EWR 12 (2013), Nr. 5 (September/Oktober)

Holger Impekoven
Die Alexander von Humboldt-Stiftung und das Ausländerstudium in Deutschland 1925-1945
Von der „geräuschlosen Propaganda“ zur Ausbildung der „geistigen Wehr“ des „Neuen Europa“
Göttingen: Bonn University Press bei V&R unipress 2013
(522 S.; ISBN 978-3-89971-869-0; 64,90 EUR)
Die Alexander von Humboldt-Stiftung und das Ausländerstudium in Deutschland 1925-1945 Seit Jahren sind „Wissenschaft und Politik“ und v.a. „Wissenschaft und Nationalsozialismus“ ein Reizthema gewesen. Holger Impekoven widmet sich diesem Thema in einem inhaltsreichen Buch, seiner für die Veröffentlichung in überarbeiteter Fassung vorliegenden Dissertation. Im Forschungsfeld „Wissenschaft und Nationalsozialismus“ wählt er als seinen Forschungsgegenstand die Alexander von Humboldt-Stiftung (AvHSt), die das Studium und den Forschungsaufenthalt vieler ausländischer Wissenschaftler gefördert hat.

Im genannten Forschungsfeld gibt es zwar zahlreiche Arbeiten, wobei allerdings das Ausländerstudium ein nur randständig bearbeitetes Thema sei (26). Die einschlägigste Arbeit im Zusammenhang mit dem Buch Impekovens ist die Studie von Volkhard Laitenberger „Akademischer Austausch und auswärtige Kulturpolitik“ (1976). Laitenberger gebe aber ein „Fehlurteil“ (29) über die Situation des Deutschen Studienwerks für Ausländer (DSA). So widerlegt Impekoven die Aussage, dass diese „zentral[e] Organisation der deutschen Stipendienarbeit“ (ebd.) seit dem Bombenangriff in der Nacht vom 22. auf den 23. November 1943 nicht mehr in der Lage gewesen sei zu arbeiten. Die Stipendienarbeit wurde, so Impekoven, nach 1943 fortgesetzt und sogar noch Ende 1944 und Anfang 1945 über so benannte „Evakuierungsmaßnahmen“ in neue Bereiche ausgeweitet. Die falsche Folgerung Laitenbergers sei aber aufgrund unzugänglicher Quellen in der DDR verursacht worden. Als Laitenberger sein Buch verfasste, war ihm nur das begrenzte Material in westlichen Archiven erreichbar. Impekoven hat für die vorliegende Studie nicht nur mit Hilfe der Bestände verschiedener Archive die fehlenden Quellen rekonstruiert, sondern die Quellenlage z.T. durch Zeitzeugenbefragungen (33) ergänzt.

Impekoven fasst die Zielsetzung seiner Arbeit wie folgt zusammen: „Eine umfassende Analyse des Ausländerstudiums in der Zeit des Nationalsozialismus ist also nach wie vor ein Desiderat, und die vorliegende Untersuchung unternimmt den Versuch, diese Lücke zu füllen, wobei sie aufgrund der Quellenlage wie auch aus methodischen Gesichtspunkten die Jahre 1933 bis 1945 stärker qualitativ und von den Intentionen der politisch Handelnden her betrachtet“ (28).

Der Autor sieht die Unzulänglichkeit vorheriger Arbeiten nicht nur in der Unvollständigkeit der Quellen, sondern auch in der mangelhaften Berücksichtigung der progressiven Einflußssnahme der Nationalsozialisten. Impekoven geht von der These aus, dass die AvHSt in den Jahren 1925-1945 „im Grunde keine selbständige Stipendienorganisation, sondern viel eher ein vom AA [=Auswärtigen Amt] finanziertes Stipendienprogramm“ gewesen sei und ihre Geschäftsstelle keine selbständige Institution, sondern lediglich „eine Zahlungs- und Verwaltungseinrichtung“ (20, i. O. hervorgehoben). Die Geschichte der AvHSt müsse deshalb im Kontext der Geschichte der deutschen auswärtigen Kulturpolitik betrachtet werden, genauer: als Aspekt der kulturpolitischen Methode „des ‚Multiplikatorenprinzips’ und seiner Umsetzung in der deutschen Stipendienvergabe an ausländische Studenten“ (ebd.). Unter dem Gesichtspunkt der kulturpolitischen Methode lasse sich nach Impekoven Kontinuität in diesem Zeitraum feststellen: Die AvHSt wurde vom Reich instrumentalisiert und zur Tarnung genutzt, „um ausländische ‚Multiplikatoren’ an deutsche Universitäten zu ziehen“ (20). Personell zentral wurde diese Tarnung aufrecht erhalten von Kurt Göpel, auf dessen Wirken Impekoven immer wieder im Laufe des Buches eingeht (vgl. 20).

Um diese Thesen zu prüfen, betrachtet Impekoven in seiner Analyse die Arbeit der AvHSt aus drei Blickwinkeln: 1) aus dem politischen Kontext, 2) aus der praktischen Umsetzung der kulturpolitischen Ansätze und 3) aus der individuellen Ebene heraus. Der dritte Aspekt wird ferner in zwei Ebenen nach Akteuren ausdifferenziert: die Handlungszwänge und Verhaltensspielräume der für die deutsche auswärtige Kulturpolitik verantwortlichen Personen zum einen und die Motive und individuellen Erfahrungen der Stipendiaten zum anderen.

