Die Jugendhilfe hält eine Reihe von Leistungen vor, die auf die Unterstützung familialer Erziehung zielen. Zu diesen Leistungen gehört auch die Familienhilfe, die sich in den vergangenen Jahren als ein nicht unbedeutender Teilbereich der Jugendhilfe etabliert hat.
Eine Arbeit, die Familienhilfe ethnographisch untersucht und dabei, so der Titel, die pädagogische Konstruktion von Elternautorität als etwas Zentrales herausstellt, klingt hier vielversprechend, weil sie z.B. Antworten auf Fragen danach verspricht, wer im Kern der Familienhilfe eigentlich adressiert wird: Ist es Familie, ist es das Kind oder sind es die Eltern? Steht im Zentrum pädagogischer Bemühungen tatsächlich die Herstellung elterlicher Autorität? Und wenn ja, ist Familienhilfe dann etwa (nur?) Normierungsarbeit (für Kinder) in Bezug auf die Anerkennung der generationalen Ordnung der (erwachsenenzentrierten) Gesellschaft? Aber, um es vorweg zu nehmen: Geht man an die Studie mit solchen Interessen heran, wird man enttäuscht. Die vorliegende Arbeit ist keine Ethnographie, erst recht nicht der Familienhilfe.
Die vorliegende Untersuchung ist eher eine Analyse von Handlungsstrategien pädagogischer Professioneller gegenüber Eltern in einer besonderen Form der Familienhilfe, nämlich der Integrativen Familienhilfe (IF). Vor dem Hintergrund, dass der Anteil der Familienhilfen mit einer Dauer von bis zu einem halben Jahr, zu denen diese Hilfeform gehört, nur ca. ein Drittel aller Familienhilfen ausmacht [1],ist damit fraglich, inwiefern die Integrative Familienhilfe als typisch für „die Familienhilfe“ steht, wie es der Untertitel des Buches suggeriert.
Im Einzelnen: Zunächst verwundert, dass keine gegenstands- bzw. feldbezogene Einführung in die vorliegende Untersuchung erfolgt. Inwiefern es (sozial-) pädagogisch oder professions- oder sozialisationstheoretisch sinnvoll erscheint, Familienhilfe zu erforschen, wird nicht erläutert. Das mag, so denkt man zunächst, dem ethnographischen Interesse der Autorin geschuldet sein, das zugleich den gesamten ersten Teil der Studie speist: Denn für die Untersuchung ist, so König, der ethnographische Blick auf die „Sozialwelt der pädagogischen Einrichtung der Integrativen Familienhilfe“ (8) erkenntnisleitend in dem (weiten) Sinne, als es darum geht, „[h]inter das Schauspiel einer Sozialwelt, hinter die ihm inhärenten Darstellungen, Rollen und Vorgänge, hinter die Systeme der Konstruktion von Struktur und ihren Funktionen zu blicken“ (7).
Dieses ethnographische Interesse der Autorin befruchtet eine sehr gründliche Auseinandersetzung mit den methodischen Aspekten, als deren Ergebnis der erste, mehrere Kapitel umgreifende Teil der Studie anzusehen ist. Dieser stellt eine tiefgründige Auseinandersetzung mit den Hintergründen der Entwicklung der Ethnographie als Forschungsstrategie, den Methoden ethnographischer Forschung sowie den Besonderheiten pädagogischer Ethnographie dar. Interessierte Leser/innen erhalten hier einen kompakten und detaillierten Einblick in die historische Entwicklung, disziplinäre Ausdifferenzierung und methodologische Fundierung der Ethnographie. Das ist – ganz unabhängig von der nachfolgenden Studie – unbedingt lesenswert! Interessant für erziehungswissenschaftlich Forschende sind hierbei auch die differenzierten Ausführungen zum Verhältnis von Pädagogik und Ethnographie; für König scheint insbesondere die Fokussierung auf die Rekonstruktion der pädagogischen Ordnung entscheidend zu sein (vgl. S. 41ff.): Der ethnographische Blick ermögliche, dass „[d]as zu Bestimmende, hier das Pädagogische, […] bestimmbar [wird] […] D.h. pädagogische Ordnung als solche existiert nicht als eigene Seite der Wirklichkeit, sondern als „eine Form der Wirklichkeit“, die nur vorhanden ist, sofern sie gesondert und als spezifische wahrgenommen wird“ (50).
