Grundschule ist eine weibliche Domäne. Für die Lehrkräfte gilt das nach wie vor in ganz besonderem Maße. Hier unterrichten zu beinahe 90 Prozent Frauen. In der Schulleitung sieht das etwas anders aus. Mittlerweile ist der Anteil weiblicher Schulleitungen deutlich gestiegen. Er ist aber, gemessen am Frauenanteil in dieser Schulform, weiterhin unterrepräsentiert. Diese Situation nimmt Wiebke Bobeth-Neumann zum Anlass, um den Einfluss des Geschlechts bei dieser Karriere zu untersuchen. Im Kern geht die Autorin in ihrer Dissertation den Fragen nach, wie Grundschullehrkräfte den Weg ins Schulleitungsamt, die „Statuspassage“, bewältigen und welchen Einfluss dabei das soziale Feld und ihre Position in demselben haben. Bobeth-Neumann will die Rolle des Geschlechts in diesem Prozess klären: „Spielt die Geschlechtszugehörigkeit eine Rolle bei der Bewältigung der Statuspassage ins Schulleitungsamt, und wenn ja, worin besteht diese Relevanz?“ (13).
Den theoretischen Hintergrund ihrer Arbeit einschließlich des gegenwärtigen Forschungsstandes entfaltet Bobeth-Neumann in drei Kapiteln. Zunächst geht sie auf das Berufsfeld Grundschule ein. Sie zeichnet aktuelle Entwicklungen in dieser Schulform nach, geht aber nur punktuell auf deren Auswirkungen auf den Schulleitungsberuf ein. Ihre Ausführungen zu den bestehenden Geschlechterverhältnissen sowie auch zu den Karrierewegen in diesem Berufsfeld erhellen für den Leser die Situation im Bundesland Schleswig-Holstein und explizieren die subjektunabhängigen Strukturen des Feldes. Im Forschungsüberblick setzt sie sich im Hinblick auf ihre Fragestellung kritisch mit den seit 1981 vorliegenden deutschsprachigen Untersuchungen auseinander. Als theoretisches Fundament ihrer Analyse führt sie schließlich in das Denkmodell Bourdieus und die Rahmenanalyse Goffmans ein. Daraus resultierend erweitert sie ihre Fragestellung beispielsweise hinsichtlich geschlechtsbezogener Erwartungen des sozialen Feldes.
Die Autorin wählte einen qualitativen Zugang zum Forschungsfeld, bei dem mit neun Teilnehmerinnen und sechs Teilnehmern zweier unterschiedlicher Qualifizierungsmaßnahmen leitfadengestützte Interviews geführt wurden. Ergänzt wurde die Datenerhebung durch ausgewählte teilnehmende Beobachtungen während dieser Fortbildungen. Bei den Qualifizierungsmaßnahmen handelt es sich einerseits um das „Training zur Vorbereitung auf Schulleitungsaufgaben“ des schleswig-holsteinischen Instituts für Qualitätsmanagement, das aus verschiedenen Modulen besteht und 136 Stunden umfasst. Andererseits handelt es sich um den von der Christian-Albrechts-Universität Kiel angebotenen Fernstudiengang „Master für Schulmanagement und Qualitätsentwicklung“, der vier Semester umfasst. Beide Maßnahmen richten sich an Teilnehmer aller Schulformen. Durch die Fokussierung auf diese beiden Fortbildungsmaßnahmen blieben allerdings Schulleitungsaspiranten, die die Statuspassage ohne eine Fortbildungsteilnahme vor der Amtsübernahme bewältigen, unberücksichtigt. Ausgewertet wurden die Daten mit der dokumentarischen Methode nach Bohnsack. Die exemplarische Darstellung der Auswertungsschritte verdeutlicht das Vorgehen der Autorin.
