EWR 19 (2020), Nr. 3 (Juli / August)

Ingrid Jungwirth / Carola Bauschke-Urban (Hrsg.)
Gender and Diversity Studies
European Perspectives
Opladen / Berlin / Toronto: Barbara Budrich 2019
(326 S.; ISBN 978-3-8474-0549-8; 39,90 EUR)
Gender and Diversity Studies Gleichstellungspolitische und Antidiskriminierungs-Aktivitäten in Form von Richtlinien und Gesetzen nahmen in den letzten Jahrzehnten in der EU deutlich zu. So erlangten auch die Gender und Diversity Studies eine zunehmende Präsenz und Bedeutung in der Forschung und im sonstigen Arbeitsalltag von Universitäten. Die Herausgeberinnen Ingrid Jungwirth und Carola Bauschke-Urban beleuchten in dem Sammelband „Gender and Diversity Studies. European Perspectives“ eine „Vielzahl von Ansätzen der Gender and Diversity Studies in verschiedenen Regionen Europas als eine wichtige Basis für die zukünftige Entwicklung des Feldes“ (9). In vier Teilen haben sie Beiträge über die Entwicklung der Gender und Diversity Studies inner- und außerhalb der EU zusammengestellt. Fokussiert werden dabei „Chancengleichheit und Menschenrechte (1), Praktiken, Konzepte und Methoden der Gender und Diversity Studies (2) und Veränderungen der sozialen Ungleichheiten: Arbeit und Organisationen (3)“ (19). Der als Lehrbuch konzipierte Sammelband ist vorwiegend an Lehrende und Studierende der Gender und Diversity Studies gerichtet. Ebenso gewinnbringend lässt es sich in anderen Studienkontexten wie der politischen Bildung oder der Erziehungswissenschaft einsetzen. Jeder Beitrag des Bandes schließt mit einigen Fragen, die in Seminaren als Diskussionsgrundlage dienen könnten.

Der erste Teil „Equal Opportunities and Law“ beinhaltet fünf Beiträge, in deren Mittelpunkt relevante gesetzliche Rahmenbedingungen auf EU-Ebene und in einzelnen Ländern stehen, die aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven analysiert werden. Petra Ahrens und Anna van der Vleuten geben zunächst einen Überblick über die Entwicklung europäischer Instrumente zur Förderung der Chancengleichheit sowie über relevante Akteure, die an der Durchsetzung bzw. Verbesserung dieser Instrumente arbeiten. Darauf basierend verdeutlichen die Autorinnen eindrücklich die großen Herausforderungen, die sich beispielsweise durch die Lockerung von „hard laws“ zu „soft laws“ (z.B. Benchmarking) oder die Zunahme von rechtskonservativen, populistischen Parteien im europäischen Parlament ergeben. Die Juristin Doris Liebscher vermittelt in dem sich anschließenden Beitrag einen aufschlussreichen Überblick über die rechtliche Situation in Deutschland. Dabei geht sie speziell auf die Bedeutung des 2006 eingeführten Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) ein und zeigt – am Beispiel der ethnischen Zugehörigkeit – wie im Falle einer Diskriminierung konkret vorgegangen werden kann und welche Verbesserung das AGG bringt, z.B. durch die Möglichkeit private Unternehmen zu verklagen oder die Vorgabe der Beweislastumkehr. Hazel Conley betrachtet die Implementierung der Gleichstellung der Geschlechter im öffentlichen Sektor in Großbritannien am Beispiel des Equal Treatment Act (2010). Besonders aufschlussreich aus Sicht der Rezensentinnen ist die theoretische Perspektive der responsiven (Nonet / Selznick, 1978 / 2001) bzw. reflexiven (Teubner, 1983) Gesetzgebung, die das Potential von partizipativen Prozessen und der Beteiligung zivilgesellschaftlicher Akteure verdeutlicht. Hülya Sigma und Zeynep Oya Usal untersuchen die Auswirkungen von EU-Konventionen auf Frauen in der Türkei am Fallbeispiel von Serife Yigit, die sich in einer religiösen Ehegemeinschaft befindet. Da diese Form von Eheschließung in der Türkei gesetzlich nicht anerkannt ist, bleiben diesen Frauen grundlegende Rechte wie der Anspruch auf Sozialleistungen verwehrt. Die Autorinnen kritisieren vehement den Europäischen Gerichtshof, diese de facto Partnerschaft nicht anzuerkennen, und damit – ebenso wie die türkische Regierung – die daraus resultierende indirekte Diskriminierung nicht zu unterbinden. Der erste Teil der Buchs schließt mit einer Betrachtung von Amel Grami zur politischen Partizipation von Frauen in Tunesien seit dem Arabischen Frühling. Sie analysiert den Prozess der Umsetzung des Parity Law (2011) und zeigt die kulturellen und strukturellen Gründe auf, weshalb Frauen in politischen Funktionen weiterhin unterrepräsentiert sind.

