„Kunst Pädagogik Forschung. Aktuelle Zugänge und Perspektiven“ heißt der neueste Band der Reihe „Theorie Bilden“, herausgegeben von Torsten Meyer und Andrea Sabisch. Was der Titel des Sammelbandes verspricht, das hält er auch, soviel sei vorweg genommen: Die 21 Beiträge widmen sich aktuellen – teilweise noch unabgeschlossenen – kunstpädagogischen Forschungsprojekten in Deutschland und reichen thematisch von „Forschen mit Kontrastmittel“ (Ansgar Schnurr) über den Kunstbetrachtungsunterricht Alfred Lichtwarks (Nobumasa Kiyonaga) bis zu „Bewegung als Dimension ästhetischer Bildung“ (Andreas Brenne). Es wird sichtbar, dass zu gängigen wissenschaftlichen Forschungsmethoden und pädagogischen Praxen in der Kunstpädagogik auch künstlerische Formen der Forschung und Vermittlung entwickelt werden.
Nach einem Überblick über Entstehungsgeschichte, Aufbau und AutorInnen des Sammelbandes wird an dieser Stelle aus jedem Kapitel ein Beitrag näher vorgestellt.
Die Forschungstätigkeit in der Disziplin nimmt – nicht zuletzt durch Qualifikationsarbeiten, wie die im Sammelband vorgestellten – zu und war dennoch auf den bisherigen kunstpädagogischen Großkongressen in Deutschland kein zentrales Thema. Andrea Sabisch, eine der HerausgeberInnen, initiierte deshalb 2004 das kunstpädagogische Kolloquium, um den Austausch zwischen NachwuchsforscherInnen voranzutreiben. Ein Call for Papers an die Teilnehmenden dieses Forschungskolloquiums sowie der Hamburger Ringvorlesung Kunstpädagogische Positionen 2007 zum Thema Forschung bildet die Grundlage des vorliegenden Sammelbandes. Er gliedert sich in die Kapitel „Rahmendes“, „Meta – Überblick, Methodologisches, Fachpolitisches“, „Zentrales – Gegenstandsbereiche, Themen, Phänomene, Räume“ und „Randgängiges – Interdisziplinäres, Entgrenzendes, Erweiterndes“.
Zu den Beträgen der NachwuchswissenschafterInnen, die neben wenigen Texten von ProfessorInnen den größten Teil des Buches ausmachen, kommt im ersten Kapitel ein Abschnitt, der sich „Expertise[n]“ nennt. Dreizehn etablierte Vertreterinnen und Vertreter der Kunstpädagogik beantworten in wenigen Sätzen Fragen nach ihren zentralen erkenntnisleitenden Interessen, dem vordringlichen Forschungsbedarf in der Kunstpädagogik, ihrer Verortung in der Theorie-Landschaft und dem Verhältnis von Forschung und Lehre. Die Expertisen – eine gelungene Ergänzung – verschaffen kurz und prägnant einen Überblick über unterschiedliche Positionen innerhalb des Faches in Deutschland. Die Auswahlkriterien für die so genannten Etablierten werden jedoch nicht offengelegt. Darüber hinaus finden sich im Kapitel „Rahmendes“ noch zwei historisch orientierte Artikel von Andrea Sabisch und Wolfgang Legler zur Etablierung der Kunstpädagogik als Disziplin und der Bedeutung von Forschung sowie Karl-Josef Pazzinis Beitrag „Von der kindlichen Sexualforschung zu Forschung in Kunst & Pädagogik“.
„Meta“ und „Zentrales“ werden als Hauptteile des Buches bezeichnet. Laut Torsten Meyers Einleitung beziehen die Beiträge in ersterem auch Methodologisches und Fachpolitisches mit ein, wie etwa Christine Heils Artikel zu „Kartierende[n] Erkenntnispraxen in Kunst und Wissenschaft“, während im weiteren Verlauf Forschung im Entwurf mit ihrer je spezifischen Situierung vorgestellt wird (vgl. 25ff.). Diesem Kapitel sind etwa die Beiträge zur Rezeption der Bronzefrau Nr. 6 von Thomas Schütte im Kunstunterricht (Jörg Grütjen) sowie „Im Museum des 21. Jahrhunderts. Ko-konstruktivistisches Lernen in der Galerie für Zeitgenössische Kunst“ von Katharina Küstner zugeordnet.
