Das vorliegende Buch ist die zweite Veröffentlichung der Reihe „Weibliche Adoleszenz und Schule“ und geht zum einen auf Ergebnisse des durchgeführten DFG-Forschungsprojektes „Schulkultur, Geschlechtersegregation und Mädchensozialisation“ zurück, zum anderen sind hier Befunde aus der Längsschnittstudie „Sozialisation und Akkulturation in Erfahrungsräumen von Kindern mit Migrationshintergrund – Schule und Familie“ (SOKKE) veröffentlicht. Des Weiteren finden sich Beiträge von Doktorand(inn)en des Promotionskollegs „Heterogenität und Bildungserfolg“ sowie Aufsätze von Wissenschaftlerinnen, die zum Themenfeld arbeiten.
Im Kontrast zum gegenwärtig en vogue erscheinenden Interesse an Jungenförderung wollen die Autorinnen sich in dem Band gezielt den Erfahrungsräumen und Sozialisationskontexten von Mädchen und speziell dem monoedukativen schulischen Feld widmen. Dies gelte seit dem Wandel zu koedukativen Bildungseinrichtungen vom Beginn des 20. Jahrhunderts an als „Auslaufmodell“ (14) und werde mit der Begründung nicht ausreichend weiter erforscht, dass Mädchen bereits gleichberechtigt seien (11).
Dabei zeigt sich bei der Lektüre der vielfältig angelegten Forschungsarbeiten, dass durch die Beschäftigung mit diesen Bildungsorten wichtige Erkenntnisse für zukünftige Lernumgebungen gewonnen werden können. Die Mädchenschule wird von den Autorinnen als ein „kultureller Ort“ verstanden, der – zwar nicht gänzlich unbeeinflusst vom gesellschaftlichen Bezugsrahmen – die „Wirksamkeit der Zwänge der Geschlechtszugehörigkeit einschränkt [bzw.] aufhebt“ (14), was durch die Forschungsarbeiten jedoch nicht immer deutlich bestätigt werden kann. Um der vielgestaltigen Ausprägung innerhalb der weiblichen Geschlechtergruppe gerecht zu werden und den subtilen Diskriminierungen im deutschen Bildungssystem auf die Spur zu kommen, nehmen die Autorinnen auch den Aspekt der „Heterogenität“ in den Blick, worunter sie die Einbeziehung der Herkunftsdimension der untersuchten Gruppen in ihre Forschung verstehen.
Der Text ist in zwei große Kapitel unterteilt. Im ersten Kapitel werden zunächst Ergebnisse der Forschungen unter der Überschrift „Monoedukation und Koedukation“ zusammengefasst. In den letzten beiden Aufsätzen wird die Bedeutung der Geschlechterdifferenzierung in der US-amerikanischen Collegeforschung für die Schulforschung verhandelt und von Erfahrungen mit dem internationalen Frauenstudiengang Informatik an der Hochschule Bremen berichtet.
Als gelungenen Einstieg setzt sich Eva Breitenbach unter dem Titel „Mittlerweile ist des doch egal, ob es ein Junge oder Mädchen ist – Die Bedeutung der Kategorie Geschlecht in der rekonstruktiven Forschung“ zunächst mit den Forschungsmethoden der Geschlechterforschung auseinander. Die Autorin diskutiert kritisch das gewählte Forschungsfeld der Autorinnen in dem Buch, das sich auf Bildungsinstitutionen konzentriert, die auf dem Grundprinzip der Geschlechterzugehörigkeit separieren. Es biete jedoch auch die Möglichkeit, Geschlecht als soziale Kategorie und als soziale Praxis unter besonderen Bedingungen (im „weiblichen Raum“) zu betrachten (36). Dabei und in allen anderen Forschungsprozessen sei eine „spezifische Forschungshaltung“ gefragt, die „Wissenschaft als soziale Praxis“ (45) begreift, sich zugunsten einer „Objektivität in Klammern“ (47) von der Vorstellung einer „objektiven Instanz“ (45) verabschiedet und eine Standortgebundenheit der Ergebnisse offenbart. Die Idee von der Verschiebung der Fragestellung „vom Was zum Wie“ ist zwar nicht ganz neu, aber zusammen mit dem Appell für einen Forschungsstil, der auf „Erfahrungen, Kreativität, Neugierde und Spaß am Widersprüchlichen“ fußt, kann dieser Hinweis für junge Forscher/innen sehr bereichernd sein (47).
