Die Phase des Berufseinstiegs von Lehrerinnen und Lehrern wird als wichtiger Teil des Professionalisierungsprozesses angesehen und gerade auch mit dem Entstehen einer Forschung um Professionalität und Professionalisierung mithilfe unterschiedlicher Forschungszugänge in den Blick genommen [1]. Dass die Frage nach der Gestaltung des Berufseinstiegs auch politische Brisanz hat, zeigt sich etwa an den Debatten um die so genannte „PädagogInnenbildung Neu“ und die damit verbundene Induktionsphase in Österreich [2]. Umso mehr verwundert es, dass das Referendariat als Forschungsgegenstand in den Erziehungswissenschaften nur sehr zögerlich in den Fokus rückt bzw. immer noch mit der oberflächlichen Diagnose eines Praxisschocks behaftet ist. Thomas Pille legt nun mit seiner Dissertation zu den Praktiken der Subjektivierung im Referendariat eine ethnographische Studie vor, die auch für die Erziehungswissenschaft interessante Einblicke und Anschlussmöglichkeiten bietet. Mit Pilles Fokus auf die Frage, „wie angehende Lehrer in ihrer zweiten Ausbildungsphase […] zu Agenten der Schule gemacht werden bzw. wie sie sich selbsttätig in diesen Zustand bringen“ (12), besetzt der Autor eine Leerstelle: Novizinnen und Novizen werden als aktiver Teil des Feldes Schule begriffen und so kann der Berufseinstieg jenseits der Frage, was angehende Lehrerinnen und Lehrer überhaupt können (müssen), erforscht werden.
Mit Rückgriff auf Foucault und Bourdieu entwickelt Pille seine „theoretischen Werkzeuge“ (37), die sich im Wesentlichen aus dem Konzept der Subjektivierung nach Foucault und der Praxeologie Bourdieus speisen und den Anspruch erkennen lassen poststrukturalistische und praxistheoretische Überlegungen zu vereinen. Diese Verortung bedeutet einen Bruch mit dem souveränen, sich bildenden Lehrendensubjekt, zu dem sich die Novizinnen und Novizen erst entwickeln müssen, das vielen erziehungswissenschaftlichen Untersuchungen zum Berufseinstieg nach wie vor zu Grunde liegt – dies zeigt sich etwa in verschiedenen Kompetenzmodellen der Professionalisierungsforschung. Pilles relativ knappe Beschreibung dieser „Werkzeuge“ lässt einige Fragen offen, die grundsätzliche Ausrichtung der Arbeit ist jedoch erkennbar und bestimmt auch deutlich die Ergebnisse der Studie. In der methodischen Umsetzung stützt sich der Autor auf „Ethnographie als Forschungsstrategie“ (71) – konkret begleitet er vier Referendarinnen und einen Referendar und beobachtet diese in deren Klassen, in den begleitenden Fachseminaren, dem Pädagogikseminar, bei Beratungsgesprächen, im Lehrerzimmer und bei privaten Treffen der Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger (19). Pille führt Interviews und Beobachtungen mit und ohne Kamera durch und wertet diese schließlich im Prozess des ethnographischen Schreibens aus.
In der äußerst lesenswerten Darstellung seiner empirischen Ergebnisse gliedert der Autor das Referendariat in drei Phasen, die jedoch nicht abgeschlossen gedacht werden, sondern als „aufeinander aufbauende und ineinandergreifende Prozesse“ (239): die Phase der „Einsetzung und Entkopplung“, der „Ankopplung“ und der „Kopplung“. Die Beschreibung der drei Phasen erfolgt durch eine Mischung aus Materialausschnitten, Beschreibungen, analytischen Betrachtungen und Einbezug von verschiedenen theoretischen Überlegungen und liefert so überzeugende Einblicke. Die Entkopplung ist geprägt durch „ständige Überforderung der Novizen sowie ihre umfassende zeitliche Inanspruchnahme“ (129) und eine grundsätzliche Erschütterung der „Routinen und Gewordenheiten“ (131). Besonders eindrücklich ist in dieser Phase die exponierte Stellung der Novizinnen und Novizen, die mit einem Zwang zur Partizipation einhergeht. Räume wie etwa das Lehrerzimmer, die in der schulischen Logik eigentlich als „geschützt“ gelten, werden so zu Zonen, in denen sich die Berufsteinsteigerinnen und Berufseinsteiger alles andere als entspannen können und einem besonderen Zwang ausgesetzt sind (121ff). Für die Phase der Ankopplung – die „sukzessive Annäherung der Novizen an die Spiele der Schule“ (198) – ist es zentral, ob der „Habitus der Novizen Ankopplungsstellen für die Bedingungen des Feldes“ (190) bietet und ob an diese Ankopplungsstellen angeknüpft werden kann. Die Körperlichkeit, die Pille als Fokussierung wählt, wird in dieser Phase etwa im „Gebrauch der Dinge“ (143) sichtbar. Der Autor versteht darunter die Verwendung schulischer Artefakte und macht am Beispiel der Tafel und des Glockenspiels darauf aufmerksam, in welche spezifischen Praktiken deren Gebrauch eingebettet ist. Er beschreibt, wie sich Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger diesen Praktiken annähern und sich diese schließlich aneignen. In der Darstellung der Phase der Kopplung knüpft Pille an die beiden anderen Phasen an und arbeitet neuralgische Punkte am Beispiel von zwei Referendarinnen heraus. Es wird deutlich, dass Novizinnen und Novizen unterschiedliche Wege finden, um „sich in die Spiele der Schule sukzessive einzufädeln“ (237) und dafür auch unterschiedlich lange brauchen. Pille geht davon aus, dass dies einerseits von den Spielräumen der Subjektivierung abhängt, die die Novizinnen und Novizen vorfinden. Andererseits beeinflusst auch der Habitus der Akteure, ob und wie die Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger diese Spielräume nutzen können (247).
