EWR 15 (2016), Nr. 2 (März/April)

Jule Bönkost
Zur Konstruktion des Rassediskurses im Englisch-Schulbuch
INPUTS. Kritische Beiträge zum postkolonialen und transkulturellen Diskurs. Schriftenreihe des Instituts für postkoloniale und transkulturelle Studien der Universität Bremen; Bd. 5
Trier: WVT Wissenschaftlicher Verlag Trier 2014
(440 S.; ISBN 987-3-86821-546-5; 46,50 EUR)
Zur Konstruktion des Rassediskurses im Englisch-Schulbuch Die kürzlich erschienene Schulbuchstudie Migration und Integration (2015) im Auftrag der Bundesregierung zeigt erneut auf, dass Lehrwerke für den deutschen Schulunterricht Rassismus reproduzieren [1]. Auch in den vergangenen Jahren wurden vermehrt Schulbuchstudien zu Rassismus in Unterrichtswerken vorgelegt. Im Fokus stand dabei unter anderem die Darstellung und Repräsentation Afrikas, afrikanischer Menschen sowie der afrikanischen Diaspora. Kritisiert wird vor allem die Wiedergabe rassistischer Stereotype. Bönkosts Analyse ergänzt diese Diskussion um eine Erforschung von Lehrwerken für den Fremdsprachenunterricht. In der aktuellen Auseinandersetzung um Rassismus in Bildungsmaterialien, die sich vorrangig Schulbüchern der Fächer Geschichte, Politik und Erdkunde widmet, wurde der Fremdsprachenunterricht bisher kaum beachtet.

Das Werk untersucht Rassismus in aktuellen Englisch-Schulbüchern der Sekundarstufe II. Dabei geht die Autorin mit Rückgriff auf die kritische Diskurstheorie über die bloße Beschreibung von Inhalten hinaus: Sie erforscht, wie sich Rassismus als gesamtgesellschaftliches Phänomen auch in Schulbüchern niederschlägt. Mit Foucault konzeptualisiert sie hierfür Rassismus als Diskurs. Ausgehend von der Vorannahme, dass sich dieser auch im Medium Schulbuch materialisieren muss (121), geht die Autorin der Frage nach, inwiefern Englisch-Schulbücher in Deutschland an der (Re-)Konstruktion des Rassediskurses beteiligt sind und welche Funktion dem Schulbuch darüber hinaus als spezifischem Medium im Zusammenhang mit Rassismus zukommt. Erst das Verständnis der komplexen Prozesse der Konstruktion des Rassediskurses in Schulbüchern, so Bönkost, ermögliche pädagogische Reflexionen über rassismuskritische Schulbuchinhalte (123).