Verena Schurt befasst sich im nächsten Abschnitt mit dem Titel „Ist der nicht ein bisschen kurz? Ethnographie in der Mädchenschule am Beispiel von Kleidungs-, Haar-, Styling- und Körperpraktiken“ mit verschiedenen Konstruktionsprozessen im Zusammenhang mit „Geschlecht und Geschlechterdifferenzen“, „Zugehörigkeits- und Differenzkonstruktionen auf der Mikroebene“ zwischen Schülerinnen an einer Mädchenschule (49). Vermutet wird, dass in homosozialen Räumen wie einer Schule für Mädchen konstruktiven Prozessen des Doing Gender zugunsten von dem nicht immer trennscharf abzugrenzenden Doing Adoleszenz, Doing Adult und Doing Student in den Hintergrund rücken (52). Interessant wäre an dieser Stelle auch eine Verknüpfung der zugrunde gelegten Theorien mit Erkenntnissen aus der Geschlechterforschung, die sich mit Weiblichkeiten, den Machtverhältnissen innerhalb der Strukturkategorie und deren Zusammenwirken mit Männlichkeiten auseinandersetzen.
Schurt zeigt in ihren Ausführungen anhand von Beispielen, wie die Mädchen der 8. Klasse ein Doing Adult zelebrieren, während dies anscheinend in den höheren Klassen irrelevant wird. Ihr Verhalten sei deutlicher auf körperliche Berührungen ihrer Mitschülerinnen ausgelegt als in koedukativen Klassen und sie nutzen die Beschäftigung mit Dingen an ihrem Körper und in Reichweite ihres Körpers als Möglichkeit, sich auf legitime Weise vom Unterrichtsgeschehen zu distanzieren. Leider steht, wie zu lesen ist, eine ähnlich angelegte Studie zu einer Jungenschule noch aus (79). Besonders interessant wäre es jedoch, zu untersuchen ob sich das Verhalten bei Mädchen (und Jungen) in ähnlicher Form auf koedukativen Schulen wiederfinden ließe.
Wiebke Waburg setzt sich anschließend mit „Weiblichkeitskonstruktionen von Schülerinnen monoedukativer Schulen“ „zwischen Legitimationszwang und Normalitätserleben“ auseinander (85). Dazu nutzt sie eine Kombination aus dokumentarischer Methode und empirischem Konstruktivismus zur Analyse von Gruppeninterviews von Schülerinnen. Im Erkenntnisprozess werden verschiedene Typen herausgebildet, bei denen sich für Waburg das Zusammenwirken bzw. die „Verschachtelung“ (117) von unterschiedlichen Zugehörigkeiten und Anforderungen zur Herstellung von Geschlecht bestätigt. Spannend wird der Text an der Stelle, an der ein Vergleich der Ergebnisse mit ähnlichen Phänomenen in koedukativen Bildungseinrichtungen und innerhalb einer auf Zweigeschlechtlichkeit ausgerichteten Gesellschaft stattfindet, welcher Widersprüchlichkeiten und Äquivalenzen auf allen Seiten deutlich werden lässt. Dies hätte jedoch noch weiter ausgeführt werden können.
Anschlussfähig ist hier Corinna Stebers Forschung, die das Bourdieusche Habituskonzept zur Grundlage genommen hat und anhand eines Fallbeispiels die Schule als „Entstehungskontext habitueller Schemata“ präsentiert. Sie kommt ebenso wie Waburg zu dem Ergebnis, dass monoedukative Schulen bestimmten Regelwerken unterliegen, welche auch für den koedukativen Sektor kennzeichnend sind. So sind z.B. dessen Lehrer/innen im System der Zweigeschlechtlichkeit sozialisiert worden und übertragen die inkorporierten Machtverhältnisse auf die Interaktion mit Schüler/innen.
Das Resümee der Autorin fällt drastisch, aber angemessen aus. Sie zeigt auf, dass auch hier Wahrnehmungsstrukturen in Form von „definitorischen Zuordnungen, die auf einer vorbewussten Privilegienstruktur gewachsen sind, [...] letztlich die Zugangsmodi für die Teilnehmenden im Feld zu bestimmten sozialen Positionen“ regeln (141) und unreflektiert bleiben. Und es wird deutlich, dass auch die Mädchenschule als ein Teil der „staatliche[n] Kontrollfunktion“ (141) einen Beitrag zur Herstellung und Fortschreibung der Machtprivilegien und der damit einhergehenden Diskriminierungen leistet, die sich buchstäblich in die Körper der handelnden Subjekte einschreiben.
