EWR 20 (2021), Nr. 3 (Mai/Juni)

Monika Gonser / Karin Zimmer / Nicola MĂŒhlhĂ€ußer / Danielle Gluns (Hrsg.)
Wissensmobilisierung und Transfer in der Fluchtforschung
Kommunikation, Beratung und gemeinsames Forschungshandeln
MĂŒnster, New York: Waxmann Verlag 2020
(288 S.; ISBN 978-3-8309-4237-5; 29,90 EUR)
Wissensmobilisierung und Transfer in der Fluchtforschung Durch Krieg und Deprivation ausgelöste Fluchtbewegungen fĂŒhrten dazu, dass eine Reihe von Menschen den beschwerlichen und gefĂ€hrlichen Weg bis nach Europa und in andere Teile des so genannten Globalen Nordens auf sich nahmen (zumindest solange dies vor Grenzschließungen noch möglich war) und v. a. rund um das Jahr 2015 in Deutschland Aufnahme fanden. Daraus haben sich eine Reihe von drĂ€ngenden gesellschaftlichen Fragen rund um Integration und das ‚Ankommen‘ ergeben, die nicht alle neu waren, aber plötzlich noch relevanter wurden. Die BemĂŒhungen, Antworten zu finden, haben zu hoher wissenschaftlicher Resonanz und ForschungsaktivitĂ€t, aber auch viel Engagement im tertiĂ€ren Bildungssektor gefĂŒhrt.

Der von Monika Gonser und Mitautorinnen herausgegebene Sammelband trĂ€gt den Titel „Wissensmobilisierung und Transfer in der Fluchtforschung – Kommunikation, Beratung und gemeinsames Forschungshandeln“. Der Band widmet sich in diesem Zusammenhang einem relevanten Themenkomplex: Der nachvollziehbaren Kommunikation ĂŒber die (zeitnahe) gesellschaftliche Verwertbarkeit von (partizipativ angelegten) ForschungsbemĂŒhungen und deren Ergebnissen. Der Band referenziert damit auch auf einen aktuellen Diskurs hinsichtlich der breiteren gesellschaftlichen ZugĂ€nglichkeit und Nutzbarkeit von wissenschaftlichen Erkenntnissen fĂŒr die Praxis. Im Vorwort heißt es dazu, dass aufgezeigt werden soll, „auf welche Art und Weise Wissen aus Wissenschaft und Praxis aufeinandertreffen sowie genutzt und weiterentwickelt werden kann – das heißt, wie Transfer zu leisten ist.“ (9) In Zusammenhang damit bezieht sich das Werk auch auf Fragen der Rolle von so genannten Third Mission Projekten (Gonser und Zimmer im Band) und den ihnen innewohnenden Graden der Verantwortlichkeit von Wissenschaft und Wissenschaftler:innen hinsichtlich drĂ€ngender sozialer, gesellschaftlicher und politischer Fragen.

