Unterrichtsbezogene Rückmeldungen von Schüler:innen an ihre Lehrpersonen werden als wichtiger Impuls zur Professionalisierung und Unterrichtsentwicklung angesehen. Durch die in den letzten Jahren stark gewachsene Zahl an verfügbaren digitalen Feedback-Apps und -Portalen ist der Einholungsprozess von Rückmeldungen und deren Auswertung unaufwändig möglich. Eine bereits vorliegende Meta-Analyse von Schüler:innenfeedback-Interventionen weist auf die Wirksamkeit dieses Verfahrens hinsichtlich der Unterrichtsverbesserung bei berufstätigen Lehrpersonen hin, wenn Lehrpersonen beim Reflexionsprozess und anschließenden Verbesserungsmaßnahmen unterstützt werden [1].
Bisher liegen jedoch nur wenige Arbeiten vor, die den Einsatz innerhalb der Praxisphasen der Lehrer:innenausbildung und die Wirkungen auf die Professionalisierungsprozesse der angehenden Lehrpersonen empirisch untersuchen. Katharina Neuber trägt in der vorliegenden Dissertation zur Schließung dieser Forschungslücke bei und untersucht in einem Mixed-Methods Design Wirkungen der Einholung von Schüler:innenrückmeldungen hinsichtlich der Einstellungen angehender Lehrpersonen gegenüber Unterrichtsreflexion sowie den subjektiven Nutzen dieses Verfahrens.
Auf theoretischer Basis setzt sich die Autorin mit der professionellen Kompetenzentwicklung von Lehramtstudierenden im Studium und speziell im Praxissemester auseinander und weist auf die Notwendigkeit der Reflexionsbereitschaft und -fähigkeit für Professionalisierungsprozesse hin. Ausgehend von der ‚Theory of Planned Behavior‘ [2] werden hierzu eine positive Einstellung gegenüber Unterrichtsreflexion sowie Schüler:innenrückmeldungen als relevant identifiziert, wobei auch motivationale Orientierungen und Dispositionen der Studierenden einen Einfluss aufweisen können.
Für die quantitative Interventionsstudie wurden im Rahmen des ScRiPS-Projekts insgesamt 113 Studierende (davon 48 in der Kontrollgruppe) zu Beginn und am Ende des Schulpraxissemesters befragt. Als Intervention sollten die Teilnehmenden der Interventionsgruppe zweimal während ihres Praxissemesters Rückmeldungen zur Unterrichtsstunde von ihren Schüler:innen einholen. Hierzu kamen entweder ein quantitativer Fragebogen zur Unterrichtsqualität oder drei offene Fragen nach Dingen, die den Schüler:innen gut bzw. nicht so gut gefielen, und dem wichtigsten Verbesserungsbedarf, zum Einsatz. Die Studierenden sollten die erhaltenen Rückmeldungen im Anschluss mit der jeweiligen Klasse besprechen und dann entweder mithilfe eines schriftlichen Reflexionsinstruments individuell oder im Rahmen von Tandem-Gesprächen mit anderen Studierenden kollegial reflektieren. Signifikante Interventionseffekte ergaben sich nur hinsichtlich einer negativen Einstellungsveränderung gegenüber Strukturierungshilfen bei der Unterrichtsreflexion. Weitere dargestellte vertiefende multiple Regressionsanalysen weisen vielmehr auf Zusammenhänge zwischen individuellen Merkmalen (z.B. die Zufriedenheit zu Beginn) sowie Merkmalen des Praxissemesters (z.B. die Anzahl der eigenverantwortlich durchgeführten Unterrichtsstunden) und den Einstellungsveränderungen der Studierenden sowohl der Interventions- als auch der Kontrollgruppe hin. Hierbei sei kritisch angemerkt, dass es sich dem Rezensenten nicht erschließt, warum sich Einstellungen gegenüber Aspekten der Unterrichtsreflexion durch dieses Interventionsdesign verändern sollten, die sich nicht dezidiert auf die Nutzung von Schüler:innenfeedback beziehen. Denn auch die Studierenden der Kontrollgruppe praktizierten in ihren Praxissemester-Begleitseminaren höchstwahrscheinlich Formen der Unterrichtsreflexion.