Konsequenterweise heißt das letzte Kapitel „Randgängiges“: Hier finden sich unter anderem ein Beitrag zu „Film-Bildung“ von Manuel Zahn sowie die Beschreibung eines Forschungsprojektes zur Bestandsaufnahme „Existenzieller Bildung“ (Julia Weitzel). Sozusagen am weitesten vom Zentrum entfernt wird Sabine Grossers Artikel zu „Transkulturelle[n] Perspektiven im Lernen mit Kunst“ angesiedelt.
Der Aufbau des Buches gibt Aufschluss darüber, was die HerausgeberInnen als Zentrum bzw. Randbereiche des Faches ansehen. Die Sinnhaftigkeit dieser Ordnung mag den Lesenden diskussionswürdig scheinen: Warum ist die Frage nach kunstpädagogischer Forschung zu Gestaltungssoftware für Kinder (Anja Mohr) weniger zentral in der Kunstpädagogik als „Das Netz als künstlerisches Medium“ von Sara Burkhardt? Warum zählen Julia Rabe-Krögers Artikel „Bilder im Gebrauch“ und Stefanie Richters eigenArtige Präsentation zu „Zentralem“ und Kirsten Winderlichs Artikel „Ästhetische Bildung als Forschungsfeld“ zu „Randgängigem“, widmen sich doch alle drei Beiträge ästhetischen Erfahrungen bzw. Praxen von Kindern und den Möglichkeiten von deren Erforschung?
Ohne durch thematische Kapitel und Bezüge in Zusammenhang gebracht und aufeinander bezogen, wirken die Artikel lose aneinander gereiht. In Anbetracht dessen scheinen Wolfgang Leglers Vorschläge im Beitrag zu „Rahmenbedingungen und Perspektiven kunstpädagogischer Forschung“ treffend und zukunftsweisend: Er fordert eine stärkere Diskussion und Koordination der zumeist individuellen Forschungsprojekte sowie die stärkere Bezugnahme auf internationale Fachdiskurse. Mit Verweis auf US-amerikanische Diskurse und Agenden stellt Legler angesichts der produktiven und vielfältigen kunstpädagogischen Forschung in Deutschland einen Mangel an policies im Sinne von organisatorischen Rahmenbedingungen und Schwerpunktsetzungen der scientific community fest (vgl. 56ff.).
Jochen Krautz' Beitrag „Kunst, Pädagogik, Verantwortung. Anmerkungen zur Verantwortung kunstpädagogischer Forschung und Praxis“ im zweiten Kapitel bietet Diskussionsstoff an der Schnittstelle zwischen Kunst und Pädagogik. Verantwortete pädagogische Praxis komme ohne Didaktisierung, also pädagogisch-anthropologische Reflexion und bildungstheoretische Begründung nicht aus, betont Krautz in Bezug auf Wolfgang Klafki (vgl. 137). Diese Verantwortung – von ihm auch mit dem Adjektiv „sittlich“ (138) beschrieben – sieht er durch die Orientierung von Kunstpädagogik am Paradigma Kunst und ihren Freiheitsansprüchen in Gefahr. Er geht dabei von der Annahme aus, dass die Freiheit der Kunst, „einen willkürlichen Umgang mit dem Material erlaubt, nach heutiger Auffassung sogar voraussetzt“ (141) und konstruiert einen fragwürdigen Gegensatz von verantwortlicher Pädagogik und unverantwortlicher Kunst. Nichtsdestotrotz thematisiert seine kritische Bemerkung, dass Projekte wie „Künstler in die Schule“ nicht per se innovatives Potential beinhalten, sondern bei mangelnder pädagogischer Reflexion auch eine unkritische Affirmation der Marktmechanismen von Kunst bedeuten können, die wichtige Frage nach den ethischen Positionierungen von Kunstpädagogik und ihrer Forschung. Seine Antwort schlägt die Orientierung am Menschenbild der personalen Pädagogik vor, das die Fähigkeit und Pflicht zu verantwortbarer Selbstbestimmung beinhaltet; die ethische (und politische) Ausrichtung dieser Verantwortung wird damit jedoch nicht markiert.
