
Die begriffsanalytische Verhandlung von Bildung und Kompetenz, ihre Kontextualisierung und Konturierung ermöglichen es, deren theoretische und strukturelle Komplexität sowie Ambiguität sichtbar zu machen. Prominente Zugänge werden theoriebasiert und begriffsstrukturell differenziert, um zentrale Aussagen aus den Darstellungen abzuleiten und eine terminologische Gegenüberstellung zu ermöglichen.
Die Sichtbarmachung der Auswirkungen des Paradigmenwechsels erfolgt diskursanalytisch durch eine Skizzierung der Entwicklung des Bildungsbegriffs hin zur Kompetenzorientierung sowie Standardisierung, die in Zusammenhang mit den einhergehenden Prämissen der Messbarkeit, Vergleichbarkeit und einer Operationalisierbarkeit gedacht werden können.
Durch eine Analyse gymnasialer Lehrpläne des Freistaats Bayern ab dem Jahr 2003 ist es möglich, die Folgen der terminologischen Verschiebung sichtbar zu machen und Konsequenzen der Kompetenzorientierung für den Begriff der Bildung sowie für das Bildungsideal und -verständnis aufzuzeigen.
Nach einer Einleitung, in welcher eine Einführung in das Vorhaben, die Zielsetzung und der methodische Zugang der Publikation prägnant skizziert werden, verweist Martin Eder im zweiten Kapitel auf fünf Zugänge, die eine Annäherung an den Begriff Bildung ermöglichen. Der Autor wählt für seine Auseinandersetzung die Vertreter Wilhelm von Humboldt, Hartmut von Hentig, Hubert Henz, Lutz Koch und Andreas Dörpinghaus. Die begriffsanalytische Auseinandersetzung soll es erlauben, die „Komplexität des Bildungsbegriffs durch die fundamentale Bedeutung, die Relevanz, die Allseitigkeit und Aktualität der gewählten Beiträge“ (14) sichtbar zu machen, ohne Anspruch auf eine allgemeingültige Festlegung des Bildungsbegriffs zu erheben. Nach jeweilig umfangreicher Darstellung der Ansätze werden konsensuale als auch divergierende Elemente skizziert, analysiert und abschließend in fünf Merkmalen zusammengefasst.
Im dritten Kapitel wählt der Autor Noam Chomsky, Heinrich Roth sowie Franz Emanuel Weinert als Vertreter, um eine terminologische Differenzierung des Kompetenzbegriffs darzulegen. Bei den teils kritischen Einzeldarstellungen werden konzeptuelle Unstimmigkeiten und Limitationen aufgezeigt, um im Anschluss den Kompetenzbegriff auf drei zentrale Aussagen zu subsumieren.
Der Auslöser PISA-Schock und die daraus resultierende Entwicklung des Bildungsverständnisses hin zu einer Kompetenz- sowie Bildungsstandardorientierung werden im vierten Kapitel verhandelt. Durch ein Aufzeigen möglicher Folgen des Paradigmenwechsels – wie in den exemplarisch gewählten Unterkapiteln „Teaching to the test durch Bildungsstandards, der Leistungs- und Niveauabfall durch Vernachlässigung der Inhalte“ oder „das best practice-Vorgehen durch PISA“ dargestellt – wird die kritische Sichtweise des Autors auf den Trend der Vermessung erneut verdeutlicht.
Im Anschluss stellt Martin Eder im fünften Kapitel die Entwicklung und Veränderung des bayerischen Gymnasiallehrplans in den vergangenen 20 Jahren dar und beleuchtet in seiner Analyse die Einflussnahme des Paradigmenwechsels auf vier Lehrplangenerationen. Der Autor stellt zwei Thesen auf, um die Konsequenzen der Entwicklung und die teils negativen Auswirkungen der Lehrplanänderungen pointiert darzustellen.
AbschlieĂźend findet sich im sechsten Kapitel das Fazit der Arbeit, in welchem eine klare Trennung der Begriffe Bildung und Kompetenz gefordert und die Tendenzen zur Vermessung sowie zur Rationalisierung erneut kritisch beleuchtet werden.
Die vorliegende Publikation wurde aus der Dissertation von Martin Eder, welche 2020 mit gleichnamigem Titel an der Philosophischen Fakultät der Universität Passau angenommen wurde, entwickelt und zeichnet sich besonders durch die begrifflichen Auseinandersetzungen, die als Beitrag zur Grundlagenforschung verstanden werden können, sowie durch eine klare Strukturierung und Nachvollziehbarkeit aus.
Durch die begriffs- und diskursanalytische Verhandlung ist es dem Autor möglich, die Abwendung vom Bildungsbegriff und die daraus resultierende Zuwendung zum „output- und vergleichs- sowie an gegebenen Bildungsstandards orientierten Kompetenzverständnis“ (13) nachvollziehbar darzustellen. Die Publikation ermöglicht es – durch die detaillierte Auseinandersetzung und Gegenüberstellung der Begriffe Bildung und Kompetenz sowie durch die Analyse der Lehrpläne für das Gymnasium in Bayern der Jahre 2003, 2004, 2009 sowie den LehrplanPLUS Gymnasium/Lehrplan für das Gymnasium in Bayern 2017 – sich der Einflussnahme der Kompetenzorientierung sowie der Folgen des Wandels des Bildungsideals kritisch anzunähern.