EWR 19 (2020), Nr. 5 (November / Dezember)

Marius Harring / Carsten Rohlfs / Michaela GlÀser-Zikuda (Hrsg.)
Handbuch SchulpÀdagogik
MĂŒnster: Waxmann 2018
(956 S.; ISBN 978-3-8252-8698-9; 69,00 EUR)
Handbuch SchulpĂ€dagogik Ein Handbuch verspricht laut Definition des Dudens „den Stoff eines bestimmten Wissensgebietes oder dergleichen in systematischer [Form]“ zu behandeln. Mit Blick auf das „Handbuch SchulpĂ€dagogik“, herausgegeben von Marius Harring (Mainz), Carsten Rohlfs (Heidelberg) und Michaela GlĂ€ser-Zikuda (Erlangen-NĂŒrnberg), stellt sich daher die Frage, ob es ĂŒberhaupt gelingen kann, das Wissen auf einem Gebiet, ĂŒber dessen DisziplinaritĂ€t, Systematik und Verortung zahlreiche Debatten gefĂŒhrt wurden und werden, in systematischer Form zusammen zu tragen. Anerkennend sei vorweggenommen, dass dies den Herausgeber/innen ĂŒber weite Strecken gelungen ist, jedoch nicht umfassend. Am deutlichsten zeigt es sich daran, dass das Handbuch ein eigenes Kapitel zum Begriff der SchulpĂ€dagogik, seiner DisziplinaritĂ€t und Themen sowie der teils kontroversgefĂŒhrten Debatten darĂŒber vermissen lĂ€sst. Insgesamt stellen jedoch die EinzelbeitrĂ€ge jedes Kapitels in ihrer kompakten und stark verdichteten Form ein (in der Summe) breites schulpĂ€dagogisches Wissen bereit. Damit leistet das Handbuch einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der SchulpĂ€dagogik.

Das Ziel des knapp 1.000 Seiten umfassenden Werkes ist es, so die Herausgeber/innen, „‘Schule‘ mithilfe unterschiedlicher ZugĂ€nge sowie aus einer interdisziplinĂ€ren und internationalen Perspektive systematisch zu erfassen“ (14). Dabei geht es um die strukturellen Bedingungen sowie die Ausgestaltung von Schule und Unterricht. Das formulierte Ziel soll in 12 Kapiteln mit je unterschiedlich vielen BeitrĂ€gen eingelöst werden, so dass der Band auf insgesamt 81 EinzelbeitrĂ€ge kommt. WĂŒnschenswert wĂ€re hier, dass die jeweiligen Kapitel kurz eingeleitet oder abschließend zusammenfassend diskutiert werden, da die Auswahl der BeitrĂ€ge fĂŒr ein Kapitel an manchen Stellen schwer nachvollziehbar oder gar zu einseitig ist.

Im Folgenden sollen die Kapitel kurz erlÀutert und an ausgewÀhlten Stellen EinzelbeitrÀge exemplarisch nÀher ausgeleuchtet werden.

Die Einleitung des Bandes definiert Schule als zentralen Lern- und Lebensraum und beschreibt einen aktuellen Umbruch im RollenverstĂ€ndnis von Schule, welcher zu einer VerĂ€nderung dieser, des Curriculums, des Unterrichts, etc. fĂŒhrt und woraus auch verĂ€nderte Anforderungen an die professionelle Kompetenz der handelnden Akteur/innen erwachsen. Des Weiteren wird die dynamische, ausdifferenzierte und vielschichtige Gestalt der heutigen SchulpĂ€dagogik betont, ohne jedoch eine Definition von SchulpĂ€dagogik zu geben oder eine Verortung nebst Abgrenzungen vorzunehmen. Was ebenso vermisst wird, ist eine Definition des Bildungsbegriffs oder -verstĂ€ndnisses, der bzw. das diesem Band zugrunde liegt (in der Überschrift der Einleitung ist der Begriff Bildung prominent vertreten).

Im ersten Kapitel „Historischer Zugang“ werden in drei BeitrĂ€gen die Schule und ihre Entwicklung im 19., 20. und 21. Jahrhundert beleuchtet. Dabei beschrĂ€nken sich die Autor/innen der BeitrĂ€ge jedoch nicht nur auf die Schule sondern gehen bspw. auch auf die VerĂ€nderungen in der Profession ein.

