Eines der zentralen Anliegen der Aufklärung war die Verbesserung des Bildungs- und Schulwesens. Die Aufklärungspädagogen sahen in Erziehung und Bildung das wichtigste Mittel zur Schaffung eines neuen vollkommeneren Menschen. Inhaltliche Schwerpunkte des aufgeklärten Bildungsprogramms sollten die „Realien“ und die neuen Sprachen sein, um so für das Gemeinwesen und die Lebenspraxis des Einzelnen nützliches Wissen zu vermitteln und mit praktischen Kenntnissen ausgestattete Menschen zu erziehen. Mit ihren Ideen erlangten die Aufklärungspädagogen nicht nur nachhaltige Bedeutung für das pädagogische Denken der Zeit, sondern beeinflussten auch die traditionellen institutionellen Träger gelehrter Bildung, die durch Humanismus und Reformation geprägten Gelehrtenschulen.
Trotz der ungeheuren öffentlichen Aufmerksamkeit, die die Protagonisten der pädagogischen Aufklärung auf sich zogen, erwiesen sich die von ihnen neu gegründeten Philanthropine als nicht überlebensfähig. Die einzige Ausnahme war die von Christian Gotthilf Salzmann gegründete Erziehungsanstalt in Schnepfenthal. Entsprechend wird die Salzmannsche Schule sowohl wegen ihrer über zweihundertjährigen Geschichte als auch wegen der literarischen Produktivität des Schulgründers noch heute sehr intensiv thematisiert. Dies wird auch an der vorliegenden Edition deutlich. Ihr Herausgeber, Leonhard Friedrich, will vor allem Lehramtsstudierende ansprechen, die anhand der Texte für ihre „pädagogische Bildung relevante Fähigkeiten schulen“ sollen (10).
Der Schwerpunkt der Edition liegt auf den pädagogischen und konzeptionellen Schriften Salzmanns zur Gründung und Entwicklung der Schnepfenthaler Anstalt. Dazu greift Friedrich auf bereits vorliegende Editionen zurück und lässt darüber hinaus einige Texte – zumeist Briefe – aus dem Salzmann-Ausfeldschen Familienarchiv einfließen. Die Edition ist im Hauptteil und im Anhang chronologisch aufgebaut und jeweils in vier Kapitel gegliedert.
Das erste Kapitel des Hauptteils (21-161) besteht aus vier Beiträgen Salzmanns über die Einrichtung und die pädagogische Ausrichtung öffentlicher Erziehungsanstalten. Darin stellt er allgemeine Überlegungen zur Anstaltserziehung, zur Zusammenarbeit von Erziehern und zur pädagogischen Qualifikation von Eltern an, unternimmt technisch-organisatorische Planungen, kündigt seine Schulgründung an und stellt diese detailliert vor. Im zweiten Kapitel (163-322) werden drei der wichtigsten Texte Salzmanns wiedergegeben, in denen er sich über seine Erziehungsgrundsätze äußert. Hervorzuheben ist hier der Abdruck der ersten Buchausgabe des Erziehungsromans „Konrad Kiefer“ von 1796. Dieser gehört zu den bedeutendsten pädagogischen Schriften Salzmanns und wurde bis ins 20. Jahrhundert mehrfach aufgelegt und in acht europäische Sprachen übersetzt. Zentraler Text des dritten Kapitels (323-406) ist Salzmanns „Ameisenbüchlein“, in dem er Fragen der Erziehung und Bildung der Erzieher diskutiert. Der vierte Hauptteil der Edition (407-435) wendet sich schließlich dem Werk und der Persönlichkeit Salzmanns in Form von Selbstzeugnissen zu. Aufgenommen wurden hier eine fragmentarische Autobiographie über die Kindheit und Jugendzeit Salzmanns, Briefe, ein autobiographischer Rückblick auf sein pädagogisches Gesamtwerk sowie eine Abhandlung zum Thema „Pflanzschule“. Die Dokumente, die in der Zeit zwischen 1786 und 1809 entstanden, geben einen lebendigen Einblick in die Persönlichkeit Salzmanns und ein Bild davon, wie er sich selbst als Vater, Seelsorger und Erzieher den Zeitgenossen und der Nachwelt zu präsentieren wünschte.
