EWR 10 (2011), Nr. 2 (MĂ€rz/April)

Joachim Schwohl / Tanja Sturm (Hrsg.)
Inklusion als Herausforderung schulischer Entwicklung
WidersprĂŒche und Perspektiven eines erziehungswissenschaftlichen Diskurses
Bielefeld: transcript 2010
(364 S.; ISBN 978-3-8376-1490-9; 32,80 EUR)
Inklusion als Herausforderung schulischer Entwicklung Am 26. MĂ€rz 2009 ist in der Bundesrepublik Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) in Kraft getreten. Damit wurden umfassende und einklagbare Beteiligungsrechte von Menschen mit Behinderungen formuliert. In der Schule – wie auch vielen anderen gesellschaftlichen Feldern – haben Menschen mit Behinderungen auf dieser rechtlichen Grundlage einen Anspruch auf diskriminierungsfreie Teilhabe. Diskriminierungsfreiheit bedeutet in diesem Zusammenhang vor allem Barrierefreiheit. Im Grundsatz wendet sich die BRK gegen gesellschaftliche Ausgrenzung und setzt Menschen mit Behinderungen ins Recht, um sich gegen erlittene Unrechtserfahrungen zur Wehr zu setzen.

Dies ist ein Meilenstein in der Zuteilung umfassender (Menschen-) Rechte fĂŒr eine bislang von Ausgrenzung betroffene Gruppe in der Gesellschaft: „Die Instrumente des Rechts sollen“, so Heiner Bielefeldt, „dazu beitragen, gesellschaftliche Strukturen, die es Menschen mit Behinderungen erschweren, ein Bewusstsein eigener WĂŒrde zu entwickeln und aufrechtzuerhalten, systematisch zu ĂŒberwinden und eine gleichberechtigte Teilhabe der Betroffenen an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens zu gewĂ€hrleisten.“ [1]

Das Ziel einer "inklusiven Gesellschaft" ohne Barrieren fĂŒr Menschen mit Behinderungen bleibt jedoch weiterhin eine Zielperspektive, die noch lange nicht erreicht ist. Das Recht auf inklusive Bildung wird gegenwĂ€rtig in den einzelnen BundeslĂ€ndern durchaus unterschiedlich gehandhabt und umgesetzt. Nun, nach zwei Jahren GĂŒltigkeit der BRK in Deutschland, lĂ€sst sich eine erste Zwischenbilanz ziehen, zumindest im Hinblick auf die schulische Inklusion.

In diesem Sinne lĂ€sst sich der von Joachim Schwohl und Tanja Sturm herausgegebene Sammelband als aktuelle Reflexion der inklusiven Entwicklungen und VerĂ€nderungen verstehen, die sich im Kontext der BRK bezĂŒglich einer Schule fĂŒr alle ergeben haben. Zugleich ist der Sammelband auch eine Referenz an das wissenschaftliche Arbeiten von Karl Dieter Schuck, der in den 1990er Jahren zusammen mit anderen Erziehungswissenschaftlern der UniversitĂ€t Hamburg den Hamburger Schulversuch „Integrative Grundschule“ wissenschaftlich begleitet hat. Zum Ende seiner Amtszeit als Dekan legen seine Kolleginnen und Kollegen (mehrheitlich) aus der FakultĂ€t fĂŒr Erziehungswissenschaft, Psychologie und Bewegungswissenschaft diesen Sammelband vor, in dem das Thema Inklusion und Schule aus der Perspektive unterschiedlicher – ĂŒberwiegend klassisch sonderpĂ€dagogisch strukturierter – Fachrichtungen diskutiert wird.

Inklusion, so lautet die leitende These des Sammelbandes, fordere die Institution Schule heraus, hinterfrage sie in ihren Grundformen. Dies geschehe auf drei Ebenen: der schulischen Struktur, der Einzelschule und auch im Unterricht sind VerĂ€nderungen notwendig, um eine inklusive Schule zu realisieren, die mit den Zielen der BRK konform geht, so schreiben die Herausgeberin und der Herausgeber im Vorwort. Aber nicht nur Schule und Schulentwicklung sind herausgefordert, auch die Erziehungswissenschaft einschließlich ihrer Teildisziplinen, steht vor der Aufgabe, im Kontext von Schule und Unterricht ermöglichende Formen und Prozesse der Teilhabe zu erwĂ€gen. In diesem Sinne gehe es darum, „Gemeinsamkeiten ihrer Erkenntnisse herauszuarbeiten und Differenzen zu reflektieren, indem die unterschiedlichen Dimensionen ĂŒberwunden werden, ohne ein PlĂ€doyer fĂŒr die Abschaffung spezifischen Wissens halten zu wollen.“ (15)

