EWR 23 (2024), Nr. 4 (Oktober)

Jonas Scharfenberg / Julia Hufnagl / Amani Kroner / Mara Spiekenheuer (Hrsg.)
Migration und Bildung in der globalisierten Welt
Perspektiven, Herausforderungen und Chancen in der Migrationsgesellschaft
Unter Mitarbeit von Charlotte Assmann
Reihe: Gemeinsam Schule gestalten, Band 5
MĂĽnster: Waxmann 2024
(198 S.; ISBN 978-3-8309-4841-4; 39,90 EUR)
Migration und Bildung in der globalisierten Welt Der zweisprachige deutsch-englische Sammelband „Migration and Education in a Globalised World: Perspectives, Challenges, and Opportunities in the Migration Society“ wurde von einem jungen Team bestehend aus Jonas Scharfenberg, Julia Hufnagl, Amani Kroner und Mara Spiekenheuer unter Mitarbeit von Charlotte Assmann herausgegeben und erschien als fünfter Band der Reihe „Gemeinsam Schule gestalten/Collaborative School Development“ im Waxmann Verlag. „Die Rückbindung schulischer an gesellschaftliche Transformationsprozesse ist ein zentrales Merkmal der Gesamtreihe“ (7), die sich „als Bindeglied zwischen wissenschaftlicher Theorie und beruflicher Praxis sowie zwischen (Fach-)Diskursen, die häufig parallel und teilweise auch isoliert voneinander ablaufen“ (ebd.), versteht. Diese Brückenfunktion spiegelt sich – wenngleich unausgewogen – sowohl in der Zusammensetzung des Herausgeber:innenteams als auch in den Beiträgen wider.

Der Band umfasst neben zwei Vorworten und einer Einführung elf wissenschaftliche Aufsätze und drei sogenannte Fokusbeiträge, die sowohl praxisnahe Perspektiven als auch Positionen gesellschaftlicher Akteur:innen sichtbar machen. Thematisch gliedert sich der Band in drei Abschnitte: (Abschnitt 1) Personen mit Zuwanderungsgeschichte im deutschen Bildungssystem, (Abschnitt 2) Professionalisierung von Lehrkräften für die Migrationsgesellschaft und (Abschnitt 3) Bildungskonzepte und Forschungsansätze für die Migrationsgesellschaft.

Der thematische Abschnitt „Personen mit Zuwanderungsgeschichte im deutschen Bildungssystem“ setzt sich aus insgesamt fünf Beiträgen zusammen. Zunächst analysieren Robin Busse und Oliver Winkler im Rahmen einer quantitativen Studie die Einflussfaktoren beruflicher Kosten-Nutzen-Abwägungen von 14- bis 17-jährigen Geflüchteten auf der Grundlage eines Rational-Choice-Ansatzes. Silvia Annen nimmt die Wahrnehmungen von Migrant:innen in Deutschland und Kanada zu Weiterbildungsmaßnahmen und Lernmöglichkeiten bei der Arbeitsmarktintegration in der Informations- und Kommunikationsbranche in den Blick. Der Beitrag von Natascha Bregy befasst sich mit den Perspektiven von hochqualifizierten Schweizer Migrant:innen in Deutschland und deutschen Migrant:innen in der Schweiz auf die Bildungserwartungen und -karrieren ihrer Kinder. Ihre Analyse macht sowohl länderspezifische Narrative in Bezug auf Bildungserwartungen als auch länderspezifische Sichtweisen auf die Bildungssysteme sichtbar. Der für Bildungsgerechtigkeit in der Migrationsgesellschaft wichtige rechtswissenschaftliche Beitrag von Hannah Franz betont unter Bezugnahme auf die Access to Justice-Debatte die Bedeutung von (schulischer) Bildung für die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen. Ausgehend von dem durch das Bundesverfassungsgericht neu geschaffenen Grundrecht auf schulische Bildung verfolgt die Autorin die wichtige Frage, inwieweit sich dieses Grundrecht auch auf Kinder und Jugendliche ohne deutsche Staatsangehörigkeit und ohne dauerhaft gesicherten Aufenthaltsstatus in Deutschland erstreckt. Abgerundet wird dieser Themenblock durch einen Fokusbeitrag von Simon Usifo, der unter dem Titel „Diversität als Normalität“ ein Plädoyer für Vielfalt in modernen Unternehmen der globalisierten Welt formuliert.

