
Das Buch fĂŒhrt im ersten Teil in die vier theoretischen Grundpfeiler der Studie ein: Rassismen, Antirassismus, Subjektivierung, postmigrantische Gesellschaft. Aufbauend auf einer EinfĂŒhrung in zentrale Konzepte und Diskussionen der Postcolonial Studies sowie der kritischen WeiĂseinsforschung/Critical Whiteness Studies, entwickelt Ohnmacht ein VerstĂ€ndnis von Rassismus als gesellschaftliches MachtverhĂ€ltnis und symbolischer Ordnung, die Diskurse, institutionelle Strukturen, Praktiken und Subjektvorstellungen formt. Zentral ist fĂŒr ihn die Kategorie der Rassismuserfahrung, die er fĂŒr seine Befragtengruppe vor allem als Privilegierungserfahrungen konkretisiert. Angesichts der Unmarkiertheit weiĂer Positionen geht es Ohnmacht v.a. um die empirisch zu ergrĂŒndende Frage, âob eine politische Positionierung als Antirassist oder rassismuskritischer Aktivist hier einen Einfluss auf das Wissen ĂŒber und die Wahrnehmung der eigenen sozialen Position und der damit zusammenhĂ€ngenden sozialen wie politischen Positionierung hatâ (85). Was dabei unter Antirassismus und antirassistischem Engagement zu verstehen ist, ist, wie Ohnmachts Rekonstruktionen der breiten Landschaft des Antirassismus und antirassistischer KĂ€mpfe zeigen, selbst Teil diskursiver Aushandlung.
Um das VerhĂ€ltnis von diskursiven Strukturen und konkreten Subjekten zu konzeptualisieren und empirisch erforschbar zu machen, wird im nĂ€chsten Schritt ein an Althusser, Foucault und Butler anschlieĂendes subjektivierungstheoretisches Analyseinstrumentarium vorgestellt. Methodologisch ĂŒbersetzt im Sinne einer empirischen Subjektivierungsforschung [1] vermag dieses sowohl die Unterwerfung der Subjekte unter machtvolle gesellschaftliche Ordnungen wie Rassismus, als auch die relative Handlungsmacht der Subjekte in den Blick zu nehmen. Mittels eines GesellschaftsverstĂ€ndnisses als postmigrantisch stellt Ohnmacht schlieĂlich mit konkreterem Bezug auf den österreichischen Kontext unterschiedliche wirkmĂ€chtige Rassismen heraus (etwa Antisemitismus, antimuslimischer und antiziganistischer, postkolonialer, migrantischer und antislawischer Rassismus).
Diese umfassenden und kenntnisreichen theoretischen AusfĂŒhrungen dienen sodann nicht nur als theoretische Forschungsperspektive, sondern angesichts des Erkenntnisinteresses an weiĂer Subjektbildung im Kontext des Antirassismus ebenso als Kontextualisierung des Gegenstandes selbst.
In den daran anschlieĂenden methodischen Ăberlegungen erfolgt eine knappe Diskussion der Verbindung von Diskurs- und Biographieforschung sowie die Vorstellung des narrativ-biographischen Interviews und der Rekonstruktion narrativer IdentitĂ€t. Weitere methodologische AusfĂŒhrungen dazu, wie sich die Wahl der Auswertungsmethode angesichts einer zuvor erfolgten Abgrenzung vom IdentitĂ€tsbegriff zugunsten des Konzepts der Subjektivierung verhĂ€lt, wĂ€ren an dieser Stelle spannend gewesen.
