Das Interesse der Qualifikationsarbeit von Sibylle Steinmann liegt auf Teacher Educators‘ Beliefs und begründet sich daher, dass „Lehrerausbildende“ (13) (Teacher Educators) als „Hauptakteure der Lehrerausbildung“ [1] gelten und deren Beliefs über Unterricht einen „zentralen Einfluss auf die Professionalität der angehenden Lehrpersonen haben“ [2]. Da es Hinweise darauf gibt, dass sich Beliefs je nach fachlichem Hintergrund unterscheiden können [3] (vgl. 14), liegt der Forschungsfokus auf verschiedenen Gruppen von Lehrerausbildenden, im Speziellen auf Dozierenden der Mathematik/Mathematikdidaktik, auf Dozierenden der Erziehungswissenschaften und auf Praxislehrpersonen. Die Arbeit von Steinmann lässt sich damit als Professionsforschung im Kontext der Lehrer:innenbildung verorten.
Steinmann führt in der Einleitung an, dass Forschungsarbeiten zu Beliefs von Lehrerausbildenden eine bislang untergeordnete Rolle einnehmen (vgl. 60). Ihr Ziel ist es, diese Forschungslücke mit empirisch fundierten Antworten zu schließen, weshalb im Mittelpunkt der Arbeit die Auswertung einer quantitativen Fragebogenstudie steht. Im Speziellen führt Steinmann vier Forschungsfragen an: Eine erste und zweite zielen auf die Rekonstruktion von Shared und Mutual Beliefs der Lehrerausbildenden, da der Auffassung gefolgt wird, dass Lehrerausbildende für eine wirksame Lehrer:innenbildung gemeinsame (Shared) Beliefs haben sollten oder aber glauben sollten, dass sie und andere Lehrerausbildende eine gemeinsame Vorstellung von Unterricht haben (Mutual Beliefs) (vgl. 13f.). Darüber hinaus ist sie zum Dritten daran interessiert, ob sich die Shared und Mutual Beliefs in den Institutionen der Lehrer:innenbildung der Deutschschweiz unterscheiden und zum Vierten, ob Lehramtsstudierende die Qualität ihrer Ausbildung besser bewerten, wenn Lehrerausbildende Shared und/oder Mutual Beliefs haben.
In den theoretischen Vorüberlegungen der Arbeit gelingt es Steinmann, einen umfassenden Einblick in die Beliefforschung und in den Berufszweig der Lehrerausbildenden zu geben. Dabei weist sie auf mehrere Forschungslücken hin, die die Relevanz ihres Forschungsinteresses umso mehr hervorheben. Teachers‘ Beliefs werden als „affektiv aufgeladene, eine Bewertungskomponente beinhaltende Vorstellungen“ [4] verstanden (20), die möglicherweise mit dem unterrichtlichen Handeln der Lehrkräfte in Zusammenhang stehen (vgl. 22). Berechtigt vertritt Steinmann hier die Ansicht, dass die Erkenntnisse aus Studien zu Teachers‘ Beliefs nicht direkt auf die Beliefs der Lehrerausbildenden übertragen werden können. Der Forschungsstand ist allerdings gering, die wenigen Studien zu Teachers Educators‘ Beliefs werden durch die Autorin umfassend beschrieben (vgl. 30ff.). Die sich anschließenden Ausführungen zu Shared und Mutual Beliefs sind für die Beliefforschung ein Gewinn, da in der Detailtiefe, wie es bei Steinmann der Fall ist, keinerlei andere theoretische Herleitungen bekannt sind.
Akzente setzt die Autorin bei Begriffsklärungen, bei Überlegungen zur Entstehung solcher Beliefs und in der Darstellung des aktuellen Forschungsstandes. Letzterer ist jedoch „von sehr bescheidenem Umfang“ (33). Ebenso zeigt sich, dass Lehrerausbildende generell nur selten im Mittelpunkt von Forschung stehen, obwohl die Anforderungen sowie Erwartungen an sie beträchtlich sind (vgl. 63).
Methodische Überlegungen zur Zusammensetzung der Stichprobe, zum Aufbau oder zur Auswertung des Fragebogens werden in aller Ausführlichkeit im siebten Kapitel dargelegt. Bemerkenswert ist, dass Steinmann auf eine umfassende Datenmenge zurückgreift: Mithilfe der Daten von 50 Dozierenden der Mathematik/Mathematikdidaktik, 141 Dozierenden der Erziehungswissenschaften und 418 Praxislehrpersonen wird versucht, aussagekräftige Ergebnisse über Shared und Mutual Beliefs zu treffen. Um dem dritten Forschungsinteresse des Vergleichs nach Institution und Region gerecht zu werden, achtet Steinmann darauf, dass die Lehrerausbildenden an jeweils unterschiedlichen Institutionen der Deutschschweiz tätig waren. Für das vierte Forschungsinteresse nach der Qualitätsbewertung wurden darüber hinaus 904 Lehramtsstudierende aus 17 unterschiedlichen Ausbildungsgängen befragt.