Anhand von drei BeitrĂ€gen wird im nĂ€chsten Kapitel „Theoretischer Zugang“ aufgezeigt, wie (in der Wissenschaft) Schule aus erziehungswissenschaftlicher, soziologischer und psychologischer Perspektive verstanden wird. Weitere BeitrĂ€ge, z.B. zu Schultheorie, Theorien des Unterrichts, Bildungstheorie etc. wĂ€ren hier erwartbar.

Das Kapitel „Schulsysteme, Stufen und Formen“ umfasst insgesamt zwölf BeitrĂ€ge. ZunĂ€chst werden unterschiedliche Formen von Schulsystemen, ihre historische Genese und BegrĂŒndungslinien sowie Vor- und Nachteile bzw. empirische Ergebnisse vorgestellt. Beim Gang durch die verschiedenen Schulstufen und Schulformen werden deren jeweilige Kerncharakteristika ĂŒberzeugend herausgearbeitet.

Die auf dem BuchrĂŒcken versprochene internationale Perspektive wird im Kapitel „Internationaler Zugang“ eingelöst. Das Schulsystem bzw. das Themenfeld Schule in acht verschiedenen LĂ€ndern wird in jeweils einem Beitrag vorgestellt (Frankreich, Finnland, USA, Kanada, Tschechien, China, Indien, SĂŒdafrika), wobei die HĂ€lfte der BeitrĂ€ge in Englisch verfasst ist.

Zwar stellt die internationale Perspektive auf Schule hĂ€ufig ein BedĂŒrfnis von Studierenden dar, die sich so in KĂŒrze ĂŒber das Schulsystem in anderen LĂ€ndern informieren können, jedoch bleibt die vorliegende LĂ€nderauswahl fĂŒr das Handbuch unbegrĂŒndet. Ebenso unbeantwortet bleibt die Frage, welchen Mehrwert dieses Kapitel in einem Handbuch der SchulpĂ€dagogik hat. WĂŒnschenswert wĂ€re z.B. ein kurzes Kapitel am Ende eines jeden LĂ€nderbeitrags, in dem Vergleiche zur Schule in Deutschland aufgezeigt werden und Implikationen fĂŒr bzw. weiterfĂŒhrende Anfragen an das deutsche Schulsystem abgeleitet werden.

Das fĂŒnfte Kapitel „Akteure“ mit seinen sechs BeitrĂ€gen gibt insgesamt einen guten Überblick ĂŒber innerschulische Akteurinnen und Akteure (SchĂŒler/innen, Lehrer/innen, Schulleitung, Schulsozialarbeiter/innen und Schulpsycholog/innen) sowie Akteur/innen, die in enger Verbindung zur Schule stehen (Eltern, Peers). Bei einigen BeitrĂ€gen scheint jedoch die jeweils eigene wissenschaftliche Sozialisation der Autor/innen stark durch: Beispielsweise wenn es im Beitrag „SchĂŒlerinnen und SchĂŒler“ vorrangig um das SchĂŒlerhandeln (aus meist qualitativ-rekonstruktiver Forschungsperspektive) geht oder im Beitrag „Lehrerinnen und Lehrer“ fast ausschließlich eine kompetenzorientierte Betrachtung vorgenommen wird. Zwar benennen und begrenzen die jeweiligen Autor/innen ihre Perspektive zumeist einleitend in ihrem Beitrag, jedoch wĂ€re eine breitere Verortung (bspw. einleitend in das Kapitel) auch im Sinne der angestrebten Systematisierung wĂŒnschenswert.

Die Zusammenstellung der zwölf BeitrĂ€ge im folgenden Kapitel „Unterricht“ erlaubt einen mehrperspektivischen Blick auf das KerngeschĂ€ft von LehrkrĂ€ften: Von UnterrichtsqualitĂ€t und Allgemeiner Didaktik ĂŒber Fragen der Unterrichtsplanung und Unterrichtsgestaltung bis hin zu Hausaufgaben und Leistungsbeurteilung. Zu wĂŒnschen wĂ€re ein Ă€hnliches Großkapitel zu den weiteren Aufgaben von LehrkrĂ€ften, wie Erziehen, Beraten oder Innovieren, wobei sich einige dieser Themen „versteckt“ z.T. in anderen Kapiteln finden.

