In der vorliegenden Monographie beschäftigen sich Schmidt-Koddenberg und Zorn mit Berufs- und Studienwahlprozessen von Kölner OberstufenschülerInnen. Der Band gliedert sich in drei Teile und wird mit einem Abbildungs- und Tabellenverzeichnis sowie einem informativen Anhang, in dem die Tabellen mit den quantitativen Studienergebnissen aufgelistet sind, abgerundet.
In Teil Ι werden die „gesellschaftliche Ausgangslage“ und der Stand der Forschung zum Ãœbergang Schule-Berufsausbildung bzw. Schule-Hochschule dargelegt. Diese gesellschaftliche Ausgangslage sehen die Autorinnen in einer sich rasant wandelnden Arbeitswelt, deren Flexibilisierungszumutungen von den SchülerInnen bewältigt werden müssen. Damit werden sowohl soziologische Gesellschaftdiagnosen als auch subjektorientierte psychologische Ansätze als wissenschaftlicher Bezugsrahmen gewählt. Interessant ist dabei die gelungene Verknüpfung beider Ansätze, die in der Beschreibung von beruflichen Identitäten mündet. Insgesamt sehen die Autorinnen hier „eine paradoxe Situation: Einerseits ist eine nachlassende berufliche Identität ein wichtiges Merkmal der sich wandelnden Arbeitswelt, gleichzeitig bleibt die Berufswahl ein zentraler Aspekt der Identitätsarbeit der jungen Erwachsenen“ (42).
Wie junge Erwachsene mit diesem Paradoxon umgehen, wollen Schmidt-Koddenberg und Zorn im empirischen Teil des Bandes (Teil ΙΙ) zeigen. Die Studie ist als Panel angelegt, das heißt es wurden dieselben SchülerInnen drei Mal im Zeitraum von 2008 bis 2010 befragt. Dieses Forschungsdesign hat den Vorteil, dass es prospektiv Wünsche und Vorstellungen von zukünftigen AbsolventInnen sowie deren Veränderung während der gesamten Oberstufe erfassen kann.
Die Autorinnen teilen ihre Forschungsfragen dabei in drei Kategorien ein: (1) Allgemeine Vorstellung für die Zeit nach der Schule, (2) Umgang mit der Informationsfülle und (3) Faktoren, die eine Rolle für die Entscheidung spielen (65).
Nachteilig bei dieser Herangehensweise ist allerdings, wie die Autorinnen auch konstatieren, dass die Verläufe nach dem Abitur nicht erfasst werden konnten sowie „ressourcenbedingt“ (67) weder eine systematische Beschreibung der Angebotsstruktur der Berufsorientierung an den Schulen vorgenommen noch die Sicht der LehrerInnen erfasst werden konnte, so wie das Knauf [1] leistete. Ähnlich wie in anderen Studien werden jedoch die Ergebnisse nach Geschlecht, Migrationshintergrund und Bildungshintergrund differenziert.
Die Studie ist eine Triangulation aus einem standardisierten Fragebogen sowie einer Gruppendiskussion zum ersten Erhebungszeitpunkt (2008) und 30 problemzentrierten Interviews zum letzten Erhebungszeitpunkt (2010). Damit wird die Studie Forderungen des Fachdiskurses nach der Kombination von quantitativen und qualitativen Methoden mit Schwerpunktsetzung auf der qualitativen Seite gerecht. Die Darstellung und Diskussion der qualitativen Forschungsergebnisse fällt insgesamt jedoch sehr knapp aus.
Zentrale Ergebnisse der Studie sind zu Punkt (1), dass etwa ein Drittel der Befragten zum letzten Erhebungszeitpunkt nur wenig bis keine Vorstellung davon haben, welchen Weg sie nach dem Abitur einschlagen wollen. Die Studierneigung hat sich aber insgesamt als hoch erwiesen.
Zweitens wurde die Informationsfülle von den ProbandInnen auf sehr heterogene Weise bewältigt. Der Beratungs- und Informationsbedarf differenzierte sich mit den Erhebungszeitpunkten immer mehr aus: Diejenigen, die schon eine konkrete Vorstellung davon hatten, was sie machen wollten, suchten konkrete Informationen, während der Rest eher allgemeine Informationen benötigte, die auf eine Passung von Interessen und angestrebtem Beruf zielen.
Als Beratungsquellen, damit (3) auch als Faktoren, die bei der Entscheidung eine Rolle spielen, wurden am häufigsten das Internet und die Eltern genannt. Da hier wie auch in den anderen, bereits genannten Studien wiederholt die Bedeutung der Eltern betont wird, verwundert es, dass diese Perspektive von den Autorinnen nicht als Forschungsdesiderat genannt wird. Weitere Faktoren, die bei der Entscheidung für die Kölner OberstufenschülerInnen eine Rolle gespielt haben, waren die Aussicht auf einen sicheren Arbeitsplatz, die Verwirklichung eigener Interessen sowie ein guter Verdienst. Die Autorinnen stellen fest, dass somit „sowohl sinnhaft-subjektbezogene als auch materiell-reproduktionsbezogene Kriterien“ (122) bei der Berufswahl handlungsleitend zu sein scheinen. Dieser Befund geht mit Oechsle [2] einher, bei der ebenfalls die meisten Befragten eine „Balanceorientierung“ zwischen „Arbeitsmarktorientierung“ und „Subjektorientierung“ (69ff) anstrebten.
