EWR 9 (2010), Nr. 6 (November/Dezember)

Sammelrezension zum Thema „Neue Untersuchungen zur Lehrergesundheit“

Dorothee Koch
Gesund bleiben im Lehreralltag – Potenziale erkennen, Ressourcen nutzen
Ein empirischer Beitrag zur Analyse widersprüchlicher Handlungsanforderungen im Lehrerberuf
Hamburg: Kovač 2009
(358 S.; ISBN 978-3-8300-4271-6; 88,00 EUR)
Udo Käser / Jennifer Wasch
Burnout bei Lehrerinnen und Lehrern
Eine Bedingungsanalyse im Schulformvergleich
Berlin: Logos 2009
(156 S.; ISBN 978-3-8325-2316-9; 35,00 EUR)
Gesund bleiben im Lehreralltag – Potenziale erkennen, Ressourcen nutzen Burnout bei Lehrerinnen und Lehrern Zum Thema Lehrerbelastung, Lehrergesundheit und Lehrerburnout liegt inzwischen eine große Zahl von empirischen Studien vor, so dass sich angesichts der beiden Neuveröffentlichungen die Frage stellt, welchen zusätzlichen Erkenntnisgewinn und welche praktische Relevanz die beiden hier vorgestellten Bücher haben. Bei der Bewertung neuer Studien könnte das Kriterien greifen, was die Untersuchungen zur Klärung folgender Fragen beitragen: Was genau verursacht Burnout? Welche Bedingungen müssen verändert werden, damit Burnout reduziert wird? Denn obwohl sich die Zahlen zur Verbreitung von Burnout stabilisiert haben, sind die Erklärungsansätze weiterhin disparat und teilweise widersprüchlich, so dass Interventionen oft aufgrund von Ad-hoc-Annahmen vorgeschlagen oder sogar durchgeführt werden.

(1) Dorothee Koch: Gesund bleiben im Lehreralltag – Potenziale erkennen, Ressourcen nutzen

Die umfangreiche Arbeit von Dorothee Koch bezieht sich auf Lehrerinnen und Lehrer an Grundschulen und berücksichtigt deren aktuelle Arbeitsbedingungen und Arbeitsanforderungen in Nordrhein-Westfalen. Damit ist die Übertragbarkeit der Ergebnisse begrenzt, auf der anderen Seite ermöglicht die Untersuchung präzise Aussagen über eine bestimmte Untersuchungsgruppe, eben Grundschullehrerinnen und –lehrer in NRW. Die Arbeit ist in sechs theoretische Kapitel, zwei empirische Kapitel und ein Diskussionskapitel gegliedert. Die theoretischen Kapitel bieten einen guten Überblick über den Forschungsstand zur Schuleingangsphase an Grundschulen, zur Lehrerkooperation und Teamarbeit an Schulen im Kontext der Belastungsforschung und zum Konzept der widersprüchlichen Arbeitsanforderungen. Im Unterschied zu älteren Untersuchungen zur Lehrerarbeit wird das Thema „Teamarbeit“ somit ausführlich behandelt. Dabei werden auch die Rolle der Schulleitung und allgemeiner kooperativer Strukturen berücksichtigt.

Im theoretischen Teil wird ferner auf das Konzept der Salutogenese Bezug genommen, außerdem werden Begriffe wie Belastung und Beanspruchung einer eingehenden kritischen Prüfung unterzogen. Weiterführend ist das Konzept der widersprüchlichen Arbeitsanforderungen, das auf den Lehrerberuf angewendet wird. Diesem Konzept zufolge entstehen psychische Belastungen aus Widersprüchen zwischen Handlungsanforderungen und Handlungsmöglichkeiten. Damit knüpft die Studie dem Anspruch nach an Modelle und Theorien der Schulentwicklung in der Tradition der Organisations- und Teamentwicklung an.