Der empirische Teil der Arbeit widmet sich vier Fallrekonstruktionen, die diskursive BezĂŒge, Positionierungen und Praktiken herausarbeiten sollen. Dabei wird dem facettenreichen empirischen Material viel Raum geschenkt, indem auch Interviews jenseits der umfassenden Fallrekonstruktionen im Rahmen von kĂŒrzeren Falldarstellungen vorgestellt und somit in der Gesamtschau besprochen werden. Die empirischen Rekonstruktionen fĂŒhren eindrĂŒcklich vor, wie unterschiedlich Rassismus und die eigene Positionierung innerhalb rassistischer VerhĂ€ltnisse verstanden und biographisch verarbeitet werden. Gerade der biographische Zugang macht hier sichtbar, inwiefern die Befragten in rassistische WissensbestĂ€nde hineinsozialisiert wurden. Dabei wird dieses Wissen âzum Teil reflektiert und verlernt, andernorts ist es aber grundlegend fĂŒr soziale wie politische Positionierungsprozesseâ (322). Ohnmacht hĂ€lt fest, dass â trotz Selbstbeschreibung der Befragten als antirassistisch engagiert â etwa in der HĂ€lfte der Interviews Rassismus nicht thematisiert wird, was er auf Wissensdefizite, fehlende Privilegierungserfahrungen und eine angelernte Ignoranz fĂŒr Rassismuserfahrungen zurĂŒckfĂŒhren kann. Als durchaus ambivalente antirassistische Selbsttechniken, die in unterschiedlichem MaĂe in den Interviews kritisch reflektiert und auf eigene Positioniertheiten bezogen werden, stellt der Autor Reisen (v.a. in postkoloniale Kontexte), Auseinandersetzung mit kritischen theoretischen LektĂŒren sowie AnknĂŒpfungen an antirassistische Traditionslinien heraus. Im Rahmen der Frage nach rassismuskritischer Subjektbildung wird deutlich, dass sich Scheitern in der Auseinandersetzung mit Rassismus und Antirassismus fĂŒr die kritische Auseinandersetzung als produktiv erweist (âVoran-Scheiternâ, 333f.), sich Prozesse der Re-Positionierung, der Wieder- und Neubesetzung privilegierter Positionen, mit solidarischen politischen Positionierungen kombinieren und Erfahrungen mit Rassismus und Privilegierung, sowohl eigene als auch die anderer, anerkannt statt angeeignet werden können.
Ohnmachts empirische und durchaus kontrastreiche Analysen fĂŒhren dabei eindrucksvoll vor, wie mittels verschiedener diskursiver BezĂŒge antirassistisches politisches Engagement sehr unterschiedlich konstruiert wird und zeigen dabei das Untersuchungsfeld selbst als vielstimmige diskursive Praxis und Feld diskursiver Aushandlungen. Neben dem Fokus auf rassistische Strukturen macht die Studie implizit auch die Rolle von klassenbezogener Privilegierung im Kontext antirassistischer Engagements sichtbar, die v.a. in den Thematisierungen von Reisen, aber auch intellektueller RĂ€ume und Studienbiographien sichtbar wird. Gerade aus subjektivierungstheoretischer Perspektive wĂ€re es â sicherlich auch fĂŒr das auf Subjektbildung gerichtete Erkenntnisinteresse â interessant gewesen, die Interviewsituation selbst als Situation der performativen Hervorbringung, Wiederholung und Brechung diskursiver StrĂ€nge analytisch zu beleuchten. Angedeutet wird die Relevanz des Interviews als Positionierungs- und Aushandlungsraum z.T. in den kurzen Beschreibungen der Interviewsituation. Dies verweist auf das Potenzial, insbesondere angesichts geteilter und nicht-geteilter Positionierungen mit dem Forscher (weiĂ, mĂ€nnlich, âantirassistischâ âgebildetâ, Alter) RĂ€ume des (Un-)Sagbaren auch empirisch zu rekonstruieren.
Gleichwohl handelt es sich bei Florian Ohnmachts Studie um eine Ă€uĂerst lesenswerte, theoretisch wie empirisch ĂŒberzeugende Arbeit, von der sicherlich nicht nur eine an weiĂen Subjektpositionen interessierte Rassismus- und Subjektivierungsforschung angeregt werden kann, sondern aus der auch ĂŒber wissenschaftliche Kontexte hinaus Gelingensbedingungen antirassistischer und rassismuskritischer EinsĂ€tze privilegiert Positionierter abgeleitet werden können.
[1] BosanÄiÄ, S.; Brodersen, F.; Pfahl, L.; SchĂŒrmann, L.; Spies, T. & Traue, B. (2022): Following the Subject. Grundlagen und ZugĂ€nge empirischer Subjektivierungsforschung. Springer VS Wiesbaden.