EWR 10 (2011), Nr. 6 (November/Dezember)

Sammelrezension zum Thema Impact Research & Evidence Based Practice in Social Work

Hans-Uwe Otto / Andreas Polutta / Holger Ziegler (Hrsg.)
Evidence-based Practice – Modernising the Knowledge Base of Social Work?
Opladen: Barbara Budrich 2009
(268 S.; ISBN 978-3-8664-9121-2; 26,00 EUR)
Hans-Uwe Otto / Andreas Polutta / Holger Ziegler (Hrsg.)
What Works – Welches Wissen braucht die Soziale Arbeit?
Zum Konzept evidenzbasierter Praxis
Opladen: Barbara Budrich 2010
(268 S.; ISBN 978-3-8664-9122-9; 28,00 EUR)
Evidence-based Practice – Modernising the Knowledge Base of Social Work? What Works – Welches Wissen braucht die Soziale Arbeit? Die Debatte um eine stärkere Etablierung evidenzbasierter Praxismodelle in sozialarbeiterischen/ sozialpädagogischen Handlungszusammenhängen ist in den letzten Jahren lauter geworden. Verbunden mit Beobachtungen in angrenzenden Praxisfeldern der Sozialen Arbeit – insbesondere im Gesundheitsbereich – und orientiert an vorangegangenen Entwicklungen im englischsprachigen Feld der Sozialen Arbeit lässt sie sich bisher vor allem als eine Diskussion beschreiben, die mit nicht unwesentlichen Ängsten um den Grad zukünftiger professioneller Selbstbestimmung von SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen einhergeht. Dem korrespondiert eine politisch aufgeladene Atmosphäre auf der Ebene wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit der Sozialen Arbeit. Dort wird neben der professionspolitischen Frage nach der Einführung modularisierter, auf Evidenz fußender Programme nämlich zudem die damit eng verbundene Problematik wirkungsnachweisender sozialwissenschaftlicher Studien verhandelt.

Dass die solchermaßen einander gegenseitig flankierenden Debatten um Evidence-based Practice und Impact Research die professionellen wie wissenschaftlichen Gemüter im Dunstkreis Sozialer Arbeit gleichermaßen erhitzt, ist dabei nicht weiter verwunderlich, berührt die Thematik doch geradezu brennglasartig gleich mehrere Grundfragen nach der Situiertheit und inneren Verfasstheit moderner sozial(pädagogisch)er Handlungsfelder. Es geht hier nämlich – mindestens – zum einen um die klassische Frage nach individuell-professionellen Handlungsspielräumen vs. organisational-sozialbürokratischen Handlungsvorgaben, sowie zum anderen um Fragen der grundsätzlichen Vorhersagbarkeit resp. Planbarkeit der in diesem Zuge jeweils vollzogenen (Inter-) Aktionen.

Die beiden in Jahresfolge erschienenen Herausgeberbände von Hans-Uwe Otto, Andreas Polutta und Holger Ziegler haben sich dieses Themenzusammenhangs nun systematisch angenommen, und zwar vornehmlich unter dem professionell-praktisch relevanten Label evidenzbasierter Praxis. Sie schließen damit an einen bereits 2007 herausgegebenen Band von Hüttemann und Sommerfeld zum Thema an und ergänzen den Diskurs in diesem Zuge – so sei vorweggenommen – noch einmal um wertvolle und zum Teil erfreulich systematische Perspektiven.

Der zunächst erschienene englischsprachige Band zum Thema aus dem Jahr 2009 weist bereits auf interessante und vielgestaltige Perspektiven innerhalb der Diskussion hin. Im Gesamtaufbau sowie seiner herausgeberischen Rahmung und Strukturierung entspricht er dabei einem klassischen Tagungsband (was auch den Hintergrund des Projekts darstellt). Nichtsdestotrotz argumentieren die meisten der hier versammelten Beiträge auf einem Niveau, das durchaus als thesengeleitet-interpretativ und nicht als lediglich (kritisch-) deskriptiv einzuordnen ist. Gleichwohl werden hier sowohl praktisch als auch wissenschaftlich fokussierte sozialarbeitsinteressierte LeserInnen fündig. Denn bereits die Beiträge des ersten Teils des Bandes greifen einerseits grundsätzliche Fragen nach der Dimension von (Fakten-) Wissen in der Sozialen Arbeit auf, sowie insbesondere nach dessen Verhältnis zur jeweiligen Position von Fachkräften und AdressatInnen sozialarbeiterischer Interventionen. Andererseits werden in diesem Zuge aber auch sehr konkrete Einblicke in Implementierungsvarianten evidenzbasierter Praxis in verschiedenen Handlungsfeldbereichen Sozialer Arbeit gegeben, so etwa in den Palliativbereich (Malcolm Payne) sowie den Bereich der Sozial- und Gesundheitsfürsorge (Janet Newman).