Die Hauptuntersuchung basiert auf einer Stichprobe von N = 254 Lehrkräften an Grundschulen in zwei Großstädten in NRW. Als abhängige Variablen werden die Beanspruchungsfolgen erhoben, unter anderem die Erholungsfähigkeit, körperliche Beschwerden, die emotionale Erschöpfung (aus dem MBI= Maslach Burnout Inventory in der deutschen Fassung) und depressive Symptome. Zu den unabhängigen Variablen zählen die organisationalen und sozialen Belastungen, die Ressourcen und einige demographische Merkmale. Alle Merkmale werden auf Individualebene erhoben und ausgewertet. Das ist insofern problematisch, als zur Einschätzung der Wirksamkeit von Kontext- und Organisationsmerkmalen wie Schulleitungseffektivität oder Kooperationspraxis im Kollegium Mehrebenenanalysen angezeigt wären, die es ermöglichen, die Stärke der Einflüsse auf der Organisationsebene genau zu bestimmen. Derartige Kontextanalysen haben bisher in der Schulentwicklungsforschung durchweg eher schwache Effektstärken nachgewiesen. Es wäre daher spannend, zu überprüfen, wie groß die Einflüsse der Schulleitung und des Kollegiums auf das Burnoutrisiko der Lehrkräfte tatsächlich sind. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen damit auch ein dringendes Forschungsdesiderat auf, nämlich die Erforschung von Zusammenhängen zwischen Organisationskontexten und individueller Entwicklung von Lehrkräften. Im Vergleich zu den sehr hochgesteckten Zielen im theoretischen Teil der Arbeit fällt die empirische Untersuchung deutlich ab. Das gewählte Untersuchungsdesign ist nach meiner Einschätzung eine Nummer zu klein für die Überprüfung des theoretischen Modells. Dessen ungeachtet sind die Ergebnisse nützlich und durchaus auch weiterführend.

Die Ergebnisse der durchgeführten Regressionsanalysen sind teilweise erwartungswidrig und gerade deswegen bemerkens- und beachtenswert. Optimismus, Anerkennung und schulinterne Arbeitsorganisation haben für das Beanspruchungserleben eine zentrale Bedeutung. Soziale Unterstützung durch die Kollegen hat keine Bedeutung, mitarbeiterorientiertes Führungsverhalten der Schulleitung hingegen schon. Teamarbeit und gemeinsames pädagogisches Verständnis enttäuschen als Prädiktoren. Integrative Kooperationsauffassung hat einen direkten Einfluss auf das Beanspruchungserleben. Betrachtet man die Variable Optimismus, stellt sich allerdings die Frage, ob hier nicht etwas gemessen wird, das semantisch dem Beanspruchungserleben nahe kommt. Die hohen Korrelationen könnten also teilweise auf Redundanzen zurückzuführen sein.

Personen mit integrativer Kooperationsauffassung nehmen Regulationsbehinderungen weniger wahr. Die Gültigkeit der Ergebnisse ist dadurch eingeschränkt, dass ausschließlich Lehrerwahrnehmungen erhoben wurden, Daten über die schulische Umwelt wurden nicht durch Befragung anderer Personen erfasst. An der Präsentation der Instrumente, die im Anhang vollständig abgedruckt werden, ist zu bemängeln, dass es dem Leser nicht möglich ist, die gebildeten neuen Skalen den Items im Fragebogen zuzuordnen. Zumindest für die Skalen, die besonders viel Varianz erklären, wäre dies aber überaus hilfreich und auch leicht zu machen gewesen. Im Übrigen ist die Qualität der Präsentation jedoch gut.

In einem abschließenden Kapitel wird ein schulisches Gesundheitsmanagement als Lösung für das Burnoutproblem empfohlen. Die Beziehungen zwischen dieser Lösung und den empirischen Befunden ist allerdings vorerst konstruiert. Damit wird ein neues Forschungsfeld eröffnet. Halten wir uns dagegen eng an die referierten Befunde und Datenanalysen, liegen einige Schlüsse näher: Interne Ressourcen wie Optimismus haben neben Anerkennung und guter schulinterner Arbeitsorganisation eine zentrale Bedeutung für das Beanspruchungserleben. Zusammen mit dem mitarbeiterorientierten Führungsverhalten ergeben sich daraus klare Konsequenzen für die Schulleitung im Hinblick auf ein gesundheitsförderliches Stressmanagement. Für den Umgang mit Widersprüchen scheint eine integrative Kooperationsauffassung wichtig zu sein.

(2) Udo Käser / Jennifer Wasch: Burnout bei Lehrerinnen und Lehrern

Im Vergleich zu der sehr weit gefassten und komplex angelegten Untersuchung von Koch besticht die Studie von Udo Käser und Jennifer Wasch durch die Fokussierung auf eine Kernfrage und entsprechende Hypothesen. Sie ist stringent in einen theoretischen, einen methodischen und einen Ergebnisteil gegliedert, dem eine Diskussion folgt. Im Anhang sind die Erhebungsinstrumente vollständig abgedruckt. Die Forscher konzentrieren sich auf Burnout als abhängige Variable mit drei Subdimensionen und versuchen Burnout vorherzusagen und kausal zu erklären. Dabei werden alle Schulformen gleichermaßen berücksichtigt.

