
Zu Beginn des ersten Abschnitts konkretisiert Jörg Strübing jene Gefahren durch die marktförmige Organisation von Wissenschaft, welche handlungsleitende Prinzipien wie die Güte der Forschung, die Integrität von erhobenen Daten sowie die Tatsache, dass Forschung auch immer einen Kommunikationsprozess darstellt, untergraben können. Damit thematisiert Strübing den hintergründig ablaufenden Abwertungsdiskurs zwischen interpretativer und rekonstruktiver Forschung. Dies und der Hinweis auf die Gefahr einer einseitigen Betrachtung des Datenkorpus durch die eigene Profilierung von Forscher:innen sind wichtige Punkte, speziell wenn es um die einführende Vermittlung von Forschungsmethoden geht. Ingrid Miethe konkretisiert jene handlungsleitenden wissenschaftlichen Prinzipien, welche insbesondere im Zuge der Erstellung von Abschluss- und Qualifikationsarbeiten durch die Euphorie des ersten Erschließungsversuchs eines Feldes oder durch eine zeitliche Begrenzung von Forschungsmitteln zu kurz kommen können. Damit thematisieren Miethe wie auch Strübing die unmittelbare Eingebundenheit und Verbundenheit der Forscher:innen in und mit ihrem Untersuchungsgegenstand, wodurch Forschung als „dialogischer Prozess“ (50) begriffen werden kann.
Anja Schierbaum leitet mit einem leicht nachvollziehbaren Ablauf einer Sequenzanalyse in den zweiten Abschnitt des Bandes ein, welcher mit seinen Beiträgen die „sinnverstehende Wirklichkeitserschließung“ (59) im Kontext der Sozial- und Erziehungswissenschaften umkreist. Schierbaum gelingt es dabei, im Kontext der Objektiven Hermeneutik, die grundlegende Bedeutung einer Beherrschung des Spurenlesens bei der Textinterpretation zu unterstreichen, welche schlussendlich das Allgemeine über die Form von „Ausdrucksgestalten“ (71) hervorbringt. Merle Hummrich bedient sich ebenfalls am metaphorischen Spurbegriff und erweitert diesen aus einem methodologischen Blickwinkel mit der Spurensicherung und dem Spurenlesen. Analog zur Aufklärung von Kriminalfällen erarbeitet die Autorin dabei das „Primat der Offenheit“ (84). So kann sich beispielsweise die Suche nach manifesten Hinweisen mit archivierenden Tätigkeiten überlappen, was die Prozesshaftigkeit qualitativer Forschung sowie eine „Dialektik von Allgemeinem und Besonderem“ (93) erkennbar macht. Der Begriff der Offenheit gegenüber den Forschungsergebnissen spielt auch bei der Grounded Theory-Methodologie die zentrale Rolle, wie Claudia Equit und Tessa-Marie Menzel in ihrem Beitrag betonen. Speziell die klassische Variante der induktiven Theoriegenerierung aus den Daten bedingt es, jegliches theoretische Vorwissen seitens der Forscher:innen tunlichst auszuklammern, was besonders den von Strübing erwähnten Abwertungsdiskurs befeuert.
Equit und Menzel stellen sich dieser Frage über den Umgang theoretischen Vorwissens im Zuge des iterativ-zyklischen Analyseprozesses. Mit pragmatischen und ausdifferenzierten Überlegungen, ausgehend von dem hierbei zentralen Konzept der „theoretical sensitivity“ (115), gelingt es den Autorinnen, diesen Fragen angemessen zu entgegnen und damit einen Beitrag zur prozesshaften Weiterentwicklung der Methodologie zu leisten. Diese Prozesshaftigkeit innerhalb der qualitativen Forschungsmethoden wird von Sina-Mareen Köhler vertieft: Über die Konstatierung einer Verwobenheit von Biographie, Entwicklung von Institutionen und Organisationen sowie gesellschaftlichen Transformationen stellt sie Überlegungen zum Potential qualitativer Längsschnittforschung an und veranschaulicht diese überblicksartig. Das Resultat ist eine Begründung und die Veranschaulichung eines innovativen Mixed-Method-Designs, in Form einer „zeitsensiblen Forschungsweise nach der Dokumentarischen Methode im Längsschnitt“ (127). Dies kann vor allem in den erziehungswissenschaftlichen Kontexten mit Fokus auf Diskontinuitäten seine Vorteile zeigen. Hier vermag es Köhler mit einer präzisen Ausformulierung an Kriterien an das Forschungsdesign, die Vielseitigkeit qualitativer Forschung auszuleuchten und damit die große Palette der Anwendungsfelder grob zu skizzieren. Ronnie Oliveras beschließt den Überblick ausgewählter qualitativer Forschungsmethoden mit den gewonnenen Erkenntnissen einer Metaphernanalyse zu der Frage, wie sich familiäre Beziehungen im Laufe der Jahre verändern. Auch dieses Forschungsdesign mit dem Anspruch, metaphorische Ausdrücke so zu systematisieren, um Alltagsaktivitäten zu strukturieren, weist einen hohen Komplexitätsgrad auf. Es besticht jedoch mit seiner Schlüssigkeit, welche Oliveras damit begründet, dass dem „vermeintlich Selbstverständliche[n]“ (157) vielfältige Bedeutungen innewohnen.
Der Band schließt zum einen mit einem Einblick von Steffen Großkopf in die laufende Debatte um die Etablierung der Diskursforschung. Er weist auf Definitions- und Standardisierungsversuche hin, welche sich aber durch die jeweils eigenständige Entwicklung am Gegenstand wieder selbst korrumpieren. Auch eine klare erziehungswissenschaftliche Ausrichtung kann Großkopf anhand des Ursprungs der Methodik nicht ausmachen. Thorsten Fuchs ergänzt abschließend nochmals mit der konkreten Benennung jene Herausforderungen, welche die methodischen Debatten hervorrufen: Es bedarf, wie dieser Band mehr als ausreichend zu veranschaulichen vermag, einer intensiven Auseinandersetzung mit der jeweiligen Methodik und Erfahrung, um ihr Vermögen, ihre Grenzen sowie ihre Begrenztheit zu reflektieren und diese Punkte transparent darzustellen und ihre Wahl zu begründen. Die hier versammelten Beiträge leisten dazu einen wichtigen Beitrag.
Dieser Sammelband erfüllt den von den Herausgeber:innen selbst auferlegten Anspruch eines „einführenden Charakters“ (7) mit Bravour und empfiehlt sich insbesondere durch seine grundlegenden und zeitgemäßen Überlegungen im Vorfeld qualitativer Forschungsvorhaben. Er eignet sich speziell durch seine Bedienung an inhaltlich heterogenen Exempeln und den schrittweisen Veranschaulichungen verbreiteter qualitativer Forschungsmethoden für fortgeschrittene Studierende der Erziehungswissenschaft wie auch für Methodenseminare. Darüber hinaus erscheint die Lektüre dieses Bandes für avancierte Forscher:innen als abwechslungsreiche Denksportübung, um einem drohenden „Tunnelblick“ (7) im Zuge des eigenen Schaffens prophylaktisch zu begegnen. Indem er zum einen den ausufernden wissenschaftlichen Konkurrenzkampf thematisiert und zum anderen die oft erzwungene Notwendigkeit einer Ideologisierung von Methoden klar benennt, kann dieser Band damit als Plädoyer für eine (Rück-)Besinnung auf die Prozesshaftigkeit jeglicher sozialwissenschaftlicher Forschung verstanden werden, welche sich besonders im Kanon der Erziehungswissenschaften durch einen dialektischen Charakter ausweisen sollte.