Im zweiten Teil des Bandes geht es sodann in vier verschieden fokussierten Beiträgen um theoriesystematische und methodologische Fragen des wissenschaftlichen Umgangs mit dem Phänomen „Evidenz“. Das in methodischer Hinsicht im Zentrum der Debatte stehende Verfahren der sog. Randomized Control Tests (RCTs) wird dabei zunächst in den Beiträgen von Pignotti/ Thyer und Soydan vorgestellt und für den Bereich der Sozialen Arbeit begründet. Im Anschluss an diese beiden Beiträge kann mit Martyn Hammersleys Beitrag eine Gegenperspektive auf das Sujet eingenommen werden, welche hauptsächlich mit wissenschaftstheoretischen Argumenten ausgestattet ist.

Der sich hieran wiederum anschließende Beitrag von Pawson/ Tilley ist zwar durchaus interessant, sein genauer Bezug zum Thema der Evidence-based Practice, geschweige denn deren methodologischer Dimension, bleibt hier jedoch etwas unklar. Die von den Autoren beschriebene Realist Evaluation ist zwar inhaltlich gut nachvollziehbar, entspricht aber – erstens – eher dem Standard hermeneutischer Zirkularität in Programmevaluationskontexten insgesamt als dass hier eine besonders neuartige Vorgehensweise präsentiert würde. Zweitens lässt er keine tieferen Bezugnahmen auf die Debatte um evidenzbasierte Praxis erkennen, sondern verbleibt in seiner Argumentation im allgemeinen Diskurszusammenhang der Evaluationsforschung.

Der dritte Teil des Bandes hält noch einmal interessante Beiträge zur Dimension aktueller und zukünftiger Professionalisierungstendenzen bereit, die genaue herausgeberische Abgrenzung zum ersten Teil des Bandes bleibt dabei allerdings etwas unklar. So lässt sich insgesamt für diesen Band eine interessante Fülle an Einzelbeiträgen mit zumeist klarem Bezug zur Thematik der Evidence-based Practice konstatieren, wobei die genauen Gründe für die herausgeberische Unterteilung des Bandes in die drei vorfindbaren Teile etwas im Dunkeln bleiben.

Eher am Rande bleibt zudem kritisch zu erwähnen, dass die Verwendung britischen und amerikanischen Englischs innerhalb der Herausgeberbeiträge nicht konsistent ist. Dies fällt jedoch insofern nicht weiter ins Gewicht, als dass man hier im Vergleich mit anderen international kontextualisierten Werken ein insgesamt überaus hohes Sprachniveau zu konstatieren hat.

Die wenigen oben angesprochenen Mängel des ersten Titels setzen sich im zweiten hier zu besprechenden Band desselben Herausgeberteams aus dem Jahr 2010 in gewisser Weise fort. Vom sprachlichen Niveau her ist auch dieser Band hoch anzusiedeln, und die Übersetzungen aus dem Englischen von Erika Richter kommen sehr flüssig daher. Jedoch fällt auf, dass hier zuweilen Originalzitate mit übersetzt wurden, was zumindest streitbar ist. Vor allem aber überzeugt auch dieses Mal die editorische Einteilung der Beiträge nicht wirklich, sondern erscheint etwas arbiträr bzw. in der Titelsetzung redundant.

Nichtsdestotrotz wirkt dieser Band insgesamt noch ein wenig überzeugender als das Vorgängerwerk. Das diesmal deutschsprachige Buch ist – das wird dem/r LeserIn bereits beim Blick auf die einzelnen Beiträge und deren AutorInnen deutlich – keineswegs eine schlichte Übersetzung des oben besprochenen Titels, sondern ein gänzlich eigenständiges Werk, welches – auch hier sei soviel bereits vorweggenommen – noch einmal eine klare Perspektiverweiterung zum Thema bereithält.

Dies liegt ganz wesentlich an den hier versammelten Beiträgen, vor allem aber auch an der in diesem Fall sehr gelungenen Einleitung des Herausgeberteams, das dieses Mal ohne klassisches Editorial, sondern direkt mit einem äußerst eigenständigen Beitrag in den Band startet. Dieser Eingangsartikel hält eine interessante Einführungsvariante ins Thema bereit, welche die zentralen Diskussionspunkte um das Evidence-based Practice-Phänomen skizziert, ohne deswegen argumentativ an der Oberfläche des Gegenstands zu bleiben. Stattdessen werden die zentralen Fragen zum Thema (wie etwa: „Was misst (experimentelle)Wirkungsmessung?“ (12), „Warum wird eine evidenzbasierte Manualisierung der Praxis kritisiert?“ (17)) systematisch referiert und transparent-kritisch beleuchtet. Dies macht den Text nicht nur für die Weiterentwicklung der Diskussion, sondern gleichzeitig auch für die Verwendung in der Hochschullehre wertvoll.

