Das für den allgemeinbildenden Schulbereich entwickelte und dort bereits weitreichend implementierte Konzept der nationalen Bildungsstandards hat auch für das Feld der Berufsbildung erhebliche Relevanz. Fraglich ist jedoch, inwiefern das Konzept in das berufliche Bildungswesen transferiert werden kann und soll. Vor diesem Hintergrund prüft Peter F.E. Sloane die Kompatibilität der im so genannten Klieme-Gutachten explizierten theoretischen Grundlagen der nationalen Bildungsstandards mit zwei für den berufsbildenden Bereich konstitutiven Konzepten: dem didaktisch-curricularen Konzept der Lernfelder und dem im Kontext der Europäisierung der Berufsbildung avisierten Konzept des Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR).
Im ersten Untersuchungsabschnitt skizziert der Autor zunächst das Konzept der nationalen Bildungsstandards sowie den damit initiierten paradigmatischen Wechsel in der Steuerung des deutschen Bildungssystems im Sinne einer Verschiebung von einer Input- zu einer Outputsteuerung. Darauf folgt eine Erörterung der Konsequenzen für die berufliche Bildung. Das Kapitel schließt mit der Formulierung dreier Leitfragen und einem Überblick über den weiteren Untersuchungsablauf. In einem zweiten Schritt nimmt Sloane eine Analyse der für seine Untersuchung grundlegenden Basiskonzepte vor, nämlich der nationalen Bildungsstandards nach Klieme et al., der Lernfeldkonzeption der Kultusministerkonferenz und des Konzepts des EQR. Durch den Abriss der in diesen drei Bereichen aktuell in Wissenschaft und Politik verfolgten Ansätze schafft der Autor die Grundlage für seine weiteren Ausführungen.
Den Kern der Untersuchung bildet der dritte Teil – eine synoptische Gegenüberstellung der drei Basiskonzepte. In Bezugnahme auf die folgenden fünf Kriterien bzw. Problemstellungen zeigt Sloane die Differenzen zwischen den Konzepten auf und hinterfragt damit kritisch deren Vereinbarkeit:
(1) Legitimation: Der Autor geht hier der Frage nach der gesellschaftspolitischen und bildungstheoretischen BegrĂĽndung von Bildungsstandards sowie deren regulierender Wirkung als Steuerungsinstrument nach.
(2) Kompetenzverständnis: Sloane erörtert den in der allgemeinen und beruflichen Bildung vorherrschenden Kompetenzbegriff (kognitions- versus handlungstheoretisch) sowie dessen Auslegung auf internationaler Ebene.
(3) Domäne: Die Bestimmung und Konstruktion von Domänen respektive Lernbereichen in der allgemeinen und beruflichen Bildung wird problematisiert (Fachbezug versus Handlungsfeldbezug).
(4) Skalierung und Messung: Der Autor diskutiert die Frage nach der Dimensionalität von Kompetenz, dem Ausgangspunkt für die Kompetenzskalierung und -messung sowie dem empirischen bzw. methodologischen Zugang.
(5) Aufgabenorientierung: Es wird erläutert, welche Rolle die Entwicklung von Aufgaben bei Bildungsstandards und Lernfeldern spielt und inwiefern sie das Verhältnis der beiden Konzepte zueinander determiniert.
Im vierten und letzten Teil der Untersuchung formuliert Sloane auf der Basis der aus der Synopse gewonnenen Erkenntnisse eine aus neun Thesen bestehende Empfehlung für speziell auf den berufsbildenden Bereich ausgerichtete Kompetenzstandards. Für ihre konkrete Entwicklung und Umsetzung schlägt der Autor schließlich ein mehrstufiges Arbeitsprogramm vor.
