
Der Band besteht aus sieben Beiträgen, deren Struktur die Herausgeber:innen wie folgt verstehen: Nach einem einführenden Beitrag, in dem wesentliche Aspekte des Diversity Managements mit Blick auf den Entwicklungsprozess der letzten Jahre dargelegt werden, folgen fünf Beiträge mit unterschiedlichen Perspektivierungen. Der letzte Beitrag widmet sich dem internationalen Diversitätsimperativ und leitet Konsequenzen für die Diversitätsforschung ab.
Im ersten Beitrag analysiert Bettina Jorzik die Anfänge des Diversity Managements an deutschen Hochschulen seit 2008 mit Fokus auf das Diversity Audit des Stifterverbands. Sie strukturiert ihren Beitrag chronologisch und beleuchtet die Bedeutung von Diversität in den Hochschulentwicklungsphasen. Im Fazit kritisiert sie aktuelle Fehlentwicklungen, wie temporäre Maßnahmen und „defensive Bewältigungsstrategien" (20), und betont die Notwendigkeit, Diversitätsmanagement und Reflexion zu verknüpfen, um eine diversitätsfreundliche Hochschulkultur zu fördern. Die Autorin schließt mit der Nennung von als bedeutsam einzuschätzenden Erfolgsfaktoren für ein nachhaltiges Diversitätsmanagement.
In den folgenden fünf Beiträgen werden verschiedene Perspektiven auf Diversität im Hochschulkontext eingenommen. So betrachtet Julika Griem Diversitäts-Semantiken im deutschen Wissenschaftssystem. Zunächst markiert sie Unterschiede auf der Länderebene: Während NRW oder Berlin für eine fortgeschrittene Verankerung diversitätsbezogener Initiativen und auch Professuren steht, steht Bayern dieser bei Weitem nach. Am Beispiel der Universität Duisburg-Essen (UDE) und der Technischen Universität München (TUM) zeigt sie auf, dass die TUM humankapitalistisch geprägt ist, während die UDE (auch) Ziele der Chancengerechtigkeit verfolgt. Diese Ansätze ordnet sie den Konzepten „business case“ und „social justice case“ zu. Anhand der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) diskutiert sie Kontroversen im Diversitätsdiskurs im Spannungsfeld von identitätspolitischer Beeinflussung und notwendiger Transformationspolitik. Sigrid Nieberle fokussiert die semiotische Ebene. Ausgehend von der Beobachtung, dass soziokulturelle Diversität allgemeinhin in wertschätzender und affirmativer Weise im Kontext von Diversity Politiken kommuniziert wird, analysiert sie das Selbstverständnis der Charta der Vielfalt. Sie verdeutlicht, inwiefern durch sprachliche Mittel wie Alliterationen und Assonanzen ein kollektives Wir im Sinne einer „Poetik der Selbstverpflichtung” erzeugt wird.
Dabei bleibt offen, inwiefern derartige Bekenntnisse tatsächlich zu strukturellen diversitätsbezogenen Veränderungen führen. Der Beitrag von Il-Tschung Lim basiert auf einer empirischen Studie, in der die Implementation von Diversity Politiken als Ausdruck einer normativen kulturellen Orientierung an deutschen Hochschulen untersucht wird. Er verknüpft die Ergebnisse mit der neo-institutionalistischen Organisationsforschung und thematisiert Isomorphie (Strukturanpassung) sowie Decoupling (oberflächliche Anpassung ohne tiefgreifende Veränderung). Lim schließt, dass aktuelle Reformen einen irreversiblen Kulturwandel in Hochschulen bewirken und der Wert mit Verweis auf Luhmanns „Poesie der Reformen” im Prozess liege, da Steuerungs- und Kontrollmöglichkeiten begrenzt und die Ziele unklar bleiben. Christian Schneijderberg und Isabel Steinhardt fragen, wie Diversity-Dimensionen wie Gender oder Behinderung in Akkreditierungskriterien abgebildet sind. Anhand einer Dokumentenanalyse und einem Topic-Modeling kommen sie zum Schluss, dass Akkreditierungsmaßnahmen als „sanftes Konditionalprogramm” (89) zwar kleine, diversitätsbezogene Veränderungen bewirken, jedoch keinen grundlegenden Kulturwandel oder tiefere Reflexionen anstoßen. Laila Riedmiller und Katharina Schmitt untersuchen die Verknüpfung von Diversity-Politiken und Internationalisierung an Hochschulen, gestützt auf eine Analyse deutscher und polnischer Verwaltungs- und Verantwortungsstrukturen. Sie identifizieren differente institutionelle Kontexte als Hindernis für standardisierte Ansätze und heben die divergierenden Logiken beider Felder hervor, die zwischen neoliberalen und machtkritischen Zielsetzungen oszillieren.