Im Hinblick auf die hohe SelektivitĂ€t im deutschen Schulsystem und eingedenk der wissenschaftlichen (Forschungs-) BeitrĂ€ge von Karl Dieter Schuck im Kontext von Integration / Inklusion von Kindern und Jugendlichen in die allgemeine Schule möchte der vorliegende Sammelband einen Beitrag dazu leisten, „die Herausforderungen, die mit der Gestaltung einer inklusiven Schule verbunden sind, aus unterschiedlichen Blickwinkeln und Perspektiven zu betrachten.“ (17) Gefragt wird danach, welche Vorstellungen von Bildung, Erziehung und Lernen und Entwicklung einer Schule fĂŒr alle zugrunde liegen sollen.

Dem formulierten Anspruch einer PĂ€dagogik fĂŒr alle folgend und in der Absicht, Diskurse in den unterschiedlichen Teildisziplinen der Erziehungs- und Bildungswissenschaft zusammenzufĂŒhren, sind die BuchbeitrĂ€ge in fĂŒnf Abschnitte gegliedert:

  1. ) Inklusion als erziehungs- und bildungswissenschaftliches Thema
  2. ) Inklusion und sozialrÀumliche Differenzen
  3. ) Inklusion und HeterogenitÀt
  4. ) Inklusion und Schulentwicklung
  5. ) Inklusion und der Blick auf Entwicklungen


Im Hinblick auf die im Untertitel der Publikation genannten WidersprĂŒche und Perspektiven des erziehungswissenschaftlichen Diskurses um Inklusion nehme ich exemplarisch zunĂ€chst je einen Beitrag aus dieser Systematik genauer in den Blick, der geeignet erscheint, um die WidersprĂŒche im Inklusionsdiskurs genauer auszuloten.

Im ersten Abschnitt verorten Iris Beck und Sven Degenhardt den Begriff Inklusion in ihrem Beitrag im Rahmen der internationalen politischen und sozialwissenschaftlichen Debatte um Menschenrechte, Bildungschancen und soziale Ungleichheit. Sie zeigen ĂŒberzeugend auf, dass es um mehr als nur einen schulischen Rahmen geht, wenn man das Bildungsrecht als Menschenrecht konzeptualisiert. Verteilungsfragen und -konflikte werden damit ebenso angesprochen, die in der Betrachtung einen grĂ¶ĂŸeren Maßstab erfordern. „Die Diskussion um Begriffe wie ‚Education for all‘, ‚Bildung fĂŒr alle, ‚Schulen fĂŒr alle‘, ‚Inklusion‘ usw. erfordert einen konsequent globalen und interkulturellen Zugang“ – so mahnen Beck und Degenhardt eindringlich (62). Daher richtet sich der Blick auf China und als Fallbeispiel wird der deutsch-chinesische Dialog ĂŒber die Beschulung blinder und sehbehinderter Kinder und Jugendlicher an chinesischen Regelschulen eingebracht. Gewissermaßen im Spiegel der anderen können dadurch auch Nachfragen an das eigene Vorgehen im Education for All-Prozess entstehen. Auch soziale Ungleichheit und die ungerechte Verteilung von Lebenschancen werden als ein grundsĂ€tzliches Problem von Verteilungsgerechtigkeit angesprochen und mit Blick auf den Sozialstatus wird eine Schlechterstellung von Menschen mit Behinderungen deutlich. „Angesichts dieser Problematik sind Strategien, die einzig auf das Individuum und dessen BefĂ€higung setzen, aufgrund der marginalen Position behinderter Menschen verfehlt.“ (77) Inklusion brauche daher Strategien, die auf die BedĂŒrfnislagen spezifischer Gruppen, die Gestaltung sozialer RĂ€ume und die Bereitstellung einer angemessenen Infrastruktur abzielt. Im Kern gehe es dabei um Verteilungsgerechtigkeit, so Beck und Degenhardt. So wichtig dieser explizite Blick auf die menschenrechtliche Dimension der BRK ist, so wenig ist der Beitrag hingegen innerhalb einer gerechtigkeitstheoretischen Diskussion verankert, die Gerechtigkeit im Spanungsfeld des Allgemeinen und des Besonderen zu vermitteln weiß.

