlebt und bewältigt werden kann, hängt einerseits von den personalen Ressourcen des Kindes und seines Umfeldes und andererseits von der pädagogisch-didaktischen Gestaltung sowie Kooperation der jeweiligen Einrichtungen untereinander ab.

Aktuelle Diskussionen und Veröffentlichungen spiegeln diese Problematik und deren Bedeutung seitens der Institutionen wider, indem eine Vielzahl neuer Handlungsempfehlungen für den Übergang in die Schule u. a. von der Bertelsmann Stiftung [1] erschienen sind. Dort stehen neben Politik und Trägern vor allem die Einrichtungen im Fokus, die unmittelbar die Qualität der Übergangsbegleitung beeinflussen und als Kooperationspartner für einen gelingenden Übergang im Sinne der Kinder agieren sollten.

In Elke Reichmanns Buch „Übergänge vom Kindergarten in die Grundschule unter Berücksichtigung kooperativer Lernformen“ wird der Übergangsprozess von Kindergartenkindern unter dem Einfluss des Konzepts „Schüler helfen Kindern“ empirisch untersucht. Die Forschungsarbeit der Autorin evaluiert ein Kooperationskonzept zwischen Kindergarten und Grundschule, welches den Kindern und ihren Eltern den Übergang erleichtern soll. Im Fokus ihrer Untersuchung steht das subjektive Erleben der Bewältigungsanforderungen von den Kindern und ihren Eltern. Vor allem die Kinder werden dabei als Experten ihres Übergangsprozesses gesehen und in mehreren Leitfadeninterviews befragt. Die Arbeit gliedert sich in einen einleitenden theoretischen, einen methodischen und einen empirischen Teil. Die Ergebnisse werden im Schlussteil zusammengefasst und diskutiert.

Im theoretischen Teil werden grundlegende theoretische Konzepte des Übergangs, Einflussfaktoren auf die Kooperation zwischen Kindergarten und Grundschule sowie das im Fokus der Untersuchung stehende Konzept der kooperativen Lernformen „Schüler helfen Schülern“ vorgestellt. Hierzu wird im ersten Teil der Übergang im ökopsychologischen Ansatz, als kritisches Lebensereignis, im Stressansatz, in der darauf aufbauenden Transitionstheorie und im Schutz- und Risikofaktorenkonzept besprochen. Dies wird durch eine Übersicht über die aktuelle nationale und internationale Forschungslage zur Thematik ergänzt. Zusammenfassend stellt die Autorin Aspekte aus den theoretischen Ansätzen als Indiz für einen bewältigten oder nicht bewältigten Übergang zusammen.
Im zweiten Teil geht Reichmann auf die von ihr als Problemzone (32) bezeichnete Kooperation beider Institutionen im Übergangsprozess ein. Diese sieht sie einerseits als Folge der unterschiedlichen administrativen Zuordnung (38) zum Sozial- und Bildungsressort und auf der personellen Ebene der Pädagogen u. a. bedingt durch das formal unterschiedliche Ausbildungsniveau beider Berufsgruppen (41). Die Autorin beschreibt abschließend das der Erhebung zugrunde liegende Konzept „Schüler helfen Schülern“ und beleuchtet dieses kurz auch anhand entwicklungspsychologischer und soziologischer Theorieansätze - u. a. von Wygotski (45). Im Folgenden stellt Reichmann vergleichbare Konzepte (national und international) und die Idee der gegenseitigen Hilfestellung historisch und mit deren oft positiven Auswirkungen für den Hilfeempfänger vor. Mit dem Wissen über Grenzen und mögliche Probleme von „Schüler helfen Schülern“ in der Praxis (56) und auf der Grundlage der Übergangsthematik aus dem ersten Theorieteil begründet die Autorin kurz auf einer Seite die Intention des Einsatzes für den Übergang in die Schule.

Im methodischen Teil der Forschungsarbeit stellt die Autorin ausführlich das Vorgehen und die Fragestellungen der Untersuchung dar. Hierbei geht Reichmann auch auf mögliche Schwierigkeiten bei Erhebungen mit Kindern (z.B. Verbalisierungsfähigkeit) ein, stellt die Auswahl der untersuchten Personengruppen vor und beschreibt ihre Untersuchungsinstrumente sowie ihre Ergebnisauswertung.

Im Rahmen der vorliegenden Studie wurden zwei Gruppen, eine Kontrollgruppe und eine Interventionsgruppe, von Kindergartenkindern und deren Eltern in separaten Einrichtungen, gebildet. Diese wurden zu drei Erhebungszeitpunkten, zwei vor und einem nach der Einschulung, in Leitfadeninterviews zu ihrem momentanen Informationsstand und der subjektiven Einstellung zum Übergang in die Schule befragt. Auch die betroffenen Erzieher/-innen, Lehrer/-innen und die am Programm beteiligten Tandem-Schüler/-innen wurden in Einzel- oder Gruppeninterviews zu ihren Einschätzungen befragt (Fragebögen im Anhang einsehbar).

