

Die vorliegenden Bände sind als Studienbücher konzipiert und entsprechend durch Zusammenfassungen sowie begleitende Lernfragen strukturiert. Ansprechende Abbildungen, Graphiken und Tabellen veranschaulichen vielfach die Ausführungen. Einige Beiträge enthalten zudem weiterführende Literaturangaben. Ein Sachregister erleichtert das Auffinden zentraler Begriffe.
Band 1
Der 2013 erschienene Band 1 des Studienbuches beginnt mit einer kurzen Einleitung, verfasst durch alle Autoren und Autorinnen gemeinsam sowie einem Überblick über Studienstätten in Deutschland, die auf schulische und außerschulische Arbeitsfelder mit Kindern und Jugendlichen mit dem Förderschwerpunkt Lernen vorbereiten (Stand Juli 2013). Im Weiteren gliedert sich dieser Band in zwei Teile: einen ersten, in dem sechs einführende Aufsätze zusammengestellt sind (210 Seiten) und einen zweiten, der drei Aufsätze zu spezifischeren Fragen beinhaltet (110 Seiten).
Im ersten Artikel stellt sich Stephan Ellinger der herausfordernden Aufgabe, eine Einführung in die Pädagogik bei Lernbeeinträchtigungen zu geben. Dabei muss es überwiegend bei einer eher skizzenhaften und auf zentrale Aspekte fokussierten Darstellung bleiben, die nur vereinzelt exemplarische Vertiefungen erfahren kann. Angesichts eines durch viele Ambivalenzen und kontroverse fachliche Zugänge gekennzeichneten Feldes ist dieser Umstand verständlich und einem Studienbuch angemessen. Trotz der gebotenen Kürze spart der Verfasser Hinweise bzw. Positionierungen zur aktuellen Fachdiskussion nicht aus, die zum Weiterdenken anregen können. Zu Beginn steht ein kurzer begrifflicher Diskurs zu ausgewählten Bezeichnungen möglicher Schwierigkeiten, die sich im Prozess des schulischen Lernens zeigen können. Im Ergebnis wird als gegenwärtig aktueller Oberbegriff die bewusst sehr weite Bezeichnung „Lernbeeinträchtigung“ herausgestellt. Sie umfasst ausdrücklich nicht nur sonderpädagogischen Förderbedarf im Förderschwerpunkt Lernen, sondern auch Lernschwierigkeiten und Lernstörungen unterschiedlichen Ausmaßes. Eine kurze Skizze der Verortung der Pädagogik bei Lernbeeinträchtigungen in Bezug zu den Nachbardisziplinen Medizin, Psychologie und Soziologie, die diese Pädagogik nicht nur in der Vergangenheit erheblich geprägt und beeinflusst haben, schließt sich an. Den Schwerpunkt bildet die differenzierte Darstellung von drei zentralen theoretischen Perspektiven auf das Phänomen und die Entstehungszusammenhänge von Lernbeeinträchtigungen sowie sich daraus ergebende Anforderungen an mögliche Interventionen. Betrachtet werden personverankerte Lernbeeinträchtigungen, sozio-kulturell bedingte Lernbeeinträchtigungen und institutionell erzeugte Lernbeeinträchtigungen.
Annette Köhler widmet sich im zweiten Artikel didaktischen Aspekten der Pädagogik bei Lernbeeinträchtigungen, wobei der Schwerpunkt auf der Didaktik im Förderschwerpunkt Lernen liegt. Sie umreißt kurz und systematisch zentrale didaktische Konzepte, um sie dann in die Entwicklungsgeschichte des Faches anhand von drei historischen Phasen einzuordnen: die Anfänge der Hilfsschulpädagogik (105ff); Hilfsschuldidaktik nach 1945 – Konstruktion und Dekonstruktion (114ff und Phase der Neukonstruktion; 125ff). An den Ausführungen zur letzten Phase wird deutlich, wenn auch durch die Verfasserin nicht explizit formuliert, dass die Frage, durch welche spezifischen didaktischen Zugänge sich der Unterricht für Schüler und Schülerinnen im Förderschwerpunkt Lernen bzw. noch umfassender mit Lernbeeinträchtigungen an unterschiedlichen Lernorten auszeichnen sollte, gegenwärtig noch nicht (?) befriedigend beantwortet werden kann. Möglicherweise bietet eine stärkere Verknüpfung mit fachspezifischen Didaktiken hier einen Ansatzpunkt, wie im Beitrag von Christine Einhellinger zum Schriftspracherwerb zu erkennen ist.