Aber: Leider erfolgt keine Rekonstruktion der pädagogischen Ordnung der Integrativen Familienhilfe. Vielmehr wird beim Lesen des Abschnitts zum forschungsmethodischen Vorgehen deutlich, dass diese als institutionelle Ordnung der Integrativen Familienhilfe implizit der Untersuchung vorausgesetzt ist. Obwohl wenige Seiten zuvor die dichte Beschreibung als das Programm der „Erfassung der Innenansicht des Untersuchungsfeldes“ (65) dargestellt wird, an dem sich auch die eigene Forschung orientiert (69), geschieht die „Feldbeschreibung“ (99) nicht als eine solche, sondern wird aus den einschlägigen Handbuchartikeln abgeleitet und von der Autorin als Kennerin des konkreten Untersuchungsfeldes nahe gebracht. Spätestens hier zeigt sich das Dilemma, mit dem diese Studie behaftet ist: Diese Untersuchung genügt den eigenen forschungsmethodischen Ansprüchen nicht. Sie ist nicht durch den sich wundernden Fremdheitsblick der Forscherin geprägt, den eine ethnographische Untersuchung erfordert, sondern durch einen wohlinformierten, durchaus sensiblen Expert/innen/blick, der aber ein „Insider/innen/-Blick“ ist: Als Diplompädagogin, also als erziehungswissenschaftlich gebildete Expertin zum einen sowie als ehemalige Praktikantin der Einrichtung kennt König das Handlungsfeld gut, sie ist geradezu vertraut mit den dortigen Regeln und pädagogischen Praktiken. Gleichwohl sie auf eigene Befremdungspraktiken verweist, gelingt ihr die für (pädagogische) Ethnographie notwendige Dezentrierung des Blickes, die das Pädagogische nicht voraussetzt, sondern erst zum Gegenstand der Rekonstruktion macht, nicht. Mithin liegt dies auch am – für ethnographische Forschung – kurzen „Feldaufenthalt“ von insgesamt nur acht Tagen (74) in fünf Wochen. Ansprüche, die ethnographische Forschung mit sich bringt, werden so jedenfalls nicht erfüllt, im Gegenteil verführt die Feldkenntnis der Forscherin eher: Denn die konzeptionell für die Integrative Familienhilfe angedachte und durch die Forscherin selbstläufig geteilte Vorstellung der pädagogischen Ordnung leitet hier den Blick. Wer pädagogisch handelt (und wer nicht), steht von Anbeginn der Untersuchung ebenso fest, wie die Rollen, die eingenommen werden: Eltern(teil), Kind, Pädagoge bzw. Pädagogin. Das ist an sich durchaus legitim, nur: Ethnographie ist es nicht.
Sieht man aber von diesem Anspruch an die Untersuchung ab, lassen sich im Weiteren einige Aspekte finden, die die vorliegende Studie im Hinblick auf die Frage dennoch lesenswert machen, wie das spezifische Setting der Integrativen Familienhilfe zur Förderung der „Erziehungsfähigkeit“ (Klappentext) von Eltern beiträgt. Auf der Grundlage teilnehmender Beobachtungen liegen hier z.T. theoretisch anspruchsvolle Analysen von Handlungsstrategien der Professionellen gegenüber den Eltern vor: Nachdem auf der Grundlage theoretisch-konzeptioneller Erörterungen und illustriert durch Beobachtungsausschnitte zunächst eine „analytische Feldbeschreibung“ (99) erfolgt, werden raumbezogene Inszenierungen und (Auf- und Zu-)Schließungspraktiken als Aspekte der Kooperation zwischen Eltern und Professionellen gelesen, die in der pädagogischen Ordnung des Feld „verankert“ (131) sind. Mit Rückgriff auf Bourdieus Kapitaltheorie werden dann die pädagogischen Interventionen und Handlungsstrategien als Arbeit an (elterlichen) Habitustransformationen gedeutet: Exemplarisch wird an unterschiedlichen Beobachtungssequenzen ausgearbeitet und diskutiert, wie über kleine, eher situative Interventionen von Professionellen das soziale, kulturelle und symbolische (weniger das ökonomische) Kapital der Eltern ressourciell ausgebaut wird und wie nicht angemessene Verhaltensweisen abgebaut, „dekonstruiert“ werden. Wiederum abgeleitet aus den theoretisch konzeptionellen Grundlagen der Integrativen Familienhilfe (197) sieht König das Ziel der pädagogischen Intervention darin, dass eine gegenüber den Kindern „adäquate elterliche Autorität“ (196f.) aufgebaut wird. In Bezug darauf erscheinen die Handlungsstrategien der Professionellen schlüssig, auch, wenn mir nicht alle der Interpretationen Königs ganz nachvollziehbar waren.