Dazu unterzieht das Forschertandem zunächst den Burnoutbegriff einer kritischen Analyse und ordnet ihn in die Stressforschung ein. Käser und Wasch gehen auf das transaktionale Modell von Cherniss ein und rekonstruieren die Bezüge zum Konzept der erlernten Hilflosigkeit nach Seligman und zur Selbstwirksamkeitsforschung nach Bandura. Eingehend widmen sie sich auch Phasenmodellen und aktuellen ressourcentheoretischen Modellen nach Buchwald & Hobfoll. Danach kann Burnout als Voranschreiten auf einer Verlustspirale betrachtet werden, wobei die Anforderungen die Ressourcen schleichend aufzehren. Die Gründe dafür können unterschiedlich sein. Wichtig ist eine Unterscheidung zwischen inneren und äußeren Ressourcen. Dieses Modell hat den Vorteil, auch Prozesse abbilden zu können. Außerdem macht es deutlich, dass vor allem die Relation zwischen Anforderungen und Ressourcen entscheidend ist, nicht so sehr die absolute Höhe der Anforderungen oder der Umfang der Ressourcen. Auch Lehrkräfte mit bescheidenen Ressourcen können gesund bleiben, sofern sie die Anforderungen, denen sie sich aussetzen, begrenzt halten und für genügend positiv erlebte Investitionen sorgen. Umgekehrt können auch ressourcenstarke Lehrkräfte innerlich erschöpfen, wenn sie die Anforderungen nicht begrenzen und zu wenig Erfahrungen machen, die ihre Ressourcen wieder auffüllen. Phänomene wie die Depersonalisierung der Beziehungen lassen sich auf dieser Folie als Selbstschutzmaßnahmen auffassen, die verhindern sollen, dass weitere Ressourcen verloren gehen. Denn auch Zuwendung (zum Schüler) stellt ja einen Aufwand dar, für den oft keine Kraftreserven mehr vorhanden sind.

Legt man den MBI-Gesamtpunktwert zugrunde, können 16 bis 27 % der Lehrkräfte in Deutschland als ausgebrannt klassifiziert werden. Beschränkt man sich auf einzelne der drei Subdimensionen, fallen die Burnoutraten teilweise noch höher aus. Der Überblick über den Forschungsstand ist umfassend, präzise, gut verständlich und überaus sorgfältig gearbeitet, geradezu ein Musterbeispiel für diesen Teil jeder soliden empirischen Studie. Aufgezeigt werden Inkonsistenzen und Defizite in der Forschung, insbesondere der eklatante Mangel an Interventionsstudien zur Reduzierung von Burnout und die geringe Zahl von Längsschnittstudien, die es ermöglichen würden, Kausalaussagen zu überprüfen.

Die Untersuchung von Käser und Wasch zeichnet sich methodologisch durch das hohe Niveau der Datenauswertungsverfahren aus. So ermöglicht es eine Diskriminanzanalyse, zu prüfen, wie genau sich Burnout auf der Grundlage des theoretischen Modells vorhersagen lässt. Noch wichtiger sind die Ergebnisse der Datenanalyse mit Strukturgleichungsmodellen, die jeweils getrennt für die drei Subdimensionen von Burnout (Emotionale Erschöpfung, Depersonalisation und Leistungsfähigkeit) und für den Gesamtwert durchgeführt werden. Derartige Analysen ermöglichen es, Kausalmodelle zu überprüfen. Die Präsentation der Untersuchungsmethode und der Ergebnisse ist vorbildlich. Alle benutzten Messinstrumente und Skalen werden sorgfältig einschließlich der in der Studie ermittelten Parameter, jeweils im Vergleich mit den Werten aus dem Manual, dokumentiert. Bei der Durchführung der Untersuchung wurde sehr konsequent das Prinzip der Sparsamkeit eingehalten, das heißt, es wurden jeweils gekürzte Testversionen eingesetzt, die aber durch die jeweiligen Testautoren auch empfohlen werden.