Edwin Ullmann gibt eine, auch sprachlich kurz und bündig formulierte Einführung in den Bereich der sonderpädagogischen Diagnostik. Nach einführenden Aussagen zu zentralen Aspekten stehen Überlegungen zur Testtheorie im Mittelpunkt. Oliver Hechler vertieft und erweitert in seinem Beitrag die Ausführungen von Stephan Ellinger im Hinblick auf die Sozialisationsbedingungen, die „potentiell als Risikofaktoren für das Lernen und die Persönlichkeitsentwicklung angesehen werden können“ (158). Die beiden sich anschließenden Beiträge machen deutlich, dass es sich bei der Zielgruppe des Buches um Studienanfänger handelt:
Der Beitrag „Sonderpädagogische Praktika“ von Christine Einhellinger und Annette Köhler gibt einen gerafften, für Studierende, die am Beginn des Studiums stehen, gut informierenden Überblick über Anforderungen in verschiedenen schulbezogenen Praktika. Mit Ausnahmen weniger spezifischer Aussagen zu Rahmenlehrplänen gelten diese aber für alle Studierenden in lehramtsbezogenen Studiengängen, nicht nur im Lehramt Sonderpädagogik. Der Hinführung ist zu entnehmen, dass sich die Ausführungen auf Praktika im Förderschulbereich beziehen (181). Angesichts der auch im Studienbuch betonten, in der Praxis in den einzelnen Bundesländern sich unterschiedlich schnell vollziehenden Pluralisierung der Förderorte für Kinder und Jugendliche mit Lernbeeinträchtigungen verändern sich auch die Praktikumsorte. Perspektivisch sollten deshalb an dieser Stelle auch Informationen zu sonderpädagogischen Praktika im gemeinsamen Unterricht vermittelt werden.
Der Beitrag von Stephan Ellinger „Referate halten und Seminararbeiten schreiben“ enthält allgemeine Hinweise zum Thema. Ohne Frage bedarf es häufig, insbesondere zu Beginn des Studiums, einer angemessenen Anleitung, wie sie dieser Beitrag verfolgt. Dies gilt aber für alle Studierenden, unabhängig vom gewählten Studienfach, deshalb stellt sich die Frage, warum dieser Beitrag in diesem Buch platziert wurde.
Im zweiten Teil des ersten Bandes wird besonders deutlich, dass, wie von den Autoren und Autorinnen bereits im Vorwort betont, das Buch aufgrund seines einführenden Charakters „nur eine Auswahl der fachlich diskutierten Spezialfragen“ abbilden kann (10). Offen bleibt, woran sich die Auswahl der vorgestellten Aspekte orientierte. Edwin Ullmann stellt in seinem zweiten Beitrag im Band eins die folgenden „spezifische[n] Störungsbilder im Zusammenhang mit Lernen“ (227) vor: Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten – Legasthenie; Rechenschwierigkeiten – Dyskalkulie; Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung. Die einzelnen Unterkapitel orientieren sich im Wesentlichen an einer einheitlichen Systematik und beinhalten in unterschiedlichem Umfang Aussagen zum Begriff, zur Epidemiologie, zur Ätiologie, zu möglichen Symptomen und zur Diagnostik. Im Kapitel zur Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung kommen ausführlichere Ausführungen zu einem multimodalen Behandlungskonzept hinzu.
Christine Einhellinger geht der Frage nach, wie Schriftspracherwerb unter erschwerten Lernbedingungen zu gestalten ist. Der Schwerpunkt ihres Beitrages liegt auf der Darstellung theoretisch fundierter didaktisch-methodischer Möglichkeiten im Rahmen des Klassenunterrichts in heterogenen Lerngruppen (272).
Der in diesem Band zweite Beitrag von Oliver Hechler greift mit dem Konzept der Mentalisierung eine Möglichkeit der außerunterrichtlichen Förderung von Schülern und Schülerinnen mit Lernbeeinträchtigungen im Rahmen einer Gruppenpsychotherapie auf. Das vorgestellte Konzept bietet einen Rahmen, die Zusammenhänge zwischen metakognitiven sowie (oft in der Betrachtung vernachlässigter) affektiv-emotionalen und sozial-interaktiven Dimensionen im Prozess der Entstehung und Aufrechterhaltung von Lernbeeinträchtigungen vertieft zu reflektieren und Interventionsmöglichkeiten zu entwickeln (333).
Band 2
Mit dem 2014 erschienenen Band 2 des Studienbuches beabsichtigen die Herausgebenden eine Gestalt zu schließen, in dem weitere ausgewählte Themen, Handlungsfelder und Förderansätze des „Problemfeldes Lernbeeinträchtigungen“ aufgegriffen werden. Neben universitären Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen kommen hier auch verstärkt Praktiker und Praktikerinnen zu Wort (7). Ausdrücklich betont wird zudem, dass die Strukturierung des Bandes in Abgrenzung zum aktuell (durchaus auch kontrovers diskutierten) Anspruch der Evidenzbasierung von pädagogischen Ideen geleitet wird, was nicht ausschließt, dass, sofern möglich, in der Argumentation auch auf belastbare Befunde empirischer Untersuchungen zurückgegriffen wird.
Die Beiträge des zweiten Bandes schließen an den zweiten Teil des ersten Bandes an. Sie sind in drei große Kapitel gegliedert, die folgende Überschriften tragen: „Teil I: Übergänge“ (drei Beiträge); „Teil II: Förderung“ (sechs Beiträge); Teil III: „Diagnostik und Beratung“ (drei Beiträge).