Kritische RĂŒckfragen zum Hamburger Schulversuch „Integrative Grundschule im sozialen Brennpunkt“ stellt Joachim Schroeder in seinem Beitrag „Die Schule fĂŒr alle – ĂŒberall?“. Sein Beitrag – im zweiten Abschnitt des Buchs – ĂŒber den Zusammenhang von Inklusion und Sozialraum hat eine Auseinandersetzung mit dem 1991 in Hamburg begonnenen Schulversuch zum Gegenstand. Dabei ordnet er den Hamburger Schulversuch dem (sonder-) pĂ€dagogischen Diskursfeld zu, in dem um angemessene Strategien zur Vermeidung von Bildungsbenachteiligung gestritten wird. Im Spannungsfeld von „inklusiven“ und „milieusensiblen“ Konzepten positioniert sich Schroeder innerhalb der letzteren Sichtweise. Mittels Dokumentenanalyse und GesprĂ€chen mit den ehemaligen Akteuren des Hamburger Schulversuchs zeigt er auf, wie das ambitionierte Konzept und die plausible Strategie sonderpĂ€dagogisch enggefĂŒhrt wurden. Bei der Betrachtung des Konzepts fĂ€llt Schroeder auf, „dass man weder in den Dokumenten der Schulbehörde noch in den Texten der wissenschaftlichen Begleitung diese auf Benachteiligungen und Sozialraum bezogenen schulpĂ€dagogischen Perspektiven weiterfĂŒhrte.“ (129) Der zunĂ€chst geweitete Blick auf die KomplexitĂ€t und Vielfalt sozialer Benachteiligungen wurde im Schulkonzept wieder auf Behinderung verengt. FĂŒr das pĂ€dagogische Konzept blieb der „soziale Brennpunkt“ als faktische Differenzlinie irrelevant. Was wĂ€re vor dem Hintergrund des herausgestellten blinden Flecks eine angemessene Strategie, um fĂŒr Kinder und Jugendliche in erschwerten Lebenslagen passgenaue Förderung zu realisieren? Schroeder plĂ€diert fĂŒr eine milieuorientierte Sozialraumanalyse und zugleich eine umfassende Lebenslagenanalyse. Beides muss im Hinblick auf eine milieusensible Schulkonzeption zusammengehen und in der pĂ€dagogischen Arbeit bedacht werden. Dadurch ließe sich die im Inklusionsdiskurs oftmals unreflektierte Orientierung an einem bĂŒrgerlichen Habitus aufweichen. Nun datiert – so zeigt der Beitrag nebenbei auf – der aktuellste Sozialatlas in Hamburg aus dem Jahre 1997. Dies ist sicherlich keine verlĂ€ssliche Grundlage fĂŒr eine zielfĂŒhrende Strategie zur Überwindung von Bildungsbarrieren.

Hannelore Faulstich-Wieland und Barbara Scholand verbinden in ihrem Aufsatz im dritten Abschnitt die Argumentation fĂŒr Inklusion mit der Debatte um die schulische Koedukation, also der gemeinsamen Erziehung der Geschlechter. Die Forderung nach einer Schule fĂŒr alle bĂŒndelt, so die Verfasserinnen, verschiedene Debatten, die alle auf eine Aufhebung der Trennung von Kindern nach unterschiedlichen Kriterien drĂ€ngen (159). In dem theoretisch fundierten Beitrag, der zugleich einen kurzen historischen Abriss ĂŒber die Entwicklung der Koedukation liefert, plĂ€dieren Faulstich-Wieland/Scholand abschließend fĂŒr einen „transklusiven Bildungsbegriff“ – der fĂŒr unterschiedliche Ausgangslagen und den Umgang mit heterogenen Lerngruppen sensibilisiert. Überzeugend zeigen sie die Begrenzungen von pĂ€dagogischen Handlungsmodellen auf und steuern auf eine Lösung zu, die eine reflexive Balance von Dramatisierung und Entdramatisierung von Differenz vorschlĂ€gt. Übersetzt in das KerngeschĂ€ft der Schule, nĂ€mlich Unterricht, bedeutet Transklusion, dass implizite Bezugnahmen transparent gemacht werden und die unausgesprochenen kulturellen, materiellen Voraussetzungen und SelbstverstĂ€ndlichkeiten an die SchĂŒlerinnen und SchĂŒler zu explizieren und zu reflektieren wĂ€ren. In dieser Hinsicht schlagen sie (wie im Kontext der schulischen Genderforschung inzwischen bevorzugtes empirisches Werkzeug) eine ethnographische Beobachtung von inklusiven Schulklassen vor, die das souverĂ€ne Umgehen der Kinder mit den BedĂŒrfnissen nach IndividualitĂ€t und Vergemeinschaftung aufzeigen kann (174). Inwieweit sich damit auch eine inklusive (demokratische und menschenrechtsbasierte) Schulkultur widerspiegelt, das steht freilich auf einem anderen Blatt.

