Christoph Barmeyer, Professor für Interkulturelle Kommunikation und Vorsitzender des Zentrums für Schlüsselqualifikationen an der Universität Passau, legt ein Lexikon zu Interkulturalität vor. Entstanden ist es – nach eigenen Angaben – aus der jahrzehntelangen Beschäftigung mit Fragen der Interkulturellen Kommunikation und des Interkulturellen Lernens, insbesondere mit Blick auf interkulturelle Beziehungen im Rahmen von (Wirtschafts-)Organisationen. Damit will er dem immer wieder geäußerten Bedarf an einem handlichen Nachschlagewerk zu Grundbegriffen, Konzepten und Modellen der Interkulturellen Kommunikation nachkommen.
Auffallend ist, dass der Sachbereich des Taschenlexikons als Interkulturalität bezeichnet wird und nicht etwa als Interkulturelle Kommunikation. Angesichts der Professur des Autors und seiner diesbezüglichen einschlägigen Publikationen hätte dies nahe gelegen [vgl. 1]. Denn auch den Stichworten des Lexikons ist ein mehrseitiger Einführungstext vorgeschaltet, der „Historische und disziplinäre Grundlagen interkultureller Kommunikationsforschung“ vorstellt. Im Mittelpunkt eines die Interdisziplinarität der interkulturellen Forschung zusammenfassenden Schaubilds steht dementsprechend „Interkulturelle Kommunikation“. Unter Interkulturalität wird hier – laut entsprechendem Stichwort – ein Prozess verstanden, der in einer kulturellen Kontaktsituation auf der Ebene von Individuen oder Gruppen zu Interaktion, Austausch usw. führt, wenn die Beteiligten voneinander abweichende Wertorientierungen oder Bedeutungssysteme haben. Unter Verwendung einer Graphik von Alexander Thomas (2003) [2] zur sog. kulturellen Überschneidungssituation wird darauf verwiesen, dass dabei etwas Neues entstehen kann.
In formaler Hinsicht lässt der Begriff „Lexikon“ bestimmte Erwartungen an Inhalt, Aufbereitung und Umfang eines Werkes entstehen. Die Spezifizierung „Taschenlexikon“ ist eine Zuspitzung auf ein bestimmtes Format und eine bestimmte Aufmachung. Sie grenzt zugleich die Erwartungen an den Umfang ein und erweist auf eine eigene Zielgruppe. Dem so ausgebreiteten Erwartungshorizont entspricht der vorliegende Band. Auf 176 Seiten in einem knappen Taschenbuchformat mit UTB-üblichem rotem Einband werden 139 Stichworte sowie 50 Verweise auf Stichworte bearbeitet. Die durchschnittliche Länge eines Stichworts beträgt deshalb gut eine Seite. Sie schwankt dabei zwischen einigen Zeilen (etwa Ethnorelativismus mit acht Zeilen plus Literaturangaben oder Erfahrungslernen mit 13 Zeilen plus Literaturangaben) und umfasst in wenigen Fällen mehr als drei Seiten (Interkulturelles Training, Interkulturelle Kompetenz mit jeweils vier bis fünf Seiten). Die Stichworte sind in der Mehrzahl von Barmeyer allein oder gemeinsam mit anderen (15) verfasst. In einer Reihe von Fällen (40) sind fünf weitere Autorinnen und Autoren verzeichnet, die alle in Passau studiert haben oder im Arbeitsbereich von Christoph Barmeyer arbeiten.
Die aufgenommenen Stichworte folgen keiner sich unmittelbar erschließenden Systematik – was bei einem Lexikon auch schwierig ist. Sie entstammen logischerweise ganz unterschiedlichen sachlichen Ebenen und Wissenschaften. So sind erwartbare und notwendige Stichworte wie Kultur, Kulturdimension, Kulturvergleich oder Multikulturalität, Bikulturalität und Werte enthalten; vermisst wird aber etwa der Begriff Kulturunterschiede. Auch werden die klassischen Kulturdimensionen wie Mono- und Polychronie, high- / low-context, Proxemik oder Machtdistanz usw. vorgestellt. Grundlagen interkultureller Lernprozesse und Trainings werden aufgeführt (etwa Ethnozentrismus, interkulturelle Didaktik, interkulturelle Kompetenz oder Kultur-Assimilator) und die vorrangig angesprochenen organisatorischen Zusammenhänge erläutert (Auslandsentsendung, Diversity Management, Expatriate, interkulturelles Management, interkulturelle Organisationsentwicklung oder Unternehmenskultur usw.).
Darüber hinaus sind einige relativ allgemeine Stichworte aufgeführt, die für das Verständnis von speziellen Stichworten rund um Interkulturalität hilfreich sind, insbesondere aus der Soziologie (etwa soziale Rolle, Sozialisation, soziales System, Marginalisierung oder Habitus). Deren Auswahl bleibt, notwendigerweise, bruchstückhaft, ist teilweise aber auch lückenhaft: So wird bei dem Stichwort Vorurteile nur auf Generalisierung und Stereotypen verwiesen oder es wird zwar der Begriff Hybridität erläutert, verwandte und wichtige Begriffe wie Heterogenität, Diversität oder Pluralität fehlen aber.
Weitere Stichworte sind entweder relativ allgemein formuliert (z. B. Grundlagen) oder erscheinen auf den ersten Blick nur begrenzt zwingend im Sachbereich Interkulturalität erforderlich zu sein. Dazu gehören u. a. die Stichworte Positivismus und qualitative sowie quantitative Forschungsmethoden. Die Ausführungen beziehen sich hierbei aber immer auf den Kontext der Interkulturalität bzw. auf Fragen und Probleme, die sich – etwa bei den Forschungsmethoden – zeigen.
