
Insgesamt ist die Komposition – gerade als Einführung in das Thema – gelungen. Es kommen einige prominente Autoren zu Wort, zumeist Germanistinnen und Theaterwissenschaftler. Es gibt einige Übernahmen und Zweitverwertungen. Eröffnet wird der Reigen von Bernhard Waldenfels, der die Universität als Grenzort bestimmt, „wo die Normalität des ordentlichen Lernens und Wissens überschritten wird durch ein Übermaß das Außerordentlichen und Anormalen.“ (24) Der Beitrag hat auch Eingang gefunden in die Neuauflage von Grenzen der Normalisierung. Es folgt Gesine Schwan, die in ihrem Beitrag – ursprünglich ein Festvortrag bei der Studienstiftung – darauf hinweist, dass Verständigungsfähigkeit auf der Fähigkeit zu verstehen beruht, und prognostiziert, dass sie sich als für Demokratien unverzichtbare Zukunftskompetenz erweisen wird. Jochen Hörisch schreibt unter dem Titel Die ungeliebte Universität über Formalisierung, Verschulung und Enterotisierung des Universitätsbetriebs. Wer Die ungeliebte Universität, Hörischs Buch gleichen Titels, kennt, wird kaum neue Argumente und die eine oder andere Passage wieder finden. Das macht Hörischs Diagnosen nicht weniger interessant, so das Ausbleiben ödipaler Kämpfe – warum wollen die guten jungen Köpfe die älteren immer seltener im Wettstreit um Wahrheiten schlagen? – und die Wohnortferne von Studierenden und Lehrenden als Indizien lahmenden Eros’. Marianne Schuller beschwört Die Eine Szene der Lehre im Umweg über Brecht, Benjamin, Freud und Lacan und endet bei Jacques Rancière, der Schillers Briefe Über die ästhetische Erziehung wieder aufführt und dabei modifiziert. Die Unmöglichkeit einer letztgültigen Trennung von Illusion und Wahrheit oder Wunsch und Realität wird die neuen Strukturen immer wieder aufbrechen. Die Kontingenz bei dieser Arbeit zu unterstützen, das hieße eine andere Zukünftigkeit offen zu halten.
Ursula Link-Heer dramatisiert die Wirkungen von CHE-Consult. Und so recht sie hat mit ihrer Kritik, so einseitig wirkt sie. Vergisst sie doch die vielen Professorinnen und Professoren, die versucht haben, im Bologna-Prozess ihre Position zu verbessern und wenig versprechen. Sie sind eben nicht nur Opfer eines „Würgegriffs“ – und schon gar nicht alle. Joachim Lege setzt mit berechtigter Kritik an der Akkreditierungsmaschinerie fort; und Winfried Menninghaus erklärt, warum sich Exzellenz aus Masse addiert. Die so genannte leistungsbezogene Mittelvergabe beruht auf Leistungsquantitäten und Mainstreambildung. Beides fördert weder Originalität noch Innovation. Richard Münch stellt diesen und ähnliche Zusammenhänge in Globale Eliten, lokale Autoritäten. Bildung und Wissenschaft unter den Regimen von PISA, McKinsey & Co (2009) ausführlicher und fundierter dar.
Der Beitrag von Barbara Hahn, die seit Mitte der 1990er Jahre in den USA und dort an verschiedenen Universitäten lehrt, eröffnet erhellende Einblicke in die uns vorgeführten Paradise. Hahn beschreibt einen Mangel an Kriterien, der dazu führe, das Seminare fun versprechen – identifizierte Adorno fun nicht schon als Stahlbad – und sexy genug angekündigt werden müssten. Vieles sei „morsch und hohl“ (92) in den gelobten Institutionen. Sehr lesenswert ist auch der Beitrag von Hans-Thies Lehmann, der zwei Diskussionsstränge verknüpft: die Fragen nach der Verantwortung reformscheuer und vorgeblich linker Hochschullehrer, die leicht übersehen, dass Reform nötig war, und Verantwortung für die ästhetischen Dinge, die sich nur durch Verschwendung von Zeit und Verausgabung als Zeitverwendung, letztendlich immer bloß vorläufig erschließen lassen.
Ulrike Haß schließlich erinnert daran, dass die großen Gründungen bürgerlicher Theater und von Reformuniversitäten in dieselbe Zeit fallen und beide von einer gesellschaftlichen Bewegung getragen waren. Diese gesellschaftliche Bewegung ist den Universitäten, die sich in kontrollgesellschaftliche Einrichtungen verwandeln, abhanden gekommen. Sie beschreibt außerdem ein Generationenproblem, das im Delirium mündet. Aber nicht nur das Delirium vernichtet Diskurse, die selbst wieder tragfähig werden könnten, sondern auch die Organisation der gegenwärtigen Universität, an die zu glauben immer schwerer fällt. Müller-Schöll leitet abschließend die Zukunft der Universität mit Hilfe Derridas aus ihrer Geschichte her und schließt so den Ring. Aus einer Ringvorlesung ist der Band hervorgegangen.