
Die Herausgeberinnen eröffnen ihren Sammelband mit einer ausführlichen Einleitung, in der sie sein Anliegen und dessen Prämissen darlegen, sowie Facetten und Entwicklungen des der Konzeption zugrundeliegenden Rassismusverständnisses zu umreißen versuchen. Den Kern dieses Verständnisses bildet die Betrachtung von Rassismus als einem komplexen sozialen Ungleichheitsverhältnis, das sich unterschiedlich manifestiert. Rassismus könne ihnen zufolge weder auf seine extremen Formen noch auf einen kolonialen Rassismus beschränkt werden, sondern funktioniere gegenwärtig vornehmlich als kultureller „Rassismus ohne Rassen“ (Hall, Balibar) in vielfältiger Weise.
Das Buch gliedert sich in insgesamt drei Abschnitte. Dabei bleiben die Gründe für die Aufteilung der Beiträge der ersten beiden Teile in zwei unterschiedliche Abschnitte für mich unklar. In ihnen beleuchten Autor/innen, die mehrheitlich aus der Kultur-, Sprach- und Literaturwissenschaft kommen, unterschiedlichste Manifestationen, Formen und Aspekte von Exklusion und Rassismus in unterschiedlichen Ländern. Im dritten Teil des Buches sind dann drei Artikel versammelt, die Einblicke in unterschiedliche pädagogische Projekte gegen Exklusion / Rassismus in Deutschland bieten.
Der Hauptteil (Teil I und II) stellt ein überaus breites Spektrum von Studien und Auseinandersetzungen vor, das sich aufgrund der Heterogenität der Beiträge kaum in zusammenfassender Form präsentieren lässt. Die unterschiedlichen Aspekte des im Sammelband zentral gesetzten Gegenstandsbereiches – Entwicklungen von Rassismus, Differenz und Exklusion nach 1989 in Europa – werden in den einzelnen Texten in verschiedener Weise, mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen oder auch Auslassungen aufgegriffen.
An dieser Stelle kann nur ein kurzer, selektiver Einblick in die Bandbreite der Artikel gegeben werden [1]: In einigen Texten ist die Analyse von Medien zentral: Stephen Hutchings und Vera Tolz widmen sich etwa der russischen Fernsehberichterstattung zu rassistisch motivierten Ausschreitungen und Gesine Drews-Sylla der Thematisierung von Rassismen in tschechischen Filmen. Für überaus gelungen halte ich den Beitrag von Barbara Wiedemann, in dem sie zwei, in Ost- bzw. in Westdeutschland genutzte Schullektüren inklusive entsprechender Sekundärliteratur im Hinblick auf antisemitische Tendenzen und Kontinuitäten untersucht und vergleicht. In mehreren Artikeln, insbesondere in jenen, in denen die Analyse politischer (Diskurs-)Entwicklungen in Ostmitteleuropa im Fokus steht, wird deutlich, dass sich nach 1989 in unterschiedlicher Weise etablierende Nationalismen in verschiedenen Ländern eine zentrale Rolle bei (rassistischen) Exklusionen zukommt. So zeichnet etwa Magdalena Marsovszky in ihrem Beitrag eindrücklich Entwicklungen und Ursachen des ungarischen Nationalismus sowie die Rolle der Neuen Rechten nach. Der Artikel von Barbara Tiefenbacher besticht u.a. durch das explizite Heranziehen von rassismustheoretischen Überlegungen und insbesondere Ansätze der Critical Whiteness Studies zur Konstruktion eines analytischen Rahmens für die Analyse der Diskriminierung von Roma und Romanija in der Slowakei.
Dass das Buch mit Beiträgen zu pädagogischen Projekten schließt, dass diese allesamt in Deutschland umgesetzt werden und dass sowohl im Projekt zu (Rechts-) Extremismusprävention (Regina Bossert und Lars Legath) der baden-württembergischen Landeszentrale für politische Bildung und des Landesamtes für Verfassungsschutz als auch im Projekt „Weltethos“ (Stephan Schlensog) die strukturelle Ebene von Rassismus offenbar unberücksichtigt bleibt, erscheint angesichts der vorangegangenen Analysen zu Rassismus, Nationalismus und Exklusion in Kultur, öffentlichem Diskurs und Politik in unterschiedlichen Ländern einigermaßen erstaunlich. Lediglich ManuEla Ritz greift in diesem Teil des Buches in ihren Ausführungen zu Anti-Rassismus-Workshops explizit auf einen Rassismusbegriff zurück, der Rassismus als strukturell verankertes Ungleichheitsverhältnis begreift, in das Menschen auf unterschiedliche Weise involviert sind.
Der Sammelband „Neue alte Rassismen?“ versammelt in seinem Hauptteil eine große Bandbreite von Beiträgen, die Themen und Aspekte beleuchten, zu denen im deutschsprachigen Forschungs- und Fachdiskurs in der Regel nur wenig zu finden ist. Viele Analysen und Diskurse, die hier zugänglich gemacht werden, sind meines Erachtens überaus aufschlussreich und verdienen durchaus mehr (analytische und diskursive) Aufmerksamkeit.
[1] Eine recht ausführliche inhaltliche Zusammenfassung der einzelnen Beiträge nehmen die Herausgeberinnen in der Einleitung vor, welche über den transcript-Verlag online zugänglich ist.