Einen ganz anderen Ansatz verfolgt Sigrid Metz-Göckel. Sie widmet sich der „Geschlechterdifferenzierung in der Collegeforschung [...] [bzw.] deren Bedeutung für die Schulforschung“ und gibt zu bedenken, dass sich trotz jahrzehntelanger koedukativer Bildung aus wissenschaftlicher Sicht die „differenzielle Bedeutung der Geschlechtszugehörigkeit“ nicht aufgelöst habe (143). Zwar habe sich eine „partielle Leistungsüberlegenheit“ der Schülerinnen herausentwickelt, jedoch seien Differenzen in der „Ausbildung von Interessen, [dem] Selbstkonzept und [der] Selbstwirksamkeit erhalten“ geblieben (s.o.). Metz-Göckel nennt in Anlehnung an Heintz und Nadai das Konzept der „De-Institutionalisierung“, nach dem Geschlechterungleichheit nicht mehr strukturell, sondern im Interagieren der Personen hergestellt wird.
Gut ergänzen lassen sich diese Forschungsergebnisse durch die Schilderungen von Regine Kosmoss zum Thema „Frauenstudiengänge zwischen Vorteil und Vorurteil – Erfahrungen aus dem Internationalen Frauenstudiengang Informatik an der Hochschule Bremen“. Sie geht von dem Studiengang als einem „Experimentierfeld [...] [aus], in dem eine Dekonstruktion von Technik und Geschlecht stattfinden könnte“ (176). Zunächst sind ihre Interviewbeispiele jedoch voll von Klischees, wenn etwa über die Beweggründe der Studentinnen für den Besuch eines Frauenstudiengangs gesprochen wird. Dies thematisiert Kosmoss glücklicherweise auch in ihrem Fazit, indem sie darauf aufmerksam macht, dass sich die Frauen für ein Frauenstudium entscheiden, weil sie Diskriminierungen in den als Männerbereiche geltenden Studiengängen erwarteten. In den Begründungen für diese Entscheidung würden häufig stereotype Bilder benutzt.
Im zweiten Teil des Buches mit dem Schwerpunkt „Heterogenität, Schule und Beruf“ zeigen die Autorinnen, dass neben der Kategorie Geschlecht auch der Einwanderungshintergrund eine beachtenswerte Komponente für die Perspektive der Mädchen in Bildungsinstitutionen bildet. Umso bemerkenswerter ist die Tatsache, die im Abschnitt „Mädchen aus Einwandererfamilien in der Schule“ (verfasst von Leonie Herwartz-Emden, Verena Schurt, Wiebke Waburg, Cornelia Braun und Maria Hirschauer) erwähnt wird. Es wird deutlich, dass nur wenige Studien existieren, die sich den Mädchen mit Migrationshintergrund im deutschen Bildungssystem widmen. Dabei wäre z.B. das Phänomen erklärungsbedürftig, dass sie es trotz besserer Leistungen als die Jungen mit Migrationshintergrund in der Schule nicht schaffen würden, ihre Bildungsvoraussetzungen auf die berufliche Laufbahn zu übertragen.
Zu Beginn des Beitrags werden „defizitäre“ familiäre Voraussetzungen und mangelnde Unterstützung durch die Familien als Problem für den schulischen Werdegang der Mädchen fokussiert. Obwohl später auch strukturelle Gründe genannt werden und von einer „defizitgeprägte[n] Sichtweise“ (197) von Seiten der Instanzen der Bildungsinstitutionen gesprochen wird, könnte dadurch zunächst der Eindruck entstehen, die MigrantInnen seien selbst verantwortlich für das schlechte Abschneiden im Schulsystem. Später zeigt sich jedoch, dass bei der Diskriminierung nicht nur die Herkunft ausschlaggebend ist, sondern es eine Überlagerung mit der Geschlechtszugehörigkeit zu geben scheint. Die Diskriminierungen könnten noch nicht abschließend erklärt werden, es werde jedoch von „weitaus subtilere[n] Prozesse[n] oder Effekte[n] [ausgegangen], die sich zum einen etwa nur indirekt vermittelt [...] niederschlagen und zum anderen in einer weniger spezifischen Fokussierung [...], wie der interaktiven Ebene des Unterrichts, zum Tragen kommen“ (199).
Im Beitrag von Leonie Herwartz-Emden und Cornelia Braun wird die „Leistungsentwicklung von Mädchen und Jungen“ mit speziellem Fokus auf die Bedeutung der Kategorie Geschlecht in der Grundschule betrachtet. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass die Relevanz der zutage tretenden Differenzen von Schüler/innen je nach Forschungsfrage von den Bildungsstudien unterschiedlich eingeschätzt werde. Im Fazit wird dann auch endlich in Verbindung mit den Unstimmigkeiten der Ergebnisse von der Notwendigkeit einer kritischen Betrachtung gesprochen, welche nicht nur in Bezug auf die angewandten Instrumente, Interpretationen und Einordnungen vorgenommen werden müsste. Es wird auf die Vielgestaltigkeit der Kinder innerhalb einer Genusgruppe hingewiesen und auf die Notwenigkeit des Hinzuziehens weiterer Erklärungsansätze für Unterschiedlichkeiten. Warum nun wieder die Erfahrungen der Vorschulzeit und der familiäre Hintergrund hinzugenommen werden, wobei zu Beginn der Grundschulzeit doch keine signifikanten Unterschiede festgestellt worden sind, sollte besser begründet werden. Lediglich auf „differentielle Entwicklungsmilieus erst in der Sekundarstufe des deutschen Bildungssystems“ (243) zu verweisen, scheint ein wenig kurz geraten.