Die Arbeit besteht aus einem theoretischen und einem empirischen Teil und ist in sechs Kapitel gegliedert. Sie enthält ein umfassendes Literaturverzeichnis und einen Anhang mit ausführlichen Quellenangaben zur empirischen Schulbuchanalyse. Der Einordnung der Studie in den Forschungsstand im ersten Kapitel folgt ein Überblick über die theoretischen Grundlagen im zweiten Kapitel des Buches. Im Mittelpunkt der Darlegung des theoretischen Fundaments stehen dabei die zentralen Arbeitsbegriffe „Rasse“, „Schulbuch“ und „Diskurs“. Die Darstellung der methodischen Vorgehensweise im anschließenden Kapitel der kritisch-dekonstruktiven Diskursanalyse bildet den Unterbau für die im vierten und fünften Kapitel folgende empirische Untersuchung von insgesamt 18 Lehrwerken führender deutscher Schulbuchverlage. Im Mittelpunkt der Analyse der Englisch-Schulbücher stehen die Darstellungen von weißen und Schwarzen Amerikaner_innen, die anhand des Bildes der USA in den Lehrwerken rekonstruiert werden. Zur Untersuchung von impliziten und expliziten Erscheinungsformen von Rassismus zieht die Autorin sowohl die mittels sprachlicher und visueller Textelemente organisierte formale Textstruktur der Unterrichtswerke als auch ihre verschiedenen Aussageebenen heran. In sechs Einzelfallanalysen setzt sich Bönkost mit den Schulbuchinhalten auseinander. (Kapitel 4.1). Exemplarisch veranschaulicht die Autorin anhand der Feinanalyse ausgewählter Lerneinheiten die Art und Weise, wie sich Rassismus in den Schulbüchern artikuliert. Daran anknüpfend wird die Struktur – über die sich nach Bönkost Rassismus als Diskurs in den Schulbüchern ausdrückt – fallübergreifend und profund nachgezeichnet (Kapitel 4.2). Die Besprechung der rassismusrelevanten Textmuster ist mit vielen anschaulichen Grafiken versehen. Sie geben einen Überblick über die Häufigkeitsverteilungen von Merkmalen, mittels derer sich Rassismus in den Lehrwerken äußert. Neben Differenzkonstruktionen zählt dazu z. B. der in den Schulbüchern häufig verwendete Rassebegriff. Die Autorin rekonstruiert in diesem Arbeitsschritt zudem die vielschichtige Konstruktion von Weißsein als Normalität und die damit verbundene Anderung Schwarzer als davon abweichend. In diesem Zusammenhang hinterfragt Bönkost das Konzept „interkulturellen“ Lernens kritisch: Die spezifische Wiederholung rassistischer Wissensbestände in den Schulbüchern falle mit einer Aufbereitung der Schulbuchinhalte als „interkulturelle“ Lerninhalte zusammen (320ff). Die nachgezeichneten Schulbuchinhalte werden im fünften Kapitel im Hinblick auf ihre soziale Bedeutung interpretiert. Hierbei kommt Bönkost zu dem Ergebnis, dass das Bild der USA bzw. die Darstellung weißer und Schwarzer [2] Personen in den Schulbüchern – in Bezug auf die deutsche Gesellschaft – Weißsein als Norm in Bezug auf die deutsche Gesellschaft setze. Die Schulbuchinhalte stellten – das ist ein weiteres Ergebnis der Autorin – die rassistische Ordnung des sozialen Zusammenlebens als Normalität dar. Abschließend formuliert die Autorin Überlegungen dazu, was die Analyseergebnisse über Fachdidaktik, Schulbuchverlage, Lehrer_innen und Schüler_innen aussagen. Die sozialen Akteure beschreibt Bönkost als Bedingungsfaktoren des untersuchten Schulbuchwissens. Im sechsten Kapitel erfolgt als Abschluss in Form einer Zusammenfassung ein Überblick über die wichtigsten Aspekte und Erkenntnisse aus dem diskursanalytischen Arbeitsprozess.

Die Arbeit identifiziert mithilfe der Analyse von Themen, Begriffs- und Sprachverwendung sowie der Textstruktur der Lehrwerke rassismusrelevante Strategien der Bedeutungskonstruktion. Ihr Zusammenwirken bildet der Autorin zufolge Repräsentationen der USA aus, die von einer weißen Sichtweise eingefärbt sind. So sei zum Beispiel in den Unterrichtswerken vielfach von „Rasse“ die Rede, der Begriff selbst werde jedoch in den Schulbüchern weder erläutert noch als soziales Konstrukt beschrieben. Auf diese Weise würde die Annahme gestützt, dass es sich um eine natürliche Eigenschaft und Verschiedenheit bzw. eine Identitätskategorie handle (251ff). Bönkost hebt entsprechend als kennzeichnend für die untersuchten Schulbücher hervor, dass sich diese zwar vielfach ausdrücklich mit dem Thema „Rasse“ in den USA auseinandersetzten, sie die Leser*innen jedoch nicht zu einem kritischen Umgang mit Rassismus bzw. „Rasse“ als soziale Konstruktion anregten. „Rasse“ sei in den Schulbüchern lediglich als „Merkmal der ‚Vielfalt’“ (335) bedeutungsvoll. Vor diesem Hintergrund schlägt die Autorin vor, die vorgefundene Thematisierung von „Rasse“ in den Schulbüchern für eine Kritik an Rassismus in Schulbüchern fruchtbar zu machen. Die Autorin versteht die vorgefundene Thematisierung von „Rasse“ in den Schulbüchern als Anknüpfungspunkt für eine Kritik an Rassismus in Schulbüchern: Rassismuskritik setze nämlich eine kritische und reflektierte Auseinandersetzung mit dem Thema „Rasse“ voraus (346ff). Aufbauend auf ihren Untersuchungsergebnissen benennt Bönkost Potentiale, formuliert Ideen und konkrete Vorschläge für eine rassismuskritische Gestaltung der Inhalte von Englisch-Lehrwerken. Im Wesentlichen gehöre dazu eine konsequente Politisierung des thematischen Diskursstranges „Rasse“ (363ff). Zudem sei nicht die Auswahl der Themen von primärer Bedeutung, sondern eine inhaltliche Auseinandersetzung, die weiß- und Schwarz-Sein konsequent als unterschiedliche Positionen der Macht konsequent kennzeichnet (361).