Der Band widmet sich – in sechs Kapitel untergliedert – im Rahmen von 22 BeitrĂ€gen in deutscher und englischer Sprache (mit jeweils deutschen Abstracts und dem Verweis auf online zugĂ€ngliche Übersetzungen in deutscher Sprache) aus sehr vielfĂ€ltiger Perspektive dem Thema, wie Ergebnisse aus der (partizipativ angelegten, siehe dazu Krause und von Denkowski im Band) Fluchtforschung fĂŒr die praktische Arbeit mit Menschen mit Fluchthintergrund fruchtbar gemacht werden und dazu beitragen können, gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Die VielfĂ€ltigkeit der Perspektiven lĂ€sst sich nicht nur anhand der unterschiedlichen Anbindungen der insgesamt 37 Beitragenden, die aus Wissenschaft und Praxis stammen, ablesen, sondern bildet sich nicht zuletzt auch in Form von Fallbeispielen (siehe dazu u. a. Schlee und Welsche, sowie Marquardt-GĂŒltepe im Band) sowie den in Kapiteln 2 bis 4 jeweils vorkommenden BeitrĂ€gen ab, die in Form von GesprĂ€chen mit unterschiedlichen Stakeholdern aus dem Bereich der Menschenrechte, der Bildungskoordination und Forschung angelegt sind. Der Band bietet also unterschiedliche Perspektiven – von der Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik ĂŒber die Psychologie bis hin zur sozialen Arbeit – und Textsorten an, womit die Herausgebenden selbst eigentlich ihrem Anspruch nach möglichst nachvollziehbarem Abrufen von Informationen ĂŒber Ergebnisse nachkommen. In dieser Hinsicht ist auch das den Kapiteln nachgestellte Glossar hilfreich, das es den Leser:innen ermöglicht relevante Begriffe nachzuschlagen. AuffĂ€llig ist neben den sehr unterschiedlichen professionellen HintergrĂŒnden der Beitragenden, dass die Mitwirkenden sich auch auf sehr unterschiedlichen Stufen ihrer akademischen Laufbahnen befinden, was als sehr innovativ hervorzuheben ist, da die Perspektiven auf das Thema so noch erweitert werden.

WĂ€hrend sich Kapitel 1 der Einleitung und damit einer KlĂ€rung des im Titel vorkommenden Begriffs des Transfers widmet (Gonser und Zimmer) sowie einen Überblick ĂŒber die im Band vorkommenden BeitrĂ€ge gibt (MĂŒhlhĂ€ĂŸer), befassen sich Kapitel 2 bis 4 mit den Themen Wissenschaftskommunikation und Bildung (Scheiermann, Weigand und Förster, Schlee und Welsche), Beratung (Mayer, Schweiger und Veyhl; Bonin und MĂŒhlhĂ€ußer) und abschließend Kooperation und Anwendung (Gonser und Deger, Krause und von Denkowski; Hoesch und Altundal-Köse, Schmitz, SchĂŒtte et al.; Rusert, Kart und Strein). AuffĂ€llig ist, dass die Bezugnahme darauf, was die Herausgebenden unter Wissensmobilisierung verstehen, neben einer sehr klaren Einordnung des Begriffs Transfer – und einer Abgrenzung gegenĂŒber anderen Themenkomplexen – fast gĂ€nzlich ausgespart bleibt und sich eigentlich erst anhand der in Kapitel 2 zusammengestellten BeitrĂ€ge erschließt. In der Zusammenfassung am BuchrĂŒcken liest man dazu allerdings sehr klar: „In diesem Buch wird Transfer zunĂ€chst im Sinne einer Wissensmobilisierung konzeptualisiert: als Kommunikation, Beratung oder kooperatives Handeln und Forschen.“ Es wĂ€re jedenfalls zielfĂŒhrend gewesen in Kapitel 1 nĂ€her darauf einzugehen, da dies den Aufbau der einzelnen Kapitel und deren Zusammensetzung noch klarer nachvollziehbar gemacht hĂ€tte.

