
In einem hochinformierten ersten Teil der Arbeit legt Kerstin Jergus mit einer Erörterung poststrukturalistischer Perspektiven auf Sozialität und Subjektivität ihren theoretischen Bezugsrahmen dar. Unter Bezug auf die sprachtheoretischen Überlegungen de Saussures, Derridas und Austins setzt sie sich von der Vorstellung einer Repräsentationsfunktion von Sprache ab. Butlers Theorie der Subjektivation dient ihr, um eine machttheoretische Perspektive auf den ambivalenten Prozess der Subjektwerdung darzulegen, der immer auch mit einer Unterwerfung unter eine vorgängige soziale Ordnung einhergeht. Es wird auf die Möglichkeit, jedoch auch auf Grenzen und Risiken von Akten der Resignifikation als Form des Widerstands gegen bestehende soziale Ordnungen verwiesen. Neben Foucaults Machtanalytik werden Laclaus und Mouffes hegemonietheoretische Überlegungen herangezogen, denen zufolge das Soziale als dauerhaft umkämpfter politischer Raum zu verstehen ist. Insbesondere geht sie hierbei auf Laclaus Überlegungen zur artikulatorischen Praxis der Bedeutungsgebung als gleichzeitige Bewegung der Öffnung und Schließung ein. Auf der Basis dieser Auseinandersetzung plädiert die Autorin für eine Analyseperspektive, die in den Blick nimmt, auf welche Weise bestimmte Inhalte konstituiert werden und deren rhetorisch-tropologische Qualität im Changieren zwischen Bestimmung und Unbestimmbarkeit herausarbeitet (79).
Die Potenziale eines solchen Zugangs werden im nächsten Kapitel in Abgrenzung zu wissenssoziologischen und praxistheoretischen Ansätzen herausgestellt. In diesen beiden Forschungsrichtungen, so Jergus, werde soziale Wirklichkeit als Wissen bzw. als weitgehend verfügbarer Sinn konzipiert. Somit werde ein Modell von Wirklichkeit zugrunde gelegt, welches Subjektivität und Sozialität gegeneinander profiliere (93). Den eigenen Zugang charakterisiert die Autorin als poststrukturalistische Diskursanalyse. Ihr Ziel ist nicht die Rekonstruktion einer Regelhaftigkeit des Sozialen, sondern ein Aufspüren von Brüchen und das Nachzeichnen von Mechanismen eines Diskurses, der notwendig immer nur unabschließbare Bedeutungen produzieren kann. Dieser Zugang lässt sich als produktive Irritation oftmals unhinterfragter Voraussetzungen der empirischen Sozialforschung verstehen, der mit durchaus provokativen Entscheidungen einhergeht: So gelten theoretische Auseinandersetzungen mit Liebe und Verliebtheit ebenso als Analysegegenstand wie die 14 erhobenen Interviews und bei der Durchführung dieser Interviews wird ein intimes Gespräch unter Freund_innen simuliert. Auch, so Jergus, würden Aussagen über soziale Positionen der Interviewpartner_innen die zu analysierenden Artikulationen in ein unangemessenes Repräsentationsverhältnis zu diesen bringen (hierin inkonsequent markiert sie dennoch bei Zitaten das Geschlecht der Sprechenden).
In ihrer Analyse theoretischer Werke über Liebe und Verliebtheit arbeitet Jergus heraus, dass erst Hinweise auf die der Unmöglichkeit des Sprechens über dieses Thema es letztlich ermöglichen: Die in den Texten vorgenommene Akzentuierung der Unerfassbarkeit des Wesens der Liebe solle die gleichzeitig entworfenen Kategorisierungen relativieren. Letztlich nähmen die untersuchten Werke somit ontologisierende Bestimmungen von Liebe und Verliebtheit als ‚unbestimmt‘ vor.
In ihrer Interviewanalyse arbeitet die Autorin drei verschiedene Figurationen von Verliebtheit und Liebe heraus: Erstens liege eine Bedingung des Wahrsprechens im interessierenden diskursiven Terrain darin, deren Bedeutsamkeit und Außergewöhnlichkeit herauszustellen und sie somit als ‚Sternstunde‘ zu beschreiben. Zweitens werden Liebe und Verliebtheit als unwägbare Angelegenheit figuriert, welche mit dem Erfordernis in Verbindung gebracht wird, dieser erklärend nachzugehen, weshalb sie subjekt(ivierende) Einsätze der Selbstbefragung nach sich ziehe. Eine dritte Figurierung verweist auf die Relevanz von Verliebtheit als eines ubiquitär verbreiteten und bedeutsamen Gegenstandes. Diese zeigt sich in den verwendeten verschiedenen Formen der metonymischen Thematisierung über Umwege und metaphorischen Analogien. Wie die Autorin erläutert, betrachtet sie diese drei Figurationen nicht als repräsentativ für das Sprechen über Liebe, sie zeigten jedoch in ihren Varianzen mögliche Füllungen des Liebesmotivs auf. Auch verwiesen sie auf subjektivierende Wahrheitsmomente, in denen es darum gehe, das eigene Sprechen als authentisches und subjektives zu kennzeichnen.
Vor dem Hintergrund dieser subjektivationstheoretischen Überlegungen wendet sich Jergus in ihrem Fazit aus bildungstheoretischer Warte der Frage zu, wie sich Subjekte gegenüber gesellschaftlichen Vereinnahmungen situieren. Hierbei bezieht sie sich affirmativ auf die transformatorische Bildungsprozesstheorie und deren Annahme eines grundlegend unverfügbaren Moments von Subjektivität. Nach einem Plädoyer, in der Theoretisierung von Bildung Subjektivität und Sozialität einerseits als per se unabgeschlossen und andererseits relational zu denken, schließt Jergus mit der Formulierung zweier Fragehorizonte, die auf die Tücken der Identifizierbarkeit von Bildungsprozessen angesichts dieser Grundannahme abzielen. Noch überzeugender würde ihre Argumentation in diesem Teil wirken, wenn sie klarere Bezüge auf die vorgenommene Diskursanalyse enthalten würde.
Das Buch „Liebe ist….“ liefert eine auf theoretisch komplexe, informierte und sorgfältige Weise vorgenommene Untersuchung der Konsequenzen einer poststrukturalistischen Perspektive auf Subjektivität und Sozialität. Jergus Analysen des „Sprechens über Liebe“ geben interessante Einblicke in rhetorische Bewältigungen der Aporie eines Begehrens nach Artikulationen des Unsagbaren. Der beeindruckende Kenntnisstand der Autorin im Feld poststrukturalistischer Theoriebildung geht leider mit einer geringen Distanz gegenüber der Terminologie und Denkweise dieses Ansatzes einher, weshalb ihre Argumentation manchmal redundant und zirkulär erscheint. Dennoch handelt es sich um ein inspirierendes Werk, wobei aus erziehungswissenschaftlicher Warte insbesondere Jergus methodologische Überlegungen und ihre Reflexionen zum Bildungsbegriff zur Kenntnis zu nehmen wären.