Übergänge zwischen einzelnen (Bildungs-)Systemen stellen als Prozess der fortschreitenden gegenseitige Anpassung zwischen dem aktiven, sich entwickelnden Individuum und den wechselnden Eigenschaften seiner unmittelbaren Lebensbereiche eine immense Herausforderung für jedes Kind, jeden Jugendlichen, aber auch für deren Angehörige dar. Um die damit verbundenen Entwicklungsaufgaben erfolgreich zu meistern und Bildungsbiographien, die insbesondere für Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigungen im Lernen in diesen Übergangsphasen mit hohen Risiken bis hin zur Gefahr des Scheiterns verbunden sind, in ihrer Kontinuität zu sichern, spielen gelingende und bewusst gestaltete Übergänge eine zentrale Rolle. Edwin Ullmann beleuchtet in seinem Beitrag die Entwicklungsaufgaben, die sich im Übergang vom Kindergarten in die Schule stellen. Er setzt sich ausführlich mit den Basiskompetenzen auseinander, die erwartet werden, um den schulischen Anforderungen gerecht zu werden. Anette Köhler beleuchtet den für Schüler und Schülerinnen mit Lernbeeinträchtigungen oft sehr schwierigen Übergang von der Schule ins Arbeitsleben sowohl aus historischer als auch aus aktueller Sicht, wobei hier die Darstellung der Organisationsstrukturen der beruflichen Rehabilitation einen zentralen Platz einnimmt. Eine konkrete Form, die diesen Übergang mit vorbereiten kann, stellt die Schülerfirma dar. Volker Reinhard berichtet über seine langjährigen praktischen Erfahrungen mit einer Schülerübungsfirma im Rahmen eines bayrischen Förderzentrums mit dem Förderschwerpunkt „Lernen“.
Im Teil II wird eine breite Palette konkreter Förderansätze und Förderperspektiven in unterschiedlicher Ausführlichkeit angeboten. So geht Christoph Ratz der möglicherweise etwas provokanten Frage nach, was „guten“ Mathematikunterricht für Schüler und Schülerinnen mit Lernbeeinträchtigungen auszeichnet. Im Mittelpunkt des Aufsatzes von Christine Einhellinger stehen Fragen der Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund im Schriftspracherwerb. Neben Aspekten der vorschulischen und schulischen Förderung nehmen dabei auch Überlegungen zu den Chancen, die die Arbeit mit den Eltern bietet, einen großen Raum ein. Oliver Hechler spürt dem Potential nach, welches mit dem Ansatz des Reciprocal Teaching, der ursprünglich aus dem Bereich der Lesekompetenzförderung stammt, auch für ein allgemeines pädagogisches Verständnis auf praktischer und theoretischer Ebene verbunden ist. Stephan Ellinger setzt sich mit der Bedeutung der Aufmerksamkeit für ge- bzw. misslingende Lernprozesse auseinander und stellt im Anschluss erprobte Formen vorgeschalteter Wahrnehmungslenker, z. B. in Form des Advanced Organizers, im Unterricht dar. Dagmar Zeller-Dittmer zeigt Präventions- und Interventionsmöglichkeiten bei Mobbing in der Schule auf, während Eva-Maria Hoffart und Gerald Möhrlein unter Rückgriff auf eigene langjährige Erfahrungen im Projekt “SchulCHEN“, einer Kooperation zwischen Jugendhilfe und Schule, Möglichkeiten einer Förderung bei durch Traumatisierung bedingten Lernblockaden diskutieren.
Im Teil III stehen Fragen der sonderpädagogischen Diagnostik und Beratung im Mittelpunkt. Jörg Tully setzt sich im Kontext allgemeiner Überlegungen zur sonderpädagogischen Diagnostik speziell mit dem sonderpädagogischen Gutachten auseinander. Er skizziert zentrale Bestandteile, formelle Anforderungen, rechtliche Grundlagen am Beispiel Bayerns und die damit im Zusammenhang stehende Zusammenarbeit mit den Eltern. Tabellarisch werden im Überblick außerdem zum einen ausgewählte Fördermaßnahmen und Überlegungen zu Förderplänen, zum anderen gängige diagnostische Verfahren dargestellt. Oliver Hechler geht der Frage nach der Gestaltung beratender Tätigkeiten in der Sonderpädagogik nach, theoretisch gerahmt durch umfassende Überlegungen zum Verhältnis von Erziehung und Sprache. Der abschließende Beitrag von Christoph Schwind thematisiert Fragen des Berufsbildes von Lehrern, Lehrerinnen im Bereich Sonderpädagogik. Aus Sicht des Praktikers zeigt er anschaulich, dass die Tätigkeit des Sonderpädagogen, der Sonderpädagogin im Rahmen des Mobilen Sonderpädagogischen Dienstes (MSD) in Bayern im Kontext eines sich verstärkt entwickelnden inklusiven Schulsystems einen selbstverständlichen Bestandteil des Berufsbildes darstellt und mit welchen Anforderungen sie verbunden ist.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass es mit dem zweiten Band gelungen ist, dem Thema „Lernbeeinträchtigungen“ insgesamt eine deutlichere Kontur zu geben, wobei die Frage nach den Kriterien und der Systematik der ausgewählten Schwerpunkte auch hier offen bleibt.