Zur Erhebung des von den Studierenden wahrgenommenen subjektiven Nutzens von Schüler:innenrückmeldungen wurden in einer anschließenden qualitativ-inhaltsanalytischen Studie 17 Teilnehmende der Interventionsgruppe interviewt. Die Darstellungen der Rezeptions- und Reflexionsschwerpunkte der Lehramtsstudierenden ermöglichen detailliertere Aussagen zu den tatsächlichen Nutzungsprozessen. Besonders positiv hervorzuheben ist die methodenübergreifende Kombination der quantitativ erhobenen Dispositionen der Studierenden mit den dazugehörigen Interviewaussagen in Fallvergleichen, die beispielsweise auf unterschiedliche Nutzungsformen bei Studierenden mit stärkerer und schwächerer Selbstwirksamkeitserwartung hinweist.
In der abschließenden lesenswerten Diskussion werden wichtige Implikationen für den Einsatz von Schüler:innenrückmeldungen und formalisierten Reflexionsformen in den Praxisphasen der Lehrer:innenausbildung herausgearbeitet und sich aus dem Mixed-Methods Ansatz ergebende vielversprechende Forschungsdesigns für zukünftige Untersuchungen dargestellt.
Empfehlenswert ist dieses Werk nicht nur für Interessierte an der Forschung zu Schüler:innenrückmeldungen, sondern vielmehr auch für im Schulpraxissemester forschend und begleitend tätige Personen. Zugleich weist diese Arbeit auf die weiterhin große Lücke in der Forschung zur Nutzung von Schüler:innenfeedback im Schulpraktikum hin. So mangelt es noch immer an Arbeiten, die einerseits mögliche Effekte auf die Unterrichtsqualität der angehenden Lehrkräfte untersuchen, andererseits aber auch deren Kompetenzentwicklung hinsichtlich einer besseren Wahrnehmungsfähigkeit des eigenen professionellen Handelns untersuchen.
[1] Röhl, S. (2021). Effects of student feedback on teaching and classes: An overview and meta-analysis on intervention studies. In W. Rollett, H. J. E. Bijlsma & S. Röhl (Hrsg.), Student feedback on teaching in schools: Using student perceptions for the development of teaching and teachers (S. 139–156). Springer Nature.
[2] Ajzen, I. & Fishbein, M. (2005). The Influence of Attitudes on Behavior. In D. AlbarracÃn, B. T. Johnson & M. P. Zann (Hrsg.), The Handbook of Attitudes (S. 173–221). Erlbaum.
EWR 22 (2023), Nr. 3 (Juli)
Schülerrückmeldungen zum Unterricht von Lehramtsstudierenden
Eine mehrperspektivische Analyse zur Nutzung von Schülerrückmeldungen im Praxissemester
Münster, New York: Waxmann 2021
(360 S.; ISBN 978-3-8309-4464-5; 39,90 EUR)
Sebastian Röhl (Tübingen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Sebastian Röhl: Rezension von: Neuber, Katharina: Schülerrückmeldungen zum Unterricht von Lehramtsstudierenden, Eine mehrperspektivische Analyse zur Nutzung von Schülerrückmeldungen im Praxissemester. Münster, New York: Waxmann 2021. In: EWR 22 (2023), Nr. 3 (Veröffentlicht am 19.07.2023), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978383094464.html
Sebastian Röhl: Rezension von: Neuber, Katharina: Schülerrückmeldungen zum Unterricht von Lehramtsstudierenden, Eine mehrperspektivische Analyse zur Nutzung von Schülerrückmeldungen im Praxissemester. Münster, New York: Waxmann 2021. In: EWR 22 (2023), Nr. 3 (Veröffentlicht am 19.07.2023), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978383094464.html