An kein Studienelement werden so hohe wie vielfältige Erwartungen seitens der beteiligten Akteurinnen und Akteure formuliert wie an das der Schulpraktischen Studien. Und obwohl mit den deutschen Standards für die Lehrerbildung klare, einheitliche Zielstellungen für die praktischen Ausbildungsabschnitte formuliert werden, ist ihre Ausgestaltung und konzeptuelle Rahmung standort-, mitunter sogar an den einzelnen Standorten lehramtsspezifisch. Da die berufspraktischen Ausbildungsanteile als Kernstück der Lehrerinnen- und Lehrerbildung gelten, sind sie ein zentrales Element der auf sie bezogenen Forschungen. Nachdem das Forschungsgebiet „Schulpraktika in der Lehrerbildung“ in einem 2014 erschienenen Sammelband [1] überblicksartig abgebildet wurde, scheint es nur folgerichtig, dass die im gleichen Jahr gegründete Internationale Gesellschaft für Schulpraktische Professionalisierung (IGSP) im Rahmen ihrer Schriftenreihe „Schulpraktische Studien und Professionalisierung“ eine dezidierte Beschäftigung mit einzelnen Problemfeldern anregt.
Im Zuge des ersten IGSP-Kongresses „Lernen in der Praxis“ (2015) entstanden die ersten beiden Sammelbände der im Waxmann-Verlag erscheinenden Reihe. Während sich der erste Band den „Professionalisierungsprozesse[n] angehender Lehrpersonen in den berufspraktischen Studien“ [2] widmet, befasst sich der hier rezensierte zweite Band mit den „Konzeptionelle[n] Perspektiven Schulpraktischer Studien“. Anfang 2017 wurde dieser von Urban Fraefel und Andrea Seel herausgegeben. Neben einer Einführung der Herausgebenden und einem einleitenden Beitrag umfasst der Band drei Teile mit insgesamt zwölf Beiträgen.
In der Einführung der Herausgebenden werden die Schulpraktischen Studien als Kernstück der Lehrerinnen- und Lehrerbildung benannt, die als Bindeglied zwischen Theorie und Praxis bzw. Wissenschaft und Berufsfeld zur Verschmelzung „multiple[r] Perspektiven und Wissensressourcen zu einem zukunftsfähigen Professionswissen von Lehrpersonen“ (7) beitragen sollen. Damit erfolgt eine deutliche Abgrenzung zu der Sichtweise, dass Praxis mit der reinen Anwendung von an der Universität erlernter Theorie in Verbindung mit der Einübung schulischer Praktiken gleichzusetzen sei. Daraus lässt sich eine hohe Komplexität dieses Studienelements ableiten, die konzeptionell gerahmt und aufgearbeitet werden muss. Dieser Herausforderung nehmen sich die Autorinnen und Autoren der nachfolgenden Beiträge an und konkretisieren sie je spezifisch in Bezug auf den von ihnen beleuchteten Aspekt des Themenfeldes, was überwiegend im Kontext ihrer eigenen Institution erfolgt. Das damit aufgeworfene Desiderat hochschulübergreifender Forschungsbemühungen markieren die Herausgebenden am Ende ihrer Einführung.
Der einleitende Beitrag von Kurt Reusser und Urban Fraefel „Die Berufspraktischen Studien neu denken. Gestaltungsformen und Tiefenstrukturen“ lässt bereits im Titel erkennen, dass die Schulpraktischen Studien einem Transformationsprozess unterliegen. Ausgehend einer sehr dichten Analyse der zentralen Problemfelder (u. a. inkohärente Referenzsysteme der Lernfelder Schule und Hochschule, wenig lernförderliche Unterrichtsnachbesprechungen und eher oberflächliche Reformen von Praxisformaten), verknüpft mit der Darstellung der die Akteurinnen und Akteure einenden Sichtweisen auf die berufspraktischen Studienelemente, werden vier Lösungsansätze (u. a. eine Etablierung von Partnerschaftsstrukturen zwischen Ausbildungsinstitutionen und Schulen und eine Einrichtung ko-konstruktiver schulpraktischer Ausbildungsformate) präsentiert (18). Diese werden zum Teil in den weiteren Beiträgen aufgegriffen und konkretisiert. Interessant ist, dass die Frage „Woraufhin sollen Lehrpersonen ausgebildet werden?“ (25) erst im Anschluss gestellt wird. Neue Gestaltungsformen sollten doch nicht nur auf zu bewältigende Probleme reagieren, sondern in gleicher Weise die Bearbeitung zu erfüllender Ziele ermöglichen. Im Fazit des Beitrags wird die Komplexität des Themenfeldes noch einmal hervorgehoben, indem das Sichern von Starthilfe für den Berufseinstieg und das Ermöglichen langfristiger Lernfähigkeit über die Ausbildungsphase hinaus als zu leistende Aufgaben einander gegenübergestellt werden.