Die Arbeit zeichnet sich durch eine klare und nachvollziehbare Struktur sowie durch eine verständliche und leser_innenfreundliche Darlegung der Argumentation aus. Damit bleiben die Schlussfolgerungen trotz des anspruchsvollen diskursanalytischen Vorgehens und der angewandten Methodik gut nachvollziehbar. Der Autorin gelingt es – mit der Zusammenführung von Perspektiven aus der Amerikanistik, den Erziehungswissenschaften sowie der Schulbuch- und Rassismusforschung – eine äußerst aktuelle Problematik in ihrer ganzen Komplexität zu erfassen. Speziell die Fallbeispiele zeigen, wie wenig die Bedeutung der bereitgestellten Lerninhalte hinterfragt wird und auf welche Weise Kinder und Jugendliche durch vermeintlich objektives Wissen in Schulbüchern beeinflusst werden können. Bönkosts theoretischer und empirischer Beitrag ist nicht nur für ein breites wissenschaftliches Fachpublikum interessant, sondern bietet auch Anknüpfungspunkte für alltagspraktische Lehrkonzepte im englischsprachigen Schulunterricht.

Mit ihrer kritischen Studie leistet Bönkost einen Beitrag, mit dem sie das Fortbestehen gesellschaftlicher Ungleichverhältnisse aufgrund von Rassismus problematisiert. Im Besonderen verdeutlicht sie die Notwendigkeit einer kritischen Auseinandersetzung mit alltäglichem Rassismus auch in staatlichen Bildungseinrichtungen wie der Schule. Nur durch ein beständiges Hinterfragen von Lehr- und Lerninhalten, Unterrichtsmaterialien und alltäglichen Praktiken können die Ursachen von Rassismus identifiziert und ihnen entgegengewirkt werden. Das Buch ist für alle äußerst empfehlenswert, die ein Interesse an einer diskriminierungskritischen Unterrichtsgestaltung – vor allem dem Sprachunterricht – haben.

[1] Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (Hg.): Schulbuchstudie Migration und Integration. Berlin: 2015.
[2] Die Begriffe „Schwarz“ und „weiß“ verweisen nicht auf „Hautfarbe“ als biologisch gedachte Eigenschaft, sondern auf soziale Positionen, die Produkte von Rassismus sind. Als Reaktion auf rassistische Abwertung meint „Schwarz“ hier die positiv gedeutete Selbstbezeichnung einer Person oder Gruppe. Um diese Bedeutung hervorzuheben, wird das Adjektiv groß geschrieben. „Die Position weiß wird erst durch die Zuweisung von Vorteilen und Macht geschaffen. Erst die gemeinsame Erfahrung von Macht und Privilegien macht Weiße überhaupt zu einer Gruppe. Weiß zu sein bedeutet also, eine bevorzugte soziale Position und mehr Macht als rassistisch unterdrückte Menschen zu besitzen. Es ist nicht unabhängig von diesem Standpunkt und nicht unabhängig von Macht möglich. Weiß-Sein gibt es nicht ohne Rassismus und es besteht nicht losgelöst von weißen Privilegien und weißer Macht.“ (Bönkost 2013, 7, Herv. i. O.). Die Kursivsetzung des Ausdrucks dient der Markierung dieses sozialen Konstruktionscharakters von weiß-Sein.

Literatur
Bönkost, Jule (2013): „Rassismuskritik: Eine Frage der Perspektive.“ VIA Magazin 4-XIII-13. Duisburg: Verband für Interkulturelle Arbeit VIA e. V., 2-46
Josephine Apraku (Berlin)
Zur Zitierweise der Rezension:
Josephine Apraku: Rezension von: Bönkost, Jule: Zur Konstruktion des Rassediskurses im Englisch-Schulbuch, INPUTS. Kritische Beiträge zum postkolonialen und transkulturellen Diskurs. Schriftenreihe des Instituts für postkoloniale und transkulturelle Studien der Universität Bremen; Bd. 5. Trier: WVT Wissenschaftlicher Verlag Trier 2014. In: EWR 15 (2016), Nr. 2 (Veröffentlicht am 24.03.2016), URL: http://klinkhardt.de/ewr/987386821546.html