Die gegenwĂ€rtigen Trends zur Erforschung und Erhöhung von „SchuleffektivitĂ€t“ nimmt Mechtild Gomolla im Abschnitt ĂŒber Inklusion und Schulentwicklung zum Anlass, Spannungen und WidersprĂŒche gegenwĂ€rtiger QualitĂ€tsstrategien im Bildungssystem zu durchleuchten. Der Beitrag untersucht SchuleffektivitĂ€t als spezifischen curricularen und pĂ€dagogischen Diskurs aus einer bildungssoziologischen Perspektive. Im Vordergrund steht folgende Frage: Wie und mit welchen Folgen fĂŒr wen, werden Aspekte der Differenz, PluralitĂ€t und Gerechtigkeit im SchuleffektivitĂ€tsdenken inkorporiert, verzerrt oder ausgeschlossen?

Das Fallbeispiel England zeigt ein grundlegendes Problem dieser Perspektive: „Mit der zunehmenden Nutzbarmachung der [SchuleffektivitĂ€tsforschung] als Steuerungskonzept sind Gleichheitsziele [
] vom Interesse an hohen Standards in den GrundlagenfĂ€chern, der Unterordnung öffentlicher Schulbildung unter die Ökonomie und Tendenzen zur Deregulierung und Privatisierung von der Agenda verdrĂ€ngt worden.“ (252) Konkret bedeutet dies, dass diese Art der Forschung im Hinblick auf die Verwirklichung von Zielen wie Inklusion, Gerechtigkeit und demokratische Teilhabe eher eine kontraproduktive Wirkung entfaltet. Die Performanzorientierung der Schule verortet Gomolla im Rahmen eines kulturellen Wandels. Dennoch will sie das Potenzial dieser Forschungsrichtung nicht aufgeben, die sich aber noch weiterzuentwickeln hat in das genaue Beobachten der BeitrĂ€ge von Schulen, inwieweit sie soziale Ungleichheiten hervorbringen oder modifizieren (können).

AndrĂ© F. Zimpel geht es schließlich im letzten Abschnitt um die ZusammenhĂ€nge von Inklusion und Entwicklungsbewertung. Anhand von drei Beispielen zeigt er anschaulich auf, wie Inklusion ein neues VerstĂ€ndnis von Entwicklung und deren Bewertung erfordert. Er plĂ€diert nachdrĂŒcklich fĂŒr ein offenes EntwicklungsverstĂ€ndnis, da „geistige Entwicklung selbst mit statistischen Mitteln nicht linear vorhersagbar ist [und] weil Vorhersagen ĂŒber die geistige Entwicklung leicht zu sich selbst erfĂŒllenden Prophezeiungen werden.“ (334) Überzeugte Statistiker werden ĂŒber die Aussagen Zimpels nicht erfreut sein, der belegt, dass Zahlen die objektive Vorhersehbarkeit einer Entwicklung vortĂ€uschen können, egal ob es sich im Chromosomenzahlen, Zensuren, Mittelwerte oder Standardabweichungen handelt. Stattdessen sei mit der Unberechenbarkeit zu rechnen und wenn Zahlen objektivierbare Ergebnisse darstellen sollen, schlĂ€gt er als interessante Alternative zu Schulnoten differenzierte Kompetenzraster vor, die Entwicklungsziele abstecken. Ob (wie, fĂŒr wen, warum) sich damit und im favorisierten Rahmen von Projektlernen allerdings „hervorragende Ausgangsbedingungen fĂŒr die Entwicklung von Metakompetenzen bieten“ (349), lĂ€sst sich letztlich nur durch empirische ÜberprĂŒfung klĂ€ren.