Eher eine Art „Mischkategorie“ stellt das siebte Kapitel „Herausforderungen“ dar, da bei den zwölf hier versammelten BeitrĂ€gen nur ansatzweise eine Systematik zu erkennen ist.
In den BeitrĂ€gen werden unterschiedliche Herausforderungen im Kontext von HeterogenitĂ€t und Inklusion, ÜbergĂ€nge im Schulsystem aber auch unterschiedliche Herausforderungen mit Blick auf Lehrerbildung und Lehrerberuf (z.B. Praxisphasen in der Lehrerbildung oder Lehrergesundheit) behandelt. Zudem finden sich auch EinzelbeitrĂ€ge, die nicht mehr oder weniger Herausforderungen beschreiben als andere BuchbeitrĂ€ge, die nicht diesem Kapitel zugeordnet sind. Zu nennen sind hier z.B. die BeitrĂ€ge zum berufsbiografischen Ansatz, zum Thema Schulkultur oder zum Themenfeld der professionellen Beratung.

Das sich anschließende Kapitel zur „Schulentwicklung“ ĂŒberzeugt sehr durch die zehn unterschiedlichen EinzelbeitrĂ€ge, die allesamt verschiedene Aspekte des breiten Feldes der SchulqualitĂ€t und Schulentwicklung darstellen und in der Zusammenschau aufzeigen, dass Schulentwicklung zwar primĂ€r eine Aufgabe der Einzelschule ist, die jedoch zumindest gerahmt wird durch Aspekte und Akteur/innen auf der Makro- und Mikroebene.

Die BeitrĂ€ge in den drei folgenden Kapiteln „Forschungsmethodische ZugĂ€nge – Designs“ (3 BeitrĂ€ge), „Forschungsmethodische ZugĂ€nge – Erfassung von Daten“ (5 BeitrĂ€ge) und „Forschungsmethodische ZugĂ€nge – Auswertung von Daten“ (2 BeitrĂ€ge) geben in der jeweils gebotenen KĂŒrze einen sehr guten Überblick ĂŒber schulpĂ€dagogische ForschungsansĂ€tze sowie die in der SchulpĂ€dagogik gĂ€ngigen angewendeten Methoden. Diese Kapitel eignen sich insbesondere auch fĂŒr Leser/innen, die (bisher) wenig BerĂŒhrung mit Sozialforschung haben.

Im letzten Kapitel „Ausblick und Perspektiven“ werden in fĂŒnf BeitrĂ€gen nochmals unterschiedliche Schlaglichter gesetzt, jedoch bleibt bis auf den Beitrag zur „SchulpĂ€dagogik auf dem Weg zur Wissenschaft“ offen, worauf sich der Ausblick bezieht bzw. an wen sich die Perspektiven richten. Teils werden hier in einigen BeitrĂ€gen auch noch Fragen der Schulentwicklung angesprochen, die eher in das dazugehörige Handbuchkapitel passen wĂŒrden.

Zusammenfassend stellt das Handbuch SchulpĂ€dagogik ein umfassendes Nachschlagewerk zum aktuellen Stand vieler schulpĂ€dagogischer Themen dar. Die einzelnen BeitrĂ€ge sind kompakt (meist um die 10 Seiten), aber dennoch verstĂ€ndlich geschrieben, was einen schnellen Zugriff erlaubt. Damit richtet sich das Handbuch an eine breite Leserschaft vom fachinteressierten Publikum, ĂŒber Studierende, Referendar/innen, Lehrer/innen bis hin zur Bildungsadministration und zu Erziehungswissenschaftler/innen. Sehr gelungen sind die zahlreichen Abbildungen und zusammenfassenden Tabellen in den einzelnen BeitrĂ€gen, die die unterschiedlichen Aspekte gut verdeutlichen. Somit eignen sich die Texte insgesamt auch hervorragend fĂŒr den Einsatz in der Lehrerbildung. Ein Manko des Bandes ergibt sich aus der Zusammenstellung der einzelnen BeitrĂ€ge, die in einigen Kapiteln noch sehr eklektisch wirkt und an manchen Stellen noch ausdifferenzierter und ausgeglichener sein könnte oder zumindest stĂ€rker begrĂŒndet und eingeordnet werden sollte. Nur so kann sich ein umfassenderes Bild ergeben. Eine ausfĂŒhrlichere Einleitung in das Handbuch oder Zusammenfassungen bzw. Diskussionen am Ende der Kapitel könnten hier noch stĂ€rker Systematisierungsversuche unternehmen und somit das Versprechen eines Handbuchs gemĂ€ĂŸ der Definition im Duden einlösen.
Marcus Syring (TĂŒbingen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Marcus Syring: Rezension von: Harring, Marius / Rohlfs, Carsten / GlĂ€ser-Zikuda, Michaela (Hg.): Handbuch SchulpĂ€dagogik. MĂŒnster: Waxmann 2018. In: EWR 19 (2020), Nr. 5 (Veröffentlicht am 22.12.2020), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978382528698.html