Die von der Kultusministerkonferenz (KMK) herausgegebenen Bildungsstandards für Schülerinnen und Schüler sowie Standards für die Lehrerbildung sind Folgen der Ergebnisse internationaler Leistungsvergleichsstudien und verbunden mit dem Bestreben, von einer Input- zu einer Output- bzw. Outcomeorientierung zu gelangen. Im Anschluss an erste Arbeiten von Oser und Oelkers (2001) veröffentlichte die KMK 2004 Standards für die Lehrerbildung, auf die bereits der Titel der vorliegenden Monographie rekurriert. In dieser Ende 2011 an der Universität Köln vorgelegten Dissertation fragt Mareike Landmann danach, welche Relevanz „die in den KMK-Standards formulierten Kompetenzbereiche im Arbeitsalltag von Lehrerinnen und Lehrern haben“ (9).
Unter Verwendung der Absolventenforschung untersucht die Autorin, inwieweit die Lehramtsausbildung auf eine erfolgreiche Bewältigung der im Lehrerinnen- und Lehrerberuf gestellten Anforderungen vorbereitet und auf welche Handlungsfelder der Lehrerrolle sich die Lehramtsbefähigung bezieht. Ihre Dissertation gliedert sie dabei mit nicht immer eindeutig zu ziehenden Grenzen in einen Forschungs- und einen Evaluationsteil. Begründet mit einem aus der Evaluation resultierenden Nutzungsinteresse verwendet Mareike Landmann in der Tradition der soziologischen Rollentheorie den Begriff der 'Lehrerrolle'. Die Wahrnehmung dieser thematisiert sie im Forschungsteil aus verschiedenen Perspektiven, indem sie die Sichtweise der Bildungspolitik mit der der Lehrerbildnerinnen und Lehrerbildner in der wissenschaftlichen Diskussion und ihrer empirischen Evidenz aus Sicht der Lehramtsabsolventen kontrastiert.
Aus diesem wissenschaftlichen Diskurs über die Lehrerinnen- und Lehrerrolle differenziert die Autorin die zwei vonseiten der Lehrerbildner zentralen Positionen. Sie unterscheidet zwischen „eine[r] grundständige[n] Lehrerrolle, die sich auf die Kernbereiche des Unterrichtens und Erziehens beschränkt“ (11) und einer erweiterten Auffassung der Lehrerrolle. Diese nimmt den KMK-Standards entsprechend die Handlungsfelder Beurteilen, Beraten, Innovieren und „das Handlungsfeld 'Fachwissenschaften' […] [auf, welches] implizit in den vier Bildungswissenschaftlichen Handlungsfeldern berücksichtigt wird“ (42).
Da Standards berufliche Anforderungen operationalisieren, leitet Mareike Landmann aus den Kompetenzbereichen Unterrichten, Innovieren, Erziehen und Beurteilen der KMK-Empfehlungen für die Bildungswissenschaften (2004) und den fächerübergreifenden Anforderungen der Fachwissenschaften (2008) schließlich ein Modell des Lehrerhandelns ab, das Grundlage des Evaluationsteils ist. Es „entsteht eine Skala zu Anforderungen des Lehrerberufs und der Fähigkeit, diese zu erfüllen“ (59). Anhand der Gegenüberstellung wahrgenommener Anforderungen mit den selbsteingeschätzten Fähigkeiten angehender Lehrpersonen intendiert die Autorin retrospektiv die universitäre Lehrerinnen- und Lehrerbildung in Nordrhein-Westfalen zu evaluieren. Die Sichtweise der Absolventinnen und Absolventen der Lehramtsstudiengänge in der Phase des Berufseinstiegs bestätigt den Standpunkt relativ umfassender Anforderungsbereiche der KMK.
Der für diese Gegenüberstellung verwendete Fragebogen stammt aus dem 'Kooperationsprojekt Absolventenstudien' (KOAB), welches vom Internationalen Hochschulforschungszentrum Kassel (INCHER) koordiniert wird und an welchem Mareike Landmann vonseiten der Universität Köln involviert ist. Als ein Kooperationspartner von etwa 60 an diesem Projekt beteiligten Hochschulen führt die Universität Köln seit 2008 jährlich Absolventenstudien durch. Unter anderem aufgrund des sich an die universitäre erste Phase der Lehrerinnen- und Lehrerbildung anschließenden Vorbereitungsdienstes wurde nach den Erfahrungen zweier Evaluationszyklen deutlich, dass es der Entwicklung eines lehramtsspezifischen Fragebogens bedarf. Dass das Ziel des KOAB-Projektes eine Evaluation der „Studiengänge vor dem Hintergrund beruflicher Anforderungen“ (51) ist, erklärt unter anderem die Argumentation und Herangehensweise der Autorin.