Der Auswertungsteil gliedert sich in drei Bereiche. Im ersten werden die subjektiven Einstellungen und der Informationsstand zum Übergang dargestellt, der zweite konzentriert sich auf die Übergangsbewältigung selbst und der dritte beinhaltet die Evaluation des Interventionsprogramms. Hierbei wendet die Autorin gemäß ihrer Methoden Vergleichsdimensionen, Fallgruppierungen und Typenbildungen an und stellt die Ergebnisse in tabellarischer Form dar. In diesen Tabellen sind die Gesamtgruppenzahlen meist nicht angegeben, wodurch dem Leser eigene Schlüsse aufgrund fehlender Relationen schwer fallen. Reichmanns Auswertungen fallen teilweise recht knapp aus, was vermutlich der hohen Datenzahl geschuldet ist, die jedoch für den Leser vielleicht etwas zu viel Raum für eigene Interpretationen lassen. Da ihre Längsschnittstudie mit knapp 40 Kindern und gut 20 Eltern qualitative Auswertungen begünstigt, erscheinen einige eher quantitative Zusammenfassungen der Anzahl der Kinder in den Teilgruppen nicht ganz angemessen zu sein. Beispielsweise spricht die Autorin bei einer Gruppe von sieben Kindern von zwei Kindern als Ausnahme der Regel (148). Die befragten Personen sind aufwendig kodiert, so dass für den Leser schwer nachvollziehbar ist, um welches Kind es sich handelt.

Reichmann fasst in ihrer Auswertung auf Grundlage von fünf Vergleichsdimensionen (Temperament des Kindes, familiäre Einstellung zur Schule, familiäre Förderung, Geschwister, Bewältigungsverfahren) drei Typen der Bewältigung – Kinder ohne, mit moderaten und mit großen Übergangsproblemen – zusammen, wobei die erste Gruppe noch in zwei Untergruppen differenziert ist. Neben einer tabellarischen Aufstellung der Nennungen der jeweiligen Kinder der drei Bewältigungstypen, illustrieren Fallbeispiele (150 ff) deren jeweils charakteristische Merkmale und stellen neben zahlreichen Interviewausschnitten eine Untermauerung der Typisierungen und Argumente der Autorin dar.

Nachdem in den beiden ersten Teilen der Ergebnisdarstellungen jeweils die betroffenen Kinder und ihre Eltern im Fokus stehen, werden in der Evaluation des Konzepts „Schüler helfen Kindern“ die Einschätzungen aller beteiligten Personen herangezogen, um deren individuellen Nutzen (persönlich oder professionell) klarer belegen zu können.

Im Schlussteil werden diese Ergebnisse komprimiert und verständlich dargestellt, um auf zehn Seiten die verschiedenen Fragestellungen der Studie zu beantworten und einen abschließenden Gesamtüberblick zu geben. Die konkreten Auswirkungen des Interventionsprogrammes relativiert Reichmann an dieser Stelle jedoch, da Rückschlüsse immer unter Berücksichtigung aller Einflussfaktoren des Umfeldes gemacht werden müssten. Somit erfüllt die Autorin mit diesem Schluss ihr gesetztes Ziel der Untersuchung und belegt anhand ihrer Forschungsergebnisse durch Gegenüberstellung der Übergangsbewältigung von Kontroll- und Interventionsgruppe eine Erleichterung des Übergangs, der in diesem Fall durch vermehrte Schulbesuche mit Unterstützung der Tandem-Partner im Rahmen des besagten Konzeptes erzielt werden konnte. Im Prozess ihres Erkenntnisgewinns verweist sie jedoch an außerordentlich vielen Stellen auf Ergebnisse anderer Autoren in ähnlichen Forschungsfeldern, wodurch der Zugewinn ihrer Untersuchung nicht so deutlich abgrenzbar wird. Mit ihrem Ausblick verdeutlicht sie allerdings neben den Grenzen des Kooperationsprogramms auch dessen Chancen, und zeigt weiterführende Forschungsbereiche auf.

[1] Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) (2007): Von der Kita in die Schule. Handlungsempfehlungen an Politik, Träger und Einrichtungen. Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung.
Sandra Schiffler (Bremen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Sandra Schiffler: Rezension von: Reichmann, Elke: Ãœbergänge vom Kindergarten in die Grundschule unter Berücksichtigung kooperativer Lernformen. Hohengehren: Schneider 2010. In: EWR 10 (2011), Nr. 4 (Veröffentlicht am 30.08.2011), URL: http://klinkhardt.de/ewr/ISBN+978383400797.html