Pille arbeitet eindrücklich ausgewählte Aspekte der Praktiken rund um das Lehrer/-in-Werden heraus, wobei es ihm über die beschriebenen Phasen hinweg gelingt, die Selbst- und Fremdpositionierung der Subjekte im Feld Schule darzustellen, ohne Machtverhältnisse auszublenden. Umso mehr erstaunt es, dass der Autor – obwohl er sowohl Körperlichkeit als auch Subjektivierung als zentrale Bezugskonzepte wählt – auf den Einbezug der Theorien Judith Butlers verzichtet. Gerade wenn es um das Zusammenspiel von Subjektivierung und Körperlichkeit geht, hat Butler Foucaults Theorien an entscheidenden Stellen weiter entwickelt [3]. Zu denken gibt diese Leerstelle gerade in Kombination mit Pilles Entscheidung, konsequent von „Referendaren“ zu sprechen, obwohl vier der fünf begleiteten Novizinnen und Novizen Frauen waren und nicht zuletzt auch deshalb, weil in diesem Bereich – wie der Autor selbst bemerkt – 85% der Lehrpersonen Frauen sind.
In Bezug auf die Lehrerinnen-/Lehrerbildung zieht Pille zwei Schlussfolgerungen: Zum einen plädiert er für eine zweiphasige Ausbildung von Lehrpersonen, da diese den Novizinnen und Novizen ermöglicht, dem „Anpassungsdruck und den Zwängen der Praxis standhalten zu können“. Zum anderen sollten die „Spiel- und Bewegungsräume im Rahmen der Lehrerbildung systematisch erweitert werden, damit sich die angehenden Lehrer spielerischer in der ihnen zunächst fremden Umgebung bewegen können“ (250). Gerade die erste der beiden Konklusionen wirkt verkürzt, da Pille in seiner Arbeit auch aufzeigt, mit welchen Problemen Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger im zweiphasigen System zu kämpfen haben und dass der Umgang mit den Ansprüchen des Feldes im Referendariat erst entwickelt werden muss, was auch von der zweiten Folgerung unterstrichen wird. Pilles Fazit verweist deutlich darauf, dass Forschung in diesem Bereich geradezu dazu aufgefordert ist, sich in den aktuellen bildungspolitischen Debatten um die Lehrerinnen-/Lehrerbildung zu positionieren. Dies in der vorliegenden Arbeit vertiefter zu finden, wäre durchaus interessant gewesen – nichtsdestoweniger ist die Studie ein empfehlenswerter Beitrag für Studierende, Lehrende, Forschende und schulische Akteure und Akteurinnen, die sich mit dem Lehramt und dem Berufseinstieg auseinandersetzen. Von Pilles Ergebnissen ausgehend stellt sich aus erziehungswissenschaftlicher Sicht die Frage, wie die Spielräume aussehen, auf die der Autor hinweist, welche institutionellen Strukturen dafür hinderlich bzw. förderlich sind und was dies für die bestehende Ausbildung und das Referendariat bedeutet.
[1] Siehe dazu etwa Keller-Schneider, Manuela / Hericks, Uwe (2011): Forschungen zum Berufseinstieg. Ăśbergang von der Ausbildung in den Beruf. In: Terhart, Ewald / Bennewitz, Hedda / Rothland, Martin (Hrsg.): Handbuch der Forschung zum Lehrerberuf. MĂĽnster, New York, MĂĽnchen, Berlin: Waxmann, S. 296-313.
[2] siehe etwa http://www.bmukk.gv.at/schulen/lehr/labneu/stellungnahmen.xml
[3] Dass Rückgriffe auf Butler gerade für ethnographische Untersuchungen an dieser Schnittstelle gewinnbringend sind, zeigen etwa folgende Publikationen: Antje Langer (2008): Disziplinieren und entspannen. Körper in der Schule – eine diskursanalytische Ethnographie. Bielefeld: transcript; Anja Tervooren (2006): Im Spielraum von Geschlecht und Begehren. Ethnographie der ausgehenden Kindheit. Weinheim, München: Juventa.
EWR 12 (2013), Nr. 5 (September/Oktober)
Das Referendariat
Eine ethnographische Studie zu den Praktiken der Lehrerbildung
Bielefeld: transcript 2013
(262 S.; ISBN 978-3-8376-2289-8; 29,80 EUR)
Julia Seyss-Inquart (Graz)
Zur Zitierweise der Rezension:
Julia Seyss-Inquart: Rezension von: Pille, Thomas: Das Referendariat, Eine ethnographische Studie zu den Praktiken der Lehrerbildung. Bielefeld: transcript 2013. In: EWR 12 (2013), Nr. 5 (Veröffentlicht am 04.10.2013), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978383762289.html
Julia Seyss-Inquart: Rezension von: Pille, Thomas: Das Referendariat, Eine ethnographische Studie zu den Praktiken der Lehrerbildung. Bielefeld: transcript 2013. In: EWR 12 (2013), Nr. 5 (Veröffentlicht am 04.10.2013), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978383762289.html