Im vorletzten Kapitel wird durch Maria Hirschauer vom „Umgang mit ethnischen Stereotypen durch Schüler/innen mit Migrationshintergrund“ berichtet. Die Autorin deutet bereits die ambivalente und somit kaum zu überwindende Situation für nahezu 19 % der Gesamtbevölkerung in der Bundesrepublik an: einerseits werde auf völlige Eingliederung in Form von totaler Anpassung in die Mehrheitsgesellschaft bestanden, andererseits würden bestimmte strukturelle Bedingungen und symbolische Grenzen existieren, die besonders schwer zu bewältigen seien. Dieser Abschnitt fällt aufgrund der fehlenden Geschlechterforschungsperspektive aus der Reihe „Weibliche Adoleszenz und Schule“ heraus. Erst in den letzten Sätzen des Textes kommt es zu einer kurzen Einschätzung der Autorin, dass Jungen und Mädchen bzw. Frauen und Männer möglicherweise unterschiedliche Strategien entwickeln, um mit negativen Stereotypen umzugehen (vgl. 265). Wie jedoch in den vorausgegangenen Texten zum Ausdruck kommt, sind es höchstwahrscheinlich auch jeweils andere Geschlechterstereotypisierungen, mit denen die Individuen konfrontiert werden.
In der Forschungsarbeit von Birgit Behrensen und Manuela Westphal geht es um Migrantinnen, die „trotz Benachteiligung erfolgreich im Beruf [sind]“ (269). Ergebnisse ihrer qualitativen Studie zeigen: Lehrpersonen können z.B. mit der entsprechenden Aufklärung über die Funktionsweisen des Schulsystems, aber auch durch Ermutigung, Förderung und Beziehungsangebote, dazu beitragen, dass herkunftsbedingte Unterschiede bewältigt werden können. Wie die Autorinnen richtig anmerken, scheint diese positive Begegnung jedoch eher ein glücklicher Zufall als die Regel zu sein (vgl. 279, 281, 183). Darum wird zum Schluss für mehr „Eigensinn“ plädiert, der die institutionellen Logiken des Bildungssystems, die zur Diskriminierung von MigrantInnen führen, aufbricht (283). Korrekterweise werden auch die interkulturelle Bildungsforschung und die LehrerInnenaus- und Fortbildungsinstanzen dazu aufgefordert, diese Erkenntnis stärker zu berücksichtigen.
Die diversen Perspektiven, aus denen in dem Buch auf „Mädchen in der Schule“ geblickt wird, verschaffen einen vielseitigen Einblick und benennen einige der wichtigsten Aspekte des Bildungswesens. Die einzelnen Abschnitte stehen für sich und eröffnen jeweils ein neues Feld, über das es sich nachzudenken lohnt. Mehr kann ein Sammelband aufgrund seiner knappen Kapazitäten generell nicht leisten, als dazu einzuladen, die eine oder andere Thematik zu vertiefen.
EWR 11 (2012), Nr. 2 (März/April)
Mädchen in der Schule
Empirische Studien zu Heterogenität in monoedukativen und koedukativen Kontexten
Opladen: Barbara Budrich 2010
(289 S.; ISBN 978-3-8664-9139-7; 29,90 EUR)
Lydia Jenderek (Paderborn)
Zur Zitierweise der Rezension:
Lydia Jenderek: Rezension von: Herwartz-Emden, Leonie / Schurt, Verena / Waburg, Wiebke (Hg.): Mädchen in der Schule, Empirische Studien zu Heterogenität in monoedukativen und koedukativen Kontexten. Opladen: Barbara Budrich 2010. In: EWR 11 (2012), Nr. 2 (Veröffentlicht am 10.04.2012), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978386649139.html
Lydia Jenderek: Rezension von: Herwartz-Emden, Leonie / Schurt, Verena / Waburg, Wiebke (Hg.): Mädchen in der Schule, Empirische Studien zu Heterogenität in monoedukativen und koedukativen Kontexten. Opladen: Barbara Budrich 2010. In: EWR 11 (2012), Nr. 2 (Veröffentlicht am 10.04.2012), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978386649139.html