Interessengruppen, Lehrer/innen, Bildungspolitiker/innen und die Expert/innen aus den unterschiedlichsten Fachrichtungen scheinen zu wissen, was Schule für benachteiligte Jugendliche bedeutet oder bedeuten sollte. Die Jugendlichen selbst werden dabei in der Regel nicht gefragt. Theoretische und empirische Untersuchungen, in denen die Sicht der benachteiligten Jugendlichen zum Thema wird, sind Mangelware. Das von Bruno Geffert vorgelegte Buch erfüllt den eigenen Anspruch, diese Lücke für das Feld beruflicher Schulen zu verkleinern.
Trotz einer Vielzahl von Maßnahmen, speziellen Schulformen und Bildungsgängen zur Berufsgrundbildung und -vorbereitung, wie zuletzt beispielsweise das bundesweite „Einstiegsqualifizierungsjahr (EQJ)“ umfasst die Gruppe der „Benachteiligten“ Jugendlichen recht stabil circa 15% eines Altersjahrgangs. Diesen Jugendlichen gelingt kein direkter Übergang aus dem allgemein bildenden Schulsystem in berufliche Ausbildung und in Existenz sichernde Beschäftigung. Unter der Leitidee von Fördern und Fordern etablierte sich ein eigenes Benachteiligtensystem, das für circa 250 000 Jugendliche zur gewichtigen Bildungs- und Sozialisationsinstanz geworden ist. Deshalb ist es umso bemerkenswerter, dass die Berufspädagogik sich den daraus ergebenden Systemfragen, der Aufklärung der Gruppe der Benachteiligten, den Implikationen für die Gestaltung von Lehr-/Lernprozessen etc. nur sehr wenig angenommen hat. Vor allem die subjektive Bewältigung dieser „Übergangsproblematik“ taucht lediglich in wenigen Arbeiten zur Schulverweigerung und Konflikten, in biografisch orientierten Forschungen sowie zu gesellschaftlichen Reproduktionsstrategien auf Basis des Habituskonzepts (Bourdieu) auf.
Den Zugang zur Denk- und Erlebenswelt der benachteiligten Jugendlichen findet der Autor über die alltagssprachlichen Metaphern, welche die Schüler/innen von Schule entwickeln. Metaphern als Kondensat der Erfahrungen und "kognitive Landkarten" steuern die Wahrnehmung, das Denken, Fühlen und Handeln. Untersucht man die Bilder und metaphorischen Konzepte aus der Subjektsicht, so wird die Bedeutung von Schule für die Jugendlichen vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen sichtbar. Sie können damit, so die Hauptthese des Autors, für die Gestaltung von Lehr-/Lernkonzepten, Schulentwicklung und Fördermaßnahmen nutzbar gemacht werden.
Zu Anfang seines Buches gibt Geffert eine knappe, aber dennoch präzise und auf dem aktuellen Stand der Forschung verortete Darlegung der Faktoren von Benachteiligung. Forschungspragmatisch wird der relationale, unscharfe und immer wieder umstrittene Benachteiligtenbegriff mit Bezug auf berufsschulische Bildungsgänge konkretisiert.
In den beiden folgenden Kapiteln zu „Konstruktivismus“ gelingt eine erkenntnis- und kommunikationstheoretische Verortung, die zum methodologischen Kern der Arbeit, der Metaphernanalyse, trotz einiger Verkürzungen und Brüche passend erscheint. Wirklichkeiten werden im sozialen Kontext generiert und müssen sich dort als viabel erweisen. Viabilität ist dabei das zentrale Kriterium für soziale Konstruktionen, und nicht „Wahrheit“. Wirklichkeit manifestiert sich in Sprache und Sprache ist zugleich die einzige Möglichkeit, soziale Wirklichkeit hervorzubringen.
Im vierten Kapitel werden die wichtigsten Metaphertheoretiker kurz dargestellt. Ausführlich wird der Ansatz der kognitiven Linguistik nach Lakoff/Johnson referiert, die der konstruktivistischen Position nahe stehen. Das Untersuchungsdesign folgt den Prinzipien der qualitativen Forschung: Gegenstandsangemessenheit, Perspektive der Beteiligten, Reflexion des Forschenden als Teil des Prozesses. Die in Kapitel sechs vorgenommene Auswertung stützt sich auf 40 Aufsätze von Schüler/innen sowie drei Gruppendiskussionen. Ausgewertet wird das Datenmaterial in drei Schritten: Die metaphorischen Konzepte werden nacheinander vorgestellt und aus dem empirischen Material gesättigt. Anschließend wird an Hand einer an bisherigen Metaphernanalysen entwickelten Heuristik aufgezeigt, welche Metaphern nicht im Material vorfindbar sind. Schließlich folgt eine Analyse der Kohärenz der metaphorischen Konzeptualisierung. Zur Entwicklung von Interpretationen aus dem erhobenen Material wird auf eine von R. Schmitt entwickelte Heuristik zurückgegriffen, Quell- und Zielbereiche der Metaphern definiert sowie die partielle Strukturierung und der Austauschbereich durch die Metapher in einheitlichen Abbildungen veranschaulicht.