Der daran anschließende Text von Jennifer L. Bellamy et al. umreißt dann zunächst noch mal die zentralen Stichpunkte evidenzbasierter Sozialarbeitspraxis. Dass dabei eine im engeren Sinne analytische Metaperspektive auf das skizzierte Terrain uneingenommen bleibt, ist etwas erstaunlich für einen weiteren Auftaktbeitrag zum Thema. Es könnte jedoch auch interpretiert werden, dass die solchermaßen sichtbar werdende, mangelnde Reflexion der eigenen Objektbereichskonstruktion gerade als ein zentrales, genuines Problem der Debatte gesehen werden kann. Entsprechend wäre die Entscheidung der Herausgeber, den Beitrag in der vorzufindenden Weise an eine solch prägnante Stelle zu setzen, wieder durchaus nachvollziehbar. Dies gilt umso mehr, als im weiteren Verlauf des Bandes kein Mangel an (kritischen) Metaperspektiven zum Gegenstand zu verzeichnen ist. Die facettenreichen und vielschichtigen Positionierungen und Kontextualisierungen, die in diesem Zuge zum Tragen kommen, eröffnen so ein insgesamt weitestgehend überzeugendes Panorama. Exemplarisch sei, um noch mal ein etwas konkreteres Bild davon zu geben, was den/ die LeserIn hier erwartet, noch auf zwei Beiträge des Bandes eingegangen.

Der Beitrag von Matthias Hüttemann überzeugt durch eine klar historisch-erkenntnistheoretische Entfaltung der eigenen Perspektive auf Vorstellungen evidenzbasierter Praxis. Dabei werden nicht nur der Zusammenhang von EBP und Ursache-Wirkungsdenken, sowie ihr Zusammenhang zu Evaluations- und Evaluationsnutzungsforschung erörtert, sondern auch etablierte Kritikpositionen erörtert und relationiert. Das Urteil Hüttemanns zum Gegenstand erscheint insofern ausgewogen, als dass es im Ergebnis weder dem Mythos vollständiger Empirisierung wissenschaftlicher Aussagen huldigt, noch der ebenso bekannten wie verkürzten Gegenthese das Wort redet, demzufolge professionelle sozialarbeiterische/sozialpädagogische Praxis in hervorstechender Weise dem Technologiedefizit sozialer Interaktionen unterliege.

Als weitere, diesmal stärker kritisch pointierte Argumentation innerhalb des Bandes sei hier noch der Beitrag von Gert Biesta skizziert. Biesta stellt nacheinander systematisch drei Defizite evidenzbasierter Forschung und v.a. Praxis heraus: 1. Ein Wissensdefizit im Sinne eines Wissens zwar über Möglichkeiten des Zusammenhangs von Handlungsursachen und Handlungsfolgen, nicht aber im Sinne eines Wissens als Gewissheit. 2. Ein Wirksamkeitsdefizit im Sinne des grundlegenden Problems, überhaupt Faktoren innerhalb sozialer Interaktionsprozesse bestimmen zu können, die dann als Ausgangspunkte für bestimmte Wirkungen angesehen werden können. 3. Ein Anwendungsdefizit im Sinne der Problematik, dass Praxen, die wissenschaftlichen Verfahren gegenüber konform gehen, selbst nicht schlichtweg vorhanden sind, sondern erst – gleichsam als stete Laborisierung – hergestellt werden müssen.

Es ist müßig zu argumentieren, dass Biesta hier im Sinne einer Kritik letztlich nur hätte das dritte seiner Argumente in Stellung bringen müssen, da es die Berechtigung, von Wirkungen oder Wirksamkeiten auszugehen, bereits in einem Schlag mit außer Kraft setzt. Interessanter erscheint etwas anderes, nämlich die Tatsache, dass Biesta seine zuvor durchaus überzeugend entfaltete, dreischrittige Argumentation im Ende nicht dazu nutzt, wofür sie sich hervorragend eignen würde, nämlich für einen weiteren Schritt zur Herstellung erklärender Theorie, um dem/ der LeserIn verständlich zu machen, dass Modelle evidenzbasierter Praxis trotz ihrer im Gegensatz zur etablierten sozialpädagogischen Praxis gänzlich anders arrangierten Sinnlogik zunehmend Raum greifen.

Stattdessen setzt Biesta eine professionspolitische Gegenperspektive zur identifizierten, gleichsam fremdlogischen Struktur evidenzbasierter Praxis an den Schluss seiner Betrachtung. Dies wiederum eint den Beitrag mit vielen anderen Artikeln beider Bände. Was dem/ der LeserIn beider Werke also weitestgehend selbst überlassen bleibt, ist, sich anhand all der hier versammelten, mal engagiert-anwaltschaftlichen, mal kritisch-thesengeleiteten, durchweg aber hoch informativen Beiträge ein eigenes Bild davon zu machen, warum über all dies eigentlich gesprochen wird. Vielleicht wäre diese zentrale Frage ein interessanter Leitgedanke für einen noch ausstehenden, dritten Band des Herausgeberteams zum Thema.
Philipp Sandermann (Trier)
Zur Zitierweise der Rezension:
Philipp Sandermann: Rezension von: Otto, Hans-Uwe / Polutta, Andreas / Ziegler, Holger (Hg.): Evidence-based Practice – Modernising the Knowledge Base of Social Work?. Opladen: Barbara Budrich 2009. In: EWR 10 (2011), Nr. 6 (Veröffentlicht am 14.12.2011), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978386649121-1.html