EWR 7 (2008), Nr. 2 (März/April)

Ralf Koerrenz / Elisabeth Meilhammer / Käthe Schneider (Hrsg.)
Wegweisende Werke zur Erwachsenenbildung
Jena: IKS Garamond 2007
(613 S.; ISBN 978-3-938203-51-4; 48,00 EUR)
Wegweisende Werke zur Erwachsenenbildung Das lebensbegleitende Lernen und seine gesellschaftliche Ausgestaltung hat nicht zuletzt durch den Innovationskreis Weiterbildung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung in der öffentlichen Diskussion der vergangenen Monate eine deutliche Aufwertung erfahren. Da trifft es sich gut, dass drei an der Universität Jena tätige Erziehungswissenschaftler einen Sammelband herausgegeben haben, um die historische Perspektive der Debatte hervorzuheben. Die Publikation zu Ehren der Jenaer Professorin Martha Friedental-Haase vereinigt – eingerahmt von Analysen zur Innenansicht und Außenperspektive sowie einer Einleitung der drei Herausgeber – insgesamt 41 Beiträge namhafter Autorinnen und Autoren als Kommentare zu Werken der Erwachsenenbildung.

Der Titel des Buches verleitet allerdings zu einem Missverständnis. Während der Leser auf den ersten Blick vermuten wird, ein Kompendium von Werken der Erwachsenenbildung im Original oder in Auszügen vor sich zu haben, handelt es sich bei der vorliegenden Veröffentlichung vielmehr um Kommentare oder Analysen der als wegweisend bezeichneten Werke. Doch kann und soll diese Kritik an der Auswahl des Titels die inhaltliche Bedeutung des Sammelbandes in keiner Weise schmälern.

In der Einleitung betreiben die Herausgeber zunächst die notwendige Begriffsklärung und benennen die Kriterien für die Auswahl der Texte. Als wegweisend werden Werke bezeichnet, die in Bezug auf die Erwachsenenbildung orientierend sind oder waren, indem sie die Funktion der Standortfindung oder der Zielbestimmung erfüllt haben. Der zugrunde liegende Begriff der Erwachsenenbildung ist weit gefasst, umfasst institutionalisierte und nicht-institutionalisierte Bereiche sowie die strukturelle Verbindung der Erwachsenenbildung zu Politik, Beruf, Kultur, Kunst und Religion. Die Entscheidung für ein derart breites Begriffsverständnis ist bewusst getroffen, denn damit einher geht die inhaltliche Prämisse der Herausgeber, das Leitmotiv von Bildung im Sinne der Aufklärung wieder in Erinnerung zu bringen. Bildung „unter der Prämisse eines vernunftgeleiteten Gebrauch von Freiheit“ als Chance und Bedingung der Subjektwerdung des Menschen wird vom qualifikations- und zweckorientierten Lernen deutlich abgesetzt. Verbunden ist dies mit einem Verständnis von Erwachsenenbildung welches den Versuch unternimmt, die Disziplin aus der Reduktion „auf technizistische Methodik und Vermessung empirischen Datenmaterials unter den Maßgaben wirtschaftlicher Verwertbarkeit“ zu befreien. Erwachsenenbildung wird somit zu einem Prozess „der Erweiterung oder Erhaltung von Wissen und Kompetenzen, der Verbesserung der Lebensführung und der Entwicklung der Persönlichkeit während des gesamten Lebenslaufs des erwachsenen Menschen“.

Vor diesem Hintergrund behandeln die Werkanalysen Texte aus sieben Jahrhunderten. Somit stammen sie aus völlig diversen Epochen und Entstehungskontexten, richten sich an völlig verschiedene Adressaten und beinhalten ganz unterschiedliche Textgattungen. So wird der Spannungsbogen eröffnet mit einem Text aus dem 12. Jahrhundert, dem „Typikon für Chilandar“, einer mittelalterlichen Mönchsregel für das Klosterleben aus Serbien. Der Bogen schließt sich dann zum Ende mit dem „Memorandum über Lebenslanges Lernen“ der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2000. Zwischen diesen beiden Texten finden sich Kommentare herausragender Werke von Praktikern der Erwachsenenbildung, nicht nur pädagogischen Schriftstellern, Philosophen, Politikern und politischen Gremien bzw. Kommissionen, die mit ihren Ausführungen in der ein oder anderen Weise in Theorie, Praxis oder Politik der Erwachsenenbildung der Standortfindung oder Zielbestimmung gedient haben. So etwa J. A. Comenius, J. A. Condorcet, N. Grundtvig, W. Liebknecht, W. Rein, W. Picht, W. Flitner, A. Reichwein, M. Buber, F. Borinski, Th. W. Adorno, H. Arendt und K. Jaspers – um nur einige zu nennen. Der Internationalität der Erwachsenenbildung wird durch Texte der UNESCO, aus dem angloamerikanischen Raum, Afrika, Südamerika und schließlich sogar Korea Rechnung getragen.

Sicher kann der Leser bei tieferer Kenntnis der Materie an die Auswahl des einen oder anderen Textes zu Recht Fragezeichen setzen. Etwa ob für die katholische Erwachsenenbildung Anton Heinens als alleiniger zentraler Repräsentant gelten kann, und weiterführend, ob ein Text dieses Andragogen aus der Endphase des Wilhelminischen Kaiserreichs zum Frauenbild im Katholizismus das Kriterium des wegweisenden Werkes einzulösen vermag. Fraglich bleibt dann auch die Analyse des Kommentators Franz Pöggeler. So empfiehlt dieser zum Abschluss seiner Ausführungen, sich vor den gesellschaftlichen Herausforderungen der Gegenwart als Lösung im Rückgriff auf Heinen auf „dessen Theorie der Familie als des unverzichtbaren Humusbodens der Gesellschaft zu besinnen“. Doch soll auch eine solche Anmerkung die Bedeutung des Kompendiums nicht einschränken, sondern vielmehr zur Lektüre und zur inhaltlichen Auseinandersetzung anregen.
Bei der gezielten Suche in dem beachtenswerten Werk hilft ein umfangreiches Personen- und Sachregister.

Sowohl für Einsteiger als auch für Experten des Themenfeldes ist dieses Kompendium in seinem Gang durch die Jahrhunderte ein Gewinn. Dabei kann die Auseinandersetzung mit den zugrunde liegenden Werken und den Kommentierungen der Autorinnen und Autoren nicht nur dem persönlichen Wissens- und Kenntniszuwachs des Lesers dienen, sondern darüber hinaus auch die aktuelle Diskussion über die einzuschlagenden Wege der Erwachsenenbildung anregen und bereichern.
Martin Dust (SaarbrĂĽcken)
Zur Zitierweise der Rezension:
Martin Dust: Rezension von: Koerrenz, Ralf / Meilhammer, Elisabeth / Schneider, Käthe (Hg.): Wegweisende Werke zur Erwachsenenbildung. Jena: IKS Garamond 2007. In: EWR 7 (2008), Nr. 2 (Veröffentlicht am 15.04.2008), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978393820351.html