Im Wesentlichen erscheint in den alltagssprachlichen Metaphern der Jugendlichen Schule als eine Versorgungsanstalt auf, die „etwas bringen“ muss. Sie wird als Sache gesehen, als fremdbestimmter Raum und zwangsweise vorgegebenen „Weg“. Im Gegensatz dazu stehe die „Pause“ als „eine andere Welt“. Dagegen fehlen unter anderem Metaphern des Tauschens (nehmen und geben), das selbstständige Gehen auf einem Weg, das schöpferische Bauen, Anstrengung als positive Herausforderung oder Metaphern zu organischem Wachstum. In der Kohärenzanalyse wird deutlich, dass die verwendeten Metaphern insgesamt eine geringe Vielfalt aufweisen und einige wenige Konzepte stark dominieren (Behälter mit ca. 600 Nennungen, Nehmen (270), Weg (230), Arbeit (200)). „Mit Blick auf die Konzepte benachteiligter Schülerinnen und Schüler manifestiert sich dies in der Dominanz weniger einzelner, aber häufig zu findender Metaphern – nicht selten auch ein Ausgangspunkt für eine Welt ohne Veränderung“ (262).
Die Wirksamkeit dieser Metaphorik ist nicht zu unterschätzen. In diesen Konzepten drückt sich das Erleben von Eingeschlossenheit, Passivität und Abhängigkeit aus. Dies wir durch das Fehlen von Metaphern zu selbstständigem Gehen, Arbeiten oder Bauen verstärkt. Fast alle Konzepte sind von Geffert gut nachvollziehbar am Material entwickelt und in sehr lesefreundlichen schematischen Übersichten verdeutlicht. Vielleicht hätte eine reichhaltigere, weitergehende Interpretation vor allem im Hinblick auf die Wirkung von pädagogischen Konzepten und bekannte Phänomene fehlender Übergänge, Schulabsenz etc. vorgenommen werden können.
Geffert entwickelt in seiner Studie einen wissenschaftlichen Ansatz, der neben der Aufklärung grundlegender sprachtheoretischer Konstruktionsprozesse und Zusammenhänge auch Fragen für das praktische pädagogische Handeln neu in den Blick nimmt. So sieht Geffert vor allem das vielfach geforderte „selbst gesteuerte Lernen“ auf Grund einer im hohen Maß stereotypen passiven Erwartungshaltung der Schüler/innen vor großen Widerständen. Es wäre zu überlegen, wie diese zu Schemata geronnenen Erwartungsmuster flexibilisiert werden könnten. Das Wissen über die Bedeutung von Metaphern und metaphorischen Konzepten im Schulalltag, in der Lehrerbildung sowie für das berufliche und lebensweltliche Handeln ist wichtiger Bestandteil pädagogischer Professionalität und für die Berufspädagogik ein neuer Zugang in der Forschung.
EWR 6 (2007), Nr. 5 (September/Oktober 2007)
Metaphern von Schule
Welche Metaphern und metaphorischen Konzepte generieren Benachteiligte von Schule
(Reihe: Studien zur Berufspädagogik)
(Reihe: Studien zur Berufspädagogik)
Hamburg: Dr. Kovac 2006
(292 S.; ISBN 978-3-8300-2545-0; 85,00 EUR)
Uwe Faßhauer (Schwäbisch Gmünd)
Zur Zitierweise der Rezension:
Uwe Faßhauer: Rezension von: Geffert, Bruno: Metaphern von Schule, Welche Metaphern und metaphorischen Konzepte generieren Benachteiligte von Schule (Reihe: Studien zur Berufspädagogik). Hamburg: Dr. Kovac 2006. In: EWR 6 (2007), Nr. 5 (Veröffentlicht am 04.10.2007), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978383002545.html
Uwe Faßhauer: Rezension von: Geffert, Bruno: Metaphern von Schule, Welche Metaphern und metaphorischen Konzepte generieren Benachteiligte von Schule (Reihe: Studien zur Berufspädagogik). Hamburg: Dr. Kovac 2006. In: EWR 6 (2007), Nr. 5 (Veröffentlicht am 04.10.2007), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978383002545.html