Mithilfe von Varianz- und Mehrebenenanalysen wurde der Paper- und Pencil-Fragebogen ausgewertet. Steinmann gelingt es zum einen, Shared und Mutual Beliefs zu unterschiedlichen Aspekten wie zur Gestaltung von Unterricht und Unterrichtsmethoden, zu rollenorientierten Zielvorstellungen, zur Identität der Lehrperson, zur Konstruktions- und Transmissionsorientierung oder zum Verhältnis von Theorie und Praxis zu rekonstruieren. Zum anderen ist die Forscherin in der Lage, jeweils Aussagen zur Ausprägung der Beliefs zu treffen. Beispielsweise zeigt ihre Untersuchung nicht nur, dass die drei Gruppen Shared Beliefs darüber besitzen, dass Lehrkräfte als ideales Vorbild für Schüler:innen von Bedeutung sind, sondern auch, dass sich diesbezüglich eine hohe Übereinstimmung (starke Sharedness) zeigt (vgl. 130f.). Als weiteres Beispiel für Ergebnisse bezüglich rekonstruierter Shared Beliefs lässt sich anführen, dass Dozierende der Mathematik/Mathematikdidaktik und der Erziehungswissenschaften ähnlich starke Shared Beliefs bezüglich des Nutzens der Theorie für die Praxis zeigen, wohingegen Praxislehrpersonen die Relevanz von Theorie in der Ausbildung von Lehrkräften kritischer einschätzen. Weiterhein zeigt sich beispielsweise, dass die Dozierende der Mathematik/Mathematikdidaktik traditionelle Unterrichtsmethoden ablehnen, allerdings annehmen, dass Praxislehrpersonen traditionellen Unterrichtsmethoden gegenüber positiver eingestellt sind. Entsprechend zeigen sich hier keine Mutual Beliefs (vgl. 138). Auch für die weiteren Forschungsinteressen ist das Datenmaterial ergiebig: Shared und Mutual Beliefs unterscheiden sich zwischen den Institutionen der Lehrer:innenbildung der Deutschschweiz (vgl. 158) und den Lehramtsstudierenden ist es wichtig, dass ihre verschiedenen Lehrerausbildenden Shared und Mutual Beliefs vor allem bezüglich rollenorientierten Zielvorstellungen besitzen. Beispielsweise ist Studierenden von Bedeutung, dass die Lehrerausbildenden eine gemeinsame Vorstellung darüber besitzen, dass Lehrkräfte in Schule und Unterricht die Rolle von Fachpersonen einnehmen (vgl. 165).
Mit der quantitativen Studie von Steinmann liegen erstmalig umfassende Ergebnisse von Teachers Educators‘ Beliefs vor. Damit einhergehend überzeugt die Arbeit vor allem durch ihren Erkenntnisgewinn für die Professionsforschung von Lehrerausbildenden. Sowohl die rekonstruierten Beliefs als auch das Wissen um deren Relevanz für Lehramtsstudierende bilden den Ausgangspunkt für empirisch fundierte Schlussfolgerungen für die Lehrer:innenbildung: Beispielsweise ist es naheliegend, die Verknüpfung von Theorie und Praxis in der Ausbildung intensiver in Blick zu nehmen, da sich die Lehrerausbildenden noch nicht einig darüber sind, wie eine Vernetzung gelingen kann (vgl. 179). Bei Steinmann zu kurz gekommen sind meines Erachtens allenfalls methodische Überlegungen zur Rekonstruktion von Beliefs: Die wohl größte forschungsmethodische Herausforderung der Beliefforschung besteht darin, kollektive, d. h. Shared Beliefs einzufangen, da ebendiese oft unbewusst sind [4]. Vermisst wird in der Studie deshalb eine ausgiebige Diskussion darüber, inwieweit eine Fragebogenuntersuchung in der Lage ist, sprachlich nicht-explizierbare Beliefs sichtbar zu machen. Nichtsdestotrotz ist die in meinen Augen lesenswerte Arbeit alldenjenigen zu empfehlen, die danach fragen, welche Anforderungen für Lehrerausbildende im Sinne einer professionellen (berufspraktischen) Ausbildung bestehen und welche Rolle dabei deren Beliefs über Unterricht einnehmen.
[1] Criblez, L. (2001). Die Ausbildnerinnen und Ausbildner – Hauptakteure der Lehrerbildung. In F. Oser & J. Oelkers (Hrsg.), Die Wirksamkeit der Lehrerbildungssysteme. Von der Allrounderausbildung zur Ausbildung professioneller Standards (S. 437-494). Rüegger.
[2] Liston, D., Borko, H. & Whitcomb, J. (2008). The Teacher Educator’s Role in Enhancing Teacher Quality. Journal of Teacher Education, 59(2), S. 111-116.
[3] Felbrich, A., Müller, C. & Blömeke, S. (2008). Lehrerausbildnerinnen und Lehrerausbildner der ersten und zweiten Phase. In S. Blömeke, G. Kaiser & R. H. Lehmann (Hrsg.), Professionelle Kompetenz angehender Lehrerinnen und Lehrer. Wissen, Überzeugungen und Lerngelegenheiten deutscher Mathematikstudierender und -referendare. Erste Ergebnisse zur Wirksamkeit der Lehrerausbildung (S. 363–390). Waxmann.
[4] Reusser, K., Pauli, C. (2014). Berufsbezogene Ãœberzeugungen von Lehrerinnen und Lehrern. In E. Terhart, H. Bennewitz & M. Rothland (Hrsg.), Handbuch der Forschung zum Lehrerberuf (S. 642-661). Waxmann.
EWR 22 (2023), Nr. 3 (Juli)
Shared und Mutual Beliefs in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung
Münster: Waxmann Verlag GmbH 2022
(210 S.; ISBN 978-3-8309-4495-9; 29,90 EUR)
Georg Pfeiffer (Halle)
Zur Zitierweise der Rezension:
Georg Pfeiffer: Rezension von: Steinmann, Sybille: Shared und Mutual Beliefs in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung. Münster: Waxmann Verlag GmbH 2022. In: EWR 22 (2023), Nr. 3 (Veröffentlicht am 19.07.2023), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978383094495.html
Georg Pfeiffer: Rezension von: Steinmann, Sybille: Shared und Mutual Beliefs in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung. Münster: Waxmann Verlag GmbH 2022. In: EWR 22 (2023), Nr. 3 (Veröffentlicht am 19.07.2023), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978383094495.html