EWR 23 (2024), Nr. 4 (Oktober)

Alison M. Brady
Being a Teacher
From Technicist to Existential Accounts, in conversation with Jean-Paul Sartre
Singapore: Springer Nature 2022
(194 S.; ISBN 978-981-19-7322-6; 39,99 EUR)
Being a Teacher Von der Kompetenzorientierung deutscher Bildungspläne über internationale Vergleichsstudien wie ICILS oder PISA bis hin zu dem OECD-Lernkompass 2030 – all dies kann als Ausdruck eines technizistischen Blicks auf Schule gelten, dem Alison M. Brady in ihrem Buch „Being a Teacher“ eine alternative Perspektive gegenüberstellen will. Mit diesem Anliegen stellt sich Brady in die Tradition erziehungswissenschaftlicher Theorie, die sich gegen eine Reduktion des Lehrens und Lernens auf Messbares im Sinne der „learnification“ [1] ausspricht. Stattdessen schreibt Brady in theoretischem Einklang mit Ansätzen, die das Risiko pädagogischen Arbeitens willkommen heißen [2] und eine Bestandsaufnahme des Lehrens in der gelebten Erfahrung einer vorauseilenden Projektion in eine vermeintlich perfekte Zukunft vorziehen [3].

Die Grundlage für Bradys Untersuchungen bilden allgemeine Evaluationsstandards für Schulen in Irland, Jean-Paul Sartres existentialistische Philosophie sowie Bradys eigene Lehrerfahrungen. Dabei ist es dezidiert nicht Ziel des Buches, normative Aussagen über gute oder schlechte Lehre zu treffen. Stattdessen soll ein Resonanzraum geöffnet werden, in dem die Leser:innen ihre eigene Lehrpraxis reflektieren können – inklusive aller Unsicherheiten, die damit einhergehen. Die Methode, die Brady hierzu vorschlägt, wird im Buch entwickelt und angewendet. Daraus resultiert ein Wechsel aus philosophischem Fachinhalt und anekdotischer Anwendung auf praktische Unterrichtssituationen. Diese Verwobenheit führt einerseits unweigerlich zu inhaltlichen Wiederholungen. Andererseits sind es genau diese Wiederholungen, die eine schrittweise Einführung in eine komplexe Methode ermöglichen und auch die Lektüre einzelner Kapitel lohnend und informativ macht.

Brady formuliert ihr Anliegen systematisch in drei Teilen. Den Anfang bildet eine Kritik an der technizistischen Logik, die nach Brady den Bildungsdiskurs prägt. Über den Verweis auf Irlands Evaluationsstandards hinaus findet keine weitere fachliche Selbsteinordnung statt. Die Rede von der „measurement culture“ (3) bleibt so vage, dass Leser:innen assoziativ Anschluss finden können und in erster Linie wohl an das Gros empirischer Bildungsforschung denken. Gegen die leistungsorientierte Vermessung von Lehre führt Brady im zweiten Teil die existentialistische Phänomenologie Jean-Paul Sartres ins Feld. Mithilfe wiederholter Verweise auf Lehrpraktiken zeigt sie überzeugend, wie die Offenheit pädagogischer Praxis, die nicht zuletzt in der prinzipiellen Verletzlichkeit der Lehrperson begründet liegt und damit ontologisch fundiert ist, mit Sartre theoretisch eingeholt werden kann. Im dritten Teil stellt Brady mit dem autobiographischen Schreiben nach den Regeln der foucaultschen Parrhesia eine Möglichkeit dar, die eigene Lehrpraktik zu reflektieren. Leitend sind dabei keine Leistungskriterien, sondern die Möglichkeit, wertfrei die Unsicherheiten der Lehrtätigkeit und des Menschseins überhaupt anzuerkennen.

Im ersten Teil, „Evaluating Teachers“, zieht Brady als Paradebeispiel für eine technizistische Lesart schulische Selbst-Evaluationspraktiken heran. Diese erwecken nach Brady den Anschein, als ginge es um die einzelne Person mitsamt ihren individuellen Lehrerfahrungen – ein Fokus, den sie selbst mit ihrem existentialistischen Zugang verfolgt. In ihrer Analyse zeigt sie jedoch eindrücklich auf, dass die Autonomie, die durch das „Selbst“ in der „Selbst-Evaluation“ suggeriert wird, auf Basis einer vordefinierten Standardisierung gedacht wird, die institutionell reglementiert ist. Ziel solcher Standards ist nicht die Anerkennung von Ambiguität, sondern deren Überwindung: „these judgements are not only incapable of capturing ambiguity – they actively seek to remove it wherever possible“ (27, Herv. i.O.). Während diese Ausführungen einleuchtend sind, sieht sich der:die Leser:in dennoch mit dem Verdacht konfrontiert, dass Brady ein zu vereinfachtes Bild von Empirie zeichnen könnte. Zwar werden die entsprechenden Standards im Anhang des Buches aufgeführt, doch wie diese Standards entstanden sind und ob bei dieser Entstehung Ambiguitäten ggf. doch Berücksichtigung gefunden haben, wird nicht in Erwägung gezogen.