Fraglich bleibt m.E. zudem die Theoretisierung dieser Ergebnisse unter Rückgriff auf Bourdieu: Inwiefern nach der kurzen Beobachtungszeit in Bezug auf elterliche Verhaltensänderungen bereits von Inkorporierung von Verhaltens(erwartungen), von Habitusformung bzw. -transformation gesprochen werden kann, leuchtet nicht ein bzw. erscheint ein wenig als übers Ziel hinausschießend. Dies erst recht, weil schon die Beobachtung (äußerlicher) Verhaltensänderungen von Eltern als Anzeiger von Lernprozessen den Wert einer solchen Studie deutlich werden lassen. Dieser zeigt sich m.E. darin, hier differenzierte Aussagen zur Wirksamkeit pädagogischer Elternarbeit in einem spezifischen Setting zu generieren.
Insgesamt bleibt ein zwiespältiger Eindruck: Die Studie ist in ihrem forschungsmethodischen Anspruch klar begründet und gut ausformuliert, löst diesen Anspruch aber nicht ein. Der Studie fehlt eine explizite thematische Ausrichtung. Am Ende der Lektüre weiß man nicht genau, ob es hier eigentlich um einen Beitrag zu (sozial-)pädagogischer Professionalität, um die Wirkungsweisen (sozial-) pädagogischer Elternarbeit oder um eine Evaluation von evidence-based Practice geht. Die Beobachtungen und die Interpretationen der Beobachtungen zum Handeln der Pädagog/inn/en sind dennoch wertvoll in Bezug darauf, dass sie exemplarisch aufzeigen, wie im (scheinbar) Selbstverständlichen und in z.T. ganz alltagsweltlichen Interaktionen wertschätzend und empowernd mit Eltern gearbeitet werden kann und welche Folgen solche Handlungsstrategien haben (können). Das wiederum ist eigentlich nicht wenig, erscheint aber in Bezug auf den eigenen forschungsmethodischen Anspruch und die auf Bourdieu bezogene Theoretisierung der induzierten Verhaltensänderungen als Habitustransformation als ein wenig in zu großen Schuhen daherkommend.
[1] Fendrich, S. / Tabel, A.: Konsolidierung setzt sich weiter fort – aktuelle Entwicklungen in den Hilfen zur Erziehung. KomDat 2015 18(1), 5–7.
EWR 14 (2015), Nr. 6 (November/Dezember)
Die pädagogische Konstruktion von Elternautorität
Eine Ethnographie der Familienhilfe
Bielefeld: transcript 2014
(228 S.; ISBN 978-3-8376-2925-5; 29,99 EUR)
Christine Wiezorek (Gießen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Christine Wiezorek: Rezension von: König, Diemut: Die pädagogische Konstruktion von Elternautorität, Eine Ethnographie der Familienhilfe. Bielefeld: transcript 2014. In: EWR 14 (2015), Nr. 6 (Veröffentlicht am 02.12.2015), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978383762925.html
Christine Wiezorek: Rezension von: König, Diemut: Die pädagogische Konstruktion von Elternautorität, Eine Ethnographie der Familienhilfe. Bielefeld: transcript 2014. In: EWR 14 (2015), Nr. 6 (Veröffentlicht am 02.12.2015), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978383762925.html