Impekoven geht in seiner Analyse chronologisch und gegliedert in drei Phasen vor. In der ersten Phase, der Weimarer Republik, könne man, unabhängig von der absolut gesehen geringen Zahl ausländischer Stipendiaten, für die deutsche Haltung von einem Paradigmenwechsel sprechen, nämlich von einer durch Fremdenfeindlichkeit und Rassismus geprägten Abwehrhaltung im Kaiserreich zu einer nutzenorientierten Haltung gegenüber akademischer Auslandsarbeit (155). Mit der Einrichtung der AvHSt (1925) habe das Auswärtige Amt ein Instrument gefunden, „ausländische Eliten durch ein Studium in Deutschland als deutschfreundliche Multiplikatoren außenpolitisch nutzbar zu machen“ (156). Der zeitgenössischen Außenpolitik geschuldet, lag der Schwerpunkt der Stipendienarbeit in dieser Phase auf den südosteuropäischen Ländern.

Die zweite Phase, die Jahre 1933-1938, begann nach der Machtergreifung Hitlers mit einem rapiden Rückgang der Ausländerzahlen und hatte „eine radikale kulturelle Isolierung Deutschlands“ (Burmeister 1936, 3f zit. n. Impekoven 252) [1] zur Folge. Um dem entgegenzuwirken, traf man Maßnahmen zur drastischen Steigerung sowohl der Zahl der Stipendiaten als auch der Stipendiensummen. Die Gesamtzahl der Stipendien erhöhte sich z.B. für das Jahr 1934/35 von 80 auf 150. Auch in diesen Jahren der zweiten Phase gab es noch die Tendenz, dass die Stipendiaten in fachlicher Hinsicht aus geisteswissenschaftlichen Fächern und in regionaler Hinsicht aus südosteuropäischen Ländern bevorzugt wurden. Jedoch nahmen die Nationalsozialisten zunehmend deutlicheren Einfluss auf den Auswahlprozess. Impekoven bezeichnet die Veränderung dieser Phase als „Nazifizierung der Stipendienarbeit“ (254), die nach 1939 noch intensiver werden sollte.

Die Stipendienarbeit im Zeitraum von 1939 bis 1945, also der Kriegszeit als der dritten Phase, setzte ihren Fokus ebenfalls auf die südosteuropäischen Länder und ist durch zwei Ziele gekennzeichnet. Einerseits – als langfristiges Ziel – wollte man im Zuge der europäischen Neuordnung im Sinne der Rassenideologie die geistige Führung der Eliten der Gastländer übernehmen. Andererseits dienten Stipendiaten der pragmatischen Unterstützung besatzungspolitischer und militärischer – kurzfristiger – Notwendigkeiten. Im Gegensatz zur allgemeinen Vermutung stellt Impekoven für die Kriegsjahre eine massive Expansion der Stipendienarbeit fest. Ab 1941/42 wurden jährlich z.B. über das DSA über 1750 Stipendien (davon über 1000 AvHSt-Stipendien) vergeben, während es 1925 lediglich 20 Stipendiaten der AvHSt gab. Neu war die Zusammenfassung aller deutschen Stipendienprogramme unter die Ägide des Deutschen Studierendenwerkes für Ausländer, um die Stipendienvergabe und Kontrolle der ausländischen Studierenden besser im Sinne des Auswärtigen Amtes zu regeln (439).

Die Arbeit der AvHSt endete 1945, aber drei Jahre nach der Wiedergründung des DAAD wurde die neue AvHSt 1953 als die eigenständige Institution eingerichtet, die wir heute gut kennen. Impekoven versucht (und mit Erfolg), in dieser Arbeit das Gesamtbild der 20 Jahre Alexander von Humboldt-Stiftung (und im Epilog auch ihre 10 Jahre in der Nachkriegszeit) zu rekonstruieren, und ferner nicht nur ihren politischen Kontext, sondern auch die praktische kulturpolitische Umsetzung und die je unterschiedlichen Interessen aller Beteiligten (Stipendiaten, Personal der AvHSt, AA, usw.) detailliert darzustellen. Man könnte die Geschichte der AvHSt in der Vorkriegs- und der Kriegszeit vereinfacht als eine Einbahnstraße zu ihrer Nazifizierung und rassistischen Ideologisierung verstehen. Aber wie der Autor in diesem Buch darstellt, spielten in diesem Prozess viele Akteure eine Rolle. Die Studie Impekovens bringt somit viel Licht in das Forschungsfeld „Wissenschaft und Nationalsozialismus“.

[1] Burmeister, W.: Der deutsche Geist in der Welt der Gegenwart. Rede an die deutschen Austauschstudenten. In: Hochschule und Ausland, 15 (1937), H. 1, S. 3-6.
Atsushi Suzuki (Oita, Japan)
Zur Zitierweise der Rezension:
Atsushi Suzuki: Rezension von: Impekoven, Holger: Die Alexander von Humboldt-Stiftung und das Ausländerstudium in Deutschland 1925-1945, Von der „geräuschlosen Propaganda“ zur Ausbildung der „geistigen Wehr“ des „Neuen Europa“. Göttingen: Bonn University Press bei V&R unipress 2013. In: EWR 12 (2013), Nr. 5 (Veröffentlicht am 04.10.2013), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978389971869.html