David Kaldewey schließt den Band mit einer fundierten Analyse des globalen Diversitätsimperativs und der aktuellen sozial- und kulturwissenschaftlichen Diversitätsforschung im Hochschulkontext. Unter Berücksichtigung der Selektivität jeder Diversitätsbetrachtung formuliert er zwei Heuristiken, die Differenzierung von Diversitätsdiskursen, -praktiken und -strategien und die Unterscheidung der Diversity-Logiken als „business case” versus „social justice case”. Zudem rekonstruiert der Autor drei zentrale Argumente für Diversität: das bildungspolitische, das epistemische und das Produktivitätsargument. Abschließend benennt er drei Hauptfelder der Diversifizierung an Hochschulen, indem er auf die Diversität der Studierenden und der Lehrenden und Forschenden sowie die Diversifizierung des Lehrplans verweist.
Insgesamt gibt der Band einen vielschichtigen Überblick über Herausforderungen des Diversity Managements an deutschen Hochschulen. Er richtet sich somit an interessierte Akteur:innen und Wissenschaftler:innen im Feld. Ausgehend von einer deskriptiven Analyse der Reformprozesse greifen die Beiträge sowohl organisationale als auch sozial- und kulturwissenschaftliche Perspektiven auf, um die Entwicklungen im Hochschulbereich im Kontext von Diversität zu erfassen. Der Band schafft es, die theoretische Fundierung von Diversität als „gesellschaftliche Semantik“ und „Leistungserwartung“ mit empirischen und praxisorientierten Befunden zu verknüpfen und verdeutlicht, wie unterschiedliche institutionelle Rahmenbedingungen und Diskurslogiken – etwa „business case“ vs. „social justice case“ – die Implementierung und Wirksamkeit von Diversity-Ansätzen beeinflussen.
Im Sinne des „social justice case” hätten die im Band angesprochenen ungleichheitsbezogenen Perspektiven durchaus tiefergehende machtkritische Fokussierungen von bzw. auf Diversity erhalten können – gerade da eben auf Prinzipien der Unternehmensführung basierende Diversity-Politiken eine instrumentalisierte Sicht auf Vielfalt fördern können und zur Verfestigung bestehender Machtverhältnisse neigen. Dabei werden Differenzen im Sinne humankapitalistischer Logik als Stärke bewertet, jedoch zugleich binäre und stereotype Kategorisierungen reproduziert sowie subtile Formen der Hierarchisierung und Identitätsfixierung zementiert, ohne die strukturellen Machtasymmetrien grundlegend in Frage zu stellen. Gleichwohl zeigt der Band auf, dass Diversity Management an Hochschulen nicht allein eine Frage des Managements, sondern einer umfassenden Reflexion über den Wandel universitärer und wissenschaftlicher Kulturen ist. Dabei bildet die methodische bzw. perspektivische Vielfalt von der semiotischen Analyse bis zur Dokumenten- und Interviewauswertung die Stärke des Bandes, durch die eine differenzierte Sichtweise auf die komplexen, oft konfliktbehafteten Dynamiken des Diversitätsdiskurses eröffnet wird.