
Im ersten Beitrag beschreibt Helmut Fend Aspekte der Bildungsforschung und -politik seit den frühen 1960er Jahren. Die Entwicklung der Bildungsforschung wird in drei Phasen aufgeteilt und mit zentralen Befunden verknüpft. Dabei erscheint es wenig verwunderlich, dass die Ausführungen dieses über Jahrzehnte mit der Thematik befassten Erziehungswissenschaftlers teils im Format eines „Zeitzeugenberichts“ (40) daherkommen. Anhand seiner Wirkungsforschung zu Gesamtschulen gewann die Einzelschule als „pädagogische Handlungseinheit“ (33) an Bedeutung. Rudolf Messner schließt hier an, wenn er sich – durchaus unter Bezugnahme auf Kritik an Fends Theorie – dem Ursprungskonzept und seiner Weiterentwicklung durch Fend zuwendet. Eckhard Klieme fragt, was „gute“ von weniger „guten“ Schulen unterscheidet und welche Erkenntnisse die empirische Forschung diesbezüglich bietet. Ein Desiderat der Schulforschung besteht laut Klieme neben der Forschungsperspektive auf die Entwicklung der Einzelschule in der Berücksichtigung der systemischen und zeithistorischen Perspektive. Erst die Betrachtung von Systemstrukturen und (individuellen) Bildungsverläufen mit ihren langfristigen Effekten erlaube es, so Hartmut Ditton, die Güte von Schule im Gesamtzusammenhang beurteilen zu können. Zudem ermögliche diese Perspektive Aussagen zur gesamtgesellschaftlichen Bedeutung von Schule sowie – umgekehrt – zum gesellschaftlichen Einfluss auf strukturelle Veränderungen.
Die Beiträge von Hans-Günter Rolff, Heinz Günter Holtappels und Tobias Feldhoff setzen den Fokus auf das Thema der Schulentwicklung und leiten stärker als die vorherigen Artikel praktische Implikationen ab. Rolff und Feldhoff teilen die Ansicht, dass der Begriff der Schulentwicklung derzeit „im Zentrum von Bildungspolitik, Fortbildungseinrichtungen und Einzelschulen“ (115) stehe. Rolff stellt die Trias der innerschulischen Schulentwicklung aus Organisations-, Unterrichts- und Personalentwicklung dar, welche um das außerschulische Umfeld ergänzt werden müsse. Holtappels referiert Erträge der Schulentwicklungsforschung und formuliert praktische Implikationen für erfolgreiche Innovationsverläufe an Schulen. Demnach sind Schulentwicklungsprozesse v.a. der einzelschulbezogenen Entwicklungsdynamik anzupassen. Rolff und Holtappels betonen in diesem Zusammenhang die Bedeutsamkeit des Kollegiums und der Schulleitung und deren Innovationsbereitschaft für erfolgreiche Schulentwicklungsverläufe. Feldhoff diskutiert die Frage, ob Schulentwicklung eher durch zentral vorgegebene Reformprogramme oder durch dezentrale Maßnahmen der Einzelschule erfolgreicher ist. Wie Holtappels verdeutlicht auch er anhand von Forschungsbefunden, dass zu implementierende Maßnahmen im Rahmen der Schulentwicklung nur dann erfolgreich sind, wenn sie die jeweiligen Gegebenheiten der Schule berücksichtigen sowie durch entsprechende Unterstützungsprogramme flankiert werden.
Martin Heinrich und Maike Lambrecht setzen sich sowohl mit der Schuleffektivitätsforschung, deren Fokus auf messbaren Schülerleistungen liegt, als auch der Schulentwicklungsforschung, welche die Prozessqualität schulischen Handelns betont, auseinander. Ein verbindendes Steuerungsinstrument sehen sie in der governanceanalytischen Schulinspektionsforschung. Anhand der Projekte zu „Schulinspektion“ und „Lernen vor Ort“ veranschaulicht Thomas Brüsemeister die Wirkungsweise eines neu konzipierten Governance-Equalizers. Damit lassen sich Wirkungen bzw. Intensitäten von Reformen vergleichend modellieren. Eine (gesellschafts-)kritische Betrachtung gegenwärtiger Schulentwicklungsforschung nimmt sodann Nils Berkemeyer vor. Er schreibt dieser – u.a. aufgrund der Fokussierung auf die Einzelschule und der Outcomeorientierung großer Schulleistungsuntersuchungen – eine allzu unreflektierte Positionierung gegenüber dem „Zusammenhang von Schule, Politik und Gesellschaft“ (201) sowie eine starke Effizienzsausrichtung zu. Wolfgang Böttcher übt mit Blick auf das Verhältnis von Monitoring und Unterstützung Kritik an „der pädagogischen Ökonomie“. Unter Bezugnahme auf Fends Gesamtschul-Studie verweist er darauf, dass eine Schule – unter durchaus vergleichbaren Bedingungen – „etwas anderes machen kann als eine andere“ (223). Der daraus abzuleitenden Idee der „Einzelschule als Betrieb“ (224) mit (vermeintlich) hoher Eigenverantwortung und Entscheidungsautonomie stehe jedoch ein Fehlen von Struktur und Managementkompetenz entgegen. Für erfolgreiche Schulreformen sei die „Entwicklung eines Prozess- und Innovationsmanagements“ (232) nötig.
Bezugnehmend auf die Ebene des Unterrichts formuliert Hans Haenisch praxisorientierte Gelingensbedingungen, welche zugleich die Komplexität der Unterrichtsentwicklung verdeutlichen sollen. Anhand verschiedener Akteursperspektiven sowie der Nutzung von Netzwerken zeigt er, dass im Rahmen der Unterrichtsentwicklung „individuelle, institutionelle, inhaltliche, soziale und kulturelle Aspekte ineinander“ (251) greifen und diese daher systemisch zu betrachten sind. Klaus-Jürgen Tillmann bezieht sich auf die schulische Praxisforschung, wie sie seit mehr als 40 Jahren an der Laborschule Bielefeld wissenschaftlich begleitet praktiziert und für die Schulentwicklung genutzt wird. Dabei handelt es sich mit der empirisch-analytischen Forschung und der schulischen Praxisforschung um zwei Paradigmen empirischer Schulforschung, die sich wechselseitig ergänzen und deren Frontstellung es laut Tillmann zu überwinden gilt.
Insgesamt gibt der Sammelband einen umfassenden Einblick in den Schulqualitätsdiskurs. Der Fokus richtet sich stark auf den Prozess der Schulentwicklung, wodurch auch das Ziel des Sammelbandes – die Verständigung darüber, „was unter ,guter Schulqualität‘ zu verstehen ist“ (9) – etwas in den Hintergrund gerät. Für die Rezipienten ergibt sich gleichwohl ein detaillierter Einblick in das komplexe Gefüge der verschiedenen Akteurinnen und Akteure im Prozess der Schulentwicklung. Zudem werden Forschungsdesiderata aufgezeigt, die insbesondere Leserinnen und Leser aus wissenschaftlichen Kontexten ansprechen dürften.
[1] Fend, H.: Gute Schulen – schlechte Schulen. Die einzelne Schule als pädagogische Handlungseinheit. Die Deutsche Schule, 78 (3) 1986, 275-293.