Insgesamt zeigen alle ausgewĂ€hlten BeitrĂ€ge ein durchaus unterschiedliches VerstĂ€ndnis von Inklusion und einen uneinheitlichen Zugang zum Diskursfeld Inklusion, der mal mehr, mal weniger explizit auf die BRK als neuen Ausgangspunkt fĂŒr Inklusion verweist.

Und die Perspektiven? Freilich liefert der Sammelband plausible Darstellungen der notwendigen UnterstĂŒtzungssystem inklusiver Schulen (etwa am Beispiel des Landesförderzentrums Sehen in Schleswig-Holstein), auch Rekonstruktionen unterrichtlicher Praxis verweisen auf Spannungsfelder zwischen schulstrukurellen Aspekten und unterrichtlicher Gestaltung; wird die pĂ€dagogische Utopie einer Schule fĂŒr alle im Kontext einer selektiven Gesellschaftsstruktur kritisch erwogen; ebenso wird vor einem (allein auf Methoden fokussierten) reduktionistischen InklusionsverstĂ€ndnis gewarnt und eine profilierte Repolitisierung der BehindertenpĂ€dagogik angemahnt.

Vor diesem Hintergrund lesen sich die BeitrĂ€ge des Sammelbands in Bezug auf die pĂ€dagogische Strategie der Inklusion uneinheitlich. Vor allem werden die verschiedenen Diskurslinien nur in so weit zusammengefĂŒhrt, dass als Effekt teildisziplinĂ€re ZustĂ€ndigkeiten und Abgrenzungen sichtbar werden. Konkret: Kooperationen zwischen BehindertenpĂ€dagogik und Interkultureller PĂ€dagogik (wie etwa im Vorwort) anzumahnen, um spezifische Benachteiligungen abzubauen, isoliert letztlich die Problemlage einer unzureichenden Partizipation, einer faktischen Diskriminierung und eingeschrĂ€nkten Selbstbestimmung in eine partikulare Perspektive. Dieses VerstĂ€ndnis reiht unterschiedliche Differenzlinien eher additiv nebeneinander, anstatt ihr VerhĂ€ltnis in vertikalen Achsen der Ungleichheit und horizontalen Achsen der Differenz (wie dies theoretisch innerhalb der Debatte um IntersektionalitĂ€t geschieht) zu bestimmen.

Die Menschenrechte (und darin das Recht auf Bildung ebenso die BRK) sind nicht nur allgemeine Menschrechte, ihnen kommt vielmehr eine universelle Geltung zu. In diesem Sinne ist das spannungsreiche VerhĂ€ltnis des Allgemeinen und des Besonderen nicht nur fĂŒr die Bestimmung der pĂ€dagogischen ZustĂ€ndigkeiten von Belang. Vor dem Hintergrund einer fĂŒr das dieses Diskursfeld noch zu findenden Theorie der Gerechtigkeit wird sich diese Spannung nicht vorschnell auflösen lassen: Inklusion bringt sie also nicht zum Verschwinden und alleine eine semantische Umstellung macht die Bildungspraxis nicht gerechter. Fragen nach dem VerhĂ€ltnis zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen sind daher im Hinblick auf Differenz produktiv zu vermitteln und lassen Inklusion mitnichten als Frage einer verbesserten Verteilungsgerechtigkeit erscheinen.

Somit fĂ€llt das Fazit nach der LektĂŒre des vorliegenden Sammelbands tatsĂ€chlich ambivalent aus: Eine Folie fĂŒr eine zukĂŒnftige Diskussion ĂŒber eine inklusive Schule liefert der Band ohne Zweifel, allerdings liegt mit der Behindertenrechtskonvention eher eine Problematisierungs-, denn eine Lösungsfolie fĂŒr Bildungsprozesse, die frei von Diskriminierung sind, vor. Diese beiden Ebenen sollten nicht verwechselt werden.

[1] Bielefeldt, Heiner (2009): Zum Innovationspotenzial der UN-Behindertenrechtskonvention. Berlin: Deutsches Institut fĂŒr Menschenrechte, S. 6
Sven Sauter (Frankfurt am Main)
Zur Zitierweise der Rezension:
Sven Sauter: Rezension von: Schwohl, Joachim / Sturm, Tanja (Hg.): Inklusion als Herausforderung schulischer Entwicklung, WidersprĂŒche und Perspektiven eines erziehungswissenschaftlichen Diskurses. Bielefeld: transcript 2010. In: EWR 10 (2011), Nr. 2 (Veröffentlicht am 27.04.2011), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978383761490.html