In Teil 1 „Schule und Hochschule – Praktikumskonzepte und Partnerschaftsmodelle“ werden in fünf Beiträgen zunächst strukturelle Perspektiven erörtert. Dass sich vier der fünf Beiträge mit Modellen der Partnerschaft von Schule und Hochschule beschäftigen, sollte hier differenziert betrachtet werden. Einerseits wird daran deutlich, wie unterschiedlich sich diese eine Gestaltungsform unter bestimmten Rahmenbedingungen an den einzelnen Standorten umsetzen lässt, andererseits werden damit andere Konzepte vernachlässigt, die gegebenenfalls anschlussfähiger an die an einem Hochschulstandort vorhandenen Strukturen sein könnten. Der Band gewährt Einblick in das Flensburger Modell „Schuladoption“ (Andreas Bach), in das Projekt „Partnerschulen“ im Bildungsraum Nordwestschweiz (Urban Fraefel, Nils Bernhardsson-Laros und Kerstin Bäuerlein) sowie in den „Hamburger Weg“ der studentischen Berufsprofessionalisierung an einer Forschungs- und Praktikumsschule (Thomas Trautmann, Lara Maschke und Nina Brück).
Charakteristisch für die Beiträge ist eine kurze Herleitung mit anschließender Schilderung des Konzepts, gefolgt von einem Einblick in die auf geringen Fallzahlen basierenden Erträge aus den Begleitforschungen. Dass die Weiterentwicklung bereits etablierter Praktikumskonzepte ebenso ertragreich sein kann wie die Etablierung neuer Modelle, zeigen die von Madlen Protzel, Benjamin Dreer und Ernst Hany überzeugend hergeleiteten Studienangebote der Erfurter Lehrerinnen- und Lehrerbildung „zur Entwicklung von Handlungs-, Begründungs- und Reflexionskompetenzen“. Im Zuge dieses Beitrags kristallisieren sich dann im Vergleich aber mindestens zwei zentrale Vorzüge der drei Partnerschaftsmodelle heraus. Diese haben jeweils nicht nur die Professionalisierung aller an den Schulpraktischen Studien Beteiligten im Blick, sondern erzeugen ebenfalls eine stärkere Bindung zwischen Schule und Hochschule, die in vielerlei Hinsicht fruchtbare (Lern-)Erträge hervorrufen kann. Teil 1 schließt mit einem Bericht von Richard Kohler zur Entstehung und den Herausforderungen von „Partnerschaften von Schulen und Universitäten in den USA“.
Die vier Beiträge in Teil 2 widmen sich konkreten Formaten berufspraktischer Studien. Thematisiert werden Ansätze zur Gestaltung forschender Schulpraktika im Kontext der Aachener und Freiburger Lehrerbildung (Gianpiero Favella, Anna-Christin Herrmann und Mandy Schiefner-Rohs), das Verfahren des prozessualen Unterrichtsdialogs als spezifische Form der Unterrichtsbesprechung an der Pädagogischen Hochschule Bern (Walter Hartmann, Stefanie Andrey und Fabienne Zehntner-Müller) sowie die Begleitung von Professionalisierungsprozessen durch wissenschaftspraktische Lehrangebote (Tobias Leonhard) bzw. durch ein Mentorat (Simone Herzog, Ruth Peyer und Tobias Leonhard) an der Pädagogischen Hochschule Nordwestschweiz. Die Texte sind jeweils aufgrund eines ganz bestimmten Merkmals als lesenswert zu empfehlen. So regt die standortübergreifende Analyse von Gestaltungskonzepten der Aachener und Freiburger Lehrerbildung dazu an, stärker über die (theoretische) Fundierung der Studiendokumente bzw. der Realisierbarkeit der in den Studiendokumenten formulierten Ansprüche nachzudenken. Gelungen ist dahingehend die sehr klare Positionierung des Beitrags von Tobias Leonhard: „Anstatt Hochschule und Berufsfeld mit der weit verbreiteten, aber untauglichen dichotomen Denkfigur von Theorie und Praxis und Fragen ihrer Verknüpfung oder Verzahnung zu rahmen, schlage ich vor, die beiden Orte der Lehrerinnen- und Lehrerbildung als zwei Referenzsysteme bzw. als zwei distinkte Praxen zu betrachten, die im Kern unterschiedlichen, aber füreinander jeweils unverzichtbaren Logiken und regulativen Ideen folgen“ (151).