Bezüglich der im Rahmen der Untersuchung ausgearbeiteten Forschungsergebnisse ist zum einen auf die sehr aufschlussreiche Darstellung von Bildungsstandards und Lernfeldern als sich komplementär ergänzende Konzepte hinzuweisen. In der ihnen gemeinsamen Aufgabenorientierung sieht Sloane die potentielle Vereinbarkeit der beiden Konzepte (123ff.). Eine weitere Stärke des Beitrags liegt in der Berücksichtigung der europäischen Dimension durch den Einbezug des EQR: Hier beschreitet der Autor ein in der Diskussion um Standards bislang eher vernachlässigtes Terrain. Insbesondere im Rahmen der im letzten Untersuchungsteil formulierten Thesen werden sehr interessante, impulsgebende Aspekte zur Anschlussfähigkeit beruflicher Bildungsstandards an den EQR skizziert (137ff.). Allerdings dominieren insgesamt die Ausführungen zum Vergleich ‚Klieme-Standards versus Lernfeldkonzept’ die synoptische Argumentation – der kriteriengeleitete Vergleich wird nicht stringent über alle drei Basiskonzepte geführt (fraglich ist, ob ein derartiger Anspruch überhaupt erfüllt werden kann und soll).
Kritisch anzumerken ist, dass Sloane vor allem im Hinblick auf seine Empfehlung zur Weiterentwicklung kompetenzbasierter Standards in der beruflichen Bildung wichtige Fragen offen lässt. Der Autor richtet den Fokus seiner Untersuchung aufgrund des starken Lernfeldbezugs implizit auf den berufsschulischen Bereich im dualen System. Die Frage nach Standards für vollzeitschulische Berufsbildungsgänge behandelt er hingegen nur peripher (125ff.). Für den betrieblichen Lernort im dualen System bleibt sie ungeklärt. Insbesondere angesichts der Ausrichtung des Buchtitels sowie des vorgeschlagenen Arbeitsprogramms auf den Gesamtbereich der beruflichen Bildung (z.B. 14) erscheinen die Ausführungen in diesem Zusammenhang verkürzt. Vor dem Hintergrund, dass den Klieme-Standards eine individualdiagnostische Funktion explizit abgesprochen wird, bleibt für berufliche Standards außerdem zu klären, wo deren Funktionalität im Spektrum von Individualdiagnostik und Systemmonitoring zu verorten ist.
Die Struktur der Untersuchung ist sehr übersichtlich: Eine dem Haupttext vorangestellte Zusammenfassung der vier Untersuchungsteile verschafft dem Leser einen ersten Überblick über die Thematik und erleichtert das Verständnis der einzelnen Teilabschnitte im Gesamtzusammenhang. Darüber hinaus unterstützen die am Ende eines jeden Kapitels angeführten Zwischenergebnisse die Reflexion der einzelnen Untersuchungsabschnitte sowie deren Bezüge zueinander. Zahlreiche Abbildungen visualisieren zudem die im Text beschriebenen Modelle, Konzepte und Zusammenhänge.
Insgesamt bietet das Buch einen sehr guten und kritischen Überblick über die für kompetenzorientierte Standards im Kontext der beruflichen Bildung relevanten Kernkonzepte und deren differenzierte Bezüge zueinander. Der Autor gibt mit seiner Untersuchung – vor allem bezüglich der anzustrebenden Europakompatibilität beruflicher Standards – wichtige Impulse für die weitere Berufsbildungsforschung.
EWR 7 (2008), Nr. 2 (März/April)
Bildungsstandards in der beruflichen Bildung
Wirkungssteuerung beruflicher Bildung
Paderborn: Eusl 2007
(165 S.; ISBN 978-3-933436-83-2; 19,00 EUR)
Kathrin Huber (Konstanz)
Zur Zitierweise der Rezension:
Kathrin Huber: Rezension von: Sloane, Peter F.E. : Bildungsstandards in der beruflichen Bildung, Wirkungssteuerung beruflicher Bildung. Paderborn: Eusl 2007. In: EWR 7 (2008), Nr. 2 (Veröffentlicht am 15.04.2008), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978393343683.html
Kathrin Huber: Rezension von: Sloane, Peter F.E. : Bildungsstandards in der beruflichen Bildung, Wirkungssteuerung beruflicher Bildung. Paderborn: Eusl 2007. In: EWR 7 (2008), Nr. 2 (Veröffentlicht am 15.04.2008), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978393343683.html