Die Gliederungstiefe von Stichworten ist sehr unterschiedlich. Ein extremes Beispiel dürfte das Nebeneinander der Begriffe multikulturelles Team, interkulturell-virtuelles Team und interkulturelle Teamentwicklung sein. Dies gibt genauso Hinweise auf die Herkunft des Taschenlexikons wie das Vorhandensein der Stichworte Interkulturelle Mediation und Interkulturelles Coaching bei gleichzeitigem Fehlen von für Interkulturalität so wichtigen Begriffen wie Interkulturelle Beratung und Interkulturelle Öffnung. Letzterer wird auch nicht unter dem Begriff interkulturelle Organisationsentwicklung erläutert.
Ein Taschenlexikon muss von seiner Anlage her begrenzt sein. Daher erscheint es schnell als problematisch, fehlende Begriffe oder eine stärkere Differenziertheit in der Darstellung unterschiedlicher Positionen anzumerken. Ein Vergleich mit der Erläuterung von Begriffen, wie sie in einem Handbuch [vgl. 3] erfolgen können, wäre darum unangemessen. Ein Lexikon, das mit dem vorliegenden vergleichbar wäre, gibt es zum Bereich Interkulturalität nicht. Darum ist der Abgleich allgemeiner Erwartungen an ein solches Werk und der Abgleich des selbst formulierten Anspruchs mit dessen Erfüllung relevant. Inhaltlich will das Lexikon, wie es im Vorwort formuliert ist, zentrale Begriffe von Interkulturalität, insbesondere der Interkulturellen Kommunikation und des Interkulturellen Lernens präsentieren. Dabei wird ein Schwerpunkt auf Organisationen und Arbeitskontexte gelegt. Es richtet sich an Studierende und Lehrende sowie weitere Personen, insbesondere in betrieblichen Zusammenhängen (5f).
Diesen Anspruch erfüllt das Taschenlexikon. Es ist sprachlich und in der Art des Aufbaus für die Nutzung durch Personen ohne vertiefte Vorkenntnisse geeignet. Auch diejenigen, die – praktisch und / oder theoretisch – im Bereich Interkulturalität schon vorgebildet sind, können es vielfach noch mit Gewinn verwenden. Preis und Ausstattung legen es auch Studierenden in diesem Feld nahe, das Werk zu erwerben.
Bei allen verständlichen wirtschaftlichen Zwängen und Verlockungen wäre es der wissenschaftlichen Redlichkeit dienlich, die inhaltliche Einschränkung für die Auswahl der aufgenommenen Stichworte, die im Vorwort dargestellt wird, auch im Titel des Werkes deutlich werden zu lassen. Dieser würde sich dann auf Interkulturalität in (Wirtschafts-)Organisationen beziehen. Das, was heute als Interkulturalität bezeichnet wird, ist demgegenüber eine der zentralen Rahmenbedingungen der modernen Gesellschaft, die weit mehr Lebens- und Arbeitsbereiche betrifft, als hier angesprochen sind. Sie ist für praktisch alle gesellschaftlichen Lebensbereiche, von der Bildung in allen Altersgruppen und Formen von Organisation über die Gesundheitsversorgung in allen Ausprägungen (vom Krankenhaus über die Arztpraxis und die Apotheke bis zu Heimen), die öffentlichen Verwaltungen (bis zu Fragen der Friedhofsordnung), Aspekten der Vertretung in Gewerkschaft, Verbänden, Parteien usw. bis hin zu wirtschaftlichen Fragen (Werbung, Kommunikation mit Kunden usw.) relevant. Noch besser wäre es darum, das unbedingt lohnenswerte Projekt eines (Taschen-)Lexikons in einer Neuauflage entsprechend zu ergänzen und abzurunden.
[1] Barmeyer, Chr. / Genkova, P. / Scheffer, J. (Hrsg.): Interkulturelle Kommunikation und Kulturwissenschaft: Grundbegriffe, Wissenschaftsdisziplinen, Kulturräume. 2. erw. Aufl., Passau: Stutz 2011.
[2] Thomas, A.: Das Eigene, das Fremde, das Interkulturelle. In: Thomas, A. (Hrsg.): Handbuch interkulturelle Kommunikation und Kooperation. Band 1. Grundlagen und Praxisfelder. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2003, 44-59.
[3] Straub, J. / Weidemann, A. / Weidemann, D. (Hrsg.): Handbuch interkulturelle Kommunikation und Kompetenz : Grundbegriffe – Theorien – Anwendungsfelder. Stuttgart, Weimar: Metzler 2007.
EWR 13 (2014), Nr. 3 (Mai/Juni)
Taschenlexikon Interkulturalität
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2012
(176 S.; ISBN 978-3-8252-3739-4; 12,99 EUR)
Norbert Wenning (Landau)
Zur Zitierweise der Rezension:
Norbert Wenning: Rezension von: Barmeyer, Christoph: Taschenlexikon Interkulturalität. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2012. In: EWR 13 (2014), Nr. 3 (Veröffentlicht am 04.06.2014), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978382523739.html
Norbert Wenning: Rezension von: Barmeyer, Christoph: Taschenlexikon Interkulturalität. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2012. In: EWR 13 (2014), Nr. 3 (Veröffentlicht am 04.06.2014), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978382523739.html