
Leitend bei der Umsetzung seines Programmes sind für den Autor die beiden Konzepte „Objektivierung“ und „Feld“, die er dem Theoriefundus Bourdieus entlehnt und weiterentwickelt. Objektivierung meint dabei jene Prozesse, die sozialwissenschaftliche Gegenstände erst zu solchen werden lassen. Die damit einhergehende Beobachtung der Beobachtung oder – wie ein entsprechendes Kapitel überschrieben ist – die Objektivierung der Objektivierung (123ff.) nimmt in dem Buch viel Raum ein und führt in vielfältige reflexive Wendungen. Das Ergebnis jedoch lädt – vornehm formuliert – zum Nachdenken ein: „Objektivierung meint jenen Vorgang, in dessen Vollzug eine Subjekt-Objekt-Relation samt ihrer Relata etabliert wird, eine Relation, die im Modus erstheitlicher Intellektion als Sein, im Modus zweiheitlicher Intellektion als Objekt oder absolute Differenz und im Modus degenerierender drittheitlicher Intellektion als Paradoxie der Einheit der Differenz konzipiert wird“ (131).
Der zweite Begriff des Feldes dient primär dem Abstecken dessen, was anderenorts als diskursiver Raum – in dem Fall der Sozialpädagogik – bezeichnet wird. Dabei ist klar, dass auch dieses Feld nicht als solches besteht, sondern Ergebnis von entsprechenden Objektivierungen ist. Dies hat zur Folge, dass der Autor immer wieder mit der Frage beschäftigt ist, wie sich denn Feld und Objektivierung generell und im besonderen Fall der Sozialpädagogik zueinander verhalten: „Eine feldtheoretische Perspektivierung des »sozialpädagogischen Blicks« gestattet [….], den sozialpädagogischen Blick als Blickwinkel zu lesen, weil sie die kovariierenden Objektivierungsverhältnisse ans Licht bringt, die der vergegenständlichten Rede vom »Sozialpädagogischen« immer schon inhärent sind“ (145).
Was sich in diesem und anderen Zitaten zunächst noch sehr vereinheitlichend ausnimmt, mutiert wenige Seiten später zu einer „durch multiple Relationierungen geleitete, dezentrierte und re-kontingenzierende Betrachtungsweise“ (149). Das Ergebnis des exemplarischen Durchgangs durch die Theorielandschaft ist ebenso erwartbar wie ernüchternd: „Die in den sozialpädagogischen Objektivierungsstrategien und programmatischen Selbstbegründungsversuchen durchschimmernde doppelt differentielle Positionierung gegenüber dem »wissenschaftlichen Pol« auf der einen und der »professionellen Praxis« auf der anderen Seite verweist sozioepistemologisch auf eine Traditionalisierung und Habitualisierung identifizierender Intellektion, die die sozialpädagogische Wirklichkeitserfahrung als sozialpädagogische Wirklichkeitserfahrung zugleich ermöglicht und auf Ontologisierung begrenzt“ (217). M.a.W. keiner der vorliegenden Entwürfe zu einer Theorie der Sozialpädagogik kann den zuvor formulierten hohen Reflexionsanforderungen gerecht werden.