Insgesamt ziehen Schmidt-Koddenberg und Zorn das Fazit, dass es weniger am Zugang zu Informationen als am „Zugang zu den eigenen Fähigkeiten und Interessenslagen“ (122) fehle. Dadurch könne das „große Maß an Unsicherheit und Orientierungslosigkeit“ (ebd.) erklärt werden, welches sich auch zum letzten Erhebungszeitpunkt kurz vor dem Abitur zeigte.
Die Studie bestätigt im Wesentlichen die Ergebnisse anderer Studien. Die theoretische Fundierung durch die Theorie der reflexiven Moderne und durch Identitätstheorien macht es möglich, die Problemlagen der Jugendlichen am Ãœbergang besser zu verstehen. Damit sind die Autorinnen ihrem Anspruch gerecht geworden „einen Beitrag zum Fachdiskurs Ãœbergang Schule-Ausbildung/Hochschule [zu] leisten“ (7). Diesen Anspruch sollte allerdings jede wissenschaftliche Publikation haben. Die Stärke dieses Bandes liegt vielmehr in Teil ΙΙΙ. Hier leiten die Autorinnen aus ihren Ergebnissen Konsequenzen für die Praxis ab. Sie wollen „Anstöße zur (Weiter-)Entwicklung innovativer Handlungsansätze geben“ (ebd.). Diese Handlungsempfehlungen machen eindringlich klar, dass die Vernachlässigung der Zielgruppe AbiturientInnen am Ãœbergang in die Hochschule oder eine Berufsausbildung verheerende Folgen hätte und ein biografieorientiertes, an den Fähigkeiten und Interessen der SchülerInnen ansetzendes Konzept von Studien- und Berufswahlorientierung entwickelt und regional umgesetzt werden muss.
Diese Forderung ist zwar auch nicht neu, wird in diesem Band aber durch das Ergebnis angereichert, dass „eine politische und praktische Aufwertung des Themas Berufs- und Studienorientierung dringend erforderlich“ (131) ist. Die politische Aufwertung müsse nach Ansicht der Autorinnen im Rahmen einer modernen Jugendpolitik geschehen, die alle Jugendlichen und nicht nur die sozial benachteiligten im Blick hat. Als Mitarbeiterinnen der Katholischen Hochschule für Sozialwesen sehen die Professorin und ihre Mitarbeiterin die Sozialpädagogik als Profession dafür geeignet, die praktische Aufwertung im Sinne einer „systematischen pädagogische[n] und beraterische[n] Begleitung der Heranwachsenden […] zu leisten“ (135). Allerdings müsse sich die Sozialpädagogik den Spiegel vorhalten und ihre bisherigen Beratungsansätze kritisch reflektieren.
Diese Einschätzung und Reflexion über SozialpädagoInnen als geeignete BerufsberaterInnen ist bedeutsam und aus Sicht der Autorinnen konsequent, dennoch scheinen mir auch PädagoInnen mit anderen Ausbildungsschwerpunkten, zum Beispiel der Erwachsenenbildung, geeignet, diese Arbeit auszuführen. ErwachsenenbildnerInnen sind ExpertInnen für Lebenslanges Lernen und damit auch für Übergangsituationen in diesem Alter.
Insgesamt eignet sich die Publikation aber sehr gut als Einstieg in den Fachdiskurs. Sie skizziert in konziser Weise die theoretische Fundierung und kann mit einer Situationsanalyse von Kölner Jugendlichen untermauern, dass die SchülerInnen mit ihren Fähigkeiten und Interessen im Mittelpunkt der Debatte stehen sollten.
[1] Knauf, H.: Schule und ihre Angebote zu Berufsorientierung und Lebensplanung- die Perspektive der Lehrer und der Schüler. In: Knauf, H u.a. (Hrsg.) : Abitur und was dann? Berufsorientierung und Lebensplanung junger Frauen und Männer und der Einfluss von Schule und Eltern. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2009, 229-282.
[2] Oechlse, M.: Abitur und was dann? Orientierungen und Handlungsstrategien im Ãœbergang von der Schule in Ausbildung und Studium. In: Knauf, H. u.a., a.a.O., 55-128.
EWR 11 (2012), Nr. 5 (September/Oktober)
Zukunft gesucht!
Berufs-und Studienorientierung in der Sek. II
Berlin u.a.: Budrich 2011
(183 S.; ISBN 978-3-8664-9381-0; 19,90 EUR)
Martin Junk (Freiburg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Martin Junk: Rezension von: Schmidt-Koddenberg, Angelika / Zorn, Simone: Zukunft gesucht!, Berufs-und Studienorientierung in der Sek. II. Berlin u.a.: Budrich 2011. In: EWR 11 (2012), Nr. 5 (Veröffentlicht am 12.10.2012), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978386649381.html
Martin Junk: Rezension von: Schmidt-Koddenberg, Angelika / Zorn, Simone: Zukunft gesucht!, Berufs-und Studienorientierung in der Sek. II. Berlin u.a.: Budrich 2011. In: EWR 11 (2012), Nr. 5 (Veröffentlicht am 12.10.2012), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978386649381.html