Die empirischen Untersuchungen dokumentieren ein eindeutiges Gefälle zuungunsten der in der erweiterten Lehrerinnen- und Lehrerrolle ergänzten Handlungsfelder. Die vier KMK-Kompetenzbereiche finden demnach nur ungleichmäßige Berücksichtigung in der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung. Eine gute bis zufriedenstellende Vorbereitung erfolge nur in den traditionellen Handlungsfeldern Unterrichten und Erziehen. Allerdings zeigt Mareike Landmann wiederholt auf, dass eine offensichtliche Überschneidung der Handlungsfelder die Ergebnisinterpretation erschwert. Nichtsdestotrotz hält sie konsequent an der Abgrenzung dieser Handlungsfelder entsprechend der KMK-Kompetenzbereiche fest. Die Autorin verweist auf zwei wesentliche Probleme ihrer Untersuchung. Einerseits studierten die Befragten noch gar nicht in den gemäß KMK-Standards neu strukturierten Studiengängen, andererseits fand die Befragung erst am Ende der zweiten Phase der Lehrerinnen- und Lehrerbildung statt, sodass sich die Evaluationsergebnisse auf beide Phasen beziehen.
Da die Ergebnisse zudem nur aus Selbsteinschätzungen angehender Lehrpersonen resultieren, fehlt eine Auseinandersetzung mit den Vor- und Nachteilen solcher Selbstauskünfte. Forschungsprojekte wie die BilWiss-Studie untersuchen ebenfalls, inwieweit angehende Lehrpersonen in ihrem Studium auf einen professionellen Umgang mit den beruflichen Anforderungen vorbereitet werden und das mit Forschungsergebnissen jenseits von Selbstauskünften. Denkbar wären curriculare Untersuchungen und Vergleiche gewesen, um unabhängig von Selbsteinschätzungen Rückschlüsse auf die inhaltliche Ausgestaltung der Lehrerinnen- und Lehrerbildung der Befragten zuzulassen.
Insgesamt gerät der Austausch über Gestaltungsmöglichkeiten durch den gewählten Zugang zum Verständnis des Lehrerinnen- und Lehrerberufs über die soziologische Rollentheorie in den Hintergrund. Die rein auf die Anforderungs- und Erwartungsperspektive fokussierte Argumentation engt den Blick ein, da die Rollentheorie eben kein einheitliches Lehrerbild abbildet, sondern eine Lehrerrolle generiert, die diffusen Erwartungen verschiedener Bezugsgruppen ausgesetzt ist. Eine daraus entstehende erhöhte Erwartungshaltung droht zu Belastungen zu führen, die ohne weitere Schlussfolgerungen nur angedeutet werden. Anstatt über die Facetten einer wie auch immer gearteten Lehrerrolle zu verhandeln, sollte es in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung vielmehr darum gehen, realistisch einzuschätzen, welchen Anteil Lehrpersonen am Zustandekommen von Lernleistungen haben.
Dass die an Lehrerinnen und Lehrer gestellten Anforderungen ohnehin einem gesellschaftlichen Wandel sowie Veränderungen, die aus bildungspolitischen Entscheidungen und Vorgaben resultieren, unterliegen, konstatiert Mareike Landmann selbst. Die Antwort auf diese Dynamiken sieht sie im lebenslangen Lernen und deutet auf eine notwendige Stärkung der Fort- und Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern hin, die ihre zunehmende Relevanz aus der festgestellten immer größer werdenden Komplexität und stärkeren Ausdifferenzierung der Lehrerrolle erfährt. Die Auseinandersetzung mit Gestaltungsmöglichkeiten der ersten Phase erweist sich voraussichtlich als konstruktiver als eine Verlagerung in die dritte Phase der Lehrerinnen- und Lehrerbildung. Des Weiteren bewirkt eine stärkere Ausrichtung der universitären ersten Phase auf die Kompetenzbereiche Beurteilen und Innovieren nicht automatisch eine 'Verbesserung' der Lehrerinnen- und Lehrerbildung.
EWR 13 (2014), Nr. 6 (November/Dezember)
Standards fĂĽr die Lehrerbildung
Eine empirische Untersuchung zur Sicht angehender LehrerInnen
Opladen, Berlin, Toronto: Budrich UniPress Ltd. 2013
(182 S.; ISBN 978-3-8638-8033-0; 19,90 EUR)
Kristin Stein (Dresden)
Zur Zitierweise der Rezension:
Kristin Stein: Rezension von: Landmann, Mareike: Standards fĂĽr die Lehrerbildung, Eine empirische Untersuchung zur Sicht angehender LehrerInnen. Opladen, Berlin, Toronto: Budrich UniPress Ltd. 2013. In: EWR 13 (2014), Nr. 6 (Veröffentlicht am 04.12.2014), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978386388033.html
Kristin Stein: Rezension von: Landmann, Mareike: Standards fĂĽr die Lehrerbildung, Eine empirische Untersuchung zur Sicht angehender LehrerInnen. Opladen, Berlin, Toronto: Budrich UniPress Ltd. 2013. In: EWR 13 (2014), Nr. 6 (Veröffentlicht am 04.12.2014), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978386388033.html