
Carolin Kölzer geht es darum, aus dem Forschungsstand abgeleitete Annahmen und Hypothesen (Ausprägung des Arbeitsbegriffes bei Hauptschülerinnen und Hauptschülern, deren Vorstellungen über die Arbeitswelt bzw. über Arbeitslosigkeit) zu differenzieren sowie neue und weitere zu generieren, indem ein Fokus auf die emotionale Grundierung der Vorstellungen der Schülerinnen und Schüler gelegt wird. Die Besonderheit diese Studie liegt darin, dass die Vorstellungen einer gesellschaftlichen Gruppe in den Blick genommen werden, die in höchstem Maße von Arbeitslosigkeit und prekärer Arbeit betroffen ist, und dass der Forschungsgegenstand der Vorstelllungen von Schülerinnen und Schülern mit Emotionen und Betroffenheit verknüpft wird. Methodisch wurden die Probandinnen und Probanden dieser Studie selektiv nach den Kriterien Geschlecht, Migrationshintergrund und Erfahrungen mit Arbeitslosigkeit ausgewählt. 24 Hauptschülerinnen bzw. Hauptschüler wurden einzeln mittels eines semi-strukturierten Interviews in Anlehnung an das Problemzentrierte und Episodische Interview befragt. Die Vorstellungen der Hauptschülerinnen und Hauptschüler zu den Phänomenen Arbeit und Arbeitslosigkeit wurden analysiert, wobei auch ihre Zukunftsvorstellung bzw. ihre Lebensentwürfe und die Berufswahlentscheidung erhoben wurden. Im Rahmen der Auswertung der emotionalen Grundierung der Vorstellungen der Schülerinnen und Schüler zeigte sich die „Unsicherheitsbetroffenheit“, die als das zentrale Phänomen der Untersuchung bezeichnet werden kann. Dies wird definiert als eine zusammengesetzte Emotion, die auf den Grundgefühlen Furcht / Angst und Trauer / Kummer basiert. Sie entsteht, wenn das Ereignis Arbeitslosigkeit als „schlecht“ bewertet wird und gleichzeitig der Wunsch besteht, von ihr verschont zu bleiben, der bzw. die Jugendliche aber zur unsicheren Überzeugung kommt, dass Arbeitslosigkeit sie bzw. ihn in Zukunft doch betrifft und das Ereignis daher kognitiv ernsthaft als Bedrohung gesehen wird.
Die Ergebnisse der Studie liefern empirische Anknüpfungspunkte für eine sozioökonomische Bildung, die u.a. durch eine stärkere Subjektorientierung gekennzeichnet ist. Es wurden die realen Voraussetzungen einer sozioökonomischen Bildung im Hinblick auf das Wissen der Jugendlichen, ihre Werte, Einstellungen und Erfahrungen erfasst, ihre Lebenssituationen wurden gleichzeitig auf Gefährdungen hin analysiert. Arbeit und Arbeitslosigkeit sind emotional hoch aufgeladene Begriffe. Deswegen ist die Auseinandersetzung mit den beiden Begriffen im sozialwissenschaftlichen Unterricht immer von Emotionen begleitet. Die Befunde dieser Untersuchung sind: Die Normalitätsvorstellungen der Hauptschülerinnen und Hauptschüler werden durch das institutionelle Handeln von Hauptschule, Hauptschullehrpersonen und außerschulischen (Bildungs-) Einrichtungen verstärkt. Die Netzwerkressourcen von Hauptschülerinnen und Hauptschülern werden durch eine von institutioneller Seite verursachte Begrenzung auf „typische“ Berufe eingeschränkt. Die Hauptschule und der Unterricht tragen zur „Individualisierung sozialer Problemlagen“ bei und setzen Arbeitslosigkeit kaum in einen strukturellen, gesamtwirtschaftlichen Kontext. Eine sozioökonomische Bildung trifft bei der Schulform Hauptschule auf institutionelle Barrieren. Es wird institutionell eine individualisierte Sicht auf die Arbeitswelt erzeugt und eine individualistische Anpassung an diese forciert. Interessant sind die plausiblen fachdidaktischen Konsequenzen (Ermittlung und Reflexion alternativer Lebensentwürfe; Erkennen und Beurteilung von Chancen und Risiken der „neuen Arbeitswelt“ und von wirtschaftspolitischen und strukturellen Gestaltungsmöglichkeiten; Förderung eines „sozioökonomischen Blicks“; Emotionsarbeit als Reflexion verschiedener Formen von Betroffenheit), mit denen Carolin Kölzer ihre Studie abrundet.