„Eine studentische Perspektive“ bietet Kerstin Asmussens Text „Kunstpädagogische Vermittlung als Schnittstelle“ im Kapitel „Zentrales“. Vor dem Hintergrund des umstrukturierten Lehramtsstudiums und der Einführung des Bachelorstudiengangs Vermittlungswissenschaften an der Universität Flensburg geschrieben, fragt der Artikel danach, wie sich das Studium der Kunstvermittlung zur Forschung in und an der Kunstpädagogik verhält. Wenn Kunst als ein Geflecht komplexer Beziehungen angesehen wird, in dem vor allem Kunstmarkt und Kunstwissenschaften das jeweils aktuelle Kunstverständnis prägen, ist Kunstvermittlung eine Weiterführung des Diskurses unter Einbezug der Öffentlichkeit. Asmussen plädiert für ein Verständnis von Vermittlung, das sie nicht als Methode der Übertragung von Wissen, sondern als Kommunikationsprozess versteht und zeigt die Parallelen einer solchen Vermittlungspraxis zu Forschung auf: Beiden geht es um eine öffnende Haltung auf etwas Neues hin; von eigenen Interessen und Fragen ausgehend werden neue Denkweisen entwickelt und diese zugleich als Produkt einer Teilhabe an „Denkkollektiven“ (214) hinterfragt.
Anja Mohr fordert mit dem Blick auf digitale Kinderzeichnung „Interdisziplinäre Forschung“ zwischen Kunstpädagogik und Informatik. Verfügbare Softwareprogramme für Kinder bieten ein breites Angebot an "klischeehaften Stempeln, Effekten und seltsame Automatismen" (235), die Möglichkeiten zur Nichtlinearität im bildnerischen Vorgehen – eines der produktivsten Charakteristika des ästhetisch-künstlerischen digitalen Arbeitens – sind hingegen sehr eingeschränkt. Notwendig wäre es daher, dass Kunstpädagogik sich in anwendungsorientierte Grundlagenforschung und die Entwicklung von Programmen stärker einbringt, methodische Herangehensweisen interdisziplinär weiterentwickelt sowie auf Kinder und deren Einbeziehung in die Forschung abgestimmt werden (vgl. 236ff).
Die Themen und methodischen Zugänge des Sammelbandes sind – wie gezeigt –
breit gestreut. Manche Beiträge lesen sich dabei als Beschreibungen von Forschungsvorhaben und lassen (erste) Ergebnisse und Erkenntnisse vermissen. Dass eine pädagogische Veröffentlichung 2009 sich nicht um geschlechtssensible Sprache bemüht – einzelne Beiträge ausgenommen – bzw. Geschlecht in keinem der Beiträge zum Thema gemacht oder mitreflektiert wird, irritiert. Die Beiträge scheinen von aktuellen Diskursen kritischer kulturwissenschaftlicher Theoriebildung wie etwa gender, queer oder postcolonial studies wenig berührt und nehmen zudem kaum auf einen klassischen oder kritischen Bildungsbegriff Bezug. Eine Ausnahme bildet Stephan Münte-Goussars Artikel, der das „Forschende Lernen“ in Bezug auf das Konzept der Gouvernementalität einer kritischen Analyse unterzieht und nach Auswegen aus der neoliberalen Indienstnahme des forschenden Lernens sucht (vgl. 160).
Vom historischen Überblick über Bedingungen und Selbstverständnissen von Forschung in der Kunstpädagogik (Sabisch und Legler) abgesehen, eignet sich der Sammelband nicht für EinsteigerInnen. Er ist für Leserinnen und Leser interessant, die im Feld der Kunstpädagogik lernen, lehren oder forschen und erfahren wollen, worüber und mit welchen Methoden derzeit in Deutschland geforscht und auf welche theoretischen Konzepte Bezug genommen wird: kein systematischer, aber ein aktueller „ Überblick als Momentaufnahme“ (23) von "Forschung im Entwurf" (11) – nicht mehr und nicht weniger.
EWR 8 (2009), Nr. 5 (September/Oktober)
Kunst Pädagogik Forschung
Aktuelle Zugänge und Perspektiven
Bielefeld: transcript 2009
(272 S.; ISBN 978-3-8376-1058-1; 28,80 EUR)
Marion Thuswald (Wien)
Zur Zitierweise der Rezension:
Marion Thuswald: Rezension von: Meyer, Torsten / Sabisch, Andrea (Hg.): Kunst Pädagogik Forschung, Aktuelle Zugänge und Perspektiven. Bielefeld: transcript 2009. In: EWR 8 (2009), Nr. 5 (Veröffentlicht am 02.10.2009), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978383761058.html
Marion Thuswald: Rezension von: Meyer, Torsten / Sabisch, Andrea (Hg.): Kunst Pädagogik Forschung, Aktuelle Zugänge und Perspektiven. Bielefeld: transcript 2009. In: EWR 8 (2009), Nr. 5 (Veröffentlicht am 02.10.2009), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978383761058.html