Bobeth-Neumann beginnt ihre Ergebnisdarstellung mit einer Einführung in das Forschungsfeld. Diese, mit Protokollausschnitten der teilnehmenden Beobachtung entwickelte Explikation der Qualifizierungsformen bildet die Basis für das Verständnis der weiteren Ergebnisse. Den umfangreichsten Teil ihrer Arbeit widmet die Autorin der Darstellung der sinngenetischen Typenbildung. Hier ist ihr Blick induktiv auf unterschiedliche Bewältigungsmuster bei der Statuspassage gerichtet. Er bezieht die Dimensionen Nähe beziehungsweise Distanz zum sozialen Feld und Zielgerichtetheit beziehungsweise Vagheit bezogen auf den Positionswechsel ein. Für ihr Sample kann sie vier verschiedene Typen identifizieren: Erstens „Risikoloses Probehandeln“, bei dem sich Probanden durch eine große Nähe zum sozialen Feld bei gleichzeitiger großer Vagheit hinsichtlich der Aufstiegsentscheidung sowie des Einsatzes erworbenen Wissens in der aktuellen Position ausweisen. Probanden des zweiten Typs „Abgrenzungsneigung“ grenzen sich relativ stark vom sozialen Feld ab und sind zugleich bezogen auf ihre Karriere deutlich zielorientiert. Als dritten Typ macht Bobeth-Neumann Probanden mit „Bestätigungsbedürfnis“ aus. Es handelt sich um Probanden mit relativ großer Nähe zum sozialen Feld bei gleichzeitiger klarer Zielorientierung und hohem Bedarf an und Erhalt von Bestätigung. Als „Handelnder Positionsanstieg“ bezeichnet die Autorin einen vierten Typ, dessen Probanden in ihrem sozialen Feld Verantwortung übernehmen und über gute Vernetzung verfügen, ohne zunächst die unmittelbare Karriereperspektive im Blick zu haben. In ihrer Darstellung ergänzen sich Interviewaussagen und Ausschnitte der teilnehmenden Beobachtung. Immer wieder stellt die Autorin Bezüge zum Bourdieuschen Habituskonzept und zur Rahmenanalyse Goffmans her. Bewusst, und meines Erachtens richtig, verzichtet sie in diesem Auswertungsschritt auf die Ebene Geschlecht.
In der anschließenden soziogenetischen Analyse legt die Autorin dann das Geschlecht gleichsam als Filter über ihre bisherigen Erkenntnisse. Hier zeigt sie für ihr Sample auf, wie Männlichkeit und Weiblichkeit im Arbeitsfeld Grundschule beziehungsweise Grundschulleitung konstruiert werden. Bei diesen Gendering-Prozessen spielen die Akteure selbst wie auch das soziale Feld eine Rolle. Diese Prozesse unterscheiden sich allerdings bei den befragten Frauen und Männern voneinander. Während bei den Männern – unabhängig von den oben genannten Typen – das soziale Feld beispielsweise in Form von Ermutigung eine klar unterstützende Rolle einnahm, spielte dieses bei den Frauen eine ungleich geringere Rolle. Hier vollzogen sich die Gendering-Prozesse weitgehend aufseiten der Akteurinnen selbst. Gleichwohl hält die Autorin fest, dass es „den“ geschlechtsspezifischen Orientierungsrahmen bzw. „die“ weibliche oder männliche Aufstiegstaktik nicht gibt, und dass sich vielmehr bei allen Gemeinsamkeiten erhebliche innergeschlechtliche Differenzen ausmachen lassen. Abschließend betrachtet Bobeth-Neumann die beiden Qualifizierungsformen vor dem Hintergrund ihrer Untersuchungsergebnisse und resümiert über Geschlechterverteilung und Genderkompetenz im Berufsfeld Grundschule. Sie sieht den Aufstieg ins Grundschulleitungsamt – nicht nur, aber auch – durch das Geschlecht beeinflusst.
Insgesamt handelt es sich bei der vorliegenden Monographie um ein lesenswertes und gut lesbares Buch, das in der Schule tätige Personen ebenso anspricht wie Schulaufsicht und wissenschaftlich Arbeitende. Wohltuend ist, dass Wiebke Bobeth-Neumann sich zwar kritisch, nicht aber dogmatisch mit dem Einfluss des Geschlechts beim Aufstieg in die Schulleitungsposition auseinandersetzt. Sie liefert Erklärungen für divergierende Karrierewege und sensibilisiert damit die Leserinnen und Leser für verschiedene Einflussfaktoren.
EWR 14 (2015), Nr. 1 (Januar/Februar)
Karriere >>Grundschulleitung<<
Ãœber den Einfluss des Geschlechts beim beruflichen Aufstieg ins Schulleitungsamt
Bielefeld: transcript Verlag 2013
(396 S.; ISBN 978-3-8376-2466-3; 34,99 EUR)
Iris Hohberg (Bielefeld)
Zur Zitierweise der Rezension:
Iris Hohberg: Rezension von: Bobeth-Neumann, Wiebke: Karriere >>Grundschulleitung<<, Ãœber den Einfluss des Geschlechts beim beruflichen Aufstieg ins Schulleitungsamt. Bielefeld: transcript Verlag 2013. In: EWR 14 (2015), Nr. 1 (Veröffentlicht am 06.02.2015), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978383762466.html
Iris Hohberg: Rezension von: Bobeth-Neumann, Wiebke: Karriere >>Grundschulleitung<<, Ãœber den Einfluss des Geschlechts beim beruflichen Aufstieg ins Schulleitungsamt. Bielefeld: transcript Verlag 2013. In: EWR 14 (2015), Nr. 1 (Veröffentlicht am 06.02.2015), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978383762466.html