Die Informationsdichte im zweiten Teil des Buchs, „Sartre, Existentialism and Education“, ist hoch. Mit einer systematischen Darstellung zentraler sartrescher Konzepte wie Freiheit, Faktizität und Unaufrichtigkeit will Brady zeigen, wie anerkennend über die Unsicherheiten und Paradoxa der Lehreerfahrung nachgedacht werden kann. Angesprochen sind Lehrer:innen, „who wish to navigate away from the neatness of policy to the messiness of educational experiences” (52). Zentral ist vor allem die Unterscheidung des präreflexiven und des reflexiven Cogitos der Lehrperson. Unterschieden wird hierbei das handelnde und sich seiner selbst nicht aktiv bewusste Selbst in Situation von dem Selbst, das in der Reflexion erst entsteht. Die Naivität technizistischer Lesarten besteht laut Brady darin, diese Unterscheidung nicht zu treffen und anzunehmen, dass Lehrer:innenhandeln auf der Grundlage von institutionell vorgegebenen Standards geschieht. Aufrichtiger wäre es laut Brady, das präreflexive Lehrer:innenhandeln frei von den Schablonen eines Kriterienkatalogs zu reflektieren, der immer erst nachträglich an ein Handeln herangetragen wird.

Im dritten Teil, „Accounting for Oneself in Teaching“ – konkretisiert Brady ihre existentialistische Methode. Dazu zieht sie Foucaults Figur der Parrhesie heran, ein offenes Sprechen, in dem wahr gesprochen werden soll und in dem die:der Sprecher:in selbst sich zu dieser Erzählung positionieren soll. Brady geht offen mit der Irritation um, die durch die Zusammenführung von Sartre und Foucault entstehen kann und argumentiert schlüssig für deren Kompatibilität trotz grundlegender Differenzen. Der Mehrwert der Parrhesia für Bradys Anliegen wird dennoch nicht ganz klar, zumal als Exempel für diese Vorgehensweise wieder ein Rückbezug auf das autobiographische Schreiben Sartres erfolgt. Bradys eigene Anekdote, an der sie die technizistische sowie die existentialistische Lesart vorführen will, resoniert zweifelsohne mit den Leser:innen, lässt aber die philosophischen Begrifflichkeiten, die in den vorigen Kapiteln differenziert eingeführt wurden, vermissen.

Brady selbst nimmt einiges an Kritik an ihrem Buch vorweg: Wer eine Handreichung erwartet, wird enttäuscht werden. Zu erwarten ist keine Schritt-für-Schritt-Methode, sondern die anregende Vorstellung eines Weges, die eigene ambigue Lehrpraxis zu erzählen und individuell einzuordnen. Nach ihrem Fokus auf Lehrer:innen schlägt Brady ein Weiterdenken vonseiten der Schüler:innenerfahrung vor. Denkbar ist aber auch ein noch tieferer und systematischer Einstieg in die Lehrerfahrung. Dieser Wunsch mag aber auch Symptom einer Sehnsucht nach Standardisierung sein, die Ausdruck genau der technizistischen Lesart ist, die Brady radikal in Frage stellt.

Insgesamt liegt mit Bradys „Being a Teacher“ ein sehr informationsreiches und dichtes Buch vor, das die Leser:innen herausfordert, anders zu denken und sich für Kritik zu öffnen, ohne dabei zugleich über Lösungen nachzudenken. Gewünscht ist ein aufrichtiges Ausharren in und eine Anerkennung von der Ambiguität, die das ontologische Fundament eines jeden Lehrer:innenhandelns ist. Wer daran interessiert ist, über die gelebte Erfahrung der Lehrpraxis jenseits vorgeschriebener Kriterienkataloge nachzudenken, die und der ist gut damit beraten, dieses anregende Buch zur Hand zu nehmen.

[1] Biesta, G. (2012). The Future of Teacher Education: Evidence, Competence or Wisdom? RoSE – Research on Steiner Education, 3(1), 8–21, hier: S. 10. https://doi.org/10.1007/978-981-10-4075-7_29.
[2] Hodgson, N., Vlieghe, J., & Zamojski, P. (2018). Manifesto for a post-critical pedagogy. Punctum Books.
[3] Biesta, G. (2015). Beautiful risk of education. Routledge.
Patrizia Breil (Bochum)
Zur Zitierweise der Rezension:
Patrizia Breil: Rezension von: Brady, Alison M.: Being a Teacher, From Technicist to Existential Accounts, in conversation with Jean-Paul Sartre. Singapore: Springer Nature 2022. In: EWR 23 (2024), Nr. 4 (Veröffentlicht am 12.11.2024), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978981197322.html