Die Studie beruht auf einer alle Schulformen mit Ausnahme der Integrierten Gesamtschule umfassenden Stichprobe (N = 406, Rücklaufquote von ca. 50 %) und ermöglicht damit eine aktuelle Schätzung der Quote von Betroffenen. Diese liegt bei etwa 20 %, wie zu erwarten. Differenziert man nach den drei Subdimensionen, bestätigt sich, dass der Anteil der Lehrkräfte mit hohen Burnoutwerten auf der Subdimension Dehumanisierung nur 10 % beträgt, auf der Subdimension Leistungsfähigkeit etwa 33 % und auf der Subdimension Emotionale Erschöpfung 42 % (!). Diese Daten zeigen eindrucksvoll, dass auch eine große Zahl von leistungsfähigen Lehrkräften sich in einem emotional unbefriedigenden Zustand befindet. Betrachtet man auch diese Gruppe als stark burnoutgefährdet, ergibt sich ein Anteil von etwa einem Drittel burnoutgefährdeter Lehrkräfte. Diese Daten belegen, dass sich das Problem Burnout seit dem Erscheinen der Arbeiten von Maslach, Barth, Körner usw. keineswegs entschärft hat.

Die multivariate Analyse zeigt auf eindrucksvolle Weise, dass drei Persönlichkeitsmerkmale, Einstellungsvariablen und kognitive Variablen sowie die Copingstile insgesamt beim Burnout hohe Varianzanteile erklären. Im Vergleich zu diesen internen Ressourcen sind andere Variablen wie allgemeine Arbeitsbedingungen und demographische Merkmale nur von geringer Bedeutung. Die Befunde sind somit für eine wirksame Burnoutprävention und auch für die Entscheidung über Interventionen von größter praktischer Relevanz. Unter den Vulnerabilitätsfaktoren fällt das Persönlichkeitsmerkmal „Neurotizismus“ stark ins Gewicht, die beiden Persönlichkeitsmerkmale „Verträglichkeit“ und „Gewissenhaftigkeit“ erweisen sich als protektive Faktoren. Dieses Ergebnis ist bei der Steuerung von Rekrutierungsprozessen für den Lehrerberuf zu beachten. Für die Lehrerausbildung und die Fortbildung ist besonders relevant, dass bestimmte Copingstile (Aktive Bewältigung, Positive Selbstinstruktion) und Überzeugungen (Lehrer-Selbstwirksamkeit) Schutzfaktoren sind, während andere Copingstile (Vermeidungsverhalten, Negative Selbstinstruktion), Kognitionen und Überzeugungen mit einem erhöhten Burnoutrisiko verbunden sind.

Eine weite Verbreitung dieser Forschungsergebnisse ist unbedingt zu wünschen, weil über die Ursachen von Burnout immer noch Alltagstheorien und Mythen im Umlauf sind, die einer empirischen Überprüfung nicht standhalten. Dringend benötigt werden nun auf diesem Niveau von durch Strukturgleichungsmodellen überprüften Theorien Interventionsstudien, mit denen erforscht wird, ob sich durch die gezielte Veränderung von Überzeugungen, Copingstilen und Handlungsmustern im Umgang mit kritischen Situationen Burnout substanziell reduzieren lässt.

Für Therapeuten und Supervisoren, die mit ausgebrannten Klienten zu tun haben, dürften die Ergebnisse nützlich sein, weil sie einmal mehr zeigen, dass objektive Faktoren, die von den Betroffenen für ihre Probleme verantwortlich gemacht werden, kausal in vielen Fällen wohl nur eine Nebenrolle spielen und vermutlich nur Auslöser, nicht Verursacher sind. Eine kausale Bedeutung haben offenbar Persönlichkeitsmerkmale (traits), Überzeugungen und Copingstile. Bemerkenswert ist, dass auch die theoretisch ganz anders ansetzende Untersuchung von Koch zeigt, dass einer Überzeugung (Optimismus) für das Beanspruchungserleben eine zentrale Rolle zukommt. Auch Lehrerinnen und Lehrer sowie Lehramtsstudierende können aus dieser Untersuchung unmittelbar Nutzen ziehen, wenn sie nämlich ihre Überzeugungen und Copingstile überprüfen und sich beispielsweise vornehmen, durch entsprechende Fortbildungen Prävention zu betreiben.
Karl-Oswald Bauer (Vechta)
Zur Zitierweise der Rezension:
Karl-Oswald Bauer: Rezension von: Koch, Dorothee: Gesund bleiben im Lehreralltag – Potenziale erkennen, Ressourcen nutzen, Ein empirischer Beitrag zur Analyse widersprüchlicher Handlungsanforderungen im Lehrerberuf. Hamburg: Kovač 2009. In: EWR 9 (2010), Nr. 6 (Veröffentlicht am 08.12.2010), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978383004271.html