Dem in der Einführung der Herausgebenden angesprochenen Trend der Einbettung von Fragen nach der Ausgestaltung berufspraktischer Ausbildungsanteile in den Professionalisierungsdiskurs wird im dritten Teil dieses Sammelbandes unter dem Titel „Professionalisierungsprozesse angehender Lehrpersonen“ nachgegangen. Während der Beitrag von Marion Pollmanns, Christoph Leser, Helge Kminek, Sascha Kabel und Rahel Hünig zur rekonstruktiven Fallarbeit in den Praktikumsbegleitseminaren an der Goethe-Universität Frankfurt eher auf das Professionsverständnis nach Oevermann rekurriert, basiert der anschließende Bericht zur Untersuchung der „Bedeutung von lerntheoretischen Überzeugungen für die Wahrnehmung von beruflichen Anforderungen von angehenden Lehrpersonen“ von Manuela Keller-Schneider auf einem berufsbiographischen Ansatz. Das Buch schließt mit einem am Begriff der professionellen Handlungskompetenz orientierten Beitrag von Kerstin Göbel und Katharina Neuber, der über den Einfluss von Schülerrückmeldungen zum Unterricht auf die Reflexionsbereitschaft angehender Lehrpersonen Aufschluss gibt.
Bemerkenswert ist die sehr umfassende Darstellung des hoch komplexen Themenfeldes Schulpraktische Studien in einem nur etwas mehr als 200seitigen Sammelband, der zum Teil gleichwohl nur überblicksartige Darstellungen theoretischer Rahmungen und Befunde der Begleitforschungen zulässt. Hierzu aufkommende Fragen der Leserin bzw. des Lesers bleiben daher mitunter unbeantwortet. In seiner Gesamtheit enthält der Band wichtige Impulse und Denkfiguren für die weitere konzeptuelle Ausgestaltung der berufspraktischen Studienelemente, die an vielen deutschen Universitätsstandorten auch im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung vorangetrieben wird.
[1] Arnold, K.-H. / Gröschner, A. / Hascher, T.: Schulpraktika in der Lehrerbildung: Theoretische Grundlagen, Konzeptionen, Prozesse und Effekte. Münster: Waxmann 2014.
[2] Košinár, J. / Leineweber, S. / Schmid, E.: Professionalisierungsprozesse angehender Lehrpersonen in den berufspraktischen Studien. Münster: Waxmann 2016.
EWR 16 (2017), Nr. 3 (Mai/Juni)
Konzeptionelle Perspektiven Schulpraktischer Studien
Partnerschaftsmodelle – Praktikumskonzepte – Begleitformate
MĂĽnster: Waxmann 2017
(232 Seiten; ISBN 978-3-8309-3575-9; 34,90 EUR)
Tobias Bauer (Dresden)
Zur Zitierweise der Rezension:
Tobias Bauer: Rezension von: Fraefel, Urban / Seel, Andrea (Hg.): Konzeptionelle Perspektiven Schulpraktischer Studien, Partnerschaftsmodelle – Praktikumskonzepte – Begleitformate. MĂĽnster: Waxmann 2017. In: EWR 16 (2017), Nr. 3 (Veröffentlicht am 30.05.2017), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978383093575.html
Tobias Bauer: Rezension von: Fraefel, Urban / Seel, Andrea (Hg.): Konzeptionelle Perspektiven Schulpraktischer Studien, Partnerschaftsmodelle – Praktikumskonzepte – Begleitformate. MĂĽnster: Waxmann 2017. In: EWR 16 (2017), Nr. 3 (Veröffentlicht am 30.05.2017), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978383093575.html