In dem zweiten Teil „Gender and Diversity Studies: Concepts and Methods“ haben die Herausgeberinnen fünf Beiträge zu spezifischen Konzepten und Methoden aufgenommen. Anna Temkina und Elena Zdravomyslova stellen die Entwicklung der Gender Studies unter den politischen Bedingungen in Russland dar. Missverständnisse, Neuausrichtungen und ein Fokus auf konventionelle Geschlechterrollen führten dazu, dass ein ideologisch zugespitztes Genderkonzept sowohl als Grundlage für Geschlechtergleichstellungsmaßnahmen als auch für die nationalistische politische Agenda diente. Martina Tißberger stellt die Critical Whiteness-Studien als Methode einer hegemonialen Selbstreflexion ins Zentrum ihrer Diskussion und zeigt die Intersektion von Rassismus und Sexismus auf. Heike Weinbach beschreibt Trainings für soziale Gerechtigkeit mit einem sogenannten dialogischen Ansatz, dessen Ziel es ist, Empathie und gegenseitiges Verständnis zu entwickeln, um Diskriminierungen zu verhindern. Dagmar Vinz stellt dar, dass mit dem transdisziplinären Konzept „Science & Fiction“ nicht nur ein interdisziplinärer Dialog eröffnet wird, sondern auch eine Brücke zwischen dem akademischen Feminismus und der populären Kultur geschlagen werden kann. Constanze Schwärzer-Dutta präsentiert ein weiteres Diversity-Trainingskonzept mit Anti-Bias Ansatz und zeigt die historische Entwicklung des Konzepts auf und wie es in der Erwachsenenbildung in Deutschland Anwendung findet. Die Bewusstmachung von Machtstrukturen, interpersoneller und struktureller Diskriminierung steht dabei im Vordergrund.

Der dritte Teil des Buchs zu „Changing Social Inequalities“ enthält nur einen Beitrag. Peter Streckeisen präsentiert den Business Case für Diversity und analysiert kritisch die Arbeitsmarktpolitik der EU. Er würdigt die anspruchsvollen Ziele der Chancengleichheit, zeigt jedoch ebenso auf, wie die Regularien zu sozialer Ausgrenzung und Kontrolle beitragen.

Der vierte Teil „Work and Organizations“ rundet das Buch mit drei empirischen Beiträgen ab, die sich mit der Situation von Frauen in unterschiedlichen Berufsfeldern befassen. Ingrid Jungwirth legt eine umfassende Analyse der Ausschlussmechanismen von Frauen mit Migrationshintergrund in MINT Berufen in Deutschland vor. Sarah Vader fokussiert ihre Betrachtung auf Frauen in der Medizin und zeigt im Rahmen einer Fallstudie, wie Geschlechterunterschiede im deutschen Krankenhauskontext reproduziert werden. Victoria Showunmi präsentiert in ihrem Beitrag erste Ergebnisse aus einem laufenden Forschungsprojekt zur Identitätskonstruktion von „Black Minority Ethnic (BNE) women leaders“ (300) in Großbritannien. Hier wird besonders deutlich, wie wichtig es ist, die Intersektionalität von Diversity-Dimensionen mitzudenken, um die Komplexität und Vielschichtigkeit von Diskriminierungsproblematiken adäquat abzubilden.

Den Anspruch des Sammelbandes, unterschiedliche Ansätze der Gender und Diversity Studies in verschiedenen Länderkontexten aufzuzeigen, lösen die Herausgeberinnen gekonnt ein. Besonders erfrischend ist hierbei, dass – anders als der Titel zunächst suggerieren mag – auch Länderkontexte über Europa hinaus (z.B. Tunesien, Russland) adressiert werden, die bisher weniger Aufmerksamkeit in der internationalen Diversity-Forschung genossen haben. Zudem beeindruckt, wie umfangreich das übergeordnete politische und institutionelle Umfeld – sowohl auf nationaler als auch auf supra-nationaler Ebene – thematisiert wird. So gelingt es, ein differenziertes Gesamtbild zu zeichnen, das zu kritischen Reflexionen über die Wirkungen vorherrschender (politischer) Machtverhältnisse anregt und daraus resultierenden Konzepten und Praktiken, die in Organisationen, aber auch im Rahmen von Gender und Diversity Studies selbst Anwendung finden. Damit ist der Sammelband nicht nur für Studierende und Lehrende interessant, sondern auch für Forschende und Gleichstellungsinteressierte aus Politik und betrieblicher Praxis eine äußerst bereichernde Lektüre.
Vanessa Bernauer und Angela Kornau (Hamburg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Vanessa Bernauer und Angela Kornau: Rezension von: Jungwirth, Ingrid / Bauschke-Urban, Carola (Hg.): Gender and Diversity Studies, European Perspectives. Opladen / Berlin / Toronto: Barbara Budrich 2019. In: EWR 19 (2020), Nr. 3 (Veröffentlicht am 02.09.2020), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978384740549.html