Die KlĂ€rung des genauen inhaltlichen Fokus lĂ€sst sich auch hinsichtlich des Inhaltsverzeichnisses festhalten. Auf den ersten Blick ergibt sich in Kapitel 5 (mit BeitrĂ€gen von Chia-Kangata, Lachance und Ungar, Atallah und Boyter und Zimmer und MĂŒhlhĂ€ußer) nĂ€mlich ein etwas abrupter regionaler Fokus auf Kanada. Dieser speist sich aus Entstehungs- und Motivationskontext fĂŒr den Sammelband, auf den die Herausgeber:innen im Vorwort eingehen. Zwei Veranstaltungen werden dabei maßgeblich hervorgehoben, bei denen unterschiedliche Vertreter:innen aus Theorie und Praxis zusammenkamen: Zum einen ein Workshop des deutsch-kanadischen Wissenschaftsnetzwerks „Integration CAN – D“ und zum anderen der Auftaktworkshop des Arbeitskreises „Transfer“ des Netzwerks Fluchtforschung im Jahre 2019. Erstere lĂ€sst zwar darauf schließen, warum es zu einer Einbindung von Erfahrungen aus dem Kontext Kanadas im Band kommt, weiterfĂŒhrende ErklĂ€rungen im Beitrag von Gonser und Zimmer werfen demgegenĂŒber aber einige Fragen auf: Dort wird erlĂ€utert, warum es Sinn macht, auf den deutschsprachigen Raum zu fokussieren, was in Bezug auf Kleist et al. 2019 damit begrĂŒndet wird, „da sich hier in den Jahren seit 2015 intensive Entwicklungen ergeben haben, die in anderen Regionen nicht in dieser Intensität zu verzeichnen sind.“ (22) Abgesehen davon, dass sich im Band keine Referenzen auf Österreich oder die Schweiz finden, der deutschsprachige Raum also nur eingeschrĂ€nkt referenziert wird, scheinen auch die folgenden AusfĂŒhrungen nicht ganz nachvollziehbar: „Um dieser Annahme eine greifbare Vergleichsebene gegenüberzustellen, bietet der vorliegende Sammelband punktuelle Exkurse zu kanadischen Transferperspektiven. Dadurch zeigt sich, dass sich in der englischsprachigen Literatur trotz einer sehr anderen Entwicklung der Forschungsperspektive eine Ă€hnliche Anwendungsorientierung ergibt (
)“ (23) Inwiefern die hier angesprochene Vergleichsebene tatsĂ€chlich so gegeben sein kann, wenn man die beschriebene, unterschiedliche Genese der Forschungszweige betrachtet und stark abweichende Aufnahmepraxen von Menschen mit Fluchthintergrund in den beiden LĂ€ndern mitbedenkt, sei dahingestellt. Eine etwas klarer nachvollziehbare ErklĂ€rung wĂ€re jedenfalls zielfĂŒhrend gewesen. Das Ă€ndert jedoch nichts daran, dass die AusfĂŒhrungen zu Kanada eine interessante vergleichende Perspektive auftun.

Kapitel 5 widmet sich mit zwei BeitrĂ€gen (Gluns und Marquuardt-GĂŒltepe) weiterfĂŒhrenden Beispielen fĂŒr Transfer und rundet den Aufbau damit in geeigneter Form ab. Der Band vereint eine Vielzahl anwendungsorientierter internationaler BeitrĂ€ge und bietet durch die Auflistung vielfĂ€ltiger gelungener Beispiele fĂŒr die Mobilisierung von Wissen und Transferleistungen zwischen Wissenschaft und Praxis sowie aufgrund der Vielfalt der BeitrĂ€ge zur Fluchtforschung ein Ă€ußerst gelungenes Navigationsangebot. Nicht zuletzt inspiriert das Werk dazu, wie wissenschaftliche Erkenntnisse im Sinne des Diskurses rund um ‚Third Mission‘ wirklich nutzbar gemacht werden können. Abschließend gilt es festzuhalten, dass es schade ist, dass die Chance der Bezugnahme auf die Relevanz von TransdisziplinaritĂ€t und das damit einhergehende Potential hinsichtlich Wissensmobilisierung und Transfer nicht genutzt wurde, was bei der wirklich beeindruckenden Zusammenstellung der Mitwirkenden sehr naheliegend gewesen wĂ€re.
Michelle Proyer (Wien)
Zur Zitierweise der Rezension:
Michelle Proyer: Rezension von: Gonser, Monika / Zimmer, Karin / MĂŒhlhĂ€ußer, Nicola / Gluns, Danielle (Hg.): Wissensmobilisierung und Transfer in der Fluchtforschung, Kommunikation, Beratung und gemeinsames Forschungshandeln. MĂŒnster, New York: Waxmann Verlag 2020. In: EWR 20 (2021), Nr. 3 (Veröffentlicht am 07.07.2021), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978383094237.html