Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) widmet sich verschiedenen Themen, unter anderem der wirtschaftlichen Förderung ihrer Mitgliedsländer. Der Bildung wird in diesem Zusammenhang ein besonderer Stellenwert zugeschrieben. Insofern ist es nur konsequent, eine Studie zum Kompetenzerwerb junger Erwachsener in den Berufsbildungssystemen der Mitgliedsländer anzustrengen. Die OECD konnte dafür ein international zusammengestelltes Autorenteam gewinnen, das seine Studie im vergangenen Jahr vorgelegt hat. Als von zentraler Bedeutung für einen gelingenden Übergang von der (allgemeinbildenden) Schule in das Erwerbsleben wird dort eine berufliche Qualifizierung herausgestellt. Allerdings sind Ausbildung und Übergang wiederum stark an die wirtschaftliche Situation eines Landes gekoppelt.
Der inhaltliche Ausgangspunkt für die folgenden Kapitel ist die Feststellung, dass die Berufsbildung in den letzten Jahren in einer Reihe von Ländern vernachlässigt wurde und daher die Anstrengungen für Berufsbildung erhöht werden sollten. Der Fokus für die folgenden Betrachtungen wird dabei hauptsächlich auf die Möglichkeiten des Kompetenzerwerbs in der beruflichen Erstausbildung gelegt.
Im ersten Teil, der mit den Herausforderungen der Berufsbildung überschrieben ist, werden Begründung der beruflichen Erstausbildung und definitorische Grundlagen für den weiteren Bericht dargestellt. In diesem Kapitel wird außerdem das Vorgehen der vorliegenden OECD-Studie geschildert. Die Autoren bewältigen die Sammlung und Systematisierung der Daten mithilfe eines Fragebogens an die jeweiligen nationalen Behörden und durch die Berücksichtigung bereits realisierter Untersuchungen. Ein Literaturverzeichnis schließt dieses und auch alle folgenden Kapitel ab.
Im zweiten Teil werden verschiedene Möglichkeiten diskutiert, wie man dem Arbeitsmarkt hinsichtlich der vom ihm erwarteten beruflichen Qualifikationen und Kompetenzen gerecht werden kann. Zentral ist dabei die Darstellung der Bedeutung von Schülerpräferenzen, des Arbeitgeberbedarfs und der Angebotskapazitäten für die Planung der Berufsbildungsangebote. Die Verfasser erläutern die Schwierigkeiten beim Ausgleich der verschiedenen Interessen und stellen verschiedene Instrumente vor (z.B. Bildungs- und Berufsberatung, Anreize). In den Ausführungen wird darüber hinaus die Rolle von Grundqualifikationen und Kompetenzen in der Berufsbildung berücksichtigt.
Der dritte Berichtsteil widmet sich der der Bildungs- und Berufsberatung, in der die Autoren einen Schlüssel für die Passung zwischen Teilnehmern und Arbeitsmarktanforderungen sehen. Neben den allgemeinen Merkmalen und den Herausforderungen der Bildungs- und Berufsberatung gehen die Autoren vor allem auf die Herausforderungen ein, die sich beispielsweise aus unzureichender Ausbildung der Berater und mangelnder Objektivität bei der Beratung ergeben. Sie schlagen verschiedene politische Maßnahmen vor (z.B. Ausbildung von Berufsberatern, Evaluation) und ergänzen Best Practice-Beispiele aus verschiedenen Ländern.
Im vierten Teil werden die Lehrkräfte und betrieblichen Ausbilder in den Blick genommen. Neben den Herausforderungen, die das immer älter werdende Personal einerseits und kontinuierlich zu aktualisierende Fachkenntnisse von Berufsschullehrern und Ausbildern andererseits mit sich bringen, zeigen die Autoren Lösungsmöglichkeiten auf. Diese werden vor allem in der pädagogischen Ausbildung des Personals (vor allem der Ausbilder) und in der Lernortkooperation gesehen.
Im fünften Teil wird beschrieben, wie das Lernen am Arbeitsplatz realisiert wird. Dabei tragen die Autoren die verschiedenen Optionen – auch im Ländervergleich – zusammen und stellen die Vorteile der berufspraktischen Ausbildung hervor. Anschließend gehen die Verfasser auf die verschiedenen Qualitätsstandards in der betrieblichen Ausbildung ein. Ein relativ großer Anteil der Ausführungen entfällt auf die finanziellen und nichtfinanziellen Anreize für Arbeitgeber und Auszubildende.
Im sechsten Teil werden Instrumente zu Unterstützung des Systems betrachtet. Dabei wird auf Maßnahmen zur Einbindung verschiedener Akteure in die Berufsbildung und insbesondere auf den Qualifikationsrahmen zurückgegriffen. Gleichzeitig machen die Autoren deutlich, wie wichtig die Entwicklung einheitlicher Beurteilungsmethoden für praktische Kompetenzen ist, z. B. standardisierte landesweite Prüfungen. Einen gesonderten Abschnitt räumen die Autoren den empirischen Befunden zur Berufsbildung und zu Arbeitsmarktergebnissen ein, in denen sie u. a. den Schlüssel für Erfolgsaussagen und (international) vergleichende Analysen sehen.
Die Zusammenfassung und die wichtigsten Ergebnisse und Erkenntnisse für die Bildungspolitik erfolgen nicht, wie in anderen Publikationen, am Ende, sondern sie sind dieser Studie vorangestellt. Der eilige Leser erhält in der Zusammenfassung einen sehr guten Überblick über die zentralen Botschaften der Autoren, z.B.,
• dass sich öffentliche Investitionen in Berufsbildung wirtschaftlich rentieren können;
• dass neben den am Arbeitsplatz erworbenen Kompetenzen weitere allgemeine Kompetenzen für die berufliche Entwicklung wichtig sind;
• dass berufsbildende Maßnahmen auf lebenslanges Lernen vorbereiten sollten;
• dass die Qualifikationsrahmen (ERQ, DQR) unter den Aspekten von Transparenz und Mobilität in der beruflichen Bildung förderlich sind.
Den Abschluss des Berichts bilden Anhang A, in dem die nationalen Berufsbildungszentren in den OECD-Ländern zusammengefasst werden und Anhang B, der die Kurzbeurteilungen (Stärken und Herausforderungen) sowie politische Empfehlungen für 15 Länder enthält. Ein 10-seitiges Glossar schließt die Veröffentlichung.
Die Autoren bewältigen mit dieser Studie die große Herausforderung, verschiedenste Berufsbildungssysteme in einer einheitlichen und vereinheitlichenden Sprache darzustellen. Entsprechend dem Ziel der Autoren folgt der Bericht der Logik, dass die Länder entlang verschiedener Fragestellungen verglichen werden. Die Analysen erfolgen dabei hauptsächlich in aggregierter Weise. Einzelne Länder werden im Text nur exemplarisch in die Argumentationen eingebunden. Detaillierte Ländervergleiche liefern vor allem die Abbildungen. Sicherlich wäre die schematische Darstellung der Berufsbildungssysteme am Anfang des Berichts gewinnbringend, diese ist aber nicht Ziel der Autoren. Stattdessen widmen sie sich insbesondere im Anhang B den Kurzbeurteilungen ausgewählter Länder. An dieser Stelle wird aber gleichermaßen deutlich, dass die Stärken und die Herausforderungen der Länder nur mit fundierten Kenntnissen über das Berufsbildungssystem in ihrer Tragweite durchdrungen werden können.
Aufgrund des methodischen Vorgehens erlangt der Leser aktuelle und realistische Einblicke in die Berufsbildungssysteme der OECD-Länder. Beim Lesen wird allerdings gleichermaßen deutlich, dass im Rahmen dieses Berichts in vielen Bereichen keine Primärerhebung durchgeführt wird, sondern bereits vorliegende Länderberichte ausgewertet werden. Es muss in Anbetracht der teilweise schon etwas weiter zurückliegenden Publikationsjahre deshalb an dieser Stelle einschränkend auf die Aktualität hingewiesen werden, die aber keinesfalls die Brisanz in der Sache schmälern.
Die numerische Gliederung des Berichts bleibt auf der ersten Ebene. Weitere Gliederungsebenen werden nicht numerisch, sondern grafisch gestaltet. Gelegentlich erschwert das die Orientierung in einem Kapitel, weil die typografischen Unterschiede die einzigen Anhaltspunkte liefern. Gut sind die Verweise innerhalb des Berichts, beispielsweise in der Diskussion um das Ausbildungsplatzangebot im fünften Kapitel (113) auf die Arbeitgeberinteressen im zweiten Kapitel (54). In den Kästen werden Best Practice-Beispiele einzelner Länder, Definitionen und Zusammenfassungen sehr gut grafisch hervorgehoben.
Zusammengefasst ist festzuhalten, dass dieser Bericht eine aus bildungspolitischer Perspektive aufbereitete Studie zur Berufsbildung in den Mitgliedsländern darstellt. Den innovativen Charakter trägt vor allem der Aspekt, dass dieser Bericht relativ aktuelle und ausgewählte detaillierte Befunde zum Berufsbildungssystem bereit hält. Doch auch für weiterführende aktuelle Befunde liefert „Lernen für die Arbeitswelt“ Hinweise; so wird an mehreren Stellen beispielsweise die Studie „Jobs for Youth“ betont. Insgesamt werden in diesem Bericht verschiedene Möglichkeiten des Kompetenzerwerbs für Jugendliche in der Erstausbildung im internationalen Vergleich aufgezeigt. Deshalb ergänzt die Studie die Basisliteratur (auch für Hochschulveranstaltungen) ganz hervorragend. Für die systematische Darstellung der Berufsbildungssysteme sei an dieser Stelle auf einschlägige Werke zu den Bildungssystemen von anderen Autoren und weiteren Institutionen (z. B. CEDEFOP) hingewiesen.
EWR 10 (2011), Nr. 2 (März/April)
Lernen für die Arbeitswelt
OECD-Studien zur Berufsbildung
Originaltitel: OECD Reviews of Vocational Education and Training: Learning for Jobs
Originaltitel: OECD Reviews of Vocational Education and Training: Learning for Jobs
Paris: OECD Verlag 2010
(218 S.; ISBN 978-92-64-08783-5; 56,78 EUR)
Doreen Holtsch (Göttingen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Doreen Holtsch: Rezension von: OECD, (Hg.): Lernen für die Arbeitswelt, OECD-Studien zur Berufsbildung Originaltitel: OECD Reviews of Vocational Education and Training: Learning for Jobs. Paris: OECD Verlag 2010. In: EWR 10 (2011), Nr. 2 (Veröffentlicht am 27.04.2011), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978926408783.html
Doreen Holtsch: Rezension von: OECD, (Hg.): Lernen für die Arbeitswelt, OECD-Studien zur Berufsbildung Originaltitel: OECD Reviews of Vocational Education and Training: Learning for Jobs. Paris: OECD Verlag 2010. In: EWR 10 (2011), Nr. 2 (Veröffentlicht am 27.04.2011), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978926408783.html