Der zweite Themenblock „Professionalisierung von Lehrkräften für die Migrationsgesellschaft“ besteht aus zwei wissenschaftlichen Beiträgen und einem Fokusartikel. Julia Kadel, Robin Busse und Katja Adl-Amini präsentieren einen systematischen Review zu evaluierten deutschsprachigen Professionalisierungsangeboten für (angehende) Lehrkräfte im Kontext der Migrationsgesellschaft. Die Autor:innen zeigen, dass sich diese Angebote vor allem an Lehramtsstudierende richten und auf kulturelle Heterogenität fokussieren. Amani Kroner, Theresa Etzold und Hosay Adina-Safi nehmen Fortbildungsangebote für bayerische Lehrkräfte in den Blick, die sich inhaltlich mit Migration und inklusiven interkulturellen Lehr-, Lern- und Beratungssettings beschäftigen. Dabei identifizieren sie neun inhaltliche Kategorien, die sich sechs verschiedenen Diversitätsverständnissen zuordnen lassen. Leider bleiben in diesen beiden Analysen, die die Qualität und Aktualität des inhaltlich und qualitativ recht heterogenen Bandes stärken, zentrale (weiterführende) Fragen aufgrund der gewählten Analysemethoden bzw. -fokussierungen unbeantwortet. So bleibt im ersten Beitrag unklar, wie die Professionalisierungsangebote kulturelle Heterogenität thematisieren und ob damit essentialistische Kulturverständnisse verfestigt oder aufgelöst werden. Im zweiten Beitrag wäre eine genauere Erläuterung der migrationsbezogenen Diversitätsverständnisse in den analysierten Weiterbildungsmaßnahmen wünschenswert. Abgerundet wird dieser Themenblock durch einen ausführlichen und anschaulichen Fokusartikel von Lasse Hansen und Erik Eschweiler-Dienerowitz zur Konzeption und Durchführung eines Studienkollegseminars zu Global Citizenship Education für angehende Lehrkräfte. Der fundierte Fokusartikel stellt zugleich eine inhaltliche Überleitung zu einem Teilaspekt des dritten Themenblocks dar.

Der thematische Abschnitt „Bildungskonzepte und Forschungsansätze für die Migrationsgesellschaft“ vereint fünf recht unterschiedliche Beiträge. Nicole Kimmelmann und Silvia Pool Mang setzen sich mit dem Umgang von Diversität in der beruflichen Bildung in Deutschland, Österreich und der Schweiz auseinander und plädieren für einen stärker inklusionsorientierten Ansatz. Nina Bühler liefert in ihrem Beitrag überzeugende Überlegungen zu einer machtkritischen und diskriminierungssensiblen Weiterentwicklung der empirischen Bildungsforschung. Aus einer postmigrantischen Perspektive auf Schule und Bildung zeigt ihre Analyse schlüssig die Verfestigung bestehender Ordnungsverhältnisse durch binäre Kategorisierungen auf. Darüber hinaus verdeutlicht sie, wie bestehende Kategorisierungen und Forschungsansätze aus einer postmigrantischen und intersektionalen Perspektive überwunden werden können. Die weiteren Beiträge dieses Abschnitts verorten sich im Schnittfeld von Global Citizenship Education, Globalem Lernen und Bildung für nachhaltige Entwicklung. Während sich Gregor Lang-Wojtasik ausgehend von den planetaren Herausforderungen und den als notwendig erachteten Transformationsprozessen der Frage widmet, wie und wo Transformation im Rahmen von Global Citizenship Education erhofft und erwartet werden kann, plädiert Julia Hufnagl für ländervergleichende Analysen, um bisherige Erkenntnisse im Kontext von Bildung für nachhaltige Entwicklung und Berufsbildung innerhalb einzelner Nationen miteinander in Beziehung setzen und Lösungsansätze für die Herausforderungen einer sich zunehmend globalisierenden und komplexer werdenden Welt entwickeln zu können. So überzeugend die Argumentation ist, so sehr bleibt sie der interessierten Leser:innenschaft die zu erwartenden empirischen Ergebnisse eines solchen Vergleichs schuldig. Abgerundet wird dieser Abschnitt durch einen gelungenen Fokusbeitrag von Svenja Dehler, der sich mit praxisrelevanten Aspekten Globalen Lernens im Spanischunterricht auseinandersetzt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Sammelband eine Vielzahl heterogener Texte versammelt, die nur durch die sehr weit gefasste Klammer „Migration und Bildung in der globalisierten Welt“ zusammengehalten werden. Auch sind die einzelnen Beiträge in ihrer Aussagekraft breit gefächert. Aufgrund dieser Besonderheiten und der heterogenen Autor:innenschaft richtet sich der Band an unterschiedliche Zielgruppen, für die jeweils nur einzelne Beiträge relevant sein dürften. Neben dieser kritischen Einschätzung ist jedoch ein äußerst innovativer Aspekt des Bandes hervorzuheben: die Verknüpfung von Global Citizenship Education, Globalem Lernen und Bildung für nachhaltige Entwicklung mit migrationsgesellschaftlichen Perspektiven. Dieses wichtige Querschnittsthema wird im wissenschaftlichen Diskurs bislang nur unzureichend reflektiert, was meines Erachtens ein großes Desiderat darstellt und als Ausgangspunkt für die Konzeption des sechsten Themenbandes genutzt werden sollte!
Barbara Pusch (Rheinland-Pfälzische Technische Universität)
Zur Zitierweise der Rezension:
Barbara Pusch: Rezension von: Mara, Scharfenberg, Jonas; Hufnagl, Julia; Kroner, Amani; Spiekenheuer, (Hg.): Migration und Bildung in der globalisierten Welt, Perspektiven, Herausforderungen und Chancen in der Migrationsgesellschaft Unter Mitarbeit von Charlotte Assmann (Reihe: Gemeinsam Schule gestalten/Collaborative School Development, Band 5) . MĂĽnster: Waxmann 2024. In: EWR 23 (2024), Nr. 4 (Veröffentlicht am 12.11.2024), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978383094841.html