Die hier zu besprechende Studie zur „Vergleichenden Bildungspolitik“ hat zum Ziel, die Horizonte, die Regelungsmechanismen und die Richtung einer weltweiten Offensive in Sachen Bildung zu analysieren. Analyse in dieser Arbeit bedeutet allerdings nicht, eine bereits als abgeschlossene Entwicklung zu dechiffrieren; vielmehr versieht der Verfasser seine Arbeit mit einem Fragezeichen. Die weltweite Offensive ist im Fluss; und es kommt im Moment eher darauf an, ihre Konturen zu erfassen und nicht ein Gesamturteil zu unterbreiten. Dennoch thematisiert Marcelo Parreira do Amaral im Schlusskapitel auch eine Richtung von Kritik.
Die ersten Kapitel leiten zum Thema über, indem sie klarlegen, was nationale Bildung war und in welche Weise nunmehr deren Internationalisierung zu verstehen ist. Dabei bezeichnet Internationalisierung nur eine Analyseebene; Globalisierung und Supranationalisierung bezeichnen die beiden anderen Ebenen. Der Verfasser unterscheidet dabei eine „kognitive Ebene“ zur Strukturerfassung und eine „Akteursebene“ zur Erfassung der Handlungspotentiale (95). Für die Analyse der kognitiv zu erfassenden Strukturebene dient ihm vor allem der Neoinstitutionalismus und der mit diesem verwandte „World-Polity-Ansatz“ von John Meyer u.a. Zur Erforschung der Akteursebene greift Parreira auf den Governance-Ansatz zurück sowie auf dessen Zwillingskonzept – die Regimetheorie. Beide Instrumente werden in der Arbeit kompetent und in heuristisch ergiebiger Weise eingesetzt. Mit diesem Instrumentarium kann der Verfasser die Komplexität seines „Gegenstandsbereiches“ soweit reduzieren, dass ein klares Bild vor dem Leser entsteht. Die Nutzung der Perspektiven (Globalisierung usw.) sowie der Analyseinstrumente erlauben, die weit gespannte Vernetzung der Aktivitäten und Strukturen eines „Internationalen Bildungsregimes“ (IBR) zu erfassen und in einzelnen Teilen bereits zu verstehen. Eine der wesentlichsten Funktionen des „Internationalen Bildungsregimes“ besteht im „agenda setting“ Dieses beinhaltet das Konzept des „Lebenslangen Lernens“ einerseits, zweitens geht es um einen „Konferenzmechanismus“ der wechselseitigen Beobachtung und drittens um „Monitoringsysteme“ (135). Den nationalen Akteuren kommt die Aufgabe zu, diese internationalen Prozesse umzusetzen; dabei wirken sie allerdings als re-interpretierende „Filter“ (132).
Die Analyse, dass dieses „Regime“ als in Entwicklung zu begreifen ist, die sich in „emergentistischer“ Weise vollzieht, hilft ebenfalls, reale Prozesse im IBR zu verstehen. Demgegenüber hält sich der Verfasser mit Ideologiekritik zurück. Das ist verständlich und richtig; dennoch kommt er nicht umhin, politisch strategische Aspekte des Ganzen kritisch zu thematisieren. Dafür ist der „reale Kern“ dieses Policy-Bereiches für Politik und Gesellschaft zu wichtig, als dass man diese Politikdimension nicht thematisieren sollte. In Zeiten nachlassender staatlicher Regulierungstätigkeiten kommt es auch für die Politik darauf an, einen Bereich vorweisen zu können, in dem eine Zukunftsgestaltung erbracht werden soll: das Stichwort heißt „Wissensgesellschaft“. Diese folgt auch dem Konzept, Individuen stärker selbstverantwortlich zu machen, bzw. zu entsolidarisieren. Parreiras Arbeit zeigt die Richtung auf, in die die kommende Gestaltung der internationalen Erziehung und Bildung auch in ihrer organisatorisch-technischen Form verlaufen wird. Der Transfer von Neoinstitutionalismus und Regimetheorie auf den internationalen Sektor Bildungsregime ist aufgrund der klaren begrifflichen Strukturierung durch Parreira vollauf gelungen. Die Einflüsse der dabei wirkenden vielfältigen nationalen und internationalen Interessen können aufgrund dieses Modells verständlich gebündelt werden. Kommende Modifizierungen können ihren Platz innerhalb des angebotenen Kategorienrahmens finden, der den Anforderungen an Präzision wie auch an Flexibilität in gültiger sozialwissenschaftlicher Theorie genügt.
Zwischen den Zeilen und explizit im Schlusskapitel weist Parreira nach, dass das ganze Unterfangen, für Europa durch das Konzept „Bologna Prozess“ geprägt, eine neoliberale Ausrichtung hat, was auch durch inhaltliche und methodische Interventionen von Weltbank IWF – vielleicht auch OECD – untermauert wird. Das Wissen der „Weltgesellschaft“ soll in dem neuen Bildungsregime besser als bisher auf die präzisen Anforderungen der Informationsgesellschaft fokussiert werden. Dem kann man zustimmen, wenngleich damit noch nicht erkannt wird, was man durch diese Umstrukturierung verliert. Aber eine solche Kritik wäre gegenüber den massiven Anstrengungen vieler Akteure in Governance-Prozessen, Regimen und – nach wie vor – staatlichem „Management“ banal. Deshalb wird es auch kein Zurück geben. Es gibt aber im Rahmen der von Meyer u.a. angesetzten Kategorien nicht nur die Isomorphien in der Übertragung von Wissen und Strategien, sondern auch ein „Decoupling“, worauf der Verfasser ebenfalls hinweist.
EWR 13 (2014), Nr. 1 (Januar/Februar)
Emergenz eines Internationalen Bildungsregimes?
International Educational Governance und Regimetheorie
New Frontiers in Comparative Education, Vol. 1
New Frontiers in Comparative Education, Vol. 1
MĂĽnster u.a.: Waxmann Verlag 2011
(208 S.; ISBN 978-3-8309-2535-4; 24,90 EUR)
Jakob Schissler (Turku, Finnland)
Zur Zitierweise der Rezension:
Jakob Schissler: Rezension von: Amaral, Marcelo Parreira do: Emergenz eines Internationalen Bildungsregimes? International Educational Governance und Regimetheorie, New Frontiers in Comparative Education, Vol. 1. MĂĽnster u.a.: Waxmann Verlag 2011. In: EWR 13 (2014), Nr. 1 (Veröffentlicht am 05.02.2014), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978383092535.html
Jakob Schissler: Rezension von: Amaral, Marcelo Parreira do: Emergenz eines Internationalen Bildungsregimes? International Educational Governance und Regimetheorie, New Frontiers in Comparative Education, Vol. 1. MĂĽnster u.a.: Waxmann Verlag 2011. In: EWR 13 (2014), Nr. 1 (Veröffentlicht am 05.02.2014), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978383092535.html