Damit ist die Hürde richtig hoch gehängt – was fast zwangsläufig zu Enttäuschungen führen muss. So beansprucht zwar das dritte Kapitel (221ff.), die zuvor entwickelte und am Fall der sozialpädagogischen Theoriebildung erprobte reflexive Methodologie zu einer den postontologischen Anforderungen gerecht werdenden Forschungsstrategie „auszubuchstabieren“; dies geschieht jedoch auf einem so abstrakten Niveau und unter Verwendung eines so weiten Forschungsbegriffes, dass entgegen den sonst üblichen Assoziationen an das Wort „Forschungsstrategie“ dieses Kapitel wenig zusätzliche Einsichten gegenüber den vorangehenden Überlegungen enthält und kaum Anknüpfungspunkte zur Weiterentwicklung empirischer Forschungsstrategien in der Sozialpädagogik bietet. Die damit angedeutete Enttäuschung wird im vierten Kapitel (257ff.) noch einmal verstärkt. Dort greift der Autor auf eine empirische Evaluation eines „Anti-Aggressivitäts-Trainings“ zurück und unterzieht dieses der methodologischen Reflexion. Spätestens an dieser Stelle entsteht echte Ratlosigkeit, denn die Kluft zwischen den postontologischen Reflexionen, die das Buch prägen, und der zumindest ansatzweise aufscheinenden Empirie ist kaum zu schließen. Vermutlich ahnt Sascha Neumann dies, wenn er vor dem empirischen Beispiel warnend darauf hinweist, dass „das Beispiel in der Tat nur ein Beispiel (ist) und (dass) nicht der Eindruck entstehen (sollte), dass damit das analytische Potential einer Feldanalyse in vollem Umfang demonstriert werden kann“ (258). Dem Beispiel käme deshalb nur ein „propädeutischer Stellenwert“ zu (ebd.). Analoges muss wohl auch für den Epilog (289ff.) angenommen werden, in dem der Autor Perspektiven einer „sozialpädagogischen Bildungsforschung“ skizziert. „Es geht also um nichts weniger als um einen Begriff für die Sozialität der Bildung, um eine Sozialtheorie der Bildung also, die bis heute sowohl in der Bildungssoziologie, aber auch in der erziehungswissenschaftlichen Bildungstheorie ein Desiderat geblieben ist […]. Sozialpädagogische Bildungsforschung heftet sich dabei an die Fersen jener operativen Vollzüge, in denen diese Ordnung immer wieder aufs Neue entsteht“ (298).
So steht man nach Abschluss der Lektüre ein wenig ratlos da. Man ist beeindruckt von dem Reflexionsniveau und der Kraft der Argumentation. Als jemand, der an sozialpädagogischer Theoriebildung interessiert ist, fragt man sich jedoch, was der Aufwand bringt. Das Argument als solches ist nachvollziehbar, es fehlen aber die Anschlüsse. Und schließlich enthält das Buch eine Fülle von Passagen, die man mehrmals lesen muss, um danach immer noch nicht sicher sein zu dürfen, sie wirklich verstanden zu haben. Weil auch Kritik belegt werden muss, hier ein fast beliebig herausgegriffenes Zitat: „Sichert sich die Sozialpädagogik die Differentialität ihrer disziplinären Positionierung sowohl nach »lnnen«, wie nach »Außen« über die »Identität« oder die »Autonomie« des Objekts (was intellektionslogisch betrachtet dasselbe bedeutet), so bleibt es im Zuge dessen, wie gesehen, nicht bei seiner bloßen Existenzialisierung. Das Sein des Objekts wird nicht in seinem Vorhandensein oder seiner äußerlichen Erscheinung – was im Hinblick auf die Universalisierung des Pädagogischen bzw. Sozialpädagogischen viel zu riskant wäre –, sondern in einem unveränderlichen substantiellen Kern stabilisiert. Der Weg zum Objekt ist als Weg in das Innere des Objekts installiert. Wird das Pädagogische bzw. das Sozialpädagogische auf diese Weise als etwas durch sich selbst Bestimmtes intellegiert, dessen äußere Erscheinung seine Substanz genauso verbirgt wie sie von ihr beeinflusst wird, so wird damit eine Exklusivontologie durchgesetzt, die einen spezialisierten Zugang zu seinem »Innern« zugleich erfordert und legitimiert. Sozialpädagogische Wirklichkeitserfahrung ist entsprechend als Wirklichkeitserfahrung des Sozialpädagogischen nur möglich, wenn sie sich im Medium der strukturellen Kongruenz von Objekt und Objektivierung ganz in ihren Gegenstand versenkt. Dieses Eintauchen der sozialpädagogischen Beobachtung im »Wesen« des Beobachteten kommt einem Untertauchen des Beobachters gleich“ (218).
Aufs Ganze gesehen deutet sich ein Reflexionsgewinn an, was für sich genommen schon mal nicht wenig ist, dessen Bedeutung aber noch nicht so recht abgeschätzt werden kann – auch weil das Buch selbst ihn noch nicht ausschöpft.
Die digitale Ausgabe dieses Buches ist in Form einer text- und seitenidentischen pdf-Datei im Verlag Humanities-Online zum Preis von 15.- € erhältlich (www.humanities-online.de).