Eine ausgezeichnete Ergänzung der Quellentexte wird im Anhang geliefert, der der Gliederung des Hauptteils folgt. Hier werden im ersten Teil (437-493) ein Überblick über die Philanthropine in Deutschland, Berichte von Besuchern der Schnepfenthaler Erziehungsanstalt, Einblicke in die Festkultur sowie Beschreibungen der großen jährlichen Schülerreisen, die fester Bestandteil des Erziehungsplans waren, gegeben. Der zweite Teil des Anhanges (494-497) geht auf die Bedeutung und die Funktion der Embleme, Meritentafeln und Fleißorden sowie auf Salzmanns Nachdenken über die damit verbundene Stimulationspädagogik ein. Im dritten Teil (498 f.) wird auf Salzmanns Ankündigung des „Ameisenbüchleins“ verwiesen und im letzten Teil (500-582) die 1812 von Johann Wilhelm Ausfeld verfasste erste Biographie über Salzmann wiedergegeben.
Ein Verzeichnis von Salzmanns Schriften sowie von Werkausgaben, biographischen Darstellungen, Sekundärliteratur und Bibliographien schließt den Band ab.
Mit dem Roman „Konrad Kiefer“ und dem „Ameisenbüchlein“ sind in der Edition zwei der wichtigsten Schriften Salzmanns und darüber hinaus bildungsgeschichtlich bedeutende Publikationen, die bisher wenig im Zentrum der Salzmann-Forschung standen, aufgenommen worden. Die Texte des Anhangs wurden inhaltlich und strukturell sehr gut auf den Hauptteil abgestimmt und bieten Ergänzungen, Interpretationen und zum Teil Korrektive zu den Primärschriften. Insbesondere im Anhang schöpfte Friedrich aus den Beständen des Salzmann-Ausfeldschen Familienarchivs und stellt damit dieses Archiv als wichtige Anlaufstelle für zukünftige Salzmann-Forschungen vor.
Aus editorischer Sicht zeigt der Band allerdings ein zwiespältiges Bild. Den Standards historischer Quelleneditionen entsprechend, versieht Friedrich jedes Hauptkapitel mit einer Einleitung und stellt den Quellentexten einführende Betrachtungen voran. In Fußnoten werden weiterführende Hinweise zu bildungsgeschichtlichen Rahmenbedingungen, Literatur und Personen gegeben. Die Quellennachweise freilich muss sich der Leser zumeist aus den einführenden Texten erschließen. Zum „Ameisenbüchlein“ fehlt die bibliographische Anmerkung ganz. Bei den Dokumenten aus dem Salzmann-Ausfeldschen Familienarchiv ist nur die Signatur, nicht aber der Bestand und die Folionummer angegeben. Anders verfährt der Herausgeber mit den Briefen des Hauptteils und den Dokumenten des Anhangs. Hier finden sich die bibliographischen oder Archivbestandsangaben am Ende des jeweiligen Textes. Ferner wurde auf ein Personen-, Orts- und Sachregister verzichtet, was den schnellen Zugriff auf die edierten Texte erheblich erschwert.
Dies schmälert etwas den ansonsten sehr guten Gesamteindruck der Edition. Sie vereint wesentliche Texte zur Pädagogik und zur Person Salzmanns sowie zur Gründung der Schnepfenthaler Anstalt, auf die bisher zum Teil nur schwer zugegriffen werden konnte. Zusammen mit den im Anhang aufgenommenen weiterführenden Quellen kommt ihr der Charakter einer Studienausgabe zu.
EWR 7 (2008), Nr. 6 (November/Dezember)
Pädagogische Welt – Salzmanns Schnepfenthal
Ausgewählte Texte
Jena: Edition Paideia 2007
(589 S.; ISBN 978-3-938203-49-1; 29,80 EUR)
Jonas Flöter (Leipzig)
Zur Zitierweise der Rezension:
Jonas Flöter: Rezension von: Friedrich, Leonhard (Hg.): Pädagogische Welt - Salzmanns Schnepfenthal, Ausgewählte Texte. Jena: Edition Paideia 2007. In: EWR 7 (2008), Nr. 6 (Veröffentlicht am 05.12.2008), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978393820349.html
Jonas Flöter: Rezension von: Friedrich, Leonhard (Hg.): Pädagogische Welt - Salzmanns Schnepfenthal, Ausgewählte Texte. Jena: Edition Paideia 2007. In: EWR 7 (2008), Nr. 6 